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Hunting for the Big Five
von Nico Bohny
29.01.2014

Vier Uhr dreißig, der Wecker klingelt. Ich winde mich geschickt nach links, um meine Hörgänge mit flauschigem Stoff zu überdecken, während meine Frau den Störenfried beim gefühlt zehnten Anlauf erwischt, ihm per geschicktem Handgriff den Saft abdreht und sich in Richtung Bad begibt. Das bedeutet temporärer Sieg über die Erweckung und nochmals Powernap. Als ich schon fast wieder in Richtung REM entgleite, werde ich dann doch noch von meinem weiblichen Weckapparat zurück ins Bewusste gezerrt und entgleite, während ich mir die Hauer reinige und die Backen netze, dem kalten Griff des Schlafes schließlich vollends. Ein wunderbarer Tag erwartet mich, aber irgendwie fühle ich mich noch so ein bisschen wie

Living End. Suspended.


Dennoch, draußen lauert bereits die Sonne und der frische Duft von Frühstück reanimiert mich zunehmend. Ich stehe vor unserem Bungalow, vor mir ein paar Zelte und weitere Häuschen, und die Wildnis. Wer von euch Diablo 2 kennt, kann sich das Ganze etwa wie Kurast vorstellen. Hoffentlich bitte, bitte ohne Spinnenmonstergruft. Die anderen sind auch schon wach, außer der Französin. Die schminkt sich bestimmt noch. Unser Koch Martin hat uns gesunde Kost aufgetischt, mit den vielen Früchten des Dschungels und Müsli, welches mich in nostalgischer Weise an mein Vaterland erinnert. Früher, als ich noch in der Schweiz wohnte und Müsli aß. Ich übertreibe. Mit gefülltem Bauch sammeln wir unsere wichtigsten Habseligkeiten, also Sonnencreme und Fotoapparat, und steigen auf unser Gefährt, welches ein wahrer Autokenner sicherlich beim Namen nennen könnte, aber ein Nerd wie ich eben nicht, darum nennen wir es mal „Safari Cruiser“. Oder vielleicht doch einfach nur Gefährt. Wir sind zu zehnt, plus unser Führer, nennen wir ihn doch mal Guide, und während er schon erstaunlich wach über die verschiedenen Tiere berichtet, die uns erwarten, halte ich mit wehendem Haar in die Natur blickend Ausschau nach Getier. Bislang nichts.

Was ist eigentlich mit dieser Pro Tour im Februar. Sollte man sich darüber nicht langsam Gedanken machen?


Sorry, ich schweife ab. Das passiert mir manchmal, wenn ich meinem Intellekt grad nichts Anspruchsvolles zu liefern habe, dann kommen da plötzlich die farbigen Pappkärtchen. Beunruhigend, kleinkindlich, entzugssymptomatisch, antrainiert? Ich weiß nicht so genau. Vor uns ein großes Tor. Wir müssen unsere Namen aufschreiben und unser Guide erklärt uns, dass wir nun an einem der Eingänge zum Krüger Park auf Einlass warten. Welchen wir auch kurz danach erhalten. Warum wir die Namen aufgeschrieben haben? Keine Ahnung, hat sich eh niemand angesehen. Ich hätte wohl Cruella De Vil auf die Liste schreiben können und sie hätten mich dennoch eingelassen. African Way of Security? Na, ich will mal keine Vorurteile haben. Wir fahren weiter. Einige hundert Meter und schon wandern uns die ersten Elefanten über die Straße. Knips, knips, klick, klick. „Now folks, this is an African elephant.“ Tatsächlich? Cool!

Call of the Herd.

Ruhe jetzt, innere Stimme! Schon imposant, die Tiere mal in der Wildnis (auf der Straße *hust, hust*) zu sehen. Ich mag Tiere! Und Elefanten haben diesen leicht depressiv angehauchten Hundeblick, einfach zuckersüß. Ich übertreibe wieder, und aus meinen sarkastischen Zeilen möchte man fast interpretieren, ich würde mich über diese gigantischen Tiere und unseren Trip im Allgemeinen lustig machen, aber mal ganz im Ernst, das ist einfach nur mein Schreibstil. Ich liebe Tiere! Und sie hier aus nächster Nähe zu sehen ist einfach gewaltig. Ein paar Meter weiter eine Herde Nyalas (nicht Nylea!). Aber wir fahren weiter, von denen würden wir noch jede Menge sehen. Unser Ziel: Die Top 5! Elefant, Spitzmaulnashorn, Büffel, Löwe, Leopard. Und natürlich auch die anderen seltenen Tiere. Erstaunlich, woher ich all die anderen Tiernamen in Englisch immer kenne, die unser Guide erwähnt.

Hunting Cheetah, Charging Rhino, Giant Warthog. Was sind eigentlich die Big 5 im Modern zur Zeit?

Wir fahren weiter. Eine ziemliche Strecke, ohne ein neues Tier zu sehen. Meine Gedanken driften wieder ab …


Jund schon mal auf jeden Fall, oder nennen wir's mal BGx, und Twin wahrscheinlich auch. Auf der Pro Tour sowieso, die klugen Leute und die, die sich dafür halten, spielen gerne Blau. Dann aber sicher auch UWR. Und Pod wird auch fleißig gespielt, solange er noch nicht gebannt ist. Könnte ja sein, dass der gute Bannhammer den erwischt. Dann noch Tron? Oder Living End? Hatte beides immer mal wieder gute Auftritte bei Grand Prix. Quatsch, nein, ich hätte ja Affinity beinahe vergessen. Da gibt es ja tatsächlich einiges an Decks und Diversität zeichnet ein gutes Format schließlich aus. Wahr? Wahr! Ob's noch neue Bannings vor der Tour gibt? Oder Unbannings? Auf Ancestral Vision hätt ich schon Bock – Bitterblossom soll ruhig gebannt bleiben, das hat meine genialen Kontrolldecks immer hart zerstört. Auch Jace, the Mind Sculptor soll auf der Liste bleiben, der ist mir ohnehin zu kompliziert. Und zu teuer.

Während meiner kleinen Tagträumerei sind wir wieder an ein paar Tieren vorbeigefahren. Ein paar Giraffen hier, ein paar Schweinchen da. Ist Zoo noch ein Deck? An einem kleinen Camp halten wir an. Die Mädels müssen aufs Klo und die Jungs wollen was Kühles trinken. Mit erfrischendem Getränk beobachte ich die Affen, die auf dem gegenüberliegenden Baum umherturnen. Einige erinnern mich an meine Schüler. Ob es bei Affen auch ADHS gibt? Oder ob das einfach zu denen gehört wie die flauschigen Öhrchen und der rote Hintern?


Die Reise geht weiter. Vor mir beginnt die Deutsche zu dösen. Sieht ganz lustig aus, ihr Kopf knickt immer langsam nach vorne, und dann zuckt sie wieder zusammen und geht in die Senkrechte. Sieht aus wie Headbangen in Zeitlupe. Auf jeden Fall nicht erholsam oder so. Der Australier zur Linken soll sich doch den Ruck geben und als Gentleman seine rechte Schulter anbieten. Wir passieren eine Hyäne, ein paar Geier und eine Herde Büffel. Büffel? Die sind ja auch Big 5!

Und waren im Coldsnap-Limited auch ganz anständig, vor allem als Herde. Aber im Modern eher nicht, und schon gar nicht Big 5. Wie cool waren damals eigentlich diese blau-weißen Kontrolldecks, die ich im Extended und Standard gespielt habe. Die waren wirklich gut. Runed Halo war ja so cool, wenn's nur diese verdammte Bitterblossom nicht gegeben hätte. Moment. Bitterblossom? Gebannt! Hmmmm. Ist Runed Halo nicht Absolute Nuts im momentanen Modern? Storm? GGGGGGGGG! Valakut? Fast schon GG! Infect? Hexproof? Harharhar, das perfekte Verbrechen. Okay, überlegen wir mal. Welche Decks muss das Deck schlagen. Nehmen wir einmal Jund, Pod, Twin, UWR und Affinity. Gegen Kontrolle scheinen mir Birthing Pod, Liliana of the Veil und Planeswalker im Allgemeinen, Cranial Plating sowie Manlands schlimm zu sein. Wie wär's also mit Pithing Needle? Vielleicht noch einen Weg, die in den irrelevanten Matchups loszuwerden. Thirst for Knowledge! War in Modern Masters ja auch schon die Wucht. Okay, dann brauchen wir aber noch ein paar Artefakte mehr für den Thirst.

Draußen ein Gnu.

Relic of Progenitus wär cool. Tötet Living End, gut gegen Snappi, top gegen Storm, super gegen Jund. Mal zu schweigen von möglichen Goryo's Vengeance-Decks oder Open the Vaults. Gekauft. Passt so weit – jetzt brauchen wir noch was gegen Tiere. Runed Halo steht bereits, das ist zudem random toll gegen Planeswalker und Manlands und kriegt schon fast alles Problematische wie Thrun, the Last Troll oder Etched Champion aufgehalten. Dann der Blitz, logo. Pfad sollte man wohl auch den einen oder anderen spielen und dann natürlich noch die eine oder andere Helix. Vielleicht auch Electrolyze. Dazu noch Pyroclasm, sonst verliert man noch gegen unfaire Starts oder gegen Geist of Saint Traft. Und dann offensichtlicherweise auch Snapcaster Mage. Ob der nicht am Relic vorbeischießt? Na ja, man muss ja die tollen Karten nicht immer entfernen. Dann brauchen wir noch Counter. Sicher ein paar Cryptic Commands, das kann nie schaden. Und noch was für zwei Mana – Mana Leak, Remand? Eventuell sogar Negate? Und schließlich benötigen wir noch eine Wincondition. Am liebsten Länder, die nehmen den tollen Spells nicht den Platz weg. Wie wär's denn mit Mistveil Plains. Hat doch früher auch schon immer allen Spaß gemacht. Und wer bitteschön will das besiegen, wenn man Needles für Tectonic Edge und Ghost Quarter hat. Das wird gut!

Nach den paar Zebras ist Mittagessen angesagt. Fleisch und Gemüse, ein bisschen Knabbereien, und sogar Deutschland ist wieder auf den Beinen. Hier noch ein wenig Smalltalk, dort noch ein paar spannende Inputs zu den gesehenen Tieren. iPhone gezückt:

Wer kann so ein Deck schon besiegen?! Vielleicht Tron? Upps, das könnte tatsächlich haarig werden. Darauf sollte man sich möglicherweise per Sowing Salt vorbereiten. Man hat ja auch sonst so tolle Sideboardkarten in den Farben – Rest in Peace, Stony Silence, all die unfairen Sachen halt. Vielleicht noch was gegen Blood Moon und dann sind wir gegen alles gewappnet.


Es dunkelt langsam. Stimmungsmäßig äußerst imposant. Vor uns steht ein Grüppchen dunkler Nashörner. Wahnsinnig selten, wie unser Guide uns versichert. Daneben eine kleine Herde Büffel, die sich in einem sumpfigen Wasserloch baden. Aber halt, meint da der Silberrücken der Nashörner, wir wollen auch mal Wasser, und nähert sich vorsichtig den Büffeln. Ausnahmsweise mal kein Klicken von Kameras, die Stimmung steigt. Was wird passieren? Geben die Büffel klein bei oder kämpfen sie um ihr wertvolles Revier?


Aber 8/4, Trample scheint selbst einer Horde Büffel Respekt einzuflößen. Sie geben klein bei und verlassen das Battlefield, zu ihrem Glück nicht Richtung Graveyard.

Nachdem wir die Stimmung des eindunkelnden Dschungels erlebt haben, meldet sich, während die nachtaktiven Raubkatzen langsam auf die Pirsch gehen, auch bei uns langsam der Hunger. Es geht zurück zum Camp, wo Koch Martin bereits auf unsere Ankunft wartet. Die Bäuche werden gefüllt und der Kühlschrank geleert. Und was wäre ein gelungener Tag ohne Abendprogramm?! Also fangen wir an, diverse Trinkspiele zu spielen, schließlich geht's morgen wieder zurück nach Johannesburg, und YOLO und so. Auch unser Guide und Martin sind dabei. Nachdem unsere Gruppe etwa auf die Hälfte geschrumpft ist und der Mond schon hell und klar am Himmel steht, äußert der Australier die brillante Idee, auf Nachtsafari zu gehen. Der Guide verweigert, man schenkt ihm neuen Whisky ein. Nach dem zweiten Glas hält er die Idee ebenfalls für genial. Wir machen uns auf, mit genügend Radau, um sicherlich jegliche Lebewesen auf uns aufmerksam zu machen, und legen uns irgendwo mitten in der Wildnis auf eine einsame Brücke. Man kann wunderbar die Sterne sehen und hört einiges an Geräuschen des Nachtlebens der Natur. Vor allem aber von angetrunkenen Touristen. Ich lege mich hin und schaue in die Sterne.

Was soll ich bloß spielen auf der Tour?

Es ist Zeit, wieder nach Kurast zu fahren. Bei offener Türe, weil irgendein Clown sich aus dem Bus raushängen muss. Man kommt ja sonst nicht zu Aufmerksamkeit, hier draußen im Dschungel. Habe ich eigentlich erwähnt, dass sich in unserem Camp ein Pool befindet. Nicht? Dann sollte ich das spätestens jetzt tun, denn was gibt es Besseres als einen angetrunkenen Mitternachtsschwumm? Martin hat sich einen Karton Wein aus der Küche geholt und füttert vom Poolrand aus alle, die wie Seehunde mit dem Flossen klatschen und dazu authentische Geräusche machen. Also primär mich. Als der Karton leer ist, merke ich, dass während meiner Verwandlung zum Wassertier gewisse Magnetismen gewirkt haben müssen, welche der Annäherungen unserer Gruppe in die Hände gespielt haben könnten. Und immer Männchen und Weibchen, was ein Zufall. Was Onkel Alkohol und Tante Gravitation uns da wieder beschert haben. Vielleicht sollte ich mich langsam zu meiner mittlerweile sicherlich auch schon schlummernden Ehefrau gesellen, um dem guten Beispiel zu folgen?

Wie war das noch mal mit dem Deck?

Mit einem letzten Blick gen Sternenhimmel verlasse ich schwankend den Pool. Und wenn mein Körper mir des Geistes Frage beantworten könnte, so würde er dies wohl sehr wahrscheinlich mit folgendem Wort tun:

Monoblau.




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