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Grabbeltischgedanken
von Tobias Henke
03.01.2011

Neues Spiel, neues Glück … Neues Jahr, neue Gedanken vom Grabbeltisch! Dabei handelt es sich im Grunde um nichts anderes als mehrere kleine Themenschnipsel, die mitunter seit geraumer Weile auf meinem Schreibtisch herumfliegen und jetzt endlich einmal in digitale Papierform gegossen werden wollen. Oder irgendwie so halt.


Teurer Freund …?

Nein, kein Freund. Jace, the Mind Sculptor ist ganz im Gegenteil ein echter Fiesling und reduziert den +EV von Eigentümern wie Gegnern gleichermaßen. Spannender als die Auswirkungen seiner Preiswucherung finde ich aber deren Ursachen. Klar, seine Exzellenz ist so stark, dass Standarddecks ohne ihn fast genauso wenig blau sein dürfen wie trockene Alkoholiker, und als mythischer Planeswalker mit Beinamen inklusive „the“ ist er mutmaßlich dermaßen cool, dass selbst Funspieler Interesse haben.


Das erklärt die Nachfrage. Was in solchen Diskussionen jedoch eher selten zur Sprache kommt, ist die Angebotsseite. Wobei, so ganz stimmt das natürlich nicht. Vielmehr wird sogar kaum eine Gelegenheit ausgelassen, die künstliche Verknappung durch Einführung der vierten Seltenheitsstufe zu lamentieren. Nun ist künstliche Verknappung aber gerade das Geschäftsmodell von Magic – und immer gewesen –, und solange das in einem fairen Verhältnis zur Qualität des Produkts steht, keineswegs verwerflich. Dass er eine begehrte Karte ist, ist allerdings auch zusammen mit seinem Mythic-Rare-Status bloß die halbe Wahrheit

Ich behaupte, dass Jace, wenn er in Zendikar statt Worldwake erschienen wäre, niemals die 40-Euro-Marke gesprengt hätte. Oder besser gesagt, dass es für Mythic Rares aus einem großen Set grundsätzlich völlig unmöglich ist, die 50 Euro zu knacken, Black Lotus-Reprint und andere Absurditäten einmal ausgenommen. Dafür wird davon einfach viel zu viel aufgemacht.

Um zu verdeutlichen, wie wenig Booster eines kleinen Sets im Vergleich dazu in Umlauf geraten, habe ich mir einmal ein bisschen Arbeit gemacht. Magic-Sets erscheinen sehr regelmäßig: Mitte Juli gibt's die neue Grundedition, Anfang Oktober das große Set eines neuen Blocks gefolgt von zwei kleinen Erweiterungen Anfang Februar und üblicherweise Ende April/Anfang Mai. Nehmen wir an, es gäbe einen Magic-Spieler, der jeden einzelnen Tag des Jahres an einem Draft des jeweils aktuellsten Limitedformats teilnimmt. Wie viele der wertvollsten Karten eines Sets hat er dann im Schnitt geöffnet? Das kann ich euch ganz genau sagen:

.Magic 2011 (1,91)
.Rise of the Eldrazi (2,08)
.Worldwake (0,96)
.Zendikar (4,40)
.Magic 2010 (1,88)
.Alara Reborn (1,95)
.Conflux (4,03)
.Shards of Alara (5,14)
.Eventide (1,17)
.Shadowmoor (4,90)
.Morningtide (1,80)
.Lorwyn (6,45)
.Future Sight (2,68)
.Planar Chaos (4,94)
.Time Spiral (7,61)

Wer möchte, darf gerne alles nachrechnen, aber ich habe tatsächlich jeden einzelnen Tag berücksichtigt, selbst den 29. Februar 2008. Dabei sticht insbesondere Worldwake ziemlich krass heraus. Wenn Eventide bereits Mythics gehabt hätte, wäre es da aber sogar kritischer gewesen. Und Alara Reborn wäre fast genauso schlimm gewesen, wenn dieses Set Mythics enthalten hätte. Hatte es? Nein, effektiv gab es weder in Conflux noch in Reborn Mythic Rares – einmal war Noble Hierarch und nicht Nicol Bolas, Planeswalker, einmal Maelstrom Pulse und nicht Jenara, Asura of War die knappste Ressource.

