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Odysseus – eine Irrfahrt in zwei Teilen, zweiter Akt
von Nico Bohny
02.03.2012


Kalypso (oder: Auf der Suche nach der Muse)

Da steh ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor. Noch 34 Stunden trennen mich vom Beginn der Pro Tour in Honolulu und nach dem Verwerfen meiner brillanten Deckidee habe ich einmal mehr keine Ahnung, mit welchen Waffen ich denn am Hauptturnier um mich schlagen werde.

Die Matrix muss her (siehe Worlds-Report Teil 1)! Wir schreiben uns jeweils zu zweit eine Liste, in welche wir alle Decks eintragen, die wir erwarten, und unsere Erwartungen zu den Matchups, in Prozentzahlen ausgedrückt. Danach vergleichen wir unsere Einschätzungen. Da wir überwiegend kreaturenbasierende Decks bei der Tour erwarten, glänzen auf unserer Liste folgende Decks mit guten Zahlen: RG-Ramp, Tempered Steel und BW-Tokens. Da Steel die höchste Positivzahl zu verbuchen hat, wird das Deck gebaut und etwas getestet. Nebst den Draws ohne Tempered Steel, die das Deck halt auch ab und zu bietet, bin ich an sich überzeugt. Außerdem kann man im Sideboard den guten Hero of Bladehold spielen, eine der in unseren Augen besten Kreaturen des momentanen Metagames. Die schlechten Matchups gegen Ramp und die friedhofsbasierenden Decks, die alle drei bis vier Exemplare von Ancient Grudge haben, sind in meinen Augen für die Tour nicht besonders relevant – viel wichtiger die guten Matchups gegen Delver of Secrets, Humans und Monogrün.

Froh darüber, doch noch ein gutes Deck in Reichweite zu haben, entspanne ich mich ein wenig und schaue der Tour schon etwas gelassener entgegen. So machen wir uns dann auf zur Registration, um vielleicht dort sogar noch einen letzten Input zu erhalten. Welchen wir auch tatsächlich bekommen. Die deutsche Fraktion um die Gräfensteiner-Brüder hat ein Deck auf die Beine gestellt, das sich zwar lustig anhört, zumindest auf Papier aber eher komisch ausschaut.


4 Copperline Gorge
7 Forest
2 Kessig Wolf Run
6 Mountain
4 Rootbound Crag

4 Birds of Paradise
4 Hellrider
1 Hero of Oxid Ridge
2 Huntmaster of the Fells
(Ravager of the Fells)
4 Llanowar Elves
2 Phyrexian Metamorph
4 Strangleroot Geist
1 Thrun, the Last Troll


1 Brimstone Volley
2 Galvanic Blast
4 Gut Shot
4 Incinerate
4 Sword of War and Peace

Sideboard:

3 Ancient Grudge
2 Dismember
1 Hero of Oxid Ridge
2 Mental Misstep
2 Mutagenic Growth
2 Thrun, the Last Troll
2 Traitorous Blood
1 Urabrask the Hidden


Einige unserer Leute sind begeistert von der Liste, ich bin eher skeptisch. Trotzdem wird das Deck bei uns in der Hütte nachgebaut und noch etwas gezockt. Ich sitze am falschen Ende des Tisches, mit Steel, und erkenne langsam, aber sicher, dass das Deck und vor allem auch der Hellrider teuflisch gut sind. Mit jedem Spiel, das ich beobachte, steigt in mir der Wunsch, das Deck ebenfalls zu zocken. Und es kommt, wie es kommen muss, in letzter Minute vor der Pro Tour wird das Deck nochmals gewechselt. Nachdem mit Müh und Not ein paar Karten aufgetrieben sind, geht's ab in die Heia und am nächsten Morgen auf zur Schlacht.


Skylla und Charybdis (oder: Standard und Draft)

Etwas gestresst kaufe ich mir die letzten Karten fürs Deck zusammen, tüte mein Deck ein und besorge mir die Sideboardpläne. Folgendes kritzle ich in Eile auf einen Zettel ab:

Monorün:

Humans:

Control:

Ramp:

Steel:

Delver:

Dann geht's auch schon los:


Runde 1 – Cifka, Stanislav [CZE] – UB-Control

Ich gewinne den Würfelwurf und halte eine zufriedenstellende Hand mit Manaelf und Schwert. Mein Gegner vermag meine Pläne nicht zu durchkreuzen und der Säbel rasselt ihn im ersten Angriff auf zehn Leben. Zwar findet er ein Tribute to Hunger für den Elfen, aber keine Antwort auf Hellrider und ist im folgenden Zug schon tot. Auch das zweite Spiel ist schnell erzählt: Elf, Schwert und Thrun ohne Gegenwehr beenden das Spiel zügig und ohne große Spielereien. Zufrieden hole ich mir in den mir verbleibenden vierzig Minuten Sushi und Getränk und freue mich über das gute Deck.

