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Venerated Teacher
von Nico Bohny
02.12.2011

Kapitel 1 – Was bisher geschah

Magic ist eine Zicke. Bemüht man sich um sie, umsorgt sie, nährt und umgarnt sie, kann man sich sicher sein, dass man außer einer kalten Schulter nicht wirklich viel erreicht. Die beste Waffe gegen Zicken ist Ignoranz. Denn dessen kann man sich stets sicher sein: Wendet man sich dann doch schweren Herzens von dem mühseligen Weibe ab, erglimmt da plötzlich der Docht des Interesses und wie ein umgekehrter Handschuh ist es nun schlussendlich sogar der ehemalige Hausdrachen, der einen da frohlockend umtänzelt und einem süße Melodien ins Ohr flötet, um einen von seinem unvergleichlichen Wert zu überzeugen.

In dem Sinne: Magic ist tot. Frohe Ostern!

In einem Jahr kann sich viel tun. Nach anfänglicher Intention, das Turnierspiel ein für alle Mal an den Nagel zu hängen, kam es am vermeintlichen Abschlussturnier in Paris dann doch anders als erwartet. Mit einem fünften Platz, 11000 Dollar (und das war noch vor dem starken Franken) und bemerkenswerten zwölf Pro-Punkten mehr in der Tasche startete die Saison doch vielversprechend. Vor ein paar Jahren hätte mich ein solcher Start in die Saison dazu verlockt, ein Jahr lang alles zu geben, was irgendwie möglich ist. Jeden Grand Prix und offensichtlicherweise auch jede Pro Tour zu bereisen, zu testen wie ein Feuerball und mein Privatleben mal wieder dem Dämonen mit Namen Modo auf dem Opferaltar darzubringen. Aber irgendwie blieb die Motivation trotz des gelungenen Turniers weg.


Grand Prix London spielte ich mehr als Jux, und weil ich aufgrund des toll gewählten Datums wenig Leute erwartete. Und damit ich allen erzählen konnte, ich wäre an der Royal Wedding dabei gewesen, womit ich zumindest meinem weiblichen Bekanntenkreis den Neid in die Augen zaubern konnte. Auch London bescherte mir mit dem 22. Platz zwei weitere Pro-Punkte und etwas Kleingeld, aber trotzdem spielte ich nebst einem kleinen Schweizer PTQ (20 Teilnehmer oder so) in diesem Halbjahr nichts mehr. Bei der Arbeit hatte ich einiges zu tun, daneben durfte ich noch Zivildienst in einem Spital leisten und auch privat wurde mir nicht wirklich langweilig: Inspiriert durch den englischen Prinzen verschenkte auch ich einen Ring mit Rebound (mit der Ausnahme, dass ich wohl beim zweiten Resolven keine neuen Ziele wähle). Das und die Planung des Wegziehen aus meiner gemütlichen Männer-WG (oder auch Drecksloch, wie sie liebevoll von Ästheten bezeichnet wurde) füllten meinen Terminkalender, sodass ich weitere Magic-Turniere auf Eis legte. Abgesehen vom erholsamen, täglichen Gutenachtdraft, versteht sich. Erst als die Schweizer Meisterschaften nahten, sah ich mich gezwungen, neben den virtuellen Karten auch mal wieder echten Luxuskarton anzufassen. Obwohl ich das wichtige Viertelfinale, in dem ich leider nicht durch gutes Spielen auffiel, verlor, ergatterte ich mir weitere vier Pro-Punkte. Dann war da auch schon der Grand Prix in Milano, bei dem ich, Invisible Stalker sei Dank, ein flotten 12:0-Start hinlegte, den Eintritt in die Top 8 dann trotzdem verpasste und mich mit dem undankbaren neunten Platz und der Ausbeute von weiteren vier Pro-Punkten zufriedengeben musste.

Running good? Irgendwie schon, in fünf Turnieren immer im Geld zu landen, ist durchaus 'ne flotte Sache. Und trotzdem hegte ich immer noch eine Aversion gegen das Spiel, das mir irgendwie jedes Mal vor dem richtig großen Durchbruch nochmals einen Riegel vorschob. Acht Mulligans in der Top 8 in Paris, fair auf fünf Spiele verteilt? Im Viertelfinale, dem wichtigsten Spiel der Nationals, zu verlieren? Nach 12:0 den neunten Platz zu belegen? Nimmt einem trotz allem genug von dem Wind, den man sich an guter Laune bei einem gut gelaufenen Turnier aneignet, wieder aus den Segeln.