Dieses massive Ungleichgewicht kommt natürlich dadurch zustande, dass das erste Set eines Blocks von Oktober bis Januar alleine gedraftet wird, dann von Februar bis April weiterhin doppelt so viel wie das zweite und von Mai bis Juli immerhin noch im gleichen Maße wie das dritte. Das zweite Set wiederum wird wenigstens von Februar bis Juli gedraftet, während das dritte lediglich von Mai bis Juli in die Rotation eingeht. Die Verhältnisse haben sich letztes Jahr umgekehrt, dadurch dass Rise of the Eldrazi ein eigenständiges Set war und alleine gedraftet wurde. In diesem Zusammenhang bedeutet das jedoch nur, dass sich Worldwake wie ein normales drittes Set verhalten hat und Rise beinah wie ein normales zweites.

Rechnung
Der Schwachpunkt am gegenwärtigen Veröffentlichungsrhythmus ist nicht etwa das zusätzlich erscheinende vierte Set, sondern das dritte!

Der Unterschied zu beispielsweise Future Sight liegt auf der Hand. Future Sight wurde noch von Anfang Mai bis Ende September gedraftet – volle fünf Monate, von denen exakt die Hälfte heutzutage durch die Grundedition usurpiert wird. Der Engpass beim gegenwärtigen Veröffentlichungsrhythmus mit seinen vier neuen Sets pro Jahr ist also nicht das vierte Set, sondern das dritte! Darüber, dass wir uns fortan die Karten aus M10, M11, M12 etc. zusätzlich besorgen müssten, wurde damals viel gejammert. Worüber man in Wahrheit hätte jammern sollen, ist allerdings, dass so zu wenig Zeit bleibt, um die Karten des jeweiligen Vorgängersets zu bekommen.

Fairerweise muss man dazu sagen, dass Magic-Karten ja nicht nur durch Drafts auf den Markt gelangen. Andererseits – ist nicht gerade das das Problem? Dass der Bedarf von Jace zu so großem Anteil über „unmotiviertes“ Boosteraufreißen gedeckt werden musste, sei es auf privater Seite oder der der Einzelkartenhändler? Ich halte es jedenfalls für bemerkenswert, dass die mächtigste Mythic Rare aller Zeiten ausgerechnet diejenige ist, die am wenigsten erdraftet werden konnte. Das hat sich irgendjemand bei Wizards echt nicht gut überlegt!

Und das Schönste? Mirrodin Pure oder New Phyrexia erscheint dieses Jahr extraspät und ist extragroß. Fantastisch! Als Gipfel der Storyline sind mehrere starke Mythics außerdem quasi vorprogrammiert, beispielsweise ein wiederauferstandener „Yawgmoth, Father of the Machines“ und auf der Gegenseite „Karn, the Creator“ als Planeswalker. Das wird ein Spaß!


Scars-Limited


Ob wir aktuell in Deutschland den härtesten Winter seit Beginn der Wetteraufzeichnungen erleben, ist offenbar weiterhin unklar. Ich vermute aber, dass es der härteste Winter ist, seit es Magic-Turniere gibt. Das und die etwas ungünstigere Wochentagslage erklären möglicherweise, warum das letzte Jahresendevent (1, 2, 3, 4) im Vergleich zu den Vorjahren ein ganzes Stück kleiner ausgefallen ist. Ansonsten habe ich bei den Pro Tour Qualifiern ebenso wie andernorts aber auch immer wieder gehört, dass das Limitedformat einfach nicht so schön sei.

Nun muss ich gestehen, dass ich trotz mehrerer Versuche bisher nie dazu gekommen bin, Sealed Deck zu spielen. Und mein Draften beschränkt sich momentan auf die zwei Drafts pro Woche in der eher gemütlichen Essener Runde. Aber ich für meinen Teil mag das Format. Sehr. Befindet sich locker irgendwo in meiner persönlichen Top 10. Ich mag Metalcraft, ich mag Infect und Furnace Celebration mag ich auch. Die Verspieltheit der zahllosen Kombomöglichkeiten wird vom Speed der Aggrostrategien wunderbar in Schach gehalten, welche ihrerseits wiederum durch Erstere ergänzt werden. Überhaupt finde ich das Tempo nach den Extrem-Experimenten in Zendikar und Rise erfrischend ausgewogen und das obwohl Scars auf der Skala von normal bis ausgeflippt sicherlich zu den ungewöhnlicheren Limitedumgebungen zählt.


