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Quo Vadis Core Set?
Teil 1: Die Welt geht nicht unter!
von Andreas Pischner
20.07.2003

Diese kleine Artikelreihe (wie viele Teile es genau werden, kann ich noch nicht sagen, wahrscheinlich irgendetwas zwischen zwei und vier) befasst sich mit dem Magic-Ereignis dieses Sommers: Der Achten Edition, die Ende des Monats erscheinen wird. Ich habe mir eine Menge Gedanken über Sinn und Unsinn des Grundsets und einzelne Aspekte seiner aktuellen Inkarnation gemacht und möchte diese mit Euch teilen. Wer Kartenbewertungen, Deckideen oder Trinker-Anekdoten erwartet, sollte lieber etwas anderes lesen! Hier geht es mir um eine Analyse der Bedeutung des Core Sets für Magic. Nein, ich erwarte nicht, dass das jeden Einzelnen von Euch interessiert! Zur Not wisst Ihr ja wohl, wie man eine Seite wieder schließt...

In diesem ersten Teil rede ich darüber, wie meine Kritik generell einzuordnen ist, und vor allem darüber, was sie NICHT ist: Verzweiflung oder Entsetzen darüber, dass "die Schweine Magic getötet haben"!



Nun ist es also so weit: Magic wird zehn Jahre alt! Das ist ein ziemlich beeindruckendes Alter für ein Sammelkartenspiel und beweist, dass es sich hierbei keineswegs um einen vorübergehenden Trend handelt. Beinahe von Beginn an, seit es Magic gab, konnte man im Internet bereits Stimmen finden, die sein baldiges Ende vorhersagten, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Dass diesen Pessimisten nach und nach sämtliche stichhaltigen Argumente entzogen wurden, stört sie nicht: Jede Neuerung, jede Änderung wird wieder von selbsternannten Kassandren begleitet, die Weltuntergangsstimmung verbreiten wollen.

Ich kann nur sagen: Hört nicht auf den seltsamen Mann mit dem Schild "Das Ende ist nah!"

Magic hat seine Krisenjahre weit, weit hinter sich gelassen und steht nunmehr sicher auf einem Fundament, das nur mehr von starken äußeren Einflüssen erschüttert werden kann - einer wirklich schlimmen Weltwirtschaftskrise, einer weltweiten Suche, einem globalen Krieg oder ähnlichen Horrorszenarien.

Die Fakten sind eindeutig: Die Kartenverkäufe sind besser als je zuvor, die Anzahl der sanktionierten Turniere pro Jahr steigt stetig und neue Editionen erscheinen mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks (Als Magic-Spieler nimmt man das als Selbstverständlichkeit hin, wer aber auch andere sammelbare Spiele kennt, wird das zu schätzen wissen!).

Neben diesen objektiven Kriterien kann ich letzte etwaige Zweifel vielleicht auch durch meine persönlichen Beobachtungen als Verkäufer im Hobbybereich ausräumen: Die Zahl der Neuanfänger ist größer als je zuvor, aber auch die Zahl der Wiedereinsteiger wächst. Magic bleibt quer durch die Altersgruppen von 9 bis 39 erfolgreich und erschließt sich zunehmend auch neue Spielerschichten abseits von der Kernzielgruppe des Spiels: Leute über 40, Frauen und Mädchen, Menschen mit geringerer Bildung.

Diesen Beobachtungen kann man kaum etwas entgegensetzen, was nicht bei näherer Betrachtung als kurzsichtiges "Ich mag diese oder jene Entwicklung persönlich nicht" verpufft (auch wenn die Formulierungen für gewöhnlich erheblich ausdrucksstarker und absoluter sind). Selbst der obligatorische Aufschrei bei jeder neuen Entwicklung ist ein gutes Zeichen, beweist er doch, dass 1. immer noch vielen Leuten an dem Spiel etwas liegt und 2. tatsächliche Innovationen stattfinden! Kontroversen sind das Zeichen eines lebendigen Spiels; gäbe es sie nicht, könnte das nur bedeuten, dass es stagnierte und am Desinteresse der Zielgruppe einginge.

