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Deckbau-Theorie
von Marc Tschirch
02.06.2004

Vor einigen Wochen ist hier bei Planetmtg.de eine neue Rubrik entstanden, in der sich der geneigte Leser ein Thema wünschen kann und sich dann (hoffentlich) ein Schreiberling findet, der seine Gedanken dazu zu Papier bringt.
So wurde unter anderem ein Artikel vorgeschlagen, der sich mit der Theorie des Deckbaus im Allgemeinen befasst, dessen ich mich nun annehmen werde.
Ich hoffe, ich kann dem angehenden Deckbauer mit dem Folgenden eine kleine Orientierungshilfe an die Hand zu geben.

Schritt 1: Das Konzept

Das Allererste über das man sich klar werden muss, ist, was man mit dem fertigen Endprodukt denn überhaupt erreichen möchte. Klar, man möchte gewinnen.
Obwohl für so manchen Casual-Spieler mit den Initialen seiner Kreaturen „Alles Frisöre ausser ich“ zu buchstabieren ebenso ein legitimes Ziel sein mag. Unabhängig davon muss man sich überlegen, wie man dies erreicht. Die erste Inspiration, die Deckidee muss her.
Oft ist es eine einzelne Karte, bei der man sich einfach denkt, damit muss sich
doch etwas machen lassen. Beispiele aus jüngeren Editionen dafür wären March of The Machines, Deathcloud oder auch Endless Whispers aus Fifth Dawn. AlsoKarten mit einem Effekt, der spektakulär genug ist, um das Spiel zu bestimmen.
Doch auch weniger auffällige Sprüche können das Magierhirn zum Knistern bringen. So wie zum Beispiel im Urza Block. Pouncing Jaguar ist selbst für grüne Verhältnisse billig, aber auch nichts, das von selbst das Spiel gewinnt. Wild Dogs erst recht nicht. Albino Troll ist da schon etwas besser und Cradle Guard hat bereits eine stattliche Grösse. Beim Betrachten der Kartenliste denkt man sich bei jeder: „Hmm, gar nicht so schlecht. Recht billig für das, was sie kann.“ Wenn man sich das dann bei der dritten oder vierten grünen Kreatur denkt, sollte dann die Glühbirne über dem Kopf grell leuchten, weil man das Potential für ein schnelles Beatdown-Deck erkannt hat.
Auch recht beliebt als Ausgangspunkt für die Deckkonstruktion ist die Kartenkombo, wenn man erkennt das die Verbindung der Effekte von zwei, drei oder (besser nicht) mehr Karten den Sieg oder zumindest einen grossen Vorteil bringen.
Der ein oder andere, der bereits im Begriff ist wegzunicken, wird sich nun fragen, ob man das nicht auch hätte kürzer fassen können. Sicherlich, hätte man. Jedoch ist dies der wichtigste Punkt überhaupt. Sobald man die Frage „Welchen Plan zum Gewinn soll mein Deck haben?“ beantwortet, lassen sich für die folgenden Fragen gleich viel leichter Antworten finden.

Schritt 2: Die Auswahl der Karten

Hat man dann seine Ausgangsidee hinreichend klar umrissen, kann man sich an die individuelle Kartenauswahl machen. Während sich die ersten Exemplare noch von selbst ergeben, da sie das Grundgerüst des Decks bilden, sind die restlichen Spells nicht so offensichtlich. Da ein Deck mehr sein soll als eine Ansammlung der spielstärksten Karten in den passenden Farben, ist es hilfreich, wenn man folgende Prinzipien beachtet.

Relevanz

Zuerst muss die in Frage kommende Karte die Hauptvoraussetzung erfüllen, indem sie den eigenen Gewinnplan unterstützt. Abhängig vom Decktyp kann sich diese Frage vielfältig gestalten: Ist dies eine effektive Kreatur für mein Beatdowndeck? Schafft sie mir lästige feindliche Kreaturen vom Hals? Schützt sie mich vor sonstigen gegnerischen Attacken? Muss ich mich davor überhaupt schützen oder kann ich das ignorieren und mich lieber auf mein Spiel konzentrieren? Hilft mir die Karte schneller meine fehlenden Kombo-Teile zusammen zu ziehen? Beschleunigt sie das ins Spiel kommen meiner grossen Kreaturen? Ist sie das auch wert? Diese Liste könnte man nahezu endlos fortsetzen. Wichtig ist halt keine Karte ohne ausreichende Begründung aufzunehmen. Magic ist in diesem Punkt wie Sozialismus: Jeder muss zum Allgemeinwohl beitragen.
Beliebte Fehler an dieser Stelle sind Antworten für jede denkbare Situation in das Maindeck zu quetschen mit dem Hintergedanken, dass, wenn diese konkrete Situation auftritt, diese Karte herausragend gut ist. Leider wird das Deck dadurch nur verwässert.
So habe ich schon Nebel-Effekte (Verhindere allen Kampfschaden) in aggressiven Decks gesehen oder wahllos 4x Stone Rain, um den Gegner mal zufällig manascrewen zu können. Dies ist in der überragenden Anzahl der Fälle schlecht, kann aber tatsächlich mal Duelle gewinnen. Diese gewonnenen Duelle sind dann für den weniger informierten Spieler Rechtfertigung genug, wobei vergessen wird, dass man viele andere verlorene Duelle mit einer sinnvolleren Karte stattdessen gewonnen hätte.