Der aufmerksame Leser wird mitgezählt haben: Vor den Worlds stand ich also mit 22 Pro-Punkten da. Drei weitere wären der Sprung auf Pro-Level 5 für nächstes Jahr, was wenigstens ein Antrittsgeld von 250 Dollar pro Pro Tour einstreichen würde. Und acht Pro-Punkte müsste ich für den doppelten Level-up sammeln, der mir ein Antrittsgeld von 1250 Dollar und einen Flug nach Wahl bescheren würde. Das wär ja mal was …


Kapitel 2 – Coon & Friends


Meine Reise stand nicht wirklich unter einem glücklichen Stern. 38 Grad Fieber und grobe Erkältung ist nicht exakt der Zustand, mit dem man sich zwölf Stunden ins Flugzeug quetschen will. Zwar verlief die Reise ziemlich gut, irgendwie verschwand auf mysteriöse Weise sogar mein Fieber, aber ich hörte nicht auf, mir die Seele aus dem Leib zu husten. Beim Youth Hostel angekommen, packte ich mein Gepäck in mein hoffentlich gesundheitsförderndes Refugium, sprich 10er Mixed Dorm, und ging noch rasch zum nächsten Laden, um mir meine Henkersmahlzeit ein Nachtessen zu kaufen. Nicht viel hätte mich in diesem Moment ermuntert, doch siehe da, kaum stand ich im Dunkeln vor dem Hostel, schleicht mir doch glatt ein waschechter Waschbär über den Weg, schaut mich verstohlen an und trottet weiter. Selbst ohne Aberglauben weiß man, dass – ganz im Gegensatz zu schwarzen Katzen – ein den Pfad kreuzender Waschbär immer Gutes verheißt. Kurzfristig nämlich gutes Sushi aus dem Supermarkt, langfristig vielleicht sogar noch mehr. Nach gefühlten zwölf Stunden Schlaf mit warmen Socken, doppeltem Pyjama, Schlafmaske und Ohrenpfropfen war ich dann sogar fit genug, mal den Pier entlangzulaufen und mir ein wenig frische Luft zu gönnen. Und wer erwartet mich da?! Seelöwen, in ihrer ganzen Pracht. Gefreut habe ich mich wie ein Ameisenbär vor dem Fernseher ohne Empfang, und ich wusste – hier ist ein Ort, der es gut mit mir meint.


Kapitel 3 – Running the Gauntlet

Trotz interessanter Fauna wurde aber, um dem Nerd-Klischee etwas gerecht zu werden, die meiste Zeit beim Testen verbracht. Nach anfänglicher Sympahie für blau-weiße Menschen (fast wie in Avatar), liebäugelte ich etwas mit Solar Flare. Oder eher UWb-Control, denn die Unburial Rites und Lilianas habe ich entfernt, um Platz für das volle Set Oblivion Ring und ein paar Timely Reinforcements zu schaffen. Mir drängte sich die Meinung auf, dass ein Kontrolldeck mit Day of Judgment in einem Metagame ohne Manlands absolut stark sein muss. War es auch in gewissen Matchups, in anderen war es eher mau. Des Weiteren sympathisierten wir mit dem blau-weißen Illusionendeck von Todd Anderson, das natürlich auch Mättu Künzlers innerer Fee irgendwie entsprach.

Nach den ersten Tagen entschieden wir uns, wie meist vor größeren Turnieren, ein Gauntlet des von uns erwarteten Metagames aufzustellen. Nachdem wir einige der Decks gespielt hatten, konnten wir etwa einschätzen, welches Deck in welchem Matchup favorisiert war, und somit entstand eine Matrix, auf der man grob sehen konnte, welche Decks im Allgemeinen eine Menge gute Matchups haben und welche wohl gegen die am meisten gespielten Decks gut dastehen würden. Am Schluss zählten wir die Prozentzahlen zusammen, und verglichen mit einem Schnitt von 50%, welche Decks welche allgemeine Ausgangslage haben. Beispiel: GW-Tokens hatte unserer Einschätzung nach 45% gegen Solar Flare, 65% gegen Humans und 65% gegen Mono-G-Ramp, gibt zusammen 25 positive Prozentpunkte (−5+15+15). Lohnt sich übrigens wirklich, zum Nachmachen zu Hause empfohlen!


Auf unserem Gauntlet fanden wir mehrere Gewinner: Monorot, Illusions und Affinity (Tempered Steel). Monorot an der Spitze mit 80 positiven Prozenten, Illusions mit 55% und Affinity mit 50%. Danach folgte lange nichts. Die negative Spitze belegte im Übrigen Solar Flare mit 45 Minusprozenten.

