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Director's „Cut“
von Tobias Henke
21.09.2010

Ich mache keine Wiederholungen, ich mache Ausnahmen. Heute gibt es einen eigentlich 14 Monate alten Artikel, den ich jetzt allerdings noch einmal neu geschrieben habe. Einerseits aus aktuellem Anlass, andererseits weil ich mich beim letzten Mal mit meiner Meinung nicht einmal im Forum durchsetzen konnte. Damals schrieben zahlreiche ansonsten vernunftbegabte Menschen nämlich:

„Die Verantwortlichen werden sich schon darüber Gedanken gemacht haben.“

„Also das mit dem Final Cut ist 'ne gute Regeländerung. Dass man mit dem gegnerischen Deck was anstellt, halte ich für sehr viel unwahrscheinlicher, als dass man was mit dem eigenen macht.“

„Sagt einem nicht der gesunde Menschenverstand, dass es leichter ist, mit dem eigenen Deck zu cheaten als mit dem gegnerischen?“

„Hat das Sommerloch dich auch erwischt?“

„Ich denke, ihr überschätzt das ganze Thema.“



Vorwort


„You wanna talk about the elephant in the room?“
„No, I don't! I don't even know why you brought that thing.“
„I meant the figurative elephant!“


Dennis' Mischverhalten in diesem Video ist uneindeutig. Uneindeutig. Ohne vollständige Informationen lässt sich einfach nicht feststellen, ob hier gecheatet wurde. Es ist richtig, dass allein ein Wegdrehen des Kopfes nicht ausreicht, damit er keine Karten sieht. Wenn er jedoch während des Mischens nicht nur den Kopf dreht, sondern auch auf einen Punkt links von ihm stiert, ist es sehr wohl möglich, dass er tatsächlich nichts gesehen hat. Nach allem, was ich mitbekommen habe, hat er das im Viertel- und Halbfinale durchgängig so gehandhabt. Ich saß bis zum Umzug zum Kameratisch in beiden Runden genau in dieser Blickrichtung und wunderte mich anfangs sogar noch darüber, wieso meinem rechten Ohr auf einmal so viel Aufmerksamkeit zuteil wurde. Hundertprozentig aufgepasst habe ich indes nicht und beim Finale selbst war ich gar nicht im Raum.

Dass er einzelne Karten nach oben legt, ist verdächtig, aber nicht gleich Cheating! Das wäre es nur, wenn er weiß, um welche Karten es sich handelt. Und es gibt dafür durchaus Erklärungen, die nicht auf Cheating hinauslaufen. Es kann zum Beispiel schlicht Zufall gewesen sein, oder es kann in irgendeinem abergläubischen Mischsystem begründet liegen. Ja, nach so etwas verfahren überraschend viele Spieler. Nein, wirklich toll sind diese Erklärungsversuche beide nicht. Jedoch läuft im Video bei 24 Sekunden jemand durchs Bild und währenddessen wandert möglicherweise irgendetwas oben aufs Deck, was möglicherweise mehr als eine Karte gewesen ist.

Auf jeden Fall muss ich entschieden der Feststellung widersprechen, Dennis hielte seine Karten auf eine „völlig unnatürliche“ Weise. Wenn man Karten mit dem Rücken zur Handfläche mischt und nicht speziell darauf achtet, ergibt sich die gezeigte Haltung automatisch. Ich kenne persönlich etliche Spieler, deren Mischverhalten in exakt derselben Weise Defizite aufweist, und bei jedem größeren Event lässt sich dergleichen zuhauf beobachten.

So sehen die Fakten aus und auf ihrer Grundlage kann sich jeder seine eigene Meinung bilden. Und jeder hat das ja wohl auch schon getan. Unabhängig davon, ob man sich nun über Cheating aufregt oder über ungerechtfertigte Anschuldigungen, müsste man allerdings in einem Punkt Einigkeit erzielen können …


The Final Cut

Bis Juli 2009 war es erlaubt, noch ein letztes Mal abzuheben, wann immer der Gegner das eigene Deck gemischt hat. Seitdem ist es das nicht mehr. Ich protestierte bei der DCI und erhielt eine Antwort, die zwar ganz viel Text, im Wesentlichen aber nur eine Aussage enthielt:

„The research shows that allowing the dealer to have final touch on [his] deck introduces more cheating than it prevents.“

Das ist Blödsinn! Die Möglichkeit, ein Deck zu manipulieren, ist umso größer, je mehr man damit anstellt. Einmal abzuheben, erlaubt im schlimmsten Fall, dass eine bestimmte Karte oben liegt. Das ist schon nicht wenig, jedoch überhaupt nicht damit zu vergleichen, was ein halbwegs fähiger Zauberkünstler beim Mischen zustande bringen kann.


Und überhaupt – wie realistisch ist es denn, dass jemand auf eine Karte abhebt? Wenn sie nicht in irgendeiner Form markiert ist, ist es nahezu unmöglich. Es gibt Leute, die von sich behaupten, dass sie den Weg einer Karte durchs Deck selbst bei ordentlichem Mischen verfolgen können. „Fang den Mongrel“ war zum Beispiel zu Odyssey-Zeiten mal so eine Urban Myth. Bisher ist mir aber noch niemand untergekommen, der das tatsächlich überzeugend demonstrieren konnte. Ich will es nicht völlig ausschließen, ich habe damals aber zumindest eine diesbezügliche Wette gewonnen und würde jederzeit wieder wetten.

