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Meine clevere Idee
von Michael Diezel
01.09.2010

Die Deutsche Magic-Meisterschaft erinnert mich immer ein wenig an eine gute Fernsehserie. Wiederkehrende Protagonisten und bekannte Schauplätze erfahren völlig neue Stories, Nebencharaktere werden zu Helden und tragische Momente sind ebenso vorhanden wie komische. Am Ende steht für viele ein Happy End oder aber der allgegenwärtige Cliffhanger und der Vorsatz, die Geschichte in der nächsten Folge besser zu gestalten. Zumindest will man aber den nächsten Teil auf keinen Fall verpassen.

Die Episode 2010 begann zunächst wieder im schönen Leipzig, wo die Vorbereitungen für das anstehende Event getroffen werden mussten. Ein gutes Standarddeck musste her und auch für den Draftteil sollte man ebenfalls vorbereitet sein. Überraschenderweise etablierte sich tatsächlich so etwas wie eine Testgruppe, deren Ruhm sogar den Berliner Thoralf „Toffel“ Severin zu einer kurzen Bahnfahrt animierte.

In diesem Grüppchen gingen wir von einem Metagame aus, welches hauptsächlich durch UW, Jund und GWx geprägt sein würde. Außerdem wurde schnell deutlich, dass sowohl Ramp- als auch Ascensiondecks ziemlich gut sind und dies wohl auch andere feststellen würden. Hingegen rechneten wir mit vergleichsweise wenig Monorot, welches nicht nur durch M11 einige neue Feinde gewonnen hat, sondern auch immer noch von vielen Spielern als „ihren Playskills nicht angemessen“ angesehen wird.

Da mir schon von meinen Leipziger Kollegen deutlich gemacht wurde, wie viel Zeit und Energie manche in die Perfektionierung bestimmter Decks stecken, war recht schnell klar, dass ich kaum zu einem der bekannteren Decks greifen konnte, weil mit Sicherheit einige Spieler der DM dieses viel besser spielen würden. Insofern benötigte ich unbedingt etwas zumindest halbwegs Kreatives. Als eifrige Leser meiner Kolumne habt ihr bestimmt mitbekommen, dass ich zwei Decks der letzten Wochen als konkurrenzfähig eingestuft hatte: Ascension und UG-Tokens. Das war auch tatsächlich ernstgemeint, denn zwischen diesen beiden Decks sollte meine Entscheidung fallen.

Favorit dabei war das Ascension-Deck, zumal ich sehr zufrieden mit meiner doch recht speziellen Version war:


4 Pyromancer Ascension
4 Lightning Bolt
4 Burst Lightning
4 Ponder
4 Preordain
3 Into the Roil
4 See Beyond
4 Mana Leak
4 Double Negative
3 Jace's Ingenuity

4 Scalding Tarn
12 Island
6 Mountain


Sideboard:

4 Coralhelm Commander
4 Horizon Drake
4 Conundrum Sphinx
3 Spell Pierce


Obwohl es mit den üblichen Listen fast identisch ist, sorgt eine kleine Veränderung dafür, dass man einen etwas anderen Ansatz hat. Versucht der Rest der Ascension-Decks solange zu überleben, bis er in den Loop aus Ascension, Time Warp und Call to Mind gehen kann, um den Gegner mit unendlichen Blitzen direkt zu töten, spielt man hiermit eigentlich reine Kontrolle, welche den Aufstieg des Feuerkundlers als (langsame) Win-Option verwendet.

Die Begründung für diesen Wechsel liegt in der Karte Time Warp (und damit auch Call to Mind) begründet. Beide sind vergleichsweise teure Sorceries, die ohne aufgeladene Ascension nur sehr wenig Effekt haben. Das ist gegen nicht-blaue Decks meist nicht sonderlich schlimm, da man zumindest Time Warp einfach als teuren Cantrip spielen kann. Gut ist allerdings anders. Gegen Decks mit Mana Leak jedoch wird es auf einmal richtig gefährlich, weil man mit einer 5-Mana-Hexerei normalerweise die Hose herunterlässt. Gibt es dann den Gegenzauber ist man relativ hilflos in der folgenden Gegnerrunde. Keine gute Idee in einem Standardformat, in dem sehr viele Decks aus unendlich vielen Karten bestehen, die das Spiel allein gewinnen können.