Aggro war also der Plan. Ergibt irgendwie Sinn, denn zwischen all den extrem günstigen und variablen Threats ist es extrem schwer, die Decks auszukontrollieren. Selbst wenn man gegen Rot die Tiere in den Griff bekommt, verliert man gegen Shrine of Burning Rage oder Koth of the Hammer, und umgekehrt. Gegen Steel dasselbe und Illusions haben Moorland Haunt anstelle der Schreine. Für Solar Flare war es nahezu unmöglich, den Spagat zwischen den verschiedenen Lösungen zu machen, die es gegen verschiedene Decks brauchte. Und dann die Manabasis, die übel wird, wenn man Ghost Quarter und Nephalia Drownyard spielen muss (ohne welche man gegen die Innistrad-Länder respektive den Drownyard der UB-Spieler verlor) …

Rot profitierte ungemein davon, dass es in letzter Zeit nicht allzu populär war, denn wenn man das Deck haten will, kann man es normalerweise. Gleiches galt für Affinity. Illusions waren schwer einzuschätzen, da man nicht wusste, wie das Metagame auf sie reagierte, aber da die Worlds das erste Turnier waren, an dem das Deck richtig anzutreffen war, würde es wohl auch noch nicht richtig gehatet werden.


Kapitel 4 – Muddle the Mixture

Während ich einen Tag fleißig Monorot testete, fiel mir auf, wie viele schlechte Draws das Deck produzierte. Klar, der Goddraw von Monorot ist immer unglaublich stark und gewisse Einzelkarten ja auch, aber das Deck spielt irgendwie auch viel Schund – Karten, die alleine nicht viel machen. Shock, Galvanic Blast, 1-Drops ohne spitze Eckzähne …

Ich verwarf den Rot-Plan und probierte mein Glück mit Illusions, die wenigstens ein wenig Card-Advantage und Library-Manipulation bezwecken können und sich, nebst unlucky Delver of Secrets und ab und zu einem getappt ins Spiel kommenden Glacial Fortress, echt flüssig spielten. Das Deck gefiel mir sehr, gab einem auch noch die Möglichkeit für richtig gute Plays und war auf einem guten Powerlevel. Wir testeten noch einiges aus und kamen schlussendlich auf folgende Liste:


4 Phantasmal Bear
4 Delver of Secrets
(Insectile Aberration)
4 Lord of the Unreal
4 Snapcaster Mage
4 Phantasmal Image
2 Stitched Drake

3 Gut Shot
2 Vapor Snag
2 Dismember
4 Mana Leak
4 Ponder
3 Gitaxian Probe

10 Island
3 Glacial Fortress
4 Seachrome Coast
3 Moorland Haunt


Sideboard:

3 Spellskite
1 Stitched Drake
2 Flashfreeze
2 Negate
2 Dissipate
3 Mental Misstep
1 Moorland Haunt
1 Geist of Saint Traft


Die Liste ähnelte stark Todd Andersons Liste auf StarCityGames. Im Maindeck spielten wir einen zweiten Drake, um einen Sideboardslot freizugeben, wofür wir eine Gitaxian Probe schnitten. Die Probe ist zwar echt gut in dem Deck, aber man wollte einfach nie eine zweite ziehen. Und im Zweifelsfall spielt man auch ganz gut mit, wenn man die Hand des Gegners mal ausnahmsweise nicht kennt.

Das Sideboard gestalteten wir folgendermaßen. Wir schrieben uns auf, wie viele Karten wir in welchem Matchup rausboarden wollten, und stellten aufgrund dieser Berechnung dann die Karten zusammen. Was auch zum Beispiel den Geist erklärt, der zwar alles andere als ein All-Star ist, aber im Vergleich zum Drake neben Monorot und im Mirror auch gegen Kontrolle geboardet werden kann. Spellskite boardeten wir ausschließlich gegen rote Shrines, da man ansonsten fast keine Chance hatte, in diesem Matchup gegen einen guten Spieler zu gewinnen. Außerdem kamen wir zu der interessanten Erkenntnis, dass man im Mirror-Match auch gerne mal den Gegner anfangen lässt, weil das Matchup so was von eine Ressourcenschlacht ist, da hat man gerne die Extrakarte.