Synergie

Jede Karte sollte nicht für sich alleine betrachtet werden, wenn man ihre Tauglichkeit bewerten möchte. Man sollte stets das Zusammenwirken mit den anderen Karten des Decks im Auge behalten. Ein nominell schwächerer Effekt kann unter Umständen durch sehr gute Interaktion mit dem Rest mehr als wieder
aufgewogen werden. Idealerweise kann man eine Karte in einem beliebigen Stadium des Spiels ziehen und einen guten Nutzen aus ihr ziehen.
Das beste Beispiel für hervorragende Synergie im aktuellen Metagame bietet das Affinity-Deck, in welchem sich fast beliebige Karten Kombinationen gegenseitig unterstützen.
Betrachte man die Pyrite Spellbomb, so verbilligt sie Frogmite, Myr Enforcer und Thoughtcast sowie Furnace Dragon, kann in den Arcbound Ravager oder für Shrapnel Blast geopfert werden und macht einen zusätzlichen Schadenspunkt mit Disciple of the Vault.
Dies Alles über die eigentliche Verwendung hinaus, Direktschaden auf Kreatur oder Spieler zu machen oder schneller durch das Deck zu kommen, um an Schlüsselkarten wie Skullclamp zu gelangen. Es ist also kaum eine Situation vorstellbar, in der diese Karte schlecht sein könnte.

Manakurve

Gerade viele Anfänger lassen sich dazu hinreissen, die Karten mit den stärksten Effekten für ihre Decks auszusuchen. Natürlich ist im direkten Vergleich eine 8/8 trampelnde Bestie besser als ein 2/2-Bär, aber eine vermeintlich schwache Kreatur im Spiel ist immer besser als eine Riesenvieh in der Hand des toten Magiers. Daher sollte man sich gut überlegen, wie man auch die frühen Runden des Spiels verbringen möchte. Gerade auch dann, wenn sich der eigene Spielplan erst spät umsetzen lässt.
Eben so wenig nützt es nur Sprüche mit weitgehend identischen Manakosten zu spielen. Kosten alle Sprüche zum Beispiel 3 Mana, ergibt sich daraus, dass man in den ersten beiden Runden nichts tut. In Runde 3 einen Spell spielen kann und ebenso in den folgenden Zügen bis man das sechste Mana erreicht nur eine einzige Karte ausspielt. Auch hier hat man, obwohl man sich von den teuren Sprüchen ferngehalten hat, eine unvorteilhafte Manakurve, da man nur einen Teil der eigenen Handkarten tatsächlich nutzen kann. Auf die richtige Verteilung kommt es eben an.
Viel sinnvoller wäre es hier auch Sprüche zu nutzen, die man schon in den ersten beiden Runden nutzen kann, sowie auch teurere Sprüche hinzuzufügen. Wenn man in den Runden, in denen einem 4 oder 5 Mana zur Verfügung stehen eh nur einen Spruch spielen kann, dann macht es nichts, wenn dieser auch mehr als 3 Mana kostet, da das sonstige Mana sonst nutzlos verfallen würde und im Allgemeinen davon auszugehen ist, dass man für die höheren Kosten auch einen besseren Effekt bekommt.
Auf die Spitze treiben diesen Gedanken die sogenannten Sligh-Decks, deren Philosophie es ist jede Runde das komplette zur Verfügung stehende Mana auszugeben, um so das Maximum aus der 1-Land-pro-Runde-Regel herauszuholen. Dieser Geschwindigkeitsvorteil kann dann von Decks, deren Manakurve viel weniger effektiv ist, selten wieder aufgeholt werden.
Daraus ergibt sich, dass man nicht nur feststellen muss, ob die Karte das Deckkonzept unterstützt, sondern auch, ob sie gut in den Spielfluss passt.

