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Limited
Alle meine Engel
von Tobias "TobiH" Henke
18.01.2010



„Aber ich habe immer noch Outs“, verkündet mein Gegner stolz.
„Wirklich? Dagegen?!“, empöre ich mich und deute gekränkt auf mein Board, wo sich eine Luminarch Ascension in freudiger Erwartung befindet. Engel, sagt der Ultraschall, und zwar mindestens Vierlinge. Daneben liegen ein paar wenig beeindruckende Kreaturen faul im Weg herum, kaum der Rede wert eigentlich, wenn sich nicht zusätzlich ein Eldrazi Monument darum kümmerte, dass mein Luftraum für den gegnerischen Flugverkehr gesperrt bleibt.
„Klar doch“, meint er und schaut zuversichtlich zu seinem Deck, welches mittlerweile auf überschaubare Größe geschrumpft ist. „Ich habe noch zwei Mold Shambler hier drin.“
Mold Shambler!, schießt es mir durch den Kopf. Den hatte ich ja völlig vergessen. Den Bastard.
„Na gut. Ursprünglich wollte ich zwar um Whiplash Trap herumspielen, aber wenn das so ist, dann wähle ich wohl besser Grün.“ Mit diesen Worten tappe ich neun Länder und lege Iona, Shield of Emeria.

Zwei Züge später nimmt Luminarch Ascension die Produktion fliegender, unzerstörbarer 5/5er auf. Drei Züge später stehe ich 3-0.



Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Ausgabe meiner wöchentlichen Kolumne!

Die Betonung liegt dabei ausnahmsweise auf meinem Besitzanspruch. Denn daraus ergibt es sich, dass ich mir diesmal das Recht herausnehme, eventuell eure Zeit zu verschwenden. So geht es ums Gewinnen heute bloß peripher oder tangentiell, auf jeden Fall irgendwie geometrisch. Stattdessen möchte ich euch von dem vergnüglichsten Draftabend berichten, den ich seit langer Zeit erlebt habe. Denjenigen von euch jedenfalls, die noch nicht weggezappt haben. Ich gebe zu, obige Spielbeschreibung sieht nach allem aus, nur nicht nach einem typischen Match Zendikar-Limited. Dort war es aber, wo mir neulich jene Geschichte passiert ist. Und ebenso die folgende.


Langsam nervt der feindliche 1/3er mit seinem Explorer's Scope. Jede Runde deckt er Land auf. Glücklicherweise immer nur Wälder, und Schaden richtet er auch nicht an, aber trotzdem...
„Ich blocke mit beiden“, kündige ich an. Beide bedeutet in diesem Fall ein Gespann mit einer Gesamtstärke von sage und schreibe drei und nebenbei alle Kreaturen, die ich auf dem Feld habe.
Primal Bellow!“, bellt mein Widersacher und klatscht die Karte triumphierend auf den Tisch. Nun, in Wahrheit sagt er Primal Below, aber ich beiße mir auf die Zunge und schlucke die bösartige Erwiderung hinunter. Wir zählen Wälder. Es sind sieben Stück, die sich bei ihm mittlerweile aufgetürmt haben. Mächtiges Blätterdach, gesunde Borke. Sein Blick wandert zu meinen Blockern...
„Oh“, murmelt er kleinlaut, und bekräftigt dies Statement noch einmal. „Oh.“
Nach einem kurzen Moment Stille, gleichermaßen Bedenkzeit wie Schweigeminute für seine 1-Mana-Macht der Eichen, holt er es endlich nach, die Reihenfolge meiner Blocker zu bestimmen. Es stirbt Pillarfield Ox. Caravan Hurda überlebt.



Wenn ihr jetzt sagt, „Uh, das ist aber ein komisches Deck, was du da gespielt hast“, dann muss ich entschieden widersprechen. Es ist überhaupt gar kein Deck! Vielmehr eine Ansammlung seltsamer Karten. Mit Rares. Und Mythic Rares. Vielleicht sollte ich die Geschichte von Anfang an erzählen. Das war so...


„Nimm die billige Kreatur!“, protestiert der kleine Pischner auf meiner Schulter. Aber ob es sich um ein Pischner-Teufelchen oder ein Engel-Pischnerchen handelt, lässt sich nicht ohne Weiteres feststellen. Weder erinnere ich mich daran, ob der echte Pischner so weit geht und eine solche Rare verschmäht, noch kann ich auf eigene Erfahrungen mit diesem speziellen 6-Drop zurückgreifen. Ich zögere.
„Die billige!“, jault er wieder und stampft zornig mit dem Fuß auf. Dass die engere Auswahl dermaßen eng ist, dass lediglich zwei Kreaturen hineinpassen, noch dazu aus derselben Farbe, macht es auch nicht einfacher. Unterdessen ist die Halluzination dazu übergegangen, meinen Kopf zu umkreisen und dabei fortwährend den Werbejingle von esgehtimmerbilliger.de zu singen. Ich entscheide mich für... Nun, zunächst einmal entscheide ich mich dafür, heute abend keinen Alkohol mehr zu trinken.
Die Rare macht das Rennen. Unter wüsten Verwünschungen verschwindet mein kleiner Begleiter in einer finsteren Rauchwolke und fährt, vermutlich, zur Hölle. Felidar Sovereign wandert als allererste Karte in meinen Draftstapel, Kazandu Blademaster zieht weiter nach links. Ein wenig habe ich ja ein schlechtes Gewissen, meinen Hintermann derart auf die falsche Fährte zu locken, aber vor allem habe ich jetzt einen Felidar Sovereign.



Felidar Sovereign über Kazandu Blademaster. Das war mein First Pick aus einem Booster, der ansonsten keine nennenswerten Optionen enthielt. Und nachdem ich die Rare nun endlich selbst in Aktion bewundern durfte, kann ich mit Bestimmtheit sagen, dass die Entscheidung für den Sovereign absolut richtig ist. Mann, ist der unfair!


„Mann, ist der unfair!“, meint auch mein Gegner in Runde 2. Sein Crypt Ripper, pumpbar auf 5/5, hat mich schon etliche Lebenspunkte gekostet und an den Rand einer Niederlage gebracht. Aber damit ist jetzt Schluss! Felidar Sovereign ist eine echte Bank. Too big to fail.
Er spielt noch etwas Kleinvieh und kassiert einen Gegenangriff von dem wachsamen 4/6er. Unzufrieden mit diesem Ergebnis verzichtet er vorerst auf weitere Ausflüge zum Stack und sammelt Handkarten.
Ein paar Züge später meldet sich erneut Iona, Shield of Emeria zu Wort. Das Wort heißt in diesem Fall „Schwarz“, und macht seine Handkarten irrelevant. Genauso wie die 7/7-Kreatur seinen vierten Sumpf egalisiert. Unter wüsten Verwünschungen packt mein Gegner seine Karten zusammen und fährt, wenn nicht zur Hölle, dann aber geradewegs ins 1-1-Bracket. Ein weiterer Sieg für den 9-Drop!



Aber eigentlich wollte ich ja vom Draftverlauf berichten. Der Draft, der verlief für mich gar nicht gut...


„Nicht gut“, echot es in meinem Kopf. Nach dem ersten Durchgang beschränkt sich meine Ausbeute neben Felidar Sovereign auf Kor Hookmaster, Kor Sanctifiers und Kor Cartographer in Weiß, einem kurzen Abstecher ins Grüne verdanke ich Territorial Baloth, und ein später Guul Draz Vampire sowie ein noch späterer Blood Seeker lassen mich mit Schwarz liebäugeln. Immerhin bieten die Artefakte Hedron Scrabbler und Adventuring Gear...




Flash forward zum Ende des Drafts. Jegliche aggressive Anwandlungen, die der Haufen möglicherweise einmal gehabt haben mag, sind unterwegs auf der Strecke geblieben. Wie ich später erfahren soll, ist mein rechter Nachbar in Schwarz gelandet, und mein linker Nachbar tatsächlich in Weiß. Für mich blieb aus beiden Richtungen jeweils bloß das Kroppzeug. Und insgesamt sechs Rares, die zur Hälfte jedoch alles andere als spektakulär sind.

Der Deckbau gestaltet sich schwierig. Der eine Teil meiner Karten will angreifen, der andere, größere Teil will blocken. Über so viel Schizophrenie kann man nur wahnsinnig werden. Und schließlich sperre ich mich dagegen nicht weiter und sortiere Adventuring Gear aus. Noble Vestige ist eh viel stärker.
„Muhahaha“, proklamiere ich, als die 40 eingetütet sind. Das irre Lachen des hoffnungslos Übergeschnappten. Eine Stufe vor Sabbern. Das hebe ich mir als Option für später auf.




1 Kazandu Blademaster
2 Giant Scorpion
1 Kor Hookmaster
1 Noble Vestige
1 Kabira Evangel
1 Kor Sanctifiers
1 Kor Cartographer
1 Pillarfield Ox
1 Caravan Hurda
1 Bog Tatters
1 Malakir Bloodwitch
1 Felidar Sovereign
1 Iona, Shield of Emeria

1 Luminarch Ascension
2 Soul Stair Expedition
1 Journey to Nowhere
1 Hideous End
1 Arrow Volley Trap
1 Eldrazi Monument
1 Khalni Gem

8 Plains
1 Kabira Crossroads
9 Swamp


1 Guul Draz Vampire
1 Vampire Lacerator
1 Blood Seeker
1 Adventuring Gear
2 Hedron Scrabbler

Diese und weitere Karten gibt's bei:



Und jetzt das große Finale... der ersten Runde. Mein Gegner hat ein grünes Deck mit kleinem Schwarz-Splash gedraftet und legt einen beeindruckenden Start aufs Parkett: Vampire Lacerator, Grazing Gladehart, Oracle of Mul Daya und noch einen Grazing Gladehart, geht trotz Lacerator auf 40 Leben und bastelt sich mit Savage Silhouette sogar eine Bedrohung, die meinen Giant Scorpion aussticht. Derweil lege ich hauptsächlich Länder. In meinem achten Zug kontrolliere ich sechs Stück plus Khalni Gem, und eins ist noch in meiner Hand.
Wieder schreitet der 4/4-Regenerierer zum Angriff, doch diesmal wirft sich Giant Scorpion todesmutig in die Red Zone. Mein Widersacher verzieht fragend eine Spock-Augenbraue und tappt zwei seiner elf Länder. Ich reagiere mit Hideous End.
„Äh. Ja und…?“, kommentiert er den Spielzug, der ihn zwei irrelevante Leben und zwei zusätzliche, aber ebenfalls irrelevante Mana kostet. Ich winke ab, doch mein Gegenspieler wittert einen hinterhältigen Plan. Deshalb spielt er nichts aus und gibt den Zug mit sieben enttappten Ländern ab.
„Alles verläuft genauso, wie ich es vorhergesehen habe, Lord Vader“, offenbare ich. „Ich wusste, du würdest dich nicht für den Mold Shambler austappen, den das Orakel dankenswerterweise prophezeit hat. Khalni Gem jedenfalls brauche ich unbedingt, um jetzt meine 9-Mana-Kreatur auszuspielen!“


„Na, wie besiegt man Turn 4 Oracle of Mul Daya?“ Diese Frage stelle ich den anderen, nachdem mein Gegner festgestellt hat, dass sein Deck gar kein Scheußliches Ende bereithält, seine Bibliothek allerdings über kurz oder lang sehr wohl ein Scheußliches Ende nimmt.
„Entweder man schießt es ab oder man hat einen aggressiven Start oder der Gegner hat ganz viel Pech beim Aufdecken“, lauten die Vorschläge.
„Ha, von wegen! Man kontrolliert einfach das gesamte gegnerische Deck aus und gewinnt schließlich über Deckende.“ Sie lachen zwar über meine Iona, aber mir kann zu diesem Zeitpunkt schon gar nichts mehr etwas anhaben. „Ach, wisst ihr, nach diesem coolen Spiel kann ich jetzt ruhig 1-2 gehen“, sage ich, lehne mich zufrieden zurück und meine es auch so.



Und was lernen wir daraus?

Schritt 1: Schaltet Magic Online aus und besucht mal wieder eure lokale Draftrunde! Verbringt mal wieder einen gemütlichen Abend mit euren Freunden. Oder halt mit Menschen, die ihr bloß mäßig verachtet, obwohl sie immer noch keinen einzigen verdammten Kartennamen korrekt ansagen können. Denn wie heißt es so schön in der Werbung? Für Magic Online benötigt ihr eine Kreditkarte – dass Gesicht eures Gegners zu sehen, wenn ihr Iona ausspielt, ist hingegen unbezahlbar.

Schritt 2: Gebt ungewöhnlichen Karten und Strategien eine Chance! Selbst Noble Vestige ist gar nicht so schlecht, wie alle sagen, sondern noch viel schlechter hat im richtigen Deck einen Platz.

Schritt 3: Profit!

Schaltet auch nächsten Montag wieder ein, dann zu einer weiteren Exkursion durch Extended!



P.S.:

Zum Abschluss noch ein klein wenig ernsthafte strategische Überlegungen. Erfolgreiche Kontrolldecks in Zendikar-Limited basieren meiner Erfahrung nach fast immer auf der unheiligen Dreifaltigkeit Giant Scorpion, Soul Stair Expedition und Heartstabber Mosquito, gerne alles im Doppelpack, und sind somit schwarz.


Die Zweitfarbe dagegen ist umstritten. Rot-Schwarz ergibt ein wunderbares Aggrodeck, und Blau bietet mit Kraken Hatchling, Sky Ruin Drake und Gomazoa zwar einige Blocker, die man spät einsammeln kann, aber die eigentlich guten Commons, insbesondere Welkin Tern und Windrider Eel, sind in der Defensive so viel schlechter, dass Blau-Schwarz immer einen gewissen Tempoaspekt beinhalten muss.

Vermutlich der zweitstärkste schwarze Archetyp und mit großem Abstand der stärkste grüne Archetyp ist Grün-Schwarz. Hier hilft Harrow dabei, Heartstabber Mosquito zu kicken und Soul Stair Expedition aufzuladen, während Oran-Rief Recluse und Mold Shambler weitere Kicker-Kartenvorteils-Tiere abgeben. Das ist so weit natürlich ein alter Hut, der keinen Hund mehr hinterm Ofen hervorholt.

Wenn überhaupt, dann nur wenig schlechter ist aber tatsächlich Schwarz-Weiß! Kor Sanctifiers mimen einen besseren Mold Shambler, allein weil ein 2/3-Blocker im dritten Zug mächtiger als ein 3/3-Blocker im vierten ist. Frühe Picks verwendet man bevorzugt auf billiges Removal und Journey to Nowhere ist da eben eins mehr, als Schwarz-Grün zur Verfügung steht. Und Kor Skyfisher auf Heartstabber Mosquito ist einfach nur dreist.

Die wahre Kunst im Draft liegt jedoch darin, aus der sprichwörtlichen Scheiße Gold zu machen: So ist Pillarfield Ox zum Beispiel überraschend stark, und ein altes Sprichwort besagt, wer nie Caravan Hurda mit Trusty Machete ausgerüstet hat, hat niemals Caravan Hurda mit Trusty Machete ausgerüstet. Ist aber auch gar nicht so schlimm, denn Caravan Hurda ist selbst ohne das Equipment durchaus spielbar. Weiterhin hat Kor Cartographer mehr als tausendmal so viel Stärke und Widerstandskraft zu bieten wie Harrow, was in einem Deck, das so oder so selten die 18 Länder unterschreitet und seine Late-Game-Topdecks maximieren muss, wirklich relevant werden kann.

Pitfall Trap wird wohl bis auf die aggressivsten von allen weißen Draftern genommen, aber wie früh? Und wie unglaublich spät sieht man Arrow Volley Trap regelmäßig um den Tisch pendeln? Zu guter Letzt sind es nicht nur solche und andere Uncommons, die Weiß zu einer wertvollen Ergänzung machen, sondern ebenso eine Vielzahl von Rares.


Und die einzige nicht-schwarze dezidierte Kontrollstrategie, die ich bisher erfolgreich implementiert gesehen habe, nämlich Ondu Cleric plus Makindi Shieldmate, könnte es ebenfalls deutlich schlechter treffen als mit Schwarz als Zweitfarbe. Dort finden sich immerhin ein guter Common-Ally sowie ein Uncommon-Ally, den im Grunde niemand haben will und der das Problem, dass man nicht anzugreifen vermag, geschickt umgeht.


Ich kann nur empfehlen: Probiert es einmal aus, schwarz-weiße Kontrolle zu draften. Dass allgemein so wenig darüber zu lesen ist, liegt vermutlich mit daran, dass die Decks regelmäßig wie Grützkotze aussehen – wenngleich meist besser als obiges –, aber der Archetyp funktioniert unerwartet gut. Ehrlich.




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