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Achtsamkeit in Magic
von Andreas Rose
08.05.2015

Zur Einführung in das Thema Achtsamkeit möchte ich euch kurz eine typische Geschichte erzählen …







Glücklich sein
Ein Mann wurde einmal gefragt, warum er trotz seiner vielen Beschäftigungen immer so glücklich sein könne. Er sagte:

"Wenn ich stehe, dann stehe ich,
wenn ich gehe, dann gehe ich,
wenn ich sitze, dann sitze ich,
wenn ich esse, dann esse ich,
wenn ich liebe, dann liebe ich …"

Da fielen ihm die Fragesteller ins Wort und sagten: "Das tun wir auch, aber was machst Du darüber hinaus?" Er sagte wiederum:

"Wenn ich stehe, dann stehe ich,
wenn ich gehe, dann gehe ich,
wenn ich …"

Wieder sagten die Leute: "Aber das tun wir doch auch!" Er aber sagte zu ihnen:

"Nein –
wenn ihr sitzt, dann steht ihr schon,
wenn ihr steht, dann lauft ihr schon,
wenn ihr lauft, dann seid ihr schon am Ziel."


In meinem letzten Artikel hatte ich bereits geschrieben, dass unsere Kraftreserven beim Nachdenken, also unsere kognitiven Ressourcen, begrenzt sind. Oft werden diese noch dadurch reduziert, dass wir in einem Moment mit der Zukunft oder Vergangenheit beschäftigt sind, statt im Hier und Jetzt zu verweilen. So denkt ihr beispielsweise während eines Matches immer noch über den ärgerlichen Spielfehler aus der letzten Runde nach, fragt euch, was ihr abends noch unternehmen könntet oder beschäftigt euch bereits mit dem Thema: „Was wäre, wenn ich jetzt gewinnen oder verlieren würde?“ Das alles raubt wichtige kognitive Ressourcen.

In den letzten Jahrzehnten hat sich die Achtsamkeitsforschung als Teil der Psychologie etabliert. In vielen Studien konnten positive Effekte auf die Aufmerksamkeit, Konzentration, Emotionsregulation und die Fähigkeit zur Stressreduktion nachgewiesen werden. Genau diese Fähigkeiten können über Sieg oder Niederlage in Magic-Spielen entscheiden und euch sogar den Genuss am fröhlichen Pappkartendrehen vervielfachen. Bevor wir aber zu den konkreten Maßnahmen gehen, möchte ich euch kurz die Grundlagen der Achtsamkeit vorstellen.


Achtsamkeit und Aufmerksamkeit

Als Aufmerksamkeit wird im Allgemeinen die Ausrichtung des Bewusstseins auf einen bestimmten Gegenstand bezeichnet. Wir können uns diese Aufmerksamkeit wie eine Art Suchscheinwerfer vorstellen. So könnte im Magic unsere Aufmerksamkeit auf unsere Hand, das Schlachtfeld oder den Friedhof des Gegners gerichtet sein. Das bedeutet aber auch, dass jeder bewusste Wechsel der Aufmerksamkeit auf ein anderes Objekt eine leichte Kraftanstrengung bedeutet (beispielsweise wenn ihr vom Handy oder einem Mitspieler abgelenkt werdet und euch wieder auf euer Spiel konzentrieren müsst). Dabei kann die Aufmerksamkeit oft auch auf Vergangenes oder Zukünftiges gerichtet sein.


Achtsamkeit heißt nun, diesen Suchscheinwerfer bewusst auf das Hier und Jetzt auszurichten, die Gegenwart zu fokussieren und dadurch kognitive Ressourcen zu schonen. Achtsamkeit heißt aber auch, die Gegenwart wahrzunehmen, ohne diese zu werten:

„Mist, jetzt muss ich gegen Kontrolle ran, dabei wollte ich doch genau das vermeiden.“
„Jetzt muss ich gegen eine Frau spielen, da darf ich keinesfalls verlieren, wäre ja peinlich.“
„Wenn er jetzt Massremoval zieht, kann ich nicht mehr gewinnen.“


Diese Wertungen schränken euer Denken ein, ihr wechselt dadurch eher in eine Art Tunnelblick, der gerne auch mal Alternativen verschleiert und euch von eurem eigentlichen Ziel ablenkt.


