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Der Weg des geringsten Widerstandes
von Andreas "Zeromant" Pischner
06.02.2003

Hm, ein neues Magic-Set ist erschienen. Sollte ich da nicht etwas dazu schreiben?

Ehrlich gesagt,...nein!

Ein paar Minuten Surfen im Internet genügen, und man findet mehr Einschätzungen von Legions für Limited- und Constructed-Formate, als man lesen könnte, ohne seinen Jahresurlaub zu nehmen. Alleine auf PlanetMTG haben sich bereits drei oder vier verschiedene Schreiber daran gemacht, das Set zu bewerten (in mehreren Teilen, natürlich, wie es sich gehört). Oder sind es sogar noch mehr? Man verliert den Überblick...

Den Vogel hat allerdings ein Schreiber auf einer amerikanischen Website abgeschlossen, der eine Legions-Einschätzung fürs Constructed vorgenommen hat, bevor auch nur eine komplette INOFFIZIELLE Spoilerliste vorlag, und der sich einfach nur auf das ca. Fünftel der bis dahin bekannten Karten stützte. Ich habe den Artikel gar nicht erst gelesen - auch wenn ich dadurch möglicherweise eine gelungene Satire verpasst haben sollte, sagt mir eine innere Stimme, dass derjenige es ernst gemeint hat.

(Es ist eben offenbar etwas Tolles, der allererste zu sein - Mädels, fragt Eure Freunde danach!)

Obwohl ich also eine gewisse Auswahl getroffen habe, welche Artikel zur neuen Edition ich mir durchgelesen habe, sind es doch genügend gewesen, dass sie in meinem Kopf bereits verschwimmen - unter anderem deshalb, weil ich es mir zur Gewohnheit gemacht habe, alle Artikel zu lesen (oder zumindest zu überfliegen), die auf PlanetMTG veröffentlicht werden. (Ich habe es mir übrigens auch zur Gewohnheit gemacht, diese Artikel NICHT zu bewerten - aus Solidarität - sondern höchstens etwas zu inhaltlichen Dingen zu sagen. Also erwartet hier keine individuelle Kritik!)

Die Schlüsse, die ich aus diese Lektüre zog, waren zunächst folgende:

1. Es gibt Spieler, die einigermaßen etwas von Magic verstehen, und solche, die es nicht tun. Beide Gattungen bringen Autoren hervor, die sich in Bewertungen zu neuen Sets äußern.

2. Bewertungen eines Sets, das nicht seit mindestens ein paar Wochen draußen ist und dementsprechend intensiv gespielt werden konnte, haben in der Hauptsache Unterhaltungswert - wenn man sie ein halbes Jahr später liest!! Das gilt auch für die Artikel besserer Spieler, dort wo sie über Offensichtliches (Im Limited sind Fatties gut, Flieger sind gut, Removal ist gut, 2/2er für 2 Mana sind besser als 2/2er für vier Mana) hinausgehen. Ab uns zu findet man bereits eine frühe wirkliche Einsicht, aber solche Dinge werden von der Masse verfrühter Einschätzungen aufgrund mangelnder Spielpraxis überlagert.

3. Diejenigen, die eine Edition im Constructed bewerten, verfehlen zu 99% oder so das Ziel: Neimand kann bereits jetzt sagen, welche Karten in ein paar Wochen oder Monaten in Tier-1-Decks gespielt werden! Meine Güte, selbt Pros testen wochenlang, um das Metagame überhaupt erst einmal einschätzen zu können - und dann kommen da irgendwelche dahergelaufenen Autoren und erstellen eine Prognose für die gesamte Saison! Lächerlich. Was man versuchen KANN, ist aufzuzeigen, welche Karten POTENZIAL besitzen. Ob sie dann tatsächlich gespielt werden, hängt von der Entwicklung des Metagames ab!

Alles in allem verspüre ich nicht besonders viel Motivation, auch noch meinen Senf zu Legions dazuzugeben. Ja, bei Judgment hatte ich es getan, aber da hatte ich auch ausdrücklich daraufhingewiesen, dass der Sinn der ganzen Angelegenheit war, ein halbes Jahr später noch einmal zu meinen Prognosen zurückzukehren und herzhaft zu lachen. (Das habe ich dann auch gemacht, aber die Resonanz war eher mäßig - den meisten Leuten war das Thema nicht mehr aktuell genug, sie wünschten sich stattdessen - Überraschung! - lieber eine vorläufige (und daher wiederum unausgegorene) Einschätzung des damals brandneuen Onslaught-Sets.)

