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Willensstärke in Magic
von Andreas Rose
15.07.2015

Hallo, liebe Magic-Gemeinde!

Leider hat es ein wenig bis zum neuen Artikel gedauert. Arbeit und Familie haben mal eben viel Zeit in Anspruch genommen. Genug des Smalltalks, lasst uns beginnen …

Nachdem ich euch in meinen ersten beiden Artikeln schon etwas über Psychologie und Achtsamkeit erzählt habe, möchte ich diesem Pfad weiter folgen. Im letzten Artikel habe ich bereits auf den Begriff der Willensstärke hingewiesen. Nun geht's um die Grundlagen dazu und was ihr daher beim Spielen beachten müsst.


Vorab noch eine kleine Info für diejenigen von euch, die vielleicht nicht so im Forum aktiv sind: Gerne könnt ihr mir Beispielsituationen aus eurem Magic-Leben zukommen lassen, falls ihr dazu eine psychologische Erklärung haben wollt. Ob ich euer Beispiel dann im Artikel mit verwerten kann, hängt aber auch davon ab, wie viele Situationen ich bekomme und inwiefern ich mir eine Erklärung dafür zutraue (nicht jede Situation lässt sich aus der Ferne analysieren).

Zudem gab es die Idee, psychologische Beispielexperimente zu den Themen mit in die Artikel einzubauen. Das werde ich in diesem Artikel auch tun und wünsche mir daher von euch wieder reges Feedback im Forum!


Willensstärke

Was versteht man in der Psychologie eigentlich unter diesem Begriff? Selbstkontrolle, Selbstregulation, Volition sind die Begrifflichkeiten, die ihr im Bereich der Willensstärke finden werdet. Diese grenzen sich vom Begriff der Motivation, also dem Willen, ein Ziel zu erreichen, ab, indem sie Bezug auf die Handlungssteuerung nehmen. Willensstärke ist demnach am ehesten als psychische Energie zu verstehen, die uns dabei hilft, unser Verhalten aktiv und bewusst zu steuern.


Diese Energie hat nach Roy Baumeister drei wichtige Eigenschaften:

1.
Universalität: Eine einzige Ressource wird für vielfältige Selbstkontrolle erfordernde Aufgaben verwendet.
2.
Beschränktheit: Die Ressource ist begrenzt und kann prinzipiell aufgebraucht werden.
3.
Abhängigkeit: Die Fähigkeit zur Selbstkontrolle hängt ausschließlich von der Ressource ab.

Ein typisches Maß für die Willensstärke ist beispielsweise die Fähigkeit zu Belohnungsaufschub. Hier stellt sich die Frage, ob und wie lange eine Person in der Lage ist, auf eine kleinere Belohnung zu verzichten, wenn sie dafür im Anschluss eine größere erhält. Die bekanntesten Experimente dazu stammen von Walter Mischel aus dem Jahr 1968. Mischel setzte Kinder im Alter von vier bis sechs Jahren vor einen Marshmallow und bat sie, 20 Minuten zu warten. Kinder, die warteten, würden nach Ablauf der Zeit stattdessen zwei Marshmallows erhalten. Dabei beobachtete Mischel die Kinder durch einen Einwegspiegel, um deren Strategien herauszufinden. Einige hielten die Hände vors Gesicht, damit sie die Belohnung nicht anschauen mussten. Andere redeten sich gut zu. Wieder andere erfanden Spiele mit ihren Händen und Füßen oder begannen zu singen. Es gab sogar Kinder, die versuchten einzuschlafen – was einem tatsächlich gelang.


Jahre später unterzog Mischel die Kinder weiteren Tests und stieß dabei auf interessante Ergebnisse. Kinder, die ein hohes Maß an Selbstkontrolle im Marshmallowtest besaßen, waren im Jugendalter ausgeglichener, kooperativer, zeigten mehr Eigeninitiative und brachten bessere Schulnoten mit nach Hause. Selbst im Erwachsenenalter gab es deutliche Vorteile bei den ehemals geduldigen Kindern in Bezug auf Selbstbewusstsein und Stressresistenz.

Das Positive daran ist, dass sich die Fähigkeit zum Belohnungsaufschub trainieren lässt! Damit ist es also auch möglich, Willensstärke zu trainieren, da diese wie ihr ja oben lesen konntet, ein limitiertes Gut ist.


Aber warum benötigen wir Willensstärke oder besser, was passiert wenn wir nicht genügend Willensstärke haben? Selbstkontrolle ist die Ressource, die uns bewusstes Handeln ermöglicht. Verlieren wir Möglichkeiten der Selbstkontrolle, agieren wir eher mit unserem unbewussten System und sind daher fehleranfälliger. Wir geben eher Versuchungen nach (ungesundes Essen, Geld ausgeben) und sind in Aufmerksamkeit und Konzentration eingeschränkt. Wir reagieren emotionaler und werden schneller aggressiv. Das sind alles Bereiche, die nicht nur euer Magic-Spiel negativ beeinflussen.