Achtsamkeit und die Notwendigkeit zur Übung

In Achtsamkeitsübungen geht es in der Regel darum, die überdauernde Absicht zu stabilisieren, seiner Aufmerksamkeitsverteilung im Alltag, oder eben auch beim Kartenspielen, auf die Spur zu kommen. Das heißt, dass ihr durch folgende Übungen zum einen lernen könnt, zu erfahren, wo genau eure Aufmerksamkeit gerade ist, und zum anderen, wie ihr diese wieder auf die relevanten Aspekte lenkt. Wichtig ist dabei eines: Achtsamkeit benötigt Übung! Dabei reichen schon einfache Achtsamkeitsübungen am Tag, um wissenschaftlich relevante Ergebnisse zu erzielen.

Bereits nach zwei Wochen Anwendung von Meditationsverfahren mit einer Dauer von einer Viertelstunde täglich lassen sich in Tests bessere Konzentrationsleistungen nachweisen. Nach sechs Wochen mit zwei bis drei Meditationen pro Woche können in bildgebenden Verfahren Veränderungen in den Gehirnen der Probanden aufgezeigt werden.


Was müsst ihr dafür tun? Im Netz gibt es eine Menge Anleitungen zu Meditationen und Achtsamkeitsübungen. Es reicht aber auch schon, eure Umgebung, Menschen, Bäume, den Himmel oder eure Gedanken immer mal wieder bewusst zu betrachten. Beim Magic-Spielen bewusst auf eure Spielzüge und die eures Gegners zu achten, mal eine Magic-Karte bewusst zu betrachten, mit voller Aufmerksamkeit das Artwork zu sehen oder den Text darauf zu lesen.

Wichtig ist, dass ihr bewusst einen Moduswechsel vom „Autopiloten“ zur bewussten Steuerung vollzieht. Je öfter ihr das im Alltag macht, desto mehr Übung bekommt ihr darin und desto weniger Energie müsst ihr für diesen Moduswechsel aufwenden. Das kann dann darin resultieren, dass ihr weniger Spielfehler macht, vor allem im Verlauf langer Turniere oder auch nach einer anstrengenden Arbeitswoche beim FNM. Zudem sorgt ein achtsamer Umgang in der Regel auch für eine positivere Erfahrung. Euer Gegner hat Glück beim Ziehen? Akzeptiert und respektiert diesen Fakt, ohne ihn dafür zu verdammen. Er kann genauso wenig für sein Glück wie ihr. Wenn ihr achtsam beim Spielen seid, fallen euch eure Fehler und auch die des Gegners eher auf. Ihr lernt besser. Und ihr könnt das Zusammensein mit Menschen, die ein Hobby mit euch teilen, besser genießen.


Anwendung von Achtsamkeit in der Vorbereitung

In der Vorbereitung gibt es viele Chancen, Achtsamkeit zu üben. Wenn ihr Decks testet, vermeidet jede Form der Ablenkung. Nehmt euch auch einmal kurz Zeit, das Schlachtfeld, eure Hand und so weiter genau zu betrachten. Bei schwierigen Entscheidungen solltet ihr gerne auch mal die Perspektive eures Gegners einnehmen. Es geht ja um die Vorbereitung, da kann es durchaus sinnvoll sein, die Position eures Gegenübers wahrzunehmen und im Spiel kurz mit ihm zu tauschen. Quasi einen Zug Mindslaver beidseitig.

Wenn ihr nach der Lösung für ein Problemmatchup sucht oder wenn ihr bestimmte Decktypen nicht gerne spielt, dann könnte euch folgender Tipp helfen: Schnappt euch das Deck, was euch am wenigsten liegt oder Freude macht, und spielt genau das. Achtet beim Spielen vor allem darauf, wann ihr Probleme bekommt, welche Karten euch genau zu schaffen machen. Seid achtsam beim Spielen dieses „ungeliebten“ Decks und achtet vor allem darauf, nicht zu werten. Das ist anfangs schwierig, aber dadurch lernt ihr, die Perspektive eures Gegners einzunehmen und aus dieser heraus zu handeln.


Achtet in der Vorbereitung darauf, nicht abgelenkt zu werden. Schaltet beispielsweise euer Handy aus und schaut keine YouTube-Videos im Hintergrund. Lernt, in kritischen Situationen oder auch einfach so, einen Moment lang nur eure Atmung zu beobachten (zum Beispiel fünf Atemzüge zählen) und erst dann weiter zu machen. Dafür habe ich auch noch eine kleine Meditationsübung aus dem Reich der fokussierten Aufmerksamkeit:

Nehmt euch einen üblichen Würfel, den ihr auch beim Spielen immer dabei habt. Legt diesen vor euch auf eine neutrale Unterlage und stellt euch einen Wecker auf fünf oder zehn Minuten. Betrachtet dann den Würfel. Wann immer eure Gedanken abschweifen, nehmt das freundlich und gelassen wahr und kehrt mit eurer Aufmerksamkeit wieder auf den Würfel zurück. Das wird zu Beginn sehr schwierig werden, aber je länger ihr das übt, umso besser werdet ihr. Eure Konzentration und Achtsamkeit werden sich verbessern. Da ihr euch den Würfel auch beim Spielen ins Blickfeld legen könnt, werdet ihr im Spiel immer wieder an die Achtsamkeit und das Hier und Jetzt erinnert.