Wenn die Karte jedoch eine Markierung aufweist, dann sieht sich der Wannabe-Cheater auf einmal einem neuen Problem gegenüber: nämlich dass die Karte eine Markierung aufweist. So jemand fliegt früher oder später auf, ganz gleich ob es eine sichtbare oder nur eine ertastbare Markierung ist. Schließlich bekommt jeder Gegner das Deck in die Finger und könnte eine solche Markierung aufspüren.

Für das Mischen des gegnerischen Decks gilt hingegen: Eine umfangreiche Manipulation ist eher unwahrscheinlich, doch eine geringfügige Manipulation ist zumindest möglich. Beispielsweise könnte man eine oder ein paar Karten oben auf die gegnerische Bibliothek schummeln. Passenderweise konnte das abschließende Abheben des eigenen Decks eine umfangreiche Manipulation nicht beheben – eine geringfügige Manipulation aber sehr wohl.


Mal ein Beispiel: Ein berühmt-berüchtigter deutscher Spieler prahlte vor einigen Jahren gerne mit Geschichten darüber, wie er seine Gegner in den „Fetchland-Lock“ bekommen habe. Dieser Trick funktionierte folgendermaßen. Sein Gegner opferte ein Fetchland, suchte sich ein Land, mischte und reichte ihm das Deck. Beim Mischen der gegnerischen Bibliothek hielt er die Karten dann so, dass er einen oder mehrere Blicke auf deren Vorderseiten erhaschte. Erspähte er dabei ein weiteres Fetchland, platzierte er dieses durch geschicktes Mischen unauffällig als oberste Karte. Der Gegner zog also wieder ein Fetchland, legte und opferte es … Und das Spielchen begann von vorne. Auf die Art zog der Gegner immer und immer wieder Land. So ein verdammtes Pech aber auch.

Die Sache hatte bloß einen Haken. Normalerweise hob der Gegner noch einmal ab. Und falls man an einen besonders misstrauischen geriet, bestand sogar das Risiko, entdeckt zu werden. Selbst mit noch so viel Psychotricks und Menschenkenntnis lohnte sich der Trick kaum. Sobald man aber das Abheben aus dieser Gleichung entfernt, kippt dass Verhältnis von „risk“ zu „reward“ eindeutig in Richtung des Letzteren.

Okay, jetzt bin ich misstrauisch. Was mache ich nun? In den Regeln steht dazu sinngemäß: Wann immer man glaubt, dass der Gegner nicht ordentlich verdeckt gemischt habe, soll man einen Schiedsrichter hinzuziehen, genauer: dann muss man einen Schiedsrichter verständigen.


Reality-Check

„Grau, teurer Freund, ist alle Theorie …“

Dieses Zitat passt ausnahmsweise einmal nicht wie der Faust aufs Auge. Denn natürlich ist die Realität eine einzige riesengroße Grauzone.


In der Theorie ist der Standpunkt der DCI theoretisch schön und theoretisch gut. In der Praxis jedoch scheitert diese Regelung daran, dass viel zu viele Spieler die Karten beim Mischen nicht völlig einwandfrei halten. Das liegt keineswegs daran, dass es viele Betrüger gäbe. Die Leute sind schlicht faul, nachlässig und die Problematik ist ihnen nicht bewusst.

Warum ist sie ihnen nicht bewusst? Solange man das gegnerische Deck mischen und das eigene hinterher noch einmal abheben durfte, bestand überhaupt keine Notwendigkeit, so genau aufzupassen. Die wenigsten Spieler haben ein Unrechtsbewusstsein, was das leicht verdächtige Halten von Karten angeht. Schließlich gab es immer noch diese letzte Abicherung. Selbst wenn sich jemand am Deck zu schaffen machte; dass er auf diese Art einen echten Vorteil erlangte, war, wenn man immer brav mischte und abhob, schier ausgeschlossen. Nicht dass man immer brav gemischt und abgehoben hätte – aber allein die Möglichkeit dazu machte solche Manipulationen schlicht und ergreifend unrentabel.

Wenn man allerdings den Final Cut abschafft, darf es keine uneindeutigen Mischvorgänge mehr geben!


Die DCI hat gezeigt, dass sie nicht in der Lage ist, jede Form von verdächtigem Mischenverhalten zu unterbinden. Ich muss euch kein Bild malen, glücklicherweise gibt es nämlich ein Video, was genau das beweist – im Gegensatz zu Cheating, was es nicht beweist. Und dass die DCI das nicht kann, darf man ihr nicht einmal übelnehmen. Es versteht sich vielmehr sogar von selbst. Nein, der Vorwurf lautet, dass irgendein schlauer Kopf auf die grandiose Idee gekommen ist, Regeln zu schaffen beziehungsweise abzuschaffen, als ob sie es doch könnte.

In einer perfekten Welt würde jeder Verdacht vielleicht entweder restlos ausgeräumt oder führte zu einer Verurteilung. In unserer Welt? Da hebe ich ab.


Schluss

In knapp sechs Wochen haben wir einen Grand Prix im Land. Dort werden extrem viele, auch hochrangige Schiedsrichter anwesend sein und die kennen alle das besagte Video. Eine prima Gelegenheit, sie auf eine Wiedereinführung des Final Cuts anzusprechen! Denn ganz egal, ob ihr der Meinung seid, dass die diesjährige Deutsche Meisterschaft durch Cheating entschieden wurde, oder alternativ, dass der Meister unfair an den Pranger gestellt wurde – mit Final Cut wäre keins von beidem passiert.


Bis nächste Woche. Dann wieder pünktlich am Montag!




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