Redundanz

Da Magic ein Spiel ist, dass zum einem gewissen Teil vom Zufall bestimmt wird durch das Verwenden eines gemischten Decks, kann man sich nicht darauf verlassen, dass die statistisch gesehen im Schnitt ausreichende Anzahl von (sagen wir mal) Landzerstörungssprüchen auch tatsächlich immer in dieser Menge gezogen wird. Daher ist es besser, nicht sein Glück zu strapazieren und lieber einige Exemplare zusätzlich mit zum Duell zu bringen.
Das verleiht dem Deck ein gewisses Maß an Konsistenz, da sich die Draws sehr ähneln, und man kann sich somit auch darauf verlassen, dass man wirklich seinen Gewinnplan durchziehen kann.
Im konkreten Beispiel richtet zudem ein Landzerstörer, den man zu wenig zieht, einen viel grösseren Schaden an als einer zuviel. Im ersteren Fall ist der Gegner wieder im Spiel mit zum Beispiel einer schwer zu handhabenden Kreatur im letzteren hat man „nur“ eine nutzlose Karte. Dieses Beispiel lässt sich natürlich auch auf andere Situationen übertragen.

Metagame

Bei seinen Überlegungen sollte man immer mit einbeziehen, welche Decks und Karten die zukünftigen Gegner uns vorsetzten könnten. Um so genauereKenntnisse man vom Metagame hat, um so eindeutiger kann man die individuelle
Kartenauswahl treffen.

Stellen wir uns vor, wir bauen ein schwarzes Deck und wollen uns für unser Kreaturen-Removal entscheiden. Da bietet uns das Standardformat unter anderem Smother, Terror und Dark Banishing. Hier die richtige Wahl zu treffen ohne zu wissen, was uns erwartet schwer möglich. Weiss man von Affinity-Decks wählt man lieber Banishing als Terror. Wären schwarze Zombie oder Kleriker-Decks sowie weisse Weenies formatbestimmend möchte man doch lieber Smother haben. Ähnlich schwer fällt dann die Wahl zwischen Shatter und Electrostatic Bolt. Ohne die entsprechende Information hat man zu leicht nutzlose Karten im Deck.
Aus genau diesem Grund scheitern Kontroll-Decks oft nach einer Blockrotation. Sie sind darauf angewiesen, die Fragen (Bedrohungen) der aggressiven Decks richtig zu beantworten.
Da sie die Fragen nicht sicher kennen, haben sie zu oft die falschen Antworten parat. Ist das Metagame ein wenig später dann gefestigt, kann sich der Kontrollmagier leicht darauf einstellen und ist somit im Vorteil.

Sideboard

Die verbreitete Fehlvorstellung ist, dass man ein 60 Kartendeck baut plus einem Sideboard. Eigentlich sollte man jedoch ein 75 Kartendeck bauen. Will man ein wirklich ausgefeiltes Deck haben, darf man dem Sideboard nicht erst nachträglich seine Aufmerksamkeit widmen. So ist es völlig in Ordnung gewisse Schwächen des Maindecks zu ignorieren, wenn man einen einen todsicheren Sideboardplan dagegen hat.
Es gibt keinen Grund für den weissen Kontrollmagier sein Maindeck mehr gegen sein schlechtes Matchup Mono-Rot auszurichten (Silver Knights bieten sich an) und seine anderen Matchups im gleichen Zug schlechter zu gestalten, wenn er einfach vier Schutzkreise: Rot einwechseln kann und es für ihn dann fast unmöglich wird zu verlieren. Im Gegenzug muss sich der monorote Zauberer Gedanken darüber machen, dass sein tolles Deck vor dem Sideboarding ja super ist, aber möglicherweise einen Circle of Protection nicht überwinden kann. Kann er dann auch nichts nützliches dagegen boarden, muss er sich entweder mit dem verlorenen Matchup abfinden oder wenn die Anzahl der Weissspieler Überhand nimmt einsehen, dass dieses Deck, auch wenn das Maindeck noch so erfolgreich ist, für ein Turnier mit vielen Runden keine Gewinnchancen bietet.
Auch geschieht es oft, wenn das Sideboard erst nach Vollendung des Maindecks gebaut wird, dass die theoretische Überlegung des Hineinboardens von 8 Hasskarten im Konflikt steht mit der praktischen Möglichkeit die gleiche Anzahl von Karten sinnvoll hinausboarden zu können. Es nützt nichts, wenn das Matchup dann vorteilhaft wäre, falls man sie boarden könnte.