1:0

Runde 2 – Meng, Eric [USA] – Zombies


Ich gewinne den Würfelwurf erneut und starte wieder mit einem Manalieferanten. Gut Shot meines Gegners kümmert sich um das Problem, gepaart mit Diregraf Ghoul. Auch mein nächster Manaelf fällt Burn zum Opfer, abermals in Verbindung mit einem Ghoul, somit verbringe ich meinen dritten Zug damit, ein Schwert nachzulegen. Gravecrawler setzt noch etwas zusätzlichen Druck auf, aber mein Hellrider, mithilfe des Schwertes, droht mit einer hohen Dosis Damage. Mein Gegner stellt im Folgezug seine beiden Ghouls in den ausgerüsteten Teufel, um diesen nach dem Kampf per Gut Shot zu erlegen, aber da das gute Schwert ja einiges an Fähigkeiten besitzt, muss er sich kopfschüttelnd ein neues Ziel für seinen Spruch suchen. Das Schwert verrichtet seine dreckige Arbeit, und wir mischen fürs zweite Spiel. Die Zombies, zusammen mit dem passenden Burn für meine Manatiere, setzen mich genug unter Druck, um das Spiel zu gewinnen. Im dritten läuft's wieder umgekehrt und mir wird einmal mehr bewusst, wie wichtig der Würfelwurf ist.

2:0

Runde 3 – Kibler, Brian [USA] – RG-Ramp

Das Spiel wird live auf Video übertragen. Nach dem aufwendigen Verkabeln geht die Sache dann doch schnell und schmerzlos vorüber – ich gewinne einen weiteren Würfelwurf, lege ein weiteres Schwert im zweiten Zug und beende ein weiteres Spiel vor meinem fünften Zug. Im zweiten Spiel lege ich Turn 3 Thrun, the Last Troll, was Brian mit einem Huntmaster of the Fells kontert. Urabrask the Hidden ist aber zur Stelle und wird gleich vom Jäger und seinem haarigen Kumpanen geblockt. Mutagenic Growth zeigt sich von seiner besten Seite und sorgt dafür, dass mein Urabrask auch im weiteren Spielverlauf mit seinen Fähigkeiten und seinem dicken Hintern glänzen kann. Zwei Angriffe und einen zweiten Mutagenic Growth später, an einem getappten Titanen vorbeigeschlichen, und das Spiel ist zu Ende. Selten habe ich für meine Runden dermaßen wenig Zeit benötigt. Wäre ein guter Zeitpunkt, um mit dem Rauchen anzufangen.

3:0

Runde 4 – Frias, Daniel [BRA] – BW-Tokens


Wer hätte es gedacht, ich gewinne einen weiteren Würfelwurf und lege wieder aggressiv los. Zwar kann mein Gegner das Board mit Tokens zupflastern, verkalkuliert sich aber in seinem Angriff und bringt mich nur auf drei Leben. Dankend kopiere ich mit Phyrexian Metamorph meinen Hellrider, gehe runter auf ein Leben und schlage ihn mit den Triggern im Angriff tot. Spiel 2 wird etwas haariger und ich werde mir bewusst, dass ich wohl nicht gerade ein gutes Matchup erwischt habe. Gegen Timely Reinforcements, Sorin, Lord of Innistrad und Anthem-Effekte bin ich on the draw einfach viel zu langsam. Fürs dritte Spiel boarde ich Mutagenic Growth, da ich so deutlich aggressiver in seine Tokens angreifen kann. Leider muss ich einen Mulligan nehmen und habe schon meine lieben Probleme gegen Honor of the Pure und Lingering Souls. Mutagenic Growth gibt mir zwar einen guten Angriff mit Hellrider, gegen Sorin und darauffolgende weitere Tokenkarten bin ich aber chancenlos. Nach dem Spiel fragt mich mein Gegner, warum ich denn Mutagenic Growth nicht ausgeboardet hätte gegen ihn. Ich probiere ihm zu erklären, warum ich die Karte mag und dass ich sie zwar nicht maindecken würde, aber eben gegen ihn reingegeben hätte. Etwas arrogant meint er, dass die Karte nicht sonderlich gut gegen ihn sei. Während er wegzottelt, sage ich zu Tobi, der neben mir sitzt, dass die Karte halt immer gut sei gegen schlechte Spieler.

3:1

Runde 5 – Blohon, Lukas [CZE] – Naya-Pod

Meine Glückssträhne scheint zu Ende. Die Würfel fallen gegen mich und auch die Matchups werden nicht besser. Gegen die schier endlose Kreaturenflut von Blade Splicer und Huntmaster of the Fells weiß ich mich beim besten Willen nicht zu wehren. Zwar stehle ich knapp ein Spiel, in dem mein Gegner Mulligan auf fünf nimmt, verliere dann aber das letzte Spiel wieder ziemlich klar.