Was verbraucht Willensstärke?

1998 erst konnten Baumeister und Kollegen in Experimenten nachweisen, dass Willensstärke limitiert ist und über die oben genannten Eigenschaften verfügt. Dazu führten Sie eine Serie von vier Experimenten durch. Im ersten Experiment zeigte sich, dass Personen, die einen Rettich statt leckerer Schokolade essen mussten, bei der Bearbeitung unlösbarer Aufgaben viel schneller aufgaben als andere. Im zweiten Experiment mussten die Testpersonen vor dem Bearbeiten der Aufgaben eine wichtige persönliche Entscheidung in einem Beispiel treffen. Auch diese Personen beendeten die Aufgabenbearbeitung weitaus schneller. Im dritten Experiment konnte nachgewiesen werden, dass das Unterdrücken von Emotionen zu schlechteren Leistungen beim Lösen von Anagrammen führte. Im vierten Experiment zeigte sich, dass das Ausüben von Selbstregulation zu einer Wahl passiverer Verhaltensweisen im Anschluss führte.


Diese Abnahme an Selbstregulationsressourcen bezeichneten Baumeister et al. als „ego depletion“ oder im Deutschen als „Ich-Erschöpfung“. Vor allem Ablenkungen, Entscheidungen und Versuchungen erschöpfen unsere Selbstkontrolle. Daher wird mittlerweile auch in Coachings Führungskräften nahegelegt, sich Entscheidungen bezüglich etwa der Kleidungswahl oder des Mittagessens im Vorfeld von Beratern abnehmen zu lassen, um so Selbstregulationsressourcen zu schonen. Was das genau fürs Magic-Spielen bedeutet, dazu komme ich später.

Vorher noch eine wichtige Erkenntnis zum Thema Selbsterschöpfung. Bei der Suche nach einem körperlichen Korrelat, also nach einem Stoff im Körper, der mit der Selbstregulation im Zusammenhang steht, sind die Forscher um Baumeister (2007) schnell fündig geworden. Selbstregulation senkt nachweislich unseren Blutzuckerspiegel. Zudem sagt ein niedriger Blutzuckerspiegel eine schlechtere Leistung bei Aufgaben der Selbstkontrolle voraus. Und die Leistung bei Aufgaben der Selbstkontrolle kann durch die Einnahme zuckerhaltiger Getränke verbessert werden. Das bietet auch schon den Ansatzpunkte für unsere nächste Frage …


Was füllt unsere Selbstregulationsressourcen wieder auf?

Das Interessante an der Selbstregulation und ihren Ressourcen ist, dass sich diese relativ schnell wieder auffüllen lassen. Damit unser Gehirn leistungsfähig ist und sich selbst gut regulieren kann, braucht es primär einen guten physiologischen Zustand. Das heißt, es sollte gut mit Flüssigkeit und Nährstoffen versorgt sein. Also ganz einfach: Achtet beim Magicspielen auf eine genügende Flüssigkeitszufuhr und bringt euch etwas zu essen mit. Sonst hängt die Konzentration.


Aber auch andere Tätigkeiten füllen eure Selbstregulationsressourcen schnell wieder auf. Zum Beispiel Humor und Lachen. Fröhliche Unterhaltungen, Lachen über eigene Fehler oder der eine oder andere Witz sind nicht nur gut für eure Stimmung, sie steigern auch eure Fähigkeit zur Selbstregulation und Selbstkontrolle. Ansonsten hilft auch kurzzeitig Ruhe und langfristig Schlaf. Sorgt dafür, dass ihr euch in den Spielpausen entsprechend ausruhen könnt und schlaft vor einem wichtigen oder auch nur langen Turnier genug. Entspannungsverfahren können auch hier, sofern sie vorher genügend eingeübt wurden, euer Energieniveau wieder auffrischen.

Wie sollten also aus dieser Theorie heraus eure Vorbereitung und euer Verhalten während eines großen Turnieres aussehen?

Fünf Tipps zur Vorbereitung:

1.
Schlaft genügend!
2.
Kennt euer Deck oder spielt ein „einfaches“ Deck!
3.
Plant An- und Abreise sowie Übernachtung im Vorfeld!
4.
Nehmt genügend Flüssigkeit (mindestens zwei Liter) und genügend Snacks mit!
5.
Trainiert eure Selbstregulation schon einige Wochen vorher!

Fünf Tipps für längere Turniere:

1.
Genießt das Turnier! Positive Emotionen fördern die Selbstregulation!
2.
Überlegt bei begrenzten Optionen nicht zu viel, sondern spart Ressourcen für wichtigere Spielzüge!
3.
Vermeidet Ablenkungen, so gut es geht!
4.
Trinkt viel, esst zwischendurch auch etwas Kleines!
5.
Nehmt euch eine Pause, wann immer es möglich ist!