Die Sideboardpläne waren übrigens die Folgenden:

Mirror:

Rot:

Control (UB oder Solar):

Ramp:
−3 Gut Shot (gegen Ramp ohne 1-Drops)
−2 Stitched Drake
−X Phantasmal Image
−X Lord of the Unreal
+2 Negate
+2 Dissipate
+2 Flashfreeze
+1 Moorland Haunt (gegen Slagstorm/Day of Judgment-Varianten)

GW-Tokens:
−2 Stitched Drake
+2 Mental Misstep (on the draw)
+2 Dissipate (on the play)


Kapitel 5 – Neues Turnier, neues Glück

Nachdem wir Zeugen wurden, wie über Nacht die Preise von Gut Shot von einem Dollar auf deren fünf anstiegen, waren wir uns im Klaren, dass man sich vielleicht tatsächlich gegen Illusions vorbereitet hatte. Lustigerweise zog ich auch gleich in meiner Starthand des Tages zwei der teuren Uncommons, zusammen mit einem Snapcaster Mage, Mana Leak und drei Ländern. Wir begannen das Spiel ähnlich, beide mit einem getappten Glacial Fortress und einer Seachrome Coast, als mein Gegner aber am Ende des Zuges ein Think Twice zeigt, weiß ich, dass ich mit meiner Hand nicht das große Los gezogen habe. Drei Think Twice mit Flashback, eine Forbidden Alchemy und etliche andere Spells später ist der Gegner tot, gefressen von zwei Spirit-Tokens (und selbstverständlich dreimal Gut Shot ins Gesicht).


Da ich mir keine Notizen gemacht habe, kann ich mich nicht mehr an allzu viel erinnern, eine Geschichte weiß ich aber noch, als wäre sie gestern geschehen. Ich spiele Spiel 2 gegen Dungrove Elder-Ramp. Spiel 1 habe ich gewonnen, ich bin on the draw. Mein Gegner eröffnet mit Birds of Paradise, meine Hand ist Delver of Secrets, Phantasmal Bear, Ponder, Mana Leak, Gitaxian Probe und drei Länder. Ich spiele natürlich zuerst die Probe und sehe bei meinem Gegner auf der Hand Forest, Mountain, Dungrove Elder, Thrun, the Last Troll und Ratchet Bomb. Nice one! Der Bird muss weg, so viel steht fest. Ich spiele mein Ponder auf der Suche nach Gut Shot, finde ihn nicht, mische die Bibliothek, ziehe eine zweite Gitaxian Probe. Runter auf 16 Leben, Gut Shot getopdeckt, Vogel erschossen, runter auf 14. Gegner spielt Ratchet Bomb, dann Elder, welchen ich countere. Dann spiele ich Delver und gebe den Zug ab. Mein Gegner hat nicht nur ein weiteres Land gezogen, sondern sogar einen Kessig Wolf Run und spielt damit seinen Thrun. Mana Leak hätte ich zwar noch eins nachgezogen, aber was will man machen? Ich flippe den Delver in der Upkeep, spiele Phantasmal Bear nach und gebe ab. Mit meinen 14 Leben gegen Thrun und Wolf Run, das kann ja heiter werden. Mein Gegner löst die Bombe aus, greift mit Thrun an und spielt einen zweiten Thrun. Alles klar, gut gemacht, vielen Dank und bis zum nächsten Mal. Da er keinen weiteren Thrun zieht, kann ich alles countern, was er legt, und gewinne 2:0.


Ich beendete den ersten Tag mit 5:1, und durfte gegen sechs verschiedene Decks antreten. Das finde ich immer klasse, viel interessanter als Jund, Jund, Jund, Anti-Jund, Jund. Das Deck zeigte sich äußert stark – am ganzen Tag verlor ich genau drei Spiele, zwei davon im Mirror-Match, wo ich 0:2 unterlag.


Kapitel 6 – Coming Soon

So wie's aussieht, werde ich auch im nächsten Jahr wieder fleißig Pappkärtchen drehen. Und damit das Ganze nicht undokumentiert bleibt, werde ich wieder regelmäßig für den Planeten schreiben. Wahrscheinlich so zwischen zwei- und viermal pro Monat.

Nächstes Mal geht's weiter mit meinem Worlds-Bericht und mit einigen Gedanken übers Draftformat. Wenn ihr wissen wollt, warum man 3:0 geht, weil man im UG Gnaw to the Bone über Claustrophobia pickt, im Gegenzug dafür 0:3 draftet, weil man Gnaw to the Bone zugunsten von Skaab Goliath verschmäht, dann liest man sich nächste Woche wieder …




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