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Victor Historiam Scribet
von Tobias "TobiH" Henke
04.05.2009

Glaubte man zeitgenössischen Quellen, so wurden in der Vergangenheit bewaffnete Konflikte verdächtig oft von den „Guten“ gewonnen, während die „bösen“ Jungs ihre wohlverdiente Niederlage bezogen undwahlweise gemeuchelt/versklavt/eingemeindet wurden.

Lassen wir für den Moment mal göttliche Vorsehung außer Acht, dann gibt es jedoch keinen Grund anzunehmen, dass sich das Schicksal auf die Seite desjenigen schlägt, der in irgendeiner Form im „Recht“ ist. Moralische Überlegenheit ist eine wunderbare Sache, aber im direkten Vergleich zu überlegener Truppenstärke oder Bewaffnung ein echter Stinker!

(Und nein, richtig zynisch wird's erst, wenn man sich überlegt, dass moralische Überlegenheit auf dem Schlachtfeld nicht nur nicht förderlich, sondern womöglich gar hinderlich ist.)

In Wahrheit ist es wohl vielmehr so, dass allein deshalb so oft die „Guten“ gewinnen, weil sie es sind, die hinterher noch da sind, um die Geschichte aufzuschreiben.

Die entsprechende Aussage bei Magic ist glücklicherweise mit wesentlich weniger Ballast belastet. Weder geht es um Leben und Tod noch hat Moral irgendetwas damit zu tun. Sie lautet: Wer gewonnen hat, hat alles richtig gemacht.

Und genauso wie die tatsächliche Güte der siegreichen „Guten“ alles andere als unzweifelhaft ist – genauso ist diese Aussage kompletter Blödsinn.

Wenn es regnet, wird die Erde nass. Aus A folgt B. Ich denke, ich brauche nicht erst einen Eimer Wasser auszuschütten, um zu zeigen, dass aus B nicht zwingend A folgt, oder? Das heißt, selbst wenn man davon ausginge, dass fehlerfreies Spiel auf jeden Fall zum Sieg führt, wäre der Umkehrschluss trotzdem unzulässig. Selbst dann wäre die Aussage Blödsinn.

Hinzu kommt, dass fehlerfreies Spiel ja längst nicht immer mit einem Sieg belohnt wird! Wie wir alle wissen, entscheidet eine Kombination von Glück und Können darüber, ob wir gewinnen oder verlieren. Mal mehr von dem einen, mal mehr von dem anderen, aber unbestreitbar beides. Manchmal hat man eben Pech, da kann man noch so gut spielen – und gewinnt nicht. Wenn aber eine Niederlage nicht bedeutet, dass man etwas falsch gemacht hat, dann bedeutet ein Sieg nicht, dass man richtig gespielt hat.

Letzte Woche habe ich in einem Kommentar zu einem Blogeintrag Folgendes gelesen:


Ob eine Entscheidung über den Einsatz einer Ressource richtig oder falsch war, zeigt meist nur das Ergebnis, nicht das Play selbst.

Das Play per se ist in den seltensten Fällen klar richtig oder falsch, es ist eher unterteilbar in: aggressiv oder defensiv, mutig oder vorsichtig usw.

Ob es dann gut gespielt war oder nicht und von Erfolg gekrönt, hängt von unzähligen weiteren Faktoren ab, wie etwa dem eigenen Deck, dem Matchup, dem Gegner, dessen Handkarten usw.



Ich glaube zu wissen, was der Autor damit eigentlich ausdrücken wollte. Und ich finde es absolut verständlich, dass man mitten in der Nacht vielleicht nicht besonders sauber formuliert. Aber das will ich so nicht stehenlassen – nicht um der Person zu widersprechen, sondern um dem Gedankengang zu widersprechen; denn dem gehört widersprochen.

Ein einfaches Beispiel

Ihr spielt eine Partie Standard. Es ist das erste Spiel. Euer euch unbekannter Gegner kontrolliert lediglich einen Haufen bunte Länder (Vivid-Länder, Reflecting Pool, Cascade Bluffs), ihr hingegen kommandiert eine Armee, allesamt Kreaturen mit Toughness 2. Gaddock Teeg ist auch dabei. Und jetzt legt ihr Meddling Mage – worauf? Welche Karte verbietet ihr?


Bisher habt ihr noch nichts weiter vom Deck eures Gegners gesehen, also hilft euch bloß euer Wissen darüber, was üblicherweise in solchen Decks enthalten ist. Ja, sowohl Infest als auch Firespout als auch Pyroclasm mögen ihre Vorteile haben, aber mit überwältigender Mehrheit heißt die größte Gefahr in diesem Moment Volcanic Fallout. Volcanic Fallout ist dementsprechend die richtige Entscheidung.

Wenn euer Gegner nun in seinem nächsten Zug zwei Hurly-Burly spielt, ändert das etwas? War Volcanic Fallout jetzt auf einmal die falsche Entscheidung?

Nein. Ihr habt alle Faktoren berücksichtigt, die ihr berücksichtigen konntet, und auf dieser Grundlage die optimale Entscheidung gefällt. Wie auch immer das Ergebnis aussehen mag, das war die richtige Entscheidung. Ihr habt verloren, obwohl ihr diese Wahl getroffen habt, aber nichtsdestotrotz war es die richtige Entscheidung. Ihr habt verloren, weil ihr diese Wahl getroffen habt – nichtsdestotrotz war es die richtige Entscheidung!

In der Realität ist es in den seltensten Fällen so einfach. War es überhaupt richtig, den Meddling Mage auszuspielen? Das hängt in der Tat von weiteren Handkarten ab, bekannten auf eurer Seite und unbekannten auf gegnerischer, von den Lebenspunkten, von den Karten, die ihr bereits gezogen habt und jenen, die noch in eurer Bibliothek lauern. Magic ist komplex, und wirklich alle Faktoren zu berücksichtigen (und korrekt zu bewerten), gelingt meistens nicht.

Das bedeutet aber keinesfalls, dass man es nicht versuchen sollte! Tatsächlich ist das die einzige Möglichkeit herauszufinden, ob ein Spielzug richtig oder falsch ist. Im Einzelfall kann (und wird) die Praxis nämlich sehr wohl täuschen; nur die Theorie lügt nicht.

Ein weiteres Beispiel

Eine Partie im Draft. Ihr habt den Würfelwurf verloren und euer Gegner hat beschlossen anzufangen. Ihr zieht eure Starthand. Darauf befinden sich ausschließlich Zaubersprüche mit Kosten von drei, vier und fünf Mana sowie insbesondere kein einziges Land.

Da dieses Turnier auf Magic Online stattfindet, ihr euch noch nicht so recht mit dem Programm auskennt und ihr bei diesem Anblick gleich „Oh no!“ denkt, klickt ihr reflexartig auf „No“, und überlest dabei die Frage. „Would you like to take a mulligan?“

Ihr zieht fünf Länder in Folge von oben und gewinnt mühelos. War das also die richtige Entscheidung...?

Den Teufel war sie das! Natürlich hätte man hier einen Mulligan nehmen müssen und natürlich sagt das Ergebnis wieder nichts aus. Und egal was für ein Beispiel man wählt: Es sagt nie etwas aus. Dafür braucht es gar nicht solche Extremsituationen. Nehmt stattdessen eine knappe Mulliganentscheidung – da überlegt man dann, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, Land nachzuziehen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, mit diesem Land zu gewinnen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, ohne dieses Land zu gewinnen, und wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, mit einer durchschnittlichen Mulligan-Hand zu gewinnen.

Das sind die Überlegungen, die man anstellt, das sind die Überlegungen, die einen weiterbringen, das sind die Überlegungen, die bestimmen, was die korrekte Entscheidung ist. Im Nachhinein JE NACH ERGEBNIS zu behaupten, die getroffene Entscheidung wäre richtig oder falsch gewesen – das ist Unfug!

Apropos Wahrscheinlichkeit

Wisst ihr, ich kann euch in jeder beliebigen Situation sagen, was der korrekte Spielzug ist. Toll, oder? Und zwar kann ich das nicht etwa, weil ich ein Super-Spieler wäre, sondern weil es eine ganz furchtbar simple Definition dafür gibt. Hier ist sie:

-Definition
 
Der korrekte Spielzug ist derjenige, welcher mit der höchsten Wahrscheinlichkeit das beste Resultat erzielt.

So einfach ist das, aber zugleich so schrecklich kompliziert. Diese abstrakte Formulierung mit Inhalt zu füllen, das obliegt nämlich euch als Spieler. Ihr müsst bestimmen, welche Faktoren es gibt und mit welcher Wahrscheinlichkeit ihr sie einberechnet. Und nicht zuletzt müsst ihr euch darüber klar werden, was überhaupt das beste Resultat ist – jenes, das euch auf einem oder mehreren der vielen verschlungenen Wege, die zum Sieg führen, am weitesten nach vorn bringt. Zuletzt müsst ihr all das auch noch in einer angemessenen Zeit bewältigen. Eine schwierige Aufgabe, an der man meistens scheitert. Deshalb vertraut man auf sein Bauchgefühl, auf Erfahrung, deshalb wird einem in der Regel nichts anderes übrigbleiben, als grob zu schätzen.

Trotzdem: Wer an mehr Faktoren denkt und wer bessere Schätzungen abgibt, der findet die bessere Entscheidung. Das Prinzip ist ungebrochen. Es ist richtig, den optimalen Spielzug zu suchen, weil er existiert. Und weil er den Sieg bringt – nicht zwingend, aber eben mit einer höheren Wahrscheinlichkeit.

Zum Abschluss...

...ein Comic, das ich weder gezeichnet (sonst wär's schöner) noch geschrieben habe. (Sonst wär's nämlich nicht so genial.) Lest xkcd!



Wirklich zum Abschluss...

...habe ich allerdings noch eine Frage für euch. Gehen wir kurz davon aus, dass ein wohlverdienter deutscher Autor aus seinem Exil in der Südsee heraus eine vollständige Limitedanalyse von Alara Reborn schreiben wollte. In welchem Format sollte er das tun? Der ganze Alara-Block ist schließlich extrem bunt und Alara Reborn am allermeisten. Das ist ein Problem...


1) Für Shards of Alara und Conflux wurde das Ganze viergeteilt: erst die Commons unterteilt nach Kreaturen und Nicht-Kreaturen, dann die Uncommons und schließlich die Rares und Mythics. Das ist die einfachste Methode und hat zudem den Vorteil, dass die wichtigsten Karten zuerst abgehandelt werden. Der Nachteil ist entsprechend, dass die letzten beiden und insbesondere der letzte Artikel nicht mehr ganz so interessant sind.

Common-Kreaturen
Nicht-Kreaturen-Commons
Uncommons
Rares & Mythics

2) Eine Alternative sähe so aus, dass man zu jedem der Fragmente (Bant, Esper, Grixis usw.) einen Artikel schreibt. Darin würden alle Karten behandelt werden, die ausschließlich in diesem Deck untergebracht werden können, sowie jeweils die beiden befreundeten Farbpaare, die dazu gehören. Als Beispiel, im Bant-Artikel tauchen die -Karten und die -Karten auf und die grün-weißen und weiß-blauen Karten ebenfalls. Da die grün-weißen Karten aber zusätzlich im Naya-Artikel und die blau-weißen Karten zusätzlich im Esper-Artikel eine Rolle spielen, wären sie im Bant-Artikel nur unter Bant-Gesichtspunkten zu betrachten. Ich gebe zu, ein bisschen kompliziert ist das, aber vielleicht nicht die schlechteste Idee.

Bant
Esper
Grixis
Jund
Naya

3) Die dritte Option besticht durch eiskalte Logik. Alara Reborn besteht gewissermaßen aus zehn Farben: fünf befreundete Farbkombinationen, die sich jeweils in zwei Decks unterbringen lassen, und fünf weitere (verfeindete Farben sowie dreifarbige Karten), die jeweils nur in einem Deck heimisch sind. Wie wäre es also, wenn man daraus zehn Artikel macht. Diese wären natürlich entsprechend kurz und könnten somit auch in kurzer Folge hintereinander erscheinen.

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Ihr entscheidet:


Das wär's für diese Woche von mir. Falls nicht wieder etwas dazwischenkommt, sehen wir uns am kommenden Montag beim Monatsrückblick für April.

Bis dahin tappt für euch weiter im Dunkeln (hoffentlich korrekt)...

TobiH
#475




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