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Holland in Not
von Tobias Henke
03.05.2010

Wenn ihr hier gelandet seid, weil ihr etwas über die Niederlande erfahren wolltet, dann habt ihr euch vom Titel „linken“ lassen. Gemeint ist nämlich nicht unser kleiner Nachbarstaat, sondern schlicht die deutsche Übersetzung vom englischen „Fetchland“.

Warum sollte man ausgerechnet jetzt über Fetchländer schreiben? Weil sie auf wunderbare Weise verschiedene Veränderungen verdeutlichen, welche Magic im Moment durchmacht.

The Good

Die Neuauflage der Fetchländer beziehungsweise die Auflage neuer Fetchländer war in vielerlei Hinsicht genial. Sie passen mechanisch wunderbar zu Landfall, thematisch wunderbar zur veränderlichen Geographie von Zendikar und wirtschaftlich passen sie wunderbar ins Beuteschema von Wizards, die in letzter Zeit vermehrt direkt am Legacy-Markt verkaufen, anstatt dieses Feld einzig den Antiquitätenhändlern zu überlassen.


Standard ist zwar weiterhin übertrieben bunt, doch verantwortlich dafür ist in erster Linie die Stärke mehrfarbiger Zaubersprüche und ermöglicht wird es weniger durch die Qualität des Manafixings als durch dessen Quantität. Überhaupt stellen Fetchländer kein besonders gutes Fixing dar... Wenn man sich denn im Augenblick ihrer Aktivierung für eine von zwei Manafarben entscheiden muss, heißt das, und gilt somit freilich nicht für Legacy. Hoffnungslos overpowered sind die Manabasen dort aber bereits länger, und dass man sie mit den Feindfarb-Fetchies noch im einstelligen Prozentbereich verbessern kann, macht den Braten auch nicht fettiger, als er ohnehin schon war. Legacyrelevante Karten ohne Powercreep? Das ist eine feine Sache.

Jeder will sie haben, alle sind happy und sicherlich steuerten sie ihren Teil dazu bei, Wizards 2009 die größten Magic-Jahresumsätze zu bescheren. Nicht die größten Umsätze seit X, Y oder Z, sondern die größten. Ever.

The Bad

Dazu kommt eine Sache, die mich persönlich zwar stört, der man eine gewisse diabolische Genialität aber keineswegs absprechen kann. „Bad“ bedeutet hier nicht schlecht, es bedeutet böse...


Wer hat schon Internetartikel zu Zeiten von Onslaught gelesen? OK, falls ihr euch nicht erinnert, erinnere ich euch eben. Damals vertrat ein großer Teil der Spielerschaft die Ansicht, dass der „Ausdünn“-Effekt der Fetchländer überaus relevant wäre. Jedes Land, was man aus der Bibliothek fischt, ist schließlich eins weniger, das man später nachziehen könnte. Selbst in einfarbigen Decks, die weder Nutzen aus Friedhofskarten noch aus dem Mischvorgang zogen, sah man also andauernd acht Fetchländer. Das war natürlich in den allermeisten Fällen schlicht schlechter Deckbau. Wie groß der Ausdünneffekt wirklich ist, lässt sich berechnen: ziemlich gering nämlich und niemals wert, dass man sich dafür insgesamt einen Shock oder Lightning Bolt an den eigenen Kopf wirft.

Verbreitet wurde diese Erkenntnis damals von zahlreichen Artikelschreibern. Trotzdem blieben manche unbeirrbar bei ihrem Irrtum, immerhin zu ihrem eigenen Nachteil, während andere die Überlegungen nachvollzogen und weitergaben, zu einem Vorteil, der über ihre eigenen Belange und über die Belange von Magic hinausging.