Onslaught hatte ich dann für das Sealed Deck Format ausführlich bewertet, aber ich hatte damit bewusst gewartet, bis ich es oft genug gespielt hatte, um eine KOMPETENTE Bewertung abzugeben. (Damit wurde ich dann nichtsdestotrotz um Einiges früher fertig als gewisse Autoren, die im Schnitt alle 2 Wochen eine Farbe besprechen.)

Die Idee "Ich sage einfach einmal etwas, und in einem halben Jahr lachen wir gemeinsam darüber" hat sich nicht durchgesetzt. Für eine wirklich kompetente Analyse des Sets ist es einfach noch zu früh. Warum sollte ich also etwas schreiben?

...ja, warum schreiben eigentlich all die anderen Autoren schon ihre Bewertungen? Okay, manche besonders kompetenten Schreiber - wie z.B. auf dem Sideboard - werden dafür bezahlt, und wenn man einmal davon absieht, wie absurd lang sich ihre Serien meistens hinziehen, machen sie ihre Sache auch recht ordentlich. Das liegt einmal daran, dass sie als Top-Spieler tatsächlich schlicht und einfach ein wenig mehr Ahnung haben, zum anderen daran, dass sie in der kurzen Zeit, die seit Bekanntwerden des Sets vergangen ist, auch deutlich mehr getestet haben, als wir "Amateure".

Aber was treibt die ganzen anderen Leute dazu? Ich fürchte, dass Geltungsbedürfnis eine große Rolle spielt. Da ist ja eigentlich auch gar nichts Schlimmes daran: Man möchte, dass die eigenen Artikel veröffentlicht, gelesen und (hoffentlich wohlwollend!) besprochen werden.

Das Problem daran ist, wie die Häufung dieser ganzen Legions-Bewertungen zeigt, dass viele Schreiber es sich einfach nur einfach machen!

Ich habe im Verlauf der letzten Jahre - und ganz besonders im letzten Jahr, seit ich als ständiger Kolumnist bei PlanetMTG fungiere - eine MENGE Artikel geschrieben. Manche davon waren besser, manche schlechter, und manche kamen besser beim Publikum an und manche weniger gut (und nein, diese beiden Differenzierungen haben nicht allzu viel gemeinsam!) Dabei habe ich festgestellt, dass - abgesehen vom Arbeitsaufwand, der natürlich auch von der Länge eines Beitrags bestimmt wird - Set-Bewertungen mit Abstand am einfachsten zu schreiben sind (gefolgt von Turnierberichten)!

Es ist einfach nur Schema F: Man kopiert sich eine Kartenliste der neuen Edition in sein Schriftstück und fügt ein paar Kommentare ein. 90% aller Karten erhalten im Wesentlichen eine Unformulierung von "Removal/Fat/Evasion ist stark", "Morph-Kreatur, also spielbar" (früher hieß das: "Gray Ogre mit einem kleinen Bonus, also spielbar") "zu teuer für ihre Kampfwerte", oder halt "muss man noch sehen, wie stark die Karte ist". Von den restlichen 10% entfallen bestimmt noch einmal die Hälfte auf Dinge wie 1/1er ohne besondere Fähigkeiten oder Karten, die offensichtlich nur in Constructed Decks Sinn ergeben. Dann bleibt ein winziger Rest an möglicherweise interessanten Karten, mit denen der Autor bereits tatsächliche Spielerfahrung gesammelt hat und zu denen er daher eine wirkliche Einsicht beisteuern kann.

(Ach ja, und dann sind da noch die Notensysteme, bei denen sich kaum jemand die Mühe macht, sie nachvollziehbar und widerspruchsfrei zu gestalten!)

Bei Constructed-Bewertungen ist es noch einfacher: 90% der Karten sind nur fürs Limited konzipiert worden und erhalten entsprechend abfällige Bewertungen. Die Hälfte der übriggebliebenen Karten sind neue Varianten bereits existierender Konzepte und werden daher folgerichtig mit diesen verglichen. Der Rest erhält gute oder schlechte Bewertungen, je nachdem, ob dem Autor auf Anhieb eine Deckidee dazu einfällt.