Manabasis

Da einem die besten Spells nichts nützen, wenn sie auf der Hand verschimmeln, sollte man eine gesunde Manabasis anstreben, d.h. eine möglichst hohe Wahrscheinlichkeit die Sprüche im Deck auch tatsächlich rechtzeitig nutzen zu können. So ist für jede weitere Farbe, die man ins Deck aufnimmt, zu bewerten, ob die hinzugewonnene Power auch den Aufwand wert ist.
So besteht eine Wechselbeziehung zwischen Sprüchen und Ländern. Nicht nur ergeben sich aus den Sprüchen die zu spielenden Länder. Wie gut die Manabasis eine bestimmte Farbe unterstützen kann, bestimmt auch mit, welche Karten es in das Deck schaffen. So wird der Rot-Spieler, der grün nur gesplasht hat, doch lieber zu Shatter als zu dem überlegenen Oxidize greifen.

Schritt 3: Finetuning

So wir haben es geschafft. Das Deck steht. Wir haben auch ein Sideboard. All unsere theoretischen Überlegungen sind zwar gut und schön, aber man sollte der neuen Konstruktion auch einigen Praxistests unterziehen. Oft trifft man da auf unerwartete Schwierigkeiten, dafür wurden dann andere Karten unterschätzt. Jetzt kann man seine ursprünglichen Entscheidungen anpassen, wenn man doch z.B. regelmässig grünes Mana für das Oxidize hat, sich die Karte, die man nur einmal im Deck hatte sich als echter Star herausstellt oder andere stattdessen einfach nicht das halten, was sie versprochen haben.
Man sollte auch bedenken, dass dies nur der erste Entwurf ist und man nicht zu schnell die Segel streichen sollte, falls man gegen etablierte Decks nicht so gut
aussieht. Schon relativ kleine Veränderungen können das Blatt wenden, wie ich an zwei Beispielen deutlich machen möchte. Drehen wir die Zeit zurück in die Jahre 1998/99, als der Urza Block gerade aktuell war. So gingen kurz nach der Veröffentlichung von Urza's Saga Gerüchte um, um mögliche Kombodecks mit Tolarian Academy, Time Spiral etc. Da die Internetgemeinde noch nicht so aktiv war wie heute, haben sich dann diverse Leute aus meiner damaligen Spielgruppe rangesetzt um ein solches Deck zu bauen. Wir konnte auch eine mässig erfolgreiche Version bauen, die aber leider ein bis zwei Turns zu langsam war, und wir lenkten unsere Aufmerksamkeit anderswo. Als ein wenig später Decklisten bekannt wurden, haben wir uns vor die Stirn geschlagen, da wir das Deck zu 95% richtig gebaut hatten, aber wir Windfall übersehen hatten, was im Nachhinein mehr als offensichtlich schien und mit ein bisschen mehr Recherche hätte entdeckt werden müssen. Ein ähnliches Spiel gab es wenige Monate später, als Yawgmoth's Bargain gedruckt wurde. Das roch einfach wieder zu sehr nach Kombo. Wieder hatten wir die einzelnen Puzzleteile richtig identifiziert: Yawgmoth's Bargain, Dark Ritual, Grim Monolith, Skirge Familiar, Yawgmoth's Will, Soul Feast etc. Trotzdem lief unserer Variante nicht so rund, wie die späteren, die das Standardformat dominierten.

Was man aus diesen Knapp-vorbei-ist-auch-daneben-Erlebnissen lernen kann, ist, dass es oft nur ein kleiner Schritt ist, von einem mässigen Deck zu einem Turniermonster und man daher nicht zu früh aufgeben sollte. In den seltensten Fällen entpuppt sich der Prototyp gleich als Tier 1-Deck. Deshalb muss man sich im Klaren sein, dass man einiges an Zeit und Arbeit investieren muss, wenn man wirklich ein spielstarkes Deck bauen will. Es durchläuft im Laufe des Testens eine evolutionsartigen Prozess, in dem die natürliche Auslese diejenigen Karten eliminiert, die ihre Leistung nicht bringen. Um so mehr Generationen man durchläuft, um so ausgefeilter ist das Endprodukt dann auch.

Ich wünsche euch von dieser Stelle aus viel Erfolg bei eurem kreativen Schaffen und hoffe, ich konnte ein wenig behilflich sein.

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