Die feine Trennlinie zwischen Trashtalk und unsportlichem Verhalten - wer hätte gedacht, dass dieses Thema sich nicht nur als das meistgewünschte erweisen würde, sondern auch eine doch sehr beachtliche Anzahl Einsendungen mit sich bringen würde?
Ehrlich gesagt, ich nicht!
Ich habe es also genossen, endlich einmal auf PlanetMTG mehr Artikel anderer Autoren zu lesen, als ich selbst schreibe (  ), und mich mit den Standpunkten anderer Spieler vertraut zu machen.
...und ich muss sagen, mir fehlte da etwas! Als ich dies hier schreibe, ist es ca. 24 Stunden vor Einsendeschluss, und es sind bereits 13 Artikel zu diesem Thema online.
Es ist nicht einfach, da den Überblick zu behalten, wer genau welche Meinung vertreten hat, aber im Wesentlichen würde ich den Inhalt der bisherigen Einsendungen so zusammenfassen:
Einmal gab es Einsendungen, die eher anekdotischer Natur waren: Die von wahren Begebenheiten erzählten, und vielleicht einige besonders lustige hervorhoben.
Dann gab es sehr analytische Artikel, die genau zu definieren versuchten, was denn nun TRASHTALK genau sei, und was UNSPORTLICHES Verhalten.
Und dazwischen gab es ein Spektrum von Mischformen und Hybriden.
Was den Anekdoten-Anteil der Artikel angeht, so bot dieser zwar recht gute Unterhaltung, befasste sich aber nicht mit der eigentlichen Frage, wo denn nun diese Trennlinie zu ziehen sei.
Die Analytiker hingegen stellten folgende 2 Thesen auf:
1. Trashtalk ist "normale" Unterhaltung, die der Entspannung und einer angenehmen Atmosphäre dient. Wenn sie jedoch den Gegner in der Konzentration stört, wird sie zum unsportlichen Verhalten.
2. Trashtalk ist ein bewusster Versuch, den Gegner um seine Konzentration zu bringen. Da Magic ein sportlicher Wettkampf ist, gehören solche Dinge dazu. Die Grenze zwischen Trashtalk und unsportlichem Verhalten wird durch das BGB abgedeckt, das Beleidigungen und Drohungen verbietet.
Natürlich kann man den Inhalt von dreizehn Artikeln nicht in allen Nuancen so einfach zusammenfassen, aber ich hoffe, ich habe die Essenz der vorgebrachten Gedankengänge bewahrt.
Der Standpunkt allerdings, der mir fehlt, ist der eines Schiedsrichters! War denn keiner der Artikelschreiber ein aktiver Judge, und wenn doch, hatte er aus dieser Perspektive nichts zu sagen? Ich habe bei mehreren Autoren lesen können, wo sie als SPIELER die Trennlinie ziehen - aber liegt es nicht letztlich in der Verantwortung des Judges, unsportliches Verhalten zu identifizieren und zu unterbinden oder zu bestrafen?
Es gibt keine Definition von "Trashtalk" in den Magic-Turnierregeln, wohl aber für unsportliches Verhalten! Insofern waren die Versuche einer eigenen Definition, wie sie einige Schreiber unternommen haben, zwar aufschlussreich, aber eigentlich unnötig.
Aus den Universal Tournament Rules:
Unsporting Conduct:
Unsporting conduct is unacceptable and will not be tolerated at any time. Judges, players, spectators, and tournament officials must behave in a polite, respectable, and sporting manner. In addition, players who use profanity, argue, act belligerently toward tournament officials or one another, or harass spectators, tournament officials, or opponents will be subject to the appropriate provisions of the DCI Penalty Guidelines and will be subject to further DCI review.
Aus dem Penalty Guide:
Unsporting Conduct - Minor:
Minor unsporting conduct is defined as behavior that may be disruptive to a person at the tournament, but that has no significant impact on the operation of the tournament in any way.
Unsporting Conduct - Major:
Major unsporting conduct is defined as behavior that is disruptive to a player or players at the tournament, but does not cause delays or include any form of physical contact or significant emotional distress.