Wirklich einfach - und meistens wirklich überflüssig! Kein Wunder, dass die ersten Limited-Bwertungen bereits vor dem Prerelease erschienen sind - der allererste zu sein, ist eine der wenigen Möglichkeiten, in diesem Ozean von Veröffentlichungen aufzufallen! (Eine andere ist, einen bekannten Namen zu haben: Wenn ich jetzt tatsächlich einen solchen Artikel schriebe, würde er von mehr Leuten gelesen werden und vermutlich auch besser im Gedächtnis bleiben als jene der meisten anderen Schreiber.) Offensichtlich können die meisten unbekannteren Schreiber also nicht hoffen, besonders mit ihren Artikel aufzufallen.

Natürlich könnte man sagen, dass es gewissermaßen einen "Dienst an der Magic-Gemeinschaft" darstellt, etwas zum neuen Set zu schreiben - die Leute wollen es ja schließlich lesen, nicht wahr? Nun gut, Tatsache ist, dass Magic-Artikel zumindest in der deutschen Szene so rar gesät sind, dass die Leser einfach dankbar für beinahe alles sind, was veröffentlicht wird, solange genügend Kartennamen darin erwähnt werden. Der inhaltliche Wert all dieser Einschätzungen ist jedoch gering: Sie enthalten kaum etwas, was sich nicht jeder einigermaßen erfahrene Spieler alleine denken kann, und sie erklären zu wenig, um den unerfahreneren Spielern eine wirkliche Hilfe zu sein. Ja, wenn ein regelmäßiger Spieler in ca. einem Monat seine Kartenbewertungen (zumindest fürs Limited) veröffentlichen würde, DANN könnten andere Spieler von seinen tatsächlich gemachten Erfahrungen und seinen Einsichten profitieren! Bis dahin allerdings bleibt nur der "Mut", sich dermaßen früh zu äußern - und der ist verbreitet genug, um keiner mehr zu sein.

Schließlich kann man fragen, ob ein dermaßen einfach zu verfassender Beitrag nicht der ideale Einstieg in die Welt des Artikelschreibens ist: Er ist es nicht!

Vergleichen wir einmal die Set-Bewertung mit der nächsteinfachen Artikel-Form: Dem Turnierbericht. Auch hier kann man nach Schema F vorgehen: Die Anreise (Der Wecker klingelt viel zu früh, einer der Mitfahrer verschläft, man verfährt sich blablabla), das Turnier (Schicker/Adäquater/Schäbiger Verantaltungsort, soundsoviel Teilnehmer, man trifft Freunde und tauscht Last-Minute-Tech aus), die Runden (Erste Runde: Gegner ist ein Scrub. Zweite Runde: Genau gegen dieses Deck hat man gemetagamed. Dritte Runde: Man ist Mana-Screwed. Vierte Runde: Gegner spielt ein Deck, das man nicht erwartet hat und gewinnt. Drop.) Props und Slops.

Das ist jedoch nicht wirklich schlimm! Eine bestehende Struktur ist halt eine Stütze, an der sich ein unerfahrener Schreiber orientieren kann. Hier gibt es allerdings erhebliche Unterschiede zu einer Set-Bewertung: Erstens bietet einem der Turnierverlauf viel mehr Möglichkeiten, Dinge hervorzuheben, einzufügen oder wegzulassen, als das Datenfeldausfüllen einer Kartenbewertung es tut. Zum Zweiten (und das halte ich für besonders wichtig!) schreibt man über etwas, von dem man tatsächlich etwas versteht - ja, sogar mehr versteht, als jeder andere: Nämlich das eigene Turniererlebnis! Niemand sonst hat sich auf diese Art auf das Turnier vorbereitet und niemand sonst hat diese Matches gespielt. Hier kann man persönliche Erfahrungen und Erkenntnisse einbringen!

...und wenn einem Schema F für seine Turnierreports zu langweilig wird, kann man hier auch eine neue Darstellungsform versuchen! Bei Kartenbewertungen sind die Möglichkeiten da eher eingeschränkt.

Mein Resummee also:
Wenn Ihr bereits erfahrene Autoren seid: Wartet ein wenig mit Euren Artikeln, bis Ihr wirklich etwas Substanzielles zu sagen habt!
Wenn Ihr weniger erfahrene Autoren seid: Schreibt lieber Turnierberichte - Eure Artikel sind interessanter (und kompetenter!), wenn sie auf persönlichen Erfahrungen beruhen!

So, das wollte ich loswerden! Und jetzt ist es auch genug für heute - ich muss noch ein paar Display Legions-Booster öffnen

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