Infect ist dabei das schwarze Schaf, der organische Störenfried, der die ansonsten so metallene Welt Mirrodin aus der Balance bringt. Fühlt sich im Draft häufig wie ein Fremdkörper an und Überraschung! – das ist natürlich auch so gedacht. Nicht umsonst meint Mark Rosewater, dass Scars die beste Integration von Hintergrundgeschichte und Design seit Ravnica bietet. Dass Versuche, Infect zu draften, mal aufgehen und mal nicht, birgt selbstverständlich ein gewaltiges Frustrationspotenzial. Trotzdem will man dieses Spannungsmoment, diesen Nervenkitzel doch nicht missen. Und so simpel, so binär, wie es oft dargestellt wird, ist das Infect-Gamble schließlich auch nicht. Welche weitergegebenen Infecter darf man als Signal werten, welche nicht? Wie rücksichtslos oder vorsichtig geht man vor? Wie spät steigt man ein oder aus? Das sind alles furchtbar interessante und anspruchsvolle Fragen und vor allem unterscheiden sie sich kaum von denen, die man in einem „normalen“ Draft zu beantworten hat, egal ob es da nun um Farben oder Archetypen geht. Dadurch, dass es sich bei Gift um eine komplett separate Siegbedingungen handelt, wird alles höchstens auf die Spitze getrieben. Und das ist sicher nichts, was man in jedem oder jedem zweiten Block sehen will, aber als Ausnahme von der Regel meiner Meinung nach ein äußerst gelungenes Experiment.

Lustige Geschichte am Rande: Beim großen Legacy-Turnier befand sich unter den 190 Teilnehmern tatsächlich einer mit einem Infectdeck. Da ich dieses Format nicht allzu aufmerksam verfolge, kann ich weder beurteilen, ob Infect dort vielleicht schon längst ein alter Hut ist, noch, wie gut es ist – ich vermute mal eher nicht so –, aber schicker Deckbau freut mich einfach ganz prinzipiell, unabhängig von Erfolgsaussichten.


Und dass in jenem Deck Invigorate plötzlich überhaupt keinen Nachteil mehr hatte und zusammen mit Berserk sogar gleich tödlich war – das zauberte ein kleines Lächeln auf mein Gesicht. Wie gesagt, mit Ichorclaw Myr, Necropede und Blight Mamba zu arbeiten, ist vermutlich mehr „putzig“ als wirklich stark, das aber ist es!


Lesetipp

Zum Abschluss: Kennt ihr Geordie Tait? Der mausert sich immer mehr zum besten Schreiber in StarCityGames' neuem Non-Premium-Autorenteam. Und das tut auch Not, weil er des Öfteren ungewöhnliche Themen behandelt, für die nur ein guter Schreiber ein einigermaßen großes Publikum interessieren kann. Bestes Beispiel ist sein Artikel „What's in a Name?“. Darin geht's um Namen von Magic-Karten. Scheint auf den ersten Blick kein sonderlich unterhaltsames Thema zu sein, doch bei ihm ist es das.

Zwar überwiegen in der ersten Hälfte des Artikels spätpubertäre Jokes, aber darauf folgt noch echte Substanz und vor allem Perlen wie diese hier – ein fiktiver Dialog zwischen zwei Wizards-Mitarbeitern, die einen Namen für die Karte suchen, die später Electropotence werden würde:

A: „So we've got a weaker version of one of the best-loved enchantments of all time. It's definitely not as good, but we want to drive the link home.”

B: „Sweet. I just took a look at the card. I have the perfect name. Check this out.”

A: „'Electropotence '... When I said 'best-loved enchantments,' I was obviously talking about Pandemonium. What are you, retarded?”

B: „Yes.”

A: „...”

B: „As an added bonus, let's not tie the art into either card.”


Nächste Woche ärgern wir Brian Kibler. Bis dahin denkt immer daran: Bei Magic geht's um Ressourcenmanagement!

.(0,79)*

*So sähe der Balken für Mirrodin Pure/New Phyrexia aus, WENN das Set normal groß wäre.




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