Achtsamkeit im Spiel

Wenn ihr gut vorbereitet seid, habt ihr schon einen Würfel oder etwas Ähnliches daliegen, um euch an eure Achtsamkeit zu erinnern. Alternativ könnt ihr euch auch andere Stützen bauen. Auf meinem ersten größeren Turnier hatte ich einen Zettel unter meinem Deck auf dem zwei Worte standen: „Langsam“ und „Fokussieren“. Damit erinnerte ich mich immer wieder daran, mit den Gedanken beim Spiel zu bleiben. Atmet tief durch, lernt, Entscheidungen schnell und gezielt zu treffen. Auch hier haben Studien zeigen können, dass durch Achtsamkeitstraining Entscheidungen schneller getroffen werden können und trotzdem weniger kognitive Ressourcen dafür benötigt werden.


Wartet. Überlegt euch gut, ob ihr aufgebt oder nicht. Ein Beispiel fehlender Achtsamkeit kann ich euch vom letzten Gameday geben. Ich spielte einen grün-schwarzen Constellation/Devotion-Hybriden gegen Abzan. Ich hatte das Board meines Gegners so weit unter Kontrolle gebracht, dass ich nun mit allen Kreaturen in seinen einzelnen monströsen Fleecemane Lion angreifen konnte, wobei ich im Anschluss noch zwei Blocker legen musste, da ich bei genau vier Leben war. Ich griff an, er ging auf eins, ich gab ab … ohne Blocker zu legen … Er schaute auf mein Board, schaute seine gezogene Handkarte an und gab auf, weil er im nächsten Zug ja eh sterben würde. Er hatte nicht genug Achtsamkeit, um den Sieg zu sehen. Ich nicht genug, um seinen Sieg zu verhindern. Ihr alle kennt solche Situationen. Ich war in diesem Moment immerhin achtsam genug, nicht einfach aufzugeben und seine Reaktion abzuwarten. Schon so kleine Unterschiede können eine Niederlage in einen Sieg verwandeln.


Achtsamkeit nach dem Spiel

Schafft ihr es, nach dem Spiel Fehler oder gute Spielzüge zu erkennen? Oder meckert ihr lieber über euren glücklichen Gegner oder preist die Stärke eures Decks? Wenn ihr lernt, nach dem Spiel achtsam zu sein, haben eure Emotionen weniger Kontrolle über euch und ihr seid in der Lage, aus euren Fehlern zu lernen. Atmet tief durch, nehmt bewusst den Raum um euch wahr, die Geräusche, die Spieler, den Boden unter euren Füßen. Versucht, eure Fehler nicht zu werten, sondern überlegt euch, wo ihr es hättet besser machen können und wie euch genau das beim nächsten Mal gelingen kann.


Nehmt nach einer Niederlage auch bewusst wahr, warum ihr gerne Magic spielt. Vielleicht der Austausch mit den Mitspielern. Vielleicht die Artworks auf den Karten. Oder euer selbst zusammengebrautes Deck. Vielleicht war es ein knappes, spannendes Spiel. Und ganz wichtig: Lächelt, auch wenn euch gerade nicht danach ist. Warum? Es wird euch guttun, deswegen.


Achtsamkeit und Willensstärke

Ihr wisst nun bereits, dass Willensstärke eine begrenzte Ressource ist. Aber wie genau hilft da Achtsamkeit? Verbraucht diese nicht noch mehr Willensstärke? Zu Beginn der Übungen ja, deswegen ist Vorbereitung so wichtig. Aber etliche Studien haben belegen können, dass wir nach einiger Übung oder Meditation weniger Willensstärke aufwenden müssen, um uns zu konzentrieren, unsere Emotionen zu regulieren oder nachzudenken. Welche weiteren Faktoren aber bei der Willensstärke eine Rolle spielen und wie ihr den Verbrauch dieser wertvollen Ressource beim Magic-Spielen reduzieren könnt, möchte ich euch dann im nächsten Artikel vorstellen. Sofern ihr Interesse daran habt.


Ich habe mich letztes Mal sehr über das Feedback im Forum gefreut und wünsche mir auch jetzt wieder Kritik und Rückmeldungen, aber auch Themenwünsche, falls vorhanden!

Mit freundlichen Grüßen – euer AndiR




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