Anstelle der Kombokarten gibt es also mehr Kontrolle. Dadurch gewinnt man zwar nicht mehr direkt, aber mal ehrlich: In der Regel wird es trotzdem schwer, noch zu verlieren, wenn man die Ersatzkarte für Time Warp (Jace's Ingenuity) kopiert spielen kann. Und dass „Draw 3“ besser ist als „Draw 1“, darüber brauchen wir wohl nicht diskutieren.

In der Theorie kann man ohne Call to Mind natürlich in Schwierigkeiten geraten, überhaupt 20 an den Kopf zu schießen, da man sich die Blitze ja nicht wiederholen kann und somit genau acht Blitze zur Verfügung hat, mit denen (und deren Kopien) man den Gegner umballern muss. In der Praxis hingegen habe ich deswegen genau ein Spiel verloren und da zeigten sich zufälligerweise sieben Blitze in den ersten circa 15 Karten.

Dieses Ascensiondeck hat in Spiel 1 ein sehr gutes Matchup gegen UW und Monorot (!), ein gutes gegen die ganzen Noble Hierarch-Decks und ein leicht positives im Duell mit Jund, Ramp und dem Mirror. Das bedeutet zweierlei: Zum einen gibt es quasi kein Deck, gegen welches man vor dem Boarden schlechter dasteht als 50:50, und zum anderen, dass unser DM-Finale nicht den ganz überraschenden Ausgang genommen hat, als der ein Sieg von Ramp über Ascension oft dargestellt wurde.

Ein kleines Problemchen gibt es bei dem Deck trotzdem: Die Spiele werden bei der DM leider nicht als „Best of one“ gespielt, sondern mindestens ein, schlimmstenfalls sogar vier Spiele würden unter Zuhilfenahme des Sideboards stattfinden. Doch während für andere Decks darin tatsächlich „Hilfe“ zu finden ist, kann man ein Deck wie Ascension kaum verbessern, da man sonst immer Gefahr läuft, die eigentliche Kombo-Maschinerie (also Pyromancer Ascension und billige Spells) zu verlieren oder zumindest spürbar abzuschwächen. Logischerweise verschlechtern sich nahezu sämtliche Matchups dadurch ziemlich stark, da die gegnerischen Decks auf einmal Antworten auf die namensgebende Verzauberung und gleichzeitig weniger totes Kreaturenremoval haben. Am besten kann man das vielleicht mit den berüchtigten Dredge-Decks vergleichen, die ebenfalls fast immer ein gutes bis extrem gutes Preboard-Matchup haben, aber danach einfach rausgehatet werden können. Ähnliches erwartete ich auch für Ascension, zumal ungefähr alle Leute, mit denen ich gesprochen habe, dieses Deck im Vorfeld auf dem Radar hatten.


Die einzig mögliche Lösung ist ein Morph-Sideboard, durch das man die Option erhält, den kompletten Gameplan zu ändern. Dabei entfernt man Ascension und weiteren dann unbenötigten Kram zugunsten einer neuen Idee. Egal ob jetzt Kiln Fiend, Echo Mage, Polymorph, wie von den Gräfensteinern perfektioniert, oder eben die zwölf blauen Flieger – sämtliche dieser Pläne beruhen darauf, den Gegner zu überraschen. Tatsächlich klappt das gegen bestimmte Decks ziemlich gut, nicht jedoch gegen Jund. Mag sein, dass Polymorph auch da funktioniert, meine zwölf Flieger jedenfalls hatten das Problem, dass Junddecks so viele schlechte Karten in diesem Matchup hatten, dass sie gezwungen waren, einige der weniger suboptimalen zu behalten. Blitze oder Obstinate Baloth etwa, die leider ausgesprochen gut im angestrebten Race sind, sodass man über die Kreaturen ungefähr nie gewinnt. Da man mit dem Ascension-Plan ebenfalls kaum noch gegen Duress und Co. zurechtkommt, wird das Matchup nach dem Boarden ausgesprochen schlecht.

Da ich aber auf keinen Fall etwas spielen wollte, was deutlicher Underdog gegen Jund ist, war Ascension leider raus. Immerhin ließ sich der Toffel davon nicht abhalten und hat es mit durchwachsenem Erfolg bei der DM versucht.

Somit musste das Overrun-Kombo-Deck ran, zu dem wirklich schon fast alles Wichtige gesagt worden ist. Zur Referenz nur noch einmal schnell die Deckliste:


4 Noble Hierarch
4 Birds of Paradise
4 Sylvan Ranger
4 Nest Invader
4 Sea Gate Oracle
4 Kozilek's Predator

3 Shared Discovery
4 Unified Will
3 Mana Leak
3 Jace, the Mind Sculptor
3 Overrun

4 Misty Rainforest
2 Verdant Catacombs
2 Island
6 Forest
4 Khalni Garden
2 Halimar Depths


Sideboard:

4 Overgrown Battlement
4 Obstinate Baloth
3 Sphinx of Jwar Isle
2 Jinxed Idol
2 Pithing Needle


Während ich mit dem Maindeck immer noch sehr zufrieden bin, muss das Sideboard überarbeitet werden. Hierbei tritt jedoch ein ähnliches Phänomen wie beim Ascension-Deck auf, was die Asuwahl erschwert: Der Feind bringt gute, ja, teilweise richtig fiese (Cunning Sparkmage, Pyroclasm...) Sachen, während man selbst kaum etwas machen kann, ohne den Fluss des Decks zu gefährden. Immerhin gibt es ein paar gegnerische Listen, die auch kaum etwas machen können, etwa UW, sodass man in diesen Matchups quasi dreimal Spiel 1 absolviert.

Dadurch kann man gezielt auf die Matchups eingehen, die entweder vor dem Boarden furchtbar sind (Monorot) oder tatsächlich gute Karten im Sideboard haben (Jund, Ramp, Naya). Da die genannten normalerweise die kleinen Tierchen (und somit die Manabasis) angreifen und gleichzeitig Druck aufbauen, war die Idee, den Druck zu mildern, zugleich die Manasicherheit zu gewähren und dabei die Abhängigkeit des Decks von im Spiel liegenden Männermassen zu reduzieren. Das führte zu der Kombination aus Overgrown Battlement, Obstinate Baloth und Sphinx of Jwar Isle. Damit bin ich nicht sonderlich zufrieden, sehe jedoch zumindest in der Farbkombination keine wirklichen Alternativen.

Eine kurze Anmerkung zum Baloth: Ich mag den Discard-Teil der Karte überhaupt nicht und zwar aus dem einfachen Grund, dass er für viele Decks im Jund-Matchup noch einen weiteren Zufallsfaktor einbaut, nämlich die Frage, ob er beim Blightning auf der Hand ist oder nicht. Klar kann der Jund-Magier Blightning theoretisch herausboarden, allerdings ist das nicht immer clever, selbst dann nicht, wenn man weiß, dass die Baloths kommen. Beim Testen des Viertelfinalmatchups Jund vs. Ramp etwa lief es dadurch fast immer auf unbeeinflussbare Faktoren hinaus:

Wer beginnt das Spiel?
Hat Jund den Putrid Leech?
In was kaskadiert der Bloodbraid Elf?
Wie viele Baloths wirft Ramp ins Blightning?

Das sind für meinen Geschmack deutlich mehr Zufälle, als ich je in einer ernsthaften Partie begegnen möchte. Aber nur noch wenige Wochen, dann löst sich das Problem von selbst.

Das Problem dieser elf Sideboard-Karten ist, dass wenig Slots für andere Matchups bleiben. Die Jinxed Idol gegen langsame Decks mit wenigen Kreaturen sind beispielsweise richtig gut, aber nicht zwingend benötigt. Pithing Needle hingegen braucht man eigentlich nur gegen Fauna Shaman, Cunning Sparkmage und Gideon Jura, dagegen aber auch unbedingt, was mit zwei Exemplaren kaum sichergestellt werden kann. Zusätzlich wäre noch eine Karte für die Race-Matchups wichtig, bei denen es meist darum geht, ob der Overrun rechtzeitig gefunden und gespielt werden kann. Dafür wären weitere Overrun-Effekte oder Sleep zu verwenden, zumal man mit den sieben Gegenzaubern recht schnell Karten findet, die man eigentlich nicht mehr im Deck haben möchte.

Doch wie gesagt, im Großen und Ganzen passt das mit dem Deck so. Constructed macht jedoch nicht einmal 60% des Turniers aus, für den Rest müssen M11-Booster geöffnet und verdraftet werden.


Nach dem von mir geliebten Eldrazi-Draft, dessen Fokussierung auf bestimmte Archetypen mir sehr entgegenkam, wirkt M11 zunächst wie ein Sprung zurück. Ein Sprung mit Siebenmeilenstiefeln. Statt synergetischen Konstrukten nimmt man einfach die besten Karten und beschränkt die Interaktion derer auf das gelegentliche Verzaubern eines Sacred Wolf oder das Opfern eines geklauten Mannes in den Vampir der Wahl. Dadurch kann man die einzelnen Karten viel besser im Vakuum betrachten und Pickreihenfolgen lernen. Natürlich lässt sich immer noch viel falsch machen, aber man wird nur selten derartig verloren sein, wie in einem Eldrazi-Draft, in dem man keinen anderen Plan verfolgt, als „gute Karten“ zu nehmen.

Immerhin ist der M11-Draft massiv besser als das M10-Pendant, da man sehr ordentliche Beatdowndecks zustande bekommt und dadurch die Wirkung von Bomben reduziert wird. Das bedeutet freilich nicht, dass diese überhaupt keine Bedeutung mehr hätten – allein die Spiele, die ich gegen Sword of Vengeance verloren habe, lassen sich nicht mehr an zwei Händen abzählen – aber zumindest kann man auch einen Drafttisch gewinnen, ohne fette Rares geöffnet zu haben.

Weitere Sachen, die mir vor Beginn der DM zum Thema im Kopf herumschwirrten, waren:

Weiß und Blau sind die mit Abstand besten Farben, da das jeder weiß, aber häufig überdraftet.

Die Printruns sind superseltsam. Völlig leere und unendlich tiefe Booster wechseln sich gern ab, was manchmal das Lesen der Zeichen ganz schön schwierig macht.

Tiefrote Decks profitieren davon, dass normalerweise keiner Rot für mehr als Blitz oder Feuerball spielen möchte. Karten wie Chandra's Outrage, Fiery Hellhound, Shiv's Embrace oder gar Cyclops Gladiator kann man dadurch teilweise sehr spät einsammeln. Allerdings klappt das gleich überhaupt nicht mehr, wenn noch andere Leute am Tisch diese Idee haben.

Das schwarz-rote Sac-Action-Deck um Bloodthrone Vampire, Act of Treason und Fling ist wirklich gut, da man nur hiermit auch vergleichsweise schlechte Picks noch aufwerten kann. Im Idealfall bekommt man so zunächst die gleichen Spoiler wie alle anderen, statt nerviger Füller spielt man aber zusätzlich richtig gute Karten. Das Risiko dabei besteht in der Schwäche der Einzelkarten, wenn sie nicht zusammenkommen, sei es, weil man sie nicht zusammen zieht, oder aber, indem man nicht genug Kopien von Sacoutlet beziehungsweise opfernswerter Karte draften konnte.

Bei Weiß sollte man sich schnell überlegen, ob man Beatdown oder Kontrolle draftet, um die entsprechenden Pickentscheidungen richtig treffen zu können. Weiß ist dabei die einzige Farbe mit der Tiefe, um einer solchen Frage tatsächlich Relevanz zu verleihen.

Ich hatte des Öfteren Probleme, auf genügend Kreaturen zu kommen, ohne jeden Zonk spielen zu müssen. Deswegen bewerte ich alles mit Armen und Beinen (oder besser: Power und Toughness) höher als (Nicht-Removal-) Sprüche.

Daraus ergab sich der Plan, entweder Rot (Mono- bzw. RB) oder Weiß zu draften. Letzteres lässt sich dabei mit jeder Farbe außer Schwarz kombinieren, wobei Rot Burn, Blau Flieger und Grün pimpbare Wölfe liefert. Im Normalfall wäre das weiße Deck ziemlich aggressiv, was auch der Theorie des neuen Meisters entspricht:

„In M11 draftet man entweder Tempo oder Bomben!“
– Dennis Johannsen

Wie sich das Ganze dann in der Realität umsetzen ließ, das erfahrt ihr nächste Woche (in gewohnter Länge), wobei auch folgende Fragen beantwortet werden:

Welche Frage stellen bayrische Gastwirtinnen potenziellen Gästen zuerst?
Wie viele junge Männer passen in einen Mercedes Sprinter?
Was ist das Lieblingslied von Volkan Baga?
Wer gewann das epische Laufduell zwischen dem „Borussenblitz“ und dem „weißen Äthiopier“?
Was hat das alles mit Magic zu tun?

Bis dahin verabschiede ich mich mit einem dicken Dankeschön an alle, die mir in Aschaffenburg die Daumen gedrückt haben!

Der MiDi




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