Wer sich die Mühe macht und die äußerst aufschlussreichen Kolumnen auf magicthegathering.com verfolgt (insbesondere diejenigen von Mark Rosewater, Randy Buehler und Aaron Forsythe) wird feststellen, dass dort eigentlich alle wichtigen Entscheidungen der Produzenten auch tatsächlich erklärt werden! Diese Transparenz ist eine Entwicklung der letzten Jahre und zeigt sehr deutlich, dass sich die Macher wirklich bemühen, verstanden zu werden, ebenso, wie sie zweifellos auch tatsächlich auf Feedback aus der Magic-Gemeinde Wert legen. Die Einblicke, die man dort erhält, führen nachdrücklich vor Augen, dass die Entwickler die drei grundlegenden Qualitäten besitzen, die für den Fortbestand des Spiels bedeutend sind:

1. Die nötige Kompetenz. Die Leute wissen, wovon sie reden! Sei es der Überblick über die Eigenheiten von Constructed- oder Limited-Formaten, seien es die Schwierigkeiten, die beginnende Spieler mit dem Erlernen der Regeln haben, oder seien es die theoretischen Grundlagen des Spiele-Designs: Hier sind Profis am Werk!

2. Der Blick voraus: Als ich vor einigen Jahren las, dass bei WotC Magic nicht nur für die nächsten zwei, drei oder fünf Jahre geplant würde, sondern für die "Ewigkeit", war ich noch sehr skeptisch. Jetzt bin ich überzeugt! Über Jahre hinaus sind konsequente Entwicklungen zu erkennen und Entscheidungen werden oft richtungsweisend für eine ferne Zukunft getroffen.

3. Der Mut zur Veränderung: In schöner (und schockierender!) Regelmäßigkeit werden heilige Kühe geschlachtet. Dabei werden heftige negative Publikumsreaktionen (und Reaktionen bei Veränderungen sind, wenn es sich nicht gerade um eine Preissenkung handelt, IMMER negativ) bewusst in Kauf genommen. Ohne diesen Mut wäre die Kompetenz nutzlos und der Blick voraus nicht möglich.

Alle diese Beobachtungen zusammengenommen (der Erfolg des Spiels, die Entwicklung der Kundschaft, die Einblicke hinter die Kulissen) lassen gar keinen anderen Schluss zu, als dass Magic erfolgreich bleiben wird!

...aber damit will ich nicht behaupten, dass die Designer nicht auch Fehler machen würden, oder dass ich mit allen ihen Entscheidungen einverstanden wäre. Im Gegenteil habe ich da so manches Hühnchen mit ihnen zu rupfen! Im Verlauf dieser Artikelreihe werde ich vieles kritisieren. Ich halte es jedoch für notwendig, folgende Dinge vorauszuschicken:

Ich muss viel stärker als früher damit rechnen, dass mein Standpunkt sich, auf lange Sicht betrachtet, einfach als der falsche erweisen könnte! In den frühen Jahren von Magic habe ich mir oft gesagt: "Dies und jenes könnte man viel besser machen. Warum sehen die Jungs bei WotC das nicht?" Damals hatte ich auch ziemlich oft, auch aus heutiger Sicht betrachtet, Recht - viele der Dinge, die mir aufgefallen waren, sind dann mit etwas Verzögerung auch tatsächlich umgesetzt worden (ohne, dass ich Einfluss darauf hatte, natürlich). Das lag daran, dass Magic in seiner Frühzeit einfach noch nicht professionell entwickelt wurde. Die Sets, ebenso wie eigentlich alle Entscheidungen hatten kaum Vorlaufzeit und wurden kaum vorher getestet und die Entwickler hatten noch nicht allzuviel Erfahrung. Dadurch hatten sie gegenüber mir - oder jedem anderen Spieler, der sich intensiv mit seinem Hobby befasste - kaum einen Kompetenz-Vorsprung. Probleme konnten von ihnen erst zur selben Zeit entdeckt werden wie von der Spielerschaft, nämlich nachdem die Karten auf die Community losgelassen worden waren und die Konsequenzen daraus für spätere Produkte zu ziehen, dauerte natürlich einige Zeit, während der ich und Spieler aus der ganzen Welt sich fragten, ob die Wizards irgendwie auf dem Schlauch stünden... Allerdings muss man auch zugeben, dass massgebliche Teile der Belegschaft sich damals auch recht arrogant gegenüber Meinungsäußerungen von Spielern verhielten! Wer schon so lange bei diesem Hobby ist wie ich, erinnert sich vielleicht auch noch, wie Meinungsäüßerungen im Internet pauschal als Geschwätz von Spinnern abqualifiziert wurden, wie Fallen Empires im Duelist als brilliante Edition verteidigt wurde, wie uns der Gray Ogre als Musterbeispiel für das korrekte Preis-Leistungsverhältnis von Mana und Power/Toughness vorgeführt wurde, oder wie Tom Wylie uns seine völlig unsystematischen, nicht nachvollziehbaren und in sich widersprüchlichen Regelauslegungen mit der Autorität eines Sonnenkönigs aufzwang

Diese Zeiten sind lange vorbei! Anstelle von "Das könnte ich besser machen" tritt bei mir immer häufiger ein "Ich verstehe nicht, warum sie das so gemacht haben" - und nur allzu oft finde ich dann später in einer Kolumne eine einleuchtende Erklärung! Auch die Elfenbeinturmmentalität der Macher gehört der Vergangenheit an. Gerade an den jüngsten Regeländerungen kann man ablesen, welchen Einfluss Spieler-Feedback heutzutage auf Entscheidungen hat, wenn auch manche Aktionen eher ein Promotion-Gag sind als eine wirkliche Einflussnahme auf die Zukunft des Spiels bedeuten (z.B. "You make the Card").