Auftritt Zendikar. Dieselbe Diskussion. Und wieder verbreiteten ein paar Artikelschreiber die frohe Botschaft. Nur dieses Mal spielte es einfach keine Rolle mehr! Einfarbige Decks sind unterdessen zu einer Ausnahmeerscheidung verkümmert, und wenn sie existieren, dann kommen sie in der Regel nicht ohne Steppe Lynx oder Plated Geopede aus. Zweifarbige Decks in Feindfarben benutzen die Länder tatsächlich zum Fixen, dreifarbige sowieso und alle anderen haben Lotus Cobra, Knight of the Reliquary oder wenigstens Jace, the Mind Sculptor. Ob sich Fetchländer allein über den Ausdünneffekt rentieren, ist eine interessante Frage. Ob sie sich lohnen, wenn das Deck zusätzlich Bloodghast und Vampire Nocturnus enthält, ist dagegen eine Frage, die sich überhaupt nicht stellt!

Wer nicht fragt, bleibt bekanntlich dumm und so ist das Wissen um die Relevanz des Ausdünnens heute trotz besserer Informationskanäle weniger verbreitet als 2003. Macht aber nix. Die Agenda 2010 von Magic bedeutet schließlich, dass Spieler ruhig dumm sterben dürfen. Die Parole lautet: Weniger fragen, mehr konsumieren!


Glücklicherweise funktioniert Magic so einfach nicht. Egal wie leicht es Wizards den Spielern auch machen, es findet sich doch immer noch eine Dummheit, die man anstellen kann. Wenn es beinah unabhängig davon, welches Deck man baut, ein Fehler ist, auf Fetchländer zu verzichten, dann macht man halt genau das.

Diese Möglichkeit war mir gar nicht eingefallen, bis neulich jemand im Forum vorschlug, Jund ohne Verdant Catacombs zu spielen, um die negativen Auswirkungen des Ausdünneffekts zu vermeiden! Das ist mehr noch Unsinn, als die positiven Folgen zu überschätzen, weil das Ausdünnen so oder so erst im späten Spiel seine (minimale) Wirkung entfaltet und weil es im Lategame naturgemäß keinen Manascrew gibt. Dennoch führte der Vorschlag zu einer mehr oder weniger fruchtbaren Unterhaltung und wieder einmal zur Klärung der Frage, wie stark der Effekt denn nun eigentlich ist. Ein weiterer Mensch, der nicht dumm sterben muss, ein weiterer Erfolg für Magic!

Einschub: Das ist übrigens eine Sache, die durchaus weitere Aufmerksamkeit verdient. Bei all der Diskussion, ob Magic"dümmer“ wird (jeder kann mit Cascade gewinnen, Counterspell gehört reprintet, Damage gehört auf den Stack etc.), (v)erklärt man allzu oft die „gute alte Zeit“ unbegründet zum Idealzustand. Dabei bewegte sich Magic schon immer im Spannungsfeld zwischen Entertainment und Education. Dass der Education möglicherweise ein größerer Stellenwert gebührt, als ihr gegenwärtig eingeräumt wird, ist ein legitimer Standpunkt. Dass das Entertainment demgegenüber grundsätzlich zurückstehen muss, ist keiner. Oder um es mit den Worten des großen amerikanischen Philosophen Homer Simpson zu sagen: „Man findet keine Freunde mit Salat.“

Wird Magic aber wirklich dümmer? Dass das Schlachtfeld unterdessen zur wichtigsten Zone des Spiels geworden ist und dass in der Kampfphase tatsächlich gekämpft wird, stellt für Constructed zweifellos eine große Veränderung dar, war doch früher einmal der Stack die wichtigste Zone, als Spells und nicht Permanents Spiele entschieden. Magic gewinnt dadurch an Breite, verliert dafür zwangsläufig an Tiefgang in den ehemals relevantesten Teilbereichen. Das ist allerdings nicht dasselbe wie Verdummung.

The Ugly


Ich wiederhole mich, die Geschichte wiederholt sich und Magic wiederholt sich selbstverständlich auch. Für Standard und Legacy, für Spieler und Wizards und nicht zuletzt als Schutz vor Raubbau am Designspace bietet das bisweilen allerlei Vorteile. Für die Aufrechterhaltung eines großen, rotierenden Constructedformats ist es hingegen reinstes Gift.

