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Limited
Sealed Deck - Der Zauber vergeht
von Andreas "Zeromant" Pischner
27.11.2002

Wenn man die Magic-"Pros" fragt, welches ihr liebstes Turnierformat ist, dann antworten traditionell die meisten: "Draft".

Dabei unterscheiden sie oft nicht zwischen Boosterdraft und Rochester Draft, auch wenn sie da Präferenzen haben mögen - Rochester Draft gilt allgemein als das anspruchsvollere und weniger glücksabhängige Format. Trotzdem erscheinen die Gemeinsamkeiten dieser beiden Formate groß genug, dass man sie gewohnheitsmäßig in einem Begriff zusammenfasst. Dazu trägt wohl auch bei, dass Rochester Draft erheblich zeitaufwändiger ist und auch eine nicht optimale Spieler-Anzahl weniger leicht verzeiht als Boosterdraft, und daher normalerweise nur auf Pro-Touren, am zweiten Tag von Grand Prixs und in den Top 8 von PTQs gespielt wird. Booster Draft hingegen findet auch auf lokaler Ebene sehr häufig statt und ist dewegen vielleicht in den Köpfen vieler Spieler einfach als "Draft" verankert.

Sealed Deck wiederum scheint mir auf der Beliebtheitsskala immer mehr nach unten durchgereicht zu werden! Allerdings kann ich nicht ausschließen, dass ich mir diese Beobachtung vielleicht auch ein wenig einbilde, da sie meinen eigenen Empfindungen entspricht.

Es war einmal...

und zwar ungefähr zu der Zeit von Mirage bis zum Ende des Urza-Blocks, da hätte ich einem Frager einfach geantwortet, dass ich "Limited"-Formate "Constructed"-Formaten vorziehe - ohne ausdrücklich zwischen Sealed und Draft zu unterscheiden.

Wer schon einige meiner früheren Artikel gelesen hat, weiß wahrscheinlich bereits, dass ich keine allzu große Begeisterung (und noch deutlich weniger Talent!) für die Metagaming-Komponente von Constructed-Formaten aufbringe. Außerdem schreckt mich die Notwendigkeit, ein Constructed-Format regelmäßig über einen längeren Zeitraum zu spielen, um darin wirklich kompetent zu sein, ab - Limited-Formate verzeihen eine unregelmäßigere Beschäftigung mit ihnen weit eher.

Natürlich hatte Sealed bereits, seit es existiert, einen deutlich größeren Zufallsfaktor als jedes Draft-Format, was einem überdurchschnittlichen Spieler nicht zusagen kann. Trotzdem hatte ich damals immer den Eindruck, dass ich mit meinen Deckbau-Kenntnissen und taktisch richtigem Spiel das Ziehglück meiner meisten Gegner wettmachen konnte. Sicherlich war es auch damals schon so, dass ich viele, viele Sealed-PTQs spielen musste, um endlich einmal den Top 8 DRAFT zu erreichen, in den ich meine Limited-Fähigkeiten voll einbringen konnte! Aber trotzdem ging ich voller Freude und Zuversicht in jedes Sealed-Turnier, und verließ es nicht allzu oft mit einem Gefühl hilfloser Frustration.

Das ist heute anders - ich beginne Sealed Deck, ein Format, das ich früher geliebt habe, geradezu zu verabscheuen! Ich verliere viel zu viele Spiele, ich verliere sie auf äußerst frustrierende Art und Weise, und selbst die Spiele, die ich GEWINNE, machen mir weniger Spaß als früher, weil der Spielverlauf enttäuschend ist. Was hat sich da geändert?

Liegt es an mir?

Bevor ich die Ursachen bei den Turnieren suche, muss ich natürlich zunächst einmal mich selbst einer kritischen Untersuchung unterziehen - liegt es an MIR, dass mir Sealed keinen Spaß mehr macht? Da ich das Spiel Magic immer noch genauso sehr liebe wie damals, bleibt die Möglichkeit, dass ich vielleicht einfach nicht mehr so ein guter Spieler bin wie früher - was zu weniger Erfolg führt, und somit zu mehr Frustration!

Nun, ich BIN nicht mehr so gut, wie ich vor vier, fünf Jahren einmal war - das will ich nicht leugnen! Ich merke sehr deutlich die Häufung von dummen Fehlern und die größere Schwierigkeit, mich zu konzentrieren. Das trifft allerdings auch auf Draft und ebenso auf Constructed-Formate zu - und diese Formate genieße ich in letzer Zeit ungefähr in dem Maß mehr, in dem ich Sealed Deck ablehne (was bedeutet, dass Constructed gerade erst beginnt, mir wirklich Spaß zu machen, und dass ich Draft einfach LIEBE!) Außerdem glaube ich meine Fähigkeiten so einschätzen zu können, dass sie immer noch gut genug sein sollten, um mich zu den Ergebnissen zu führen, die mich zufriedenstellen - was in den anderen Formaten ja auch funktioniert! Habe ich also Sealed mehr als alles andere verlernt? Ich bin überzeugt, dass das nicht der Fall ist.

Mehr Konkurrenz

Auf der Suche nach äußeren Ursachen sticht mir ein Umstand besonders ins Auge: Das allgemeine Niveau ist höher geworden! Das ist an sich absolut nichts Negatives - es führt im Gegenteil, zumindest in der Theorie, zu spannenderen und unterhaltsameren Spielen. In der Praxis allerdings sehe ich das Problem, dass der Unterschied zwischen einem guten und einem mäßigen Spieler oft nicht mehr ausreicht, um den Zufallsfaktor im Sealed auszugleichen, wie es der Unterschied zwischen einem guten und einem SCHLECHTEN Spieler noch tat.

Klar gibt es immer noch die völlig ahnungslosen Anfänger - aber während sie früher einen großen Teil der Teilnehmer bei einem Turnier ausmachten, so dass man selbst beim Stand von 2:0 Matches noch einen leichten Gegner erhoffen konnte, sind sie jetzt eine kleine Minderheit.

(Das ist vermutlich einerseits auf die weitere Verbreitung von Magic-Wissen durch viel mehr Limited-Turniere als früher und natürlich das Internet zurückzuführen, sowie andererseits auf die exorbitanten Eintrittsgelder, die wichtige Sealed-Turniere wie PTQs heutzutage kosten, und die Spieler, die sich keine Chancen auf den Gewinn eines der Preise ausrechnen können, oft nicht bereit sind, zu bezahlen.)

Während man früher darauf hoffen konnte, dass die meisten Spieler mit einem überlegenen Kartenpool ihr Deck völlig verbauten, weiß heute beinahe jeder über die Grundzüge des Deckbaus Bescheid - genügend Länder, auf das farbige Mana achten, eine Manakurve, Schwerpunkