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Eine Extra-Minuskarte
von Tobias Henke
19.07.2010

Jetzt weiß ich es! Endlich!

Endlich weiß ich, warum man die Farbe Blau besser abschaffen sollte. Nicht etwa, weil sie zu stark, zu unbeliebt oder mit anderen Worten: zu interaktiv ist. Nein, man sollte sie besser abschaffen, weil die DCI es einfach nicht hinbekommt, vernünftige Turnierregeln zu erstellen, die mit dem fiesen Konzept der Extrakarten klarkommen. Beginnen wir mit einem etwas komplizierteren Beispiel, um das volle Ausmaß des Missstands zu beleuchten.

Spieler A und Spieler B kontrollieren allerlei Standardländer und Kreaturen und Artefakte und Verzauberungen und Planeswalker und so weiter, aber beide haben keine Handkarten. Jetzt kommt Spieler A zum Zug, zieht von oben Upheaval und spielt es. All die schönen „bleibenden Karten“ machen ihrem Namen mal wieder keine Ehre und wandern auf die Hand ihrer Besitzer. Anschließend legt Spieler A noch eine Insel und beendet dann seinen Zug. Offensichtlich muss er circa tausend Handkarten abwerfen, aber das macht ja nix. Spieler B kann in seinem Zug ebenfalls nur ein Land legen und muss gleichermaßen eine ganze Menge abwerfen. Unter anderem entscheidet er sich, Kozilek, Butcher of Truth abzuwerfen, um seinen prall gefüllten Friedhof in seine Bibliothek zurückzumischen.

Nun ist Spieler A wieder an der Reihe, legt eine zweite Insel und... Moment mal! Wo ist denn bloß seine zweite Insel geblieben? Oje, denkt er sich, war er etwa so dämlich und hat sie aus Versehen zusammen mit den 999 anderen Karten abgeworfen? Nein, wie ärgerlich aber auch! Ein Blick in seinen Friedhof offenbart jedoch: keine Insel. An dieser Stelle wird Spieler A auf einmal ganz blass, so sehr, dass es sogar Spieler B auffällt.

„Was ist?“, fragt B besorgt.
„Also, ähm, ich glaube, ich hatte im letzten Zug überhaupt keine zwei blauen Mana, um das Upheaval zu bezahlen“, stammelt A und fügt dann kleinlaut, aber aufrichtig hinzu: „Sorry.“
„Ich denke, wir sollten einen Judge rufen.“
„Okay.“
„JUUUDGE!“

Was wird der Schiedsrichter in diesem Fall entscheiden? Halt: Das ist die falsche Frage. Was würde der Schiedsrichter entscheiden, wenn er sich tatsächlich an die Regeln hielte? Ja klar. Ein Warning für Spieler A und gegebenenfalls eins für Spieler B. Aber was passiert darüber hinaus? Erst da wird es doch so richtig interessant.

Die Antwort lautet: Beide Spieler müssten sechs Handkarten oben auf ihre Bibliothek legen.

Häh?!

Ja, das habe ich mir auch gedacht. Es steht aber (ziemlich) eindeutig in den Regeln. Follow me!

-Game Play Error — Game Rule Violation
This infraction covers the majority of game situations in which a player makes an error or fails to follow a game procedure correctly. It handles violations of the Comprehensive Rules that are not covered by the other Game Play Errors.

Na gut. Das ist erst mal überhaupt nicht eindeutig. Dass es sich bei dem fehlerhaft bezahlten Upheaval wirklich um eine solche Game Rule Violation handelt, braucht ihr mir dennoch nicht „einfach so“ zu glauben, denn schon das erste Beispiel dazu lautet:

-Examples
A player plays Wrath of God for 3W (actual cost 2WW).

Okay, eine Game Rule Violation also. Was sagt der Infraction Procedure Guide darüber, wie man mit GRVs zu verfahren hat?

-Additional Remedy [Teil 1]
If [...] the situation is simple enough to safely back up without too much disruption to the course of the game, the judge may get permission from the Head Judge to back up the game to the point of the error.

Nein. Die Situation kann definitiv nicht zurückgedreht werden. Wenn die Karten von Spieler B noch in seinem Friedhof lägen, könnte man. Leider hat Kozilek sie in die Bibliothek zurückgemischt. Hier herrscht meinerseits absolute Einigkeit mit dem IPG:

-Additional Remedy [Teil 2]
If [...] backing up is impossible or sufficiently complex that it could affect the course of the game, the judge should leave the game state as it is [...] and not attempt any form of partial 'fix' – either reverse all actions or none [...]

Entweder alle Aktionen zurückdrehen oder keine. Das ist sehr, sehr sinnvoll. Andernfalls wäre es möglich, dass man bei einem Reparaturversuch mehr Schaden anrichtet, als es die ursprüngliche Regelverletzung getan hat. Dummerweise belässt der IPG es nicht dabei, sondern macht munter weiter.

-Additional Remedy [Teil 3]
[...] with the following exceptions:

[...]
[...]
If a player has ended up with more cards in hand than they are supposed to have, return excess cards at random to the top of their library.

Interpretation

Diesen letzten Satz meinte ich, als ich davon sprach, die Regeln seien (ziemlich) eindeutig, lässt er doch einigen Spielraum und somit einiges zu wünschen übrig. Was heißt zum Beispiel „supposed to have“? Wie viele Handkarten sollte ein Spieler denn haben? Mit ein wenig Nachforschung bekam ich die Antwort, dass die naheliegendste Interpretation zugleich die offizielle Auslegung ist: Ein Spieler sollte so viele Handkarten haben, wie er hätte, wenn die Regelverletzung nie aufgetreten wäre.

Ein weiteres kleines Problem ergibt sich aus dem Wörtchen „return“. Wenn Karten auf die Bibliothek zurück-gelegt werden sollen, müssen sie dann auch von dort auf die Hand gelangt sein? Offenbar nicht. Der If-Satz lässt eigentlich auch keinen Widerspruch dahingehend zu, dass die Anweisung sämtliche Extrahandkarten betrifft, egal wie sie auf der Hand gelandet sind. Zudem pflegt die Magic-Regelsprache ohnehin einen sehr freien Umgang mit „return“, beispielsweise bei: „Return target creature to its owner's hand.“ Da interessiert es nicht, ob die Kreatur überhaupt jemals auf der Hand gewesen ist. Die Handkarten hingegen befanden sich wenigstens zu irgendeinem Zeitpunkt einmal in der Bibliothek.

Zusammengefasst: Wenn ein Spieler als Resultat einer GRV mehr Handkarten hält, als er ohne diese GRV hielte, werden so lange Handkarten oben auf seine Bibliothek gelegt, bis dieses Problem behoben ist. Diese Korrektur ist nicht optional, sondern vorgeschrieben.

Theorie...


Gedacht ist diese Regel natürlich für weitaus simplere Situationen. Beispielsweise wenn jemand Jace's Ingenuity wirkt und erst ein paar Züge später auffällt, dass ihm dafür ein zweites blaues Mana fehlte. Dann würden, falls möglich, zwei Karten aus seiner Hand auf seine Bibliothek zurückgelegt. (Denn eine Karte, die Ingenuity selbst, sollte sich ja noch dort befinden.)

Manchmal bestraft diese Korrektur den Übeltäter scheinbar nicht genug. Hat er seine Hand zum Beispiel bereits leergespielt, passierte gar nichts. Genauso, falls der Spruch neutralisiert wurde. Und obwohl ich erst zwei M11-Drafts hinter mir habe, hatte ich schon einmal den Fall, dass ich bis ans Ende eines Spiels kein zweites blaues Mana gefunden habe und über alle Maßen erfreut gewesen wäre, wenn ich Jace's Ingenuity wenigstens auf diese Art hätte cyceln können.

Manchmal bestraft die Korrektur den Übeltäter allerdings auch zu viel. Vielleicht hätte der Spieler direkt im nächsten Zug zwei blaue Mana gehabt und selbst dann noch mit dem Kartenvorteil von Jace's Ingenuity gewonnen. Des Weiteren sind regelverletzend gespielte Kartenzieher Dingen wie Day of Judgment gegenüber grundsätzlich schlechter gestellt. Hätte in dem Upheaval-Beispiel Day of Judgment sämtliche Kreaturen inklusive Kozilek, Butcher of Truth abgeräumt und wäre danach aufgefallen, dass dem Spieler lediglich zur Verfügung stand, wäre überhaupt kein Eingriff ins Spielgeschehen erfolgt.

Wie auch immer, die DCI ist jedenfalls der Ansicht, dass Extrahandkarten immer ein höheres Missbrauchspotenzial bieten und dass man deshalb größere Anstrengungen unternehmen sollte, den ursprünglichen Spielverlauf wieder herzustellen. (Auch und gerade bei einem unbeabsichtigten Spielfehler, andernfalls wäre es sowieso Cheating.) Zumindest was Kartenzieher anbelangt, funktioniert das sogar einigermaßen gut. Manchmal schießt man übers Ziel hinaus, manchmal bleibt man hinter ihm zurück – im Schnitt ist diese Lösung mehr oder weniger fair.

... und Praxis


Wer der Meinung ist, das eingangs behandelte Upheaval-Szenario sei zu weit an den Haaren herbeigezogen, für den habe ich übrigens ein weiteres ausgesprochen realitätsnahes.

Spieler A kontrolliert Island, Sunken Ruins sowie zwei Mutavault. Im Eifer des Gefechts macht er jetzt den dummen Fehler und denkt sich, na klar, Insel produziert und Sunken Ruins produzieren , wie es schließlich meistens auch der Fall ist. Er castet Cryptic Command, neutralisiert einen Zauberspruch und schickt eine bleibende Karte auf die Hand von Spieler B zurück.


Kurz darauf fällt auf: Ach du grüne Neune, das konnte er ja gar nicht bezahlen! In der Zwischenzeit ist aber schon etwas vorgefallen, was es unmöglich macht, die illegalen Aktionen komplett zurückzunehmen.

Und wieder einmal heißt es: „JUUUDGE!“

Was tun? Wenn ihr bis hierhin gut aufgepasst habt, kennt ihr die Antwort. Jaja, erst mal irgendwelche Warnings verteilen, und dann: Dann muss Spieler B eine Handkarte oben auf seine Bibliothek legen!

Genau. Spieler A hat unrechtmäßig Cryptic Command gewirkt, als Ergebnis dessen hat nun jedoch Spieler B eine zusätzliche Handkarte (das gebouncte Permanent). Das kann man nach aktuellem Regelwerk so natürlich nicht stehenlassen und deshalb erhält B jetzt eine Extra-Minuskarte.


P.S.: Nichts gegen Judges! Das sind alles liebe, nette Menschen und ich denke, ich kenne keinen Schiedsrichter, der die Regeln in den angesprochenen Fällen nicht so zu brechen biegen wüsste, dass er zu einem sinnvolleren Ergebnis gelangt.

P.P.S.: Nichts gegen die DCI! Ihre Aufgabe ist es, die Turnierregeln fortlaufend zu verbessern, und nicht zuletzt in der Hoffnung auf Nachbesserung schreibe ich diesen Artikel. Hier wurde Mist gebaut, in vielen anderen Bereichen wurden dagegen tatsächlich Fortschritte erzielt. Für einen Überblick über die wichtigsten Änderungen des Juli-Updates solltet ihr den ebenfalls heute erschienenen Artikel von Martin Golm lesen.




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