Unsporting Conduct - Severe:
Severe unsporting conduct is defined as behavior that is disruptive to a player or players at a tournament, causes delays, and may include any form of physical contact or significant emotional distress.
Hier haben wir also die Definitionen für unsportliches Verhalten in einem Magic-Turnier! Natürlich, obwohl es Beispiele dazu gibt, sind sie recht allgemein gefasst - es ist eben ihre Aufgabe, jede Form von störendem Benehmen zu beinhalten.
Und die Aufgabe der Judges ist es dann, im Einzelfall zu entscheiden, ob unsportliches Verhalten vorliegt, und in welchem Ausmaß!
An welchen Punkten finden wir denn nun in diesen Definitionen Formulierungen wieder, die auf Trashtalk möglicherweise anwendbar sind?
"...players... must behave in a polite, respectable, and sporting manner."
HÖFLICH, RESPEKTVOLL und SPORTLICH.
Das ist ein MUSS!
"...players who use profanity...act belligerently toward... or harass... opponents"
VULGÄRSPRACHE, FEINDSELIGES VERHALTEN, BELÄSTIGUNG DES GEGNERS.
"... behavior that is disruptive to a player"
STÖRENDES VERHALTEN EINEM SPIELER GEGENÜBER.
(Die Übersetzungen habe ich jetzt selbst aus dem Stegreif vorgenommen - sie sollten aber hinreichen.)
Damit können wir zumindest einer Form des Trashtalk - wenn es denn überhaupt welcher sein sollte - die Absolution erteilen: Das gedankenlose Gequatsche, die Unterhaltung nebenher und die kleinen Witzchen zur Auflockerung des Spielgeschehens - sie sind offensichtlich erlaubt! Nirgends steht geschrieben, dass sich die Spieler während des Matches - abgesehen natürlich von dem obligatorischen "Ich möchte jetzt Angreiifer erklären" oder "Ich gebe Priorität ab" - in verbissener Ernsthaftigkeit anschweigen müssen!
...aber was ist, wenn der Gegenspieler das eigene Gerede als störend empfindet?
Das kann passieren! Störendes Verhalten einem Spieler gegenüber ist ausdrücklich untersagt! Nun kann sich ja ein Spieler, abhängig von seiner Empfindlichkeitsschwelle und seinem Konzentrationsvermögen, subjektiv von allem Möglichen gestört fühlen (oder es behaupten) - ganz offensichtlich muss da also eine Grenze gezogen werden! Zunächst werden die Spieler sicherlich miteinander kommunizieren, um dieses Problem zu lösen, aber wenn das nicht gelingt, wird ein Judge gerufen werden.
"Judge, mein Gegner stört mich mit seinem andauernden Gelaber!"
Und nun? Einerseits hat Spieler A ein Recht darauf, sich von Spieler B nicht in seiner Konzentration stören zu lassen. Aber andererseits ist Spieler A auch verpflichtet, sich Spieler B gegenüber höflich, respektvoll uns sportlich zu verhalten! Und wenn Spieler A nun einmal ein unterhaltungsfreudiger Charakter ist, dann ist es eindeutig unhöflich und respektlos, ihn völlig zum Schweigen bringen zu wollen! Als Schiedsrichter muss man da seinen gesunden Menschenverstand benutzen. Ein guter Vergleich ist die Situation von zwei Fremden in einem Zugabteil, von denen sich der eine unterhalten will, und der andere nicht - die Höflichkeit gebietet, dass der Schweiger nicht völlig zugelabert wird, er den Redner aber auch nicht vollständig abwürgt.