Zu guter Letzt komme ich nun zu einer der eingangs erwähnten Beispielsituationen. Auf die folgende Geschichte von MBKG aus dem Forum würde ich gerne näher eingehen, da sie interessant und auch sehr ausführlich beschrieben ist …

Ich habe in der Tat eine Spielsituation für dich, welche wahrscheinlich auch in ein Psychologiebuch gehört.

Es war auf einem Grand Prix im Scars of Mirrodin-Limited. Ich stehe 6:2, und führe 1:0. Es schaut also gut für mich aus, Day 2 zu machen. Ich bin das erste Mal in so guter Position auf einem GP und höllisch aufgeregt.

Der Tisch ist ziemlich voll mit Kreaturen. Ich habe mit Volition Reins einen Sunblast Angel verzaubert und kontrolliere diesen schon einen Zug. Ich habe ansonsten keinen Flieger. Auf meinem Tisch liegt unter anderem auch noch Neurok Replica.

Mein Gegner startet dann einen größeren Angriff, unter anderem mit Lumengrid Drake.

Mein Plan ist also, mit der Replica zu blocken und diese dann zu opfern, um noch einen weiteren Angreifer zu bouncen. Da der Angriff ein wenig größer ist, denke ich auf meinem Block eine lange, lange Zeit herum. Ich bin mir aber bereits zu Beginn seines Angriffs im Klaren darüber, dass ich diesen verfluchten Lumengrid Drake auf gar keinen Fall bouncen darf, da er damit sonst seinen Engel wieder auf die Hand nehmen und mich mit dem verhauen wird.

Ich lege meine Kreaturen also mehrfach hin und her und bin schließlich mit meinem Block eigentlich ganz zufrieden. Der Lumengrid Drake des Gegners stirbt im Block durch den Engel und irgendeine andere Kreatur des Gegners wird durch die Replica gebounct.

Ich denke noch einmal über den Block nach und auf einmal kommt mir die „Erleuchtung“, dass ich ja auch eine andere Kreatur mit dem Engel totblocken kann, und ich tausche die beiden Kreaturen noch einmal, tappe mein Mana für die Replica und zeige auf Lumengrid Drake. WÄHREND ich das mache, fährt mir schon der Schreck durch die Glieder, weil das ja genau der Move ist, den ich eigentlich während meiner minutenlangen Überlegungen immer wieder vor meinem geistigen Auge ausgeschlossen habe.

Es kommt also dazu, dass ich den Drake doch bounce. Mein Gegner zockt ihn nach dem Kampf aus und holt sich Sunblast Angel wieder auf Hand.

Ich verliere das Spiel, weil ich die Flieger nicht mehr kontrollieren kann.

Meine Frage ist jetzt: WAS ZUM DONNER hat sich mein kleines Gehirn dabei gedacht? Genau die Aktion durchzuführen, die ich selbst mehrfach für das allerschlechteste Play der Welt gehalten habe?!

Tja, was hat sich das Gehirn fabei gedacht … Die Lösung zu dieser Frage könnte man beispielsweise in Kahnemanns Buch „Schnelles Denken, Langsames Denken“ finden. Kahnemann unterscheidet dort zwischen unbewusstem (System 1) und bewusstem Denken (System 2). System 2 springt nur ein, wenn in System 1 Unstimmigkeiten auftauchen. In diesem Moment hast du System 2 ausgiebig in Anspruch genommen. Das hat deine Willenskraft gehörig aufgebraucht. Die „Erleuchtung“ war dann das Umschalten auf System 1. Dieses System schätzt kognitive Leichtigkeit, weil es da besonders wenig Energie verbraucht. Also wendet es in deinem Fall das offensichtliche Play an und gibt die Informationen an deine Motorik weiter, ohne System 2 nochmals zu kontaktieren, da dieses sich wahrscheinlich erst einmal ausruhen wollte. Das Ergebnis stand aber im Widerspruch zu dem von System 2 berechneten Ergebnis, sodass dieses alarmiert wurde und für den von dir beschriebenen Schock sorgte.


Das Fazit: Du hast am Anfang zu viel nachgedacht und zu wenig gemacht … und später dann umgekehrt. Deine Willenskraft war durch das Turnier wahrscheinlich aufgebraucht, was die Fehlerrate erhöht. Daher ist es auch so wichtig, die Konzentration und Achtsamkeit vorher zu trainieren und im Turnier wann immer möglich die Ressourcen zu schonen. Sobald man im Nachdenken mit einer Linie zufrieden ist, sollte man diese auch durchziehen, sonst kann einem genau derselbe Fehler wie im obigen Beispiel passieren.

Ich freue mich weiterhin auf eure Spielsituationen und euer Feedback!

Mit freundlichen Grüßen – euer AndiR




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