3:2

In solchen Momenten der Abwärtstendenz ist es jedes Mal schwer, die Motivation aufrechtzuerhalten. Zwar freue ich mich wie immer auf den Draft, merke aber, wie meine Konzentration parallel mit meiner Laune abnimmt. Ich öffne einen Booster mit Havengul Runebinder, Strangleroot Geist und Wolfbitten Captive. Den Rootwalla habe ich noch nie gespielt, schätze ihn aber als sehr stark ein. Ich überlege mir, wenn ich die Werwolf-Rare nehme, werden die Leute um mich herum Grün zu vermeiden versuchen, der Spieler hinter mir kann den Runebinder nehmen und schon habe ich mir ein warmes, sicheres Nest gebaut. Obwohl ich mit Grün tatsächlich ganz gut fahre, muss ich nachträglich sagen, dass der Pick falsch war. Der Runebinder ist die bessere Karte als der Wolf und zwei grüne Karten zu schieben, damit sich meine Nachbarn darum streiten, wäre ja auch überhaupt nicht schlecht gewesen. So lande ich in folgendem eher klobigen Konstrukt:


Wolfbitten Captive
(Krallenhorde Killer)
Dawntreader Elk
Ambush Viper
Gatstaf Shepherd
(Gatstaf Howler)
Orchard Spirit
Warden of the Wall
Midnight Guard
Geist of Saint Traft
Ulvenwald Bear
Thraben Sentry
(Thraben Militia)
Kessig Recluse
2 Festerhide Boar
2 Hollowhenge Beast
Village Survivors
Moldgraf Monstrosity


Blazing Torch
Rebuke
2 Prey Upon
Mulch
Travel Preparations

9 Forest
5 Plains
2 Island
Moorland Haunt


Runde 6 – Nakano, Yoshitaka [JPN] – UW-Aggro

Mein Gegner spielt ein zweifarbiges Aggrodeck mit einigem an Evasion. Gegen Spectral Rider, Silent Departure und meinen mittelmäßigen Draw bin ich absolut machtlos.

3:3

Runde 7 – Lévy, Raphaël [FRA] – UBG

Noch kann ich den zweiten Tag erreichen. Dann müssen aber jetzt zwei Siege her. Mein Draw sieht vielversprechend aus – ich lege on the play im ersten Zug Wolfbitten Captive, im dritten Zug Geist of Saint Traft und im vierten Zug, nachdem er meinen Geist totgeblockt hat, bastle ich mir einen 4/4-Ulvenwald Bear. Raphaël auf zehn Leben, mit leerem Board, gegen meine potenziellen zehn Power auf dem Tisch. Einmal Corpse Lunge, Tragic Slip, Grimgrin, Corpse-Born und Gravecrawler später bin ich dann besiegt. Ich boarde Invisible Stalker, Wreath of Geists, Demonmail Hauberk, Runechanter's Pike und zusätzliche Inseln, ziehe tatsächlich auch die meisten meiner Sideboardkarten, aber leider keine Insel, um meinen Stalker von der Hand ins Spiel zu bringen.

3:4

Runde 8 – Johnson-Epstein, Jasper [USA]

Für Tag 2 reicht's schon nicht mehr, aber da ich ohnehin auf die anderen warten muss, kann ich auch noch eine Runde mitspielen. Mein Gegner sieht ziemlich demotiviert aus, hat die letzten beiden Runden ebenfalls verloren, erzählt mir aber, dass er mit einem Sieg noch in den zweiten Tag rutscht. Den Traum will ich ihm nicht nehmen, ich concede und schaue dem Treiben der anderen zu. (Jasper wird sich übrigens am zweiten Tag von seiner Durststrecke erholen und sich den 50. Platz angeln.)

So habe ich mich also erfolgreich vom 3:0 ins 3:5 manövriert. Am Abend nach der Tour google ich mich, um herauszufinden, ob denn wenigstens ein Foto von mir in der Coverage vorkommt, damit ich meinen Blackborder-Sponsorbonus kriege. Foto finde ich keins, dafür einen empörten Eintrag in einem finnischen Forum über mein achso arrogantes Zitat, wie gut Mutagenic Growth doch gegen schlechte Spieler sei. Die spinnen, die Finnen! Aber Deutsch verstehen sie dem Anschein nach ganz gut.


Zurück nach Ithaka (oder: Die Heimkehr)

So endet also mein Hawaii-Abenteuer. Mit einigen Geschenken für Freundin und Kartengönner im Gepäck reise ich zurück, bin über 24 Stunden unterwegs, komme am Dienstag um 9:00 Uhr ziemlich zerstört in Zürich am Flughafen an und muss direkt in die Schule, um um 11:00 wieder arbeiten zu können.

Was man sich nicht alles antut für ein paar Pro-Pünktchen …




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