Eindeutig ist der Fall jedoch, wenn der Schiedsrichter feststellt, dass Spieler A seinen Redefluss mit der Absicht ausübt, Spieler B aus der Konzentration zu bringen! Egal, was Dirk Baberowski dazu schreibt: Gelaber mit der Absicht, einen Gegner in der Konzentration zu stören, IST unsportliches Verhalten, sobald sich dieser davon gestört fühlt und das auch kommuniziert! Dirk weiß sicherlich besser als ich, wie die Auslegung dieser Regel bei großen Turnieren tatsächlich GEHANDHABT wird - aber entweder gibt es auf der Pro Tour eine Menge Spieler, die sich einfach nicht trauen, sich beim Schiedsrichter zu beschweren (weil sie nicht als Weicheier dastehen wollen oder Angst haben, gemobbt zu werden, vielleicht?) - oder die DCI, vertreten durch die dort wirkenden hochstufigen Schiedsrichter, gewähren den Topspielern ganz bewusst Sonderrechte - eine heuchlerische Haltung, die ihnen nicht zum ersten Mal vorgeworfen würde - um den Unterhaltungswert ihrer Topereignisse zu erhöhen!
Wenn zwei Spieler einander ein Wortgefecht liefern, in der Absicht, sich gegenseitig aus der Ruhe zu bringen, DANN ist das in Ordnung (und zugegebenermaßen unterhaltsam mitzuverfolgen). Wenn jedoch einseitig ein Spieler Druck ausübt, und der andere sich darüber beschwert, ist es unsportliches Verhalten und müsste geahndet werden.
Nachdem also geklärt ist, dass alleine schon "Reden mit der Absicht den Gegener zu stören" unsportliches Verhalten sein kann, muss man auf extremere Fälle eigentlich gar nicht mehr eingehen: Eine Beleidigung ist eine Beleidigung - und dazu gehören auch Bemerkungen wie"Deine Mutter hat wohl neun Monate vor Deiner Geburt zu viel Zeit im Stall verbracht" oder "Ich habe schon gegen dümmere Gegner als Dich gespielt, aber noch nie gegen einen hässlicheren". Das sind AUCH DANN beleidigende Bemerkungen, wenn der Gegner sich nicht daran stört und sie witzig findet! Auf einem Turnier befinden sich mehr Personen als nur diese beiden Spieler, und es ist Aufgabe jedes Turnierteilnehmers, auch nach außen hin ein Bild von gegenseitigem Respekt und Sportlichkeit zu vermitteln. (Das findet sich ebenfalls in den Turnieregeln, aber diese Passage könnt Ihr selbst heraussuchen).
Wieso erscheinen die tatatsächlich bestehenden Bestimmungen denn nun um so viel strenger als die meisten geäußerten Standpunkte? Ah, das ist eben der Unterschied zwischen Theorie und Praxis! In der Theorie ist Rauchen auf den Berliner U-Bahnhöfen verboten - in der Praxis sind die Bahnhöfe so verraucht wie eh und je: Weil diese Bestimmung eben nicht konsequent durchgesetzt wird und Verstöße nicht geahndet werden! (Und die überall immer noch befindlichen Aschenbecher tragen auch nicht wirklich dazu bei, das Unrechtsbewusstsein der Raucher zu schärfen.)
Genauso ist es mit Trashtalk als unsportlichem Verhalten: Es ist nicht erlaubt, aber es wird gemacht, weil es weder unterbunden noch angemessen geahndet wird! Kein Wunder also, wenn die Ansichten über dieses Thema so weit auseinandergehen: Diejenigen, die hier klare Richtlinien vermitteln müssten - die Schiedsrichter! - versagen bei dieser Aufgabe. Hier scheint der Fisch wieder einmal vom Kopfe zu stinken - wie soll man als Schiedsrichter bei einem kleinen REL-1-Turnier seine Spieler von der Notwendigkeit, sich respektvoll und sportlich zu benehmen, überzeugen, wenn im Feature Match Bericht von einer Pro Tour in höchst unterhaltsamer Form zu lesen ist, auf welch kreative Art und Weise sich die Spitzenspieler wieder gegenseitig beleidigt und aus dem Konzept gebracht haben?
Nein, die feine Trennlinie zwischen Trashtalk und unsportlichem Verhalten existiert nicht nur, sondern ist auch aus den Turnieregeln heraus eindeutig zu ziehen!
Es wird eben nur nicht gemacht.
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