Einschub: Jedes Format, das eine gewisse Größe überschreitet, sieht im Grunde verdammt gleich aus. Effektiv beharken sich immer drei große Archetypen. Da wäre einmal ein heterogenes Aggrodeck, einmal ein homogenes Aggrodeck, und um die Dreifaltigkeit komplettzumachen, irgendeine Form von Aggrokontrolle.

Heterogene Aggrodecks kennt man landläufig unter der Bezeichnung „Kombo“. Ihre Strategie ist zweifellos aggressiv, meist sogar am allerkompromisslosesten auf ein schnelles Ableben des Gegners ausgerichtet. Zu diesem Zweck verwenden sie Karten, die völlig unterschiedliche und auf sich allein gestellt mitunter sogar überhaupt keine Funktionen haben und erst im Zusammenspiel zum tödlichen Schlag ausholen. Dabei ist es relativ unerheblich, ob es sich um Stormcombo, Dredge, Hypergenesis-Cascade oder sonstige Engines wie zum Beispiel Glimpse of Nature/Elfen handelt. Ist ein Format nur groß genug, findet sich schon irgendetwas dergleichen.

Homogene Aggrodecks sind ebenfalls aggressiv, legen es aber darauf an, ihren Schaden in mehreren kleinen Schritten auszuteilen. Dafür greifen sie in der Regel auf Kreaturen und Direktschaden zurück, in wechselnder Zusammensetzung. Homogen sind sie insofern, als dass Männer und Burn ihrem gesamten Wesen nach austauschbar sind. Es spielt letztlich keine Rolle, ob Kird Ape oder Loam Lion angreift, und Lightning Bolt schießt genauso drei Schaden wie Chain Lightning. Diese Decks enthalten ziemlich viele gleichartige Bausteine, generische Bedrohungen.

Heterogene Aggrodecks sind üblicherweise schneller, unkonstanter, anfällig für Hate und begrenzt anpassungsfähig. Homogene Aggrodecks sind langsamer, konstanter, wenig anfällig für Hate und weitaus variabler.

Aggrokontrolle schließlich ist am vielfältigsten. Der gemeinsame Nenner, auf den sich ihre Vertreter bringen lassen, erschöpft sich bereits im Namen der Kategorie. Die Decks enthalten zwar Kontrollelemente, doch immer unter der Maßgabe, dass sie lediglich die eigenen Bedrohungen beschützen beziehungsweise den gegnerischen Gameplan vorübergehend stören und nicht etwa auskontrollieren sollen. Das klassischste aller Aggrokontrolldecks verbindet dazu Kreaturen mit Gegenzauberei. Manadenial funktioniert ebenfalls, und im Extended, wo die Schwäche von Countern allmählich Einzug hält, trifft man zunehmend auf Thoughtseize/Duress. Den Aggropart wiederum müssen keineswegs stumpfe Angreifer übernehmen. Vielmehr gibt es eine regelrechte Tradition von 2-Karten-Kombos, die ihre Heimat in Aggrokontrolle gefunden haben: Flash plus Protean Hulk, Natural Order plus grüne Kreaturen, Survival of the Fittest plus... Kreaturen, Thopter Foundry plus Sword of the Meek, Dark Depths plus Vampire Hexmage oder Entomb plus Reanimate.

Das ergibt sich von alleine, das könnten Wizards wahrscheinlich, selbst wenn sie wollten, nicht ändern. Was jedoch ihrem Einfluss untersteht, das ist, die Figuren, das Setting und Teile der Handlung zu variieren. Wen stört's, dass 80% aller Filme eine von nur einer Handvoll verschiedener Geschichten erzählen? Dass Luke/Legolas vom Bauernjungen/Schmiedgehilfen zum Jediritter/Piraten aufsteigt, die Galaxis/Weltmeere bereist, das tragische Schicksal seines Vaters aufdeckt, Freundschaft mit einem Schurken schließt, der sich irgendwo doch als feiner Kerl entpuppt, und zum Schluss die Bösen besiegt – das ist ja alles schön und gut, aber nicht der Grund, warum man ins Kino geht.

Es geht nicht darum, das Rad neu zu erfinden. Es geht darum, ihm einen neuen Dreh zu verpassen!


Daran sind Wizards phänomenal gescheitert. Das erfolgreichste Beatdowndeck im Extended hieß 2006 noch Boros. 2007 dann bereits Zoo. 2008 erneut Zoo. 2009 ebenzo. Doch nachdem die alten Fetchländer das Format im Oktober endlich verlassen hatten, triumphierte dieses Jahr zur Abwechslung... Zoo! Und nächstes Jahr? Und übernächstes?

Es gibt gute Gründe, Legacy zu spielen. Die massive Umwälzung im Kartenpool, die jede Rotation bedeutet, ist nicht jedermanns Sache, sowohl decktechtechnisch als auch logistisch. Genauso gibt es gute Gründe, Standard zu spielen. Durch die Rotationen ist das Format auf lange Sicht zwangsläufig abwechslungsreicher, dafür nimmt man ständig neue Karten – buchstäblich! – in Kauf.

Indes schafft es Extended, sämtliche Nachteile auf sich zu vereinen. Wenn einer der drei „major players“ ein geschlagenes halbes Jahrzehnt lang im Kern dasselbe Deck bleibt, dann ist es mit der Abwechslung nicht besonders weit her. Und Zoo ist bloß das offenkundigste Symptom einer Manabasis, die einem erlaubt, Turn 3 konstant fünf verschiedene Standardlandtypen auf dem Feld zu haben. Gleichzeitig verlangt Extended Investitionen, die zunehmend grotesk anmuten. Für Standard musste man sich neue Fetchländer besorgen, um damit etwas Neues anzustellen. Prima. Als Legacyspieler konnte man sich neue Fetchländer zulegen, um damit die alten zu ergänzen oder zu ersetzen. Auch prima. Für Extended jedoch musste man sich neue Fetchländer anschaffen, nur um weiterhin genau dasselbe machen zu können wie bisher.

Nun ist der finanzielle Aspekt maximal ein Nebenschauplatz. Kaum jemand spielt exklusiv Extended, stattdessen wissen wir sogar, dass niemand außerhalb von PTQs und GPs überhaupt Extended spielt. Was bleibt, ist dennoch ein Format, das sich gegenüber anderen einerseits über seine Größe, andererseits über seine Rotation definiert, abgrenzt und auszeichnet. Die Oktober-2009-Rotation hätte dabei um ein Haar die tiefgreifendste Veränderung seit vier Jahren bewirkt, doch mit Arid Mesa & Co. wurde die Änderung kurzerhand abgesagt!

Ein Format, das nominell rotiert, sich effektiv aber nicht verändert – das ist ziemlich überflüssig.


Die zwei Sätze an Fetchländern wurden im Abstand von sieben Jahren veröffentlicht. Von Ichorid bis Bridge from Below dauerte es fünf Jahre. Scars of Mirrodin erscheint sieben Jahre nach Mirrodin... Wenn sich Magic spätestens in jedem verflixten siebten Jahr wiederholt, war es natürlich reichlich dämlich, die Haltbarkeit von Sets im Extended ausgerechnet auf sieben Jahre festzulegen.

Gerüchten zufolge wird gegenwärtig ein alternatives PTQ-Format gesucht. Was auch immer Wizards in diesem Bereich planen, Pro Tour Amsterdam könnte bereits eines der letzten Extendedturniere sein, die wir jemals erleben werden. Und – wäre dann wohl nicht mehr allzu spannend.

Holland in Not!




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