Vor acht Jahren hätte ich den Magic-Entwicklern noch das eine oder andere Licht aufstecken können. Heute sind sie Profis und ich bin der Laie, der besser damit beraten ist, sich Entscheidungen erst einmal ausführlich erklären zu lassen, bevor er sie kritisiert - und dann häufig einfach einsehen muss, dass er Unrecht hat

Dann gibt es noch eine Reihe von Fällen, in denen es weniger um "Recht" oder "Unrecht" geht, sondern vielmehr um verschiedene Zielsetzungen! WotC ist Teil eines Konzerns, der Gewinn machen muss. Ich bin ein Spieler, der sich das perfekte Spiel wünscht. Eigentlich ist es erstaunlich, dass sich meine Interessen mit denen des Konzerns so oft decken, aber in vielen Fällen ist das nicht der Fall. Die beiden wohl herausragendsten Beispiele sind die Preispolitik und die Auflagenbegrenzung von Karten: Aus Spielersicht müssten Booster einfach deutlich billiger sein, damit Magic als Turniersport weitaus größeren Spielerschichten zugängig wäre und alle Editionen müssten in print bleiben, damit jeder Spieler die Chance hat, sich auch alte Karten zu besorgen. Aus Sicht des Produzenten müssen Booster teurer sein, um maximale Gewinne zu erzielen und Karten müssen in limitierter Auflage hergestellt werden, um den Sammelaspekt des Spiels hervorzuheben. Da kann ich nichts machen; hier besteht einfach ein Interessenkonflikt.

Einige Dinge sind auch lediglich eine Frage des persönlichen Geschmacks. Ich verabscheue die Bilder von Rebecca Guay. Andere lieben sie. Auf die Zukunft des Spiels hat die Entscheidung über die Fortbeschäftigung einer einzelnen Zeichnerin jedoch praktisch keinen Einfluss (im Gegensatz zur Schaffung grundlegender Richtlinien für die Kartenbilder).

Schließlich bleiben möglicherweise tatsächlich noch ein paar Fälle übrig, in denen ich tatsächlich Recht habe und WotC, auch im eigenen Interesse, eine andere Entscheidung hätte fällen sollen! Aber auch hier gilt: Magic wird daran nicht eingehen! Zur Zeit bin ich immer noch fest überzeugt, dass die Herausnahme des Counterspells aus dem Grundset ein Riesenfehler ist. Aber selbst, wenn ich damit Recht habe und selbst wenn der allerschlimmste denkbare Fall eintreten sollte, dass Magic eine Zeitlang zum Yu-Gi-Oh-artigen Ich-habe-das-größte-Monster-im-Spiel-Format ala Pro Tour Venedig degenerieren sollte: Magic hat bereits die Kombo-Periode des Urza-Blocks überlebt und Jahre davor die maßlose Überproduktion von Fallen Empires! Außerdem planen die Macher heute weiter voraus und können auf auftretende Probleme dadurch viel schneller reagieren. Eine echte Krise ist nicht in Sicht.

So, warum habe ich mir jetzt die Zeit genommen, einen ganzen Artikel praktisch als Disclaimer zu formulieren? Weil ich mich mit meiner Kritik an der Achten Edition nicht bei denjenigen einreihen wollte, welche das neue Core Set als das Werk des Antichristen und den Vorboten Armageddons verdammt haben! WotC hat sich bei der Achten Edition viele Gedanken gemacht und sich bemüht, unserem Spiel für die nächsten zehn Jahre eine neue, solidere Grundlage zu geben. Wie gut ihnen das gelungen ist, wird die Zeit erweisen müssen, aber eines sollte klar sein: Die Achte Edition ist auf gar keinen Fall eine Katastrophe, sondern im schlimmsten Fall nur eine Enttäuschung.

Im nächsten Teil komme ich dann auf die verschiedenen Aufgaben, welche ein Magic-Grundset erfüllen soll, zu sprechen. Bis dahin ein Ratschlag: Meldet Euch für ein Prelaunch-Turnier zur Achten Edition an! Eine bessere Methode, sich an das neue Set zu gewöhnen, gibt es nicht!

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