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Tod und Verderben
von Tobias "TobiH" Henke
08.12.2008

Eine alte Weisheit im Biz lautet: Ein Artikel mit Deckliste verkauft sich immer besser als einer ohne. Deshalb zum Einstieg...

Totenschein als Alibi

Sie sind überall! Sie ziehen Karten und nehmen dem Gegner seine weg, sie fliegen, sie haben First Strike und Schutz vor Farben und Deathtouch, und sie entsteigen ihren Gräbern, sind immerfort hungrig, sind lebendig ohne Leben („And how can one kill that which has no life, eh?“), und am allerwichtigsten: Sie haben neuerdings zwei Lords!

Bitte wer? Na, schaut einmal auf die Typenzeile jeder einzelnen Kreatur des folgenden Standard-Decks:


4 Festering Goblin
4 Dregscape Zombie
4 Tidehollow Sculler
3 Spineless Thug
4 Stillmoon Cavalier
4 Death Baron
4 Lord of the Undead
3 Graveborn Muse

4 Thoughtseize
3 Oblivion Ring

9 Swamp
4 Fetid Heath
4 Caves of Koilos
3 Plains
3 Mutavault

Diese und weitere Karten gibt's bei:


Ist das denn gut? Ganz ehrlich? – ich habe keinen leichenblassen Schimmer. Deckbau und Testprozess haben eine großzügig ausgelegte halbe Stunde in Anspruch genommen (mit einem Verhältnis von 30 Minuten Deckbau zu null Minuten Testen) – würdigt die Arbeit entsprechend!

Aber die Idee, die trage ich bereits wochenlang mit mir herum: Zombies! Ich mein, wer wollte nicht schon einmal ein Tribal-Deck mit den unverbesserlich untoten Ungeheuern spielen. Seit ich Death Baron das erste Mal in einem Alara-Draft in Aktion gesehen habe, nagte die Frage an meinem Gedächtnis: Gab es da nicht einmal was? Irgendeinen Lord, der als Constructed-Karte lange begraben und vergessen, ignoriert und missachtet wurde?

Den gibt's! Und Graveborn Muse und einen 1-Mana-Zombie noch dazu, alles mit freundlicher Unterstützung der Zehnten Edition. Und in der Theorie ist das auch gar nicht einmal so schlecht – in der Praxis hingegen folgt auf Turn 1 Festering Goblin und Turn 2 Dregscape Zombie vermutlich ein gegnerisches Spotremoval, was einem einen jammervollen Ton entlockt, der jedem Schrecken der Nacht zur Ehre gereichte. Andererseits, manchmal kommen sie wieder und in der Tat erholt sich das Deck von Massenvernichtung recht gut, mit Lord of the Undead, Muse und Mutavault...

Todesmeldungen sind stark übertrieben

Magic stirbt... und zwar ununterbrochen seit nunmehr 15 Jahren.

So lautet ein alter Spruch, der immer wieder dann zitiert wird, wenn jemand proklamiert, Magic sei tot. Und das geschieht wahrlich oft genug, so etwa bei... also eigentlich ja andauernd: Einführung des Standard-Formats? Magic ist tot. Sixth Edition-Regeln? Magic ist tot. Foil-Karten? Magic ist tot. Neues Karten-Design? Magic ist tot. Ravager-Affinity? Magic ist tot. Mythic Rares? Magic ist tot. Wenn ich einen Penny hätte für jedes Mal, dass Magic bereits tot war... dann müsste ich dringend Geld umtauschen gehen!

Allen Unkenrufen zum Trotz ist Magic an jedem dieser Dinge nachweislich nicht gestorben. Jetzt jedoch materialisiert sich eine Veränderung, die umso mehr verunsichert: Die PTQ-Teilnehmerzahlen sinken mit titanischer Unweigerlichkeit... Oder tun sie es?

Es ist zwar eine unnnendliche Klickerei (und erst mal finden muss man das Ganze auch noch), aber die Daten sind alle öffentlich! Hier bitte:

Durchschnittliche Teilnehmerzahlen bei PTQs von 2001 bis 2008:


*71, das ist der Durchschnittswert für die PTQs, die bisher stattgefunden haben. Da man sowohl in Mannheim als auch Frankfurt mit mehr Spielern rechnet, wird diese Zahl letzten Endes vermutlich höher liegen.

Dazu kurz ein paar Worte: 2002/2003 gab es meiner Erinnerung nach zwei Debakel: Zum einen fand in der Odyssey-Block-Saison ein Grand Prix in Hamburg statt, zu dem unglaubliche 30 Grand Prix Trials veranstaltet wurden, bei denen, wenn ich mich recht entsinne, außerdem viel mehr (doppelt so viele?) Byes verteilt wurden als heute üblich. Das Ergebnis war, dass die Block-PTQs, die größtenteils später stattfanden, im Schnitt 44 Teilnehmer hatten (mit 66 und 44 den beiden Spitzenreitern), während die GPTs so absurde Zahlen wie 48 (gleich zweimal), 53 und 61 aufwiesen – herrje, selbst Magdeburg hatte damals 32 Mann zum GPT!

Dann wurden PTQs zudem so richtig teuer! Zu der Zeit mussten Veranstalter die zu gewinnenden Flüge aus eigener Tasche zahlen und legten diese Kosten aufs Startgeld um. Das führte natürlich dazu, dass Spieler wegblieben und in der Folge das Startgeld immer weiter erhöht wurde. Dieser Teufelskreis Diese Teufelsspirale wurde erst durchbrochen, als – damals noch – Amigo beschloss, fortan die Flugkosten selbst zu tragen.

Zum Zustandekommen der Zahlen: Sowohl die PTQs bei der Pro Tour Berlin als auch die PTQs bei der Weltmeisterschaft 2003 (ebenfalls in Berlin) sind hier nicht mit eingeflossen. PTQs, die etwa im Rahmen der Deutschen Meisterschaft stattgefunden haben, und solche, die gebündelt am Ende des Jahres an einem Ort ausgetragen wurden, tauchen allerdings auf. Der Unterschied ist eben, dass die einen zu einem nicht unerheblichen Teil internationales Publikum anziehen, die anderen hingegen nicht. (Ein bisschen verzerrt das trotzdem, da diejenigen, die sich ihre Dosis PTQ bereits in Berlin abgeholt haben, natürlich unwahrscheinlicher bei anderen PTQs aufkreuzen.)

So. Jetzt zur alles entscheidenden Frage: Könnt ihr einen eindeutigen Trend feststellen?

Nun, je nach eurer persönlichen Ausreißer-Toleranz könnt ihr das vielleicht oder auch nicht. In jedem Fall stellt ihr aber die falsche Frage! Korrekterweise muss man zunächst einmal fragen: Wer hat das Finale des letzten PTQs im Jahre 2007 gewonnen?

Wieso? Weil die Antwort lautet: GAR KEINER! Am 9. Dezember trafen in Stuttgart nämlich keineswegs Daniel Gräfensteiner und Aaron Brackmann aufeinander, die zuvor ihre Halbfinale gewonnen hatten... sondern niemand! Das Finale musste nicht ausgespielt werden, weil es bis Ende 2007 in Deutschland noch 2-Slot-PTQs, also mit zwei Gewinnern, gab.

Ab 2006 hatte man begonnen, in Deutschland 1-Slot-PTQs zu testen – so, wie es sie überall anders auf der Welt schon längst überwiegend gegeben hat. Einer davon war prompt der zweitgrößte PTQ des Jahres und so kam es, dass 2007 eine recht ausgeglichene Mischung von beiden Typen durchgeführt wurde. Und tatsächlich erst 2008 wurde flächendeckend auf 1-Slot-Turniere umgestellt. Apropos flächen-deckend, schaut euch einmal diese Zahlen an:


Jahr:

2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008

PTQs:

21*
17
20
17
21
20
21
38**

*Allen Ernstes waren 2001 lediglich 14 PTQs bundesweit verteilt – sieben weitere wurden zwischen Weihnachten und Neujahr in Rodgau von Amigo selbst ausgerichtet. Ihr erinnert euch, dass die Flugtickets vom Tournament Organizer zu zahlen waren? Nun, bei diesen ging es um Qualifikationen zur nächsten Pro Tour in Japan und es fand sich schlicht kein Veranstalter dafür.

**Auch hier sind natürlich nicht alle gleichmäßig verteilt. Zwei gab's an einem Wochenende bei der DM in Hannover und drei weitere finden noch am Ende des Jahres in Frankfurt statt – diesmal allerdings aus hehren Motiven, nicht aus reiner Verlegenheit.

Rechenspiele

Und was bedeuten diese Zahlen für die Bewertung der obigen Durchschnittsgrößen? Nun, in jedem Fall relativieren sie sie. Vor allem anderen stellt sich aber die Frage, in welchem Maße das heutige System zu zusätzlichen Überschneidungen führt. Möglicherweise nimmt Spieler A dieses Jahr an fünf PTQs teil, während er 2005 nur drei gespielt hat. Wer weiß das schon? Ich leider nicht, ich kann nur schätzen...

Achthundertsiebzig!

Ich werfe diese Zahl jetzt in den Raum und behaupte einfach mal, dass es die Gesamtzahl sei, wie groß der Zuwachs an Spieler-Überschneidungen unter allen PTQ-Teilnahmen zwischen 2005 und 2008 ist. (Also, wenn z.B. 870 Spieler je einen weiteren PTQ spielen, oder wenn 435 zwei weitere PTQs spielen, oder 290 drei weitere spielen... oder bei einer Kombination von alledem – dann hätte man 870 zusätzliche Überschneidungen.)

Zweitausendsiebenundachtzig!

Nehmen wir der Einfachheit halber an, dass es 2005 nicht eine einzige Überschneidung gegeben habe, jeder PTQ-Spieler also bloß einen einzigen PTQ mitgemacht habe. Nehmen wir ferner für 2008 möglichst viele Überschneidungen an, mit der Einschränkung, dass niemand am selben Tag an zwei verschiedenen PTQs teilnimmt. (Ich denke, da kann man ziemlich sicher sein.) So wissen wir z.B., dass am 22. November in Oldenburg 58 Spieler, in Berlin 52 und in Nürnberg 101 Spieler angetreten waren. Daran erkennen wir, dass 110 mögliche Überschneidungen wegfallen. Nach dem gleichen Prinzip kann man nun bei allen gleichzeitigen PTQs potenzielle Überschneidungen aussortieren. Übrig bleiben nach Abzügen lediglich 2087 Überschneidungen, die rein rechnerisch überhaupt dazugekommen sein können!

Eintausendeinhundertsechsunddreißig!

Wenn man davon ausgeht, dass die 16 zusätzlichen PTQs, die dieses Jahr im Vergleich zu 2005 veranstaltet werden, alle ausschließlich mit denselben (im Schnitt) 71 Spielern besetzt sind, die außerdem alle bereits an einem anderen PTQ teilgenommen haben, selbst dann ergibt das lediglich 1136 zusätzliche Überschneidungen. Das ist meiner Meinung nach das ABSOLUTE Maximum, was ein ehrlicher Mensch schätzen kann. Dass die Zahl, realistisch gesehen, bedeutend niedriger liegt, dürfte leicht einzusehen sein.

Achthundertachtundsiebzig

Selbst wenn man annimmt, dass 2005 jeder PTQ-Spieler in jeder Qualifier-Season genau einen PTQ gespielt hat, während 2008 jeder PTQ-Spieler in jeder Qualifier-Season genau zwei PTQs spielt – so erhält man bloß eine Überschneidungs-Zunahme von 878. Dass auch diese Annahme ziemlich abwegig ist, aber hallo!

Es sollte nunmehr klar sein, dass 870 keineswegs eine geschönte Schätzung ist. Ich gebe zu, in Wahrheit ist es überhaupt keine Schätzung. Schon gar nicht meine eigene – ich denke, dass es weit weniger sind. Aber selbst dann gilt noch, dass 2008 tatsächlich MEHR verschiedene Spieler zu einem PTQ gefahren sind als 2005!

Als ich anfing zu recherchieren, hatte ich, ehrlich gesagt, erwartet herauszufinden, dass das Interesse an PTQs zurückgegangen sei. War nicht auch überall davon zu lesen? Vom Absturz der Turnierszene? Vom bevorstehenden Kollaps? Von verkochenden Meeren und einer neuen Eiszeit, von Pest und Cholera, von thermonuklearem Krieg, und vom letzten Gefecht zwischen Himmel und Hölle und Peter sein Bruder aunnomma...? Wenn das demnächst wieder jemand schreibt, verweist ihn doch bitte auf diesen Artikel und/oder entgegnet ihm das folgende Fazit:
Es ist keine Schreckensnachricht, sondern vielmehr eine Erfolgsmeldung , dass das Schrumpfen noch dermaßen glimpflich ausgefallen ist!


Ja, der durchschnittliche PTQ ist kleiner geworden. Allerdings war gar nichts anderes zu erwarten, denn immerhin gibt es heute viel, viel mehr von den Dingern. Es ist keine Schreckensnachricht, sondern vielmehr im Gegenteil eine Erfolgsmeldung, dass das Schrumpfen noch dermaßen glimpflich ausgefallen ist!



Ursprünglich hatte ich an dieser Stelle ja vorgehabt, lang und breit darüber zu spekulieren, warum das Interesse an PTQs nachlässt. Da das jetzt jedoch jeglicher Grundlage entbehrt, schenken wir uns das. Und damit hat sich's.

Bis zum nächsten Mal tappt für euch weiter in finstrer Nacht...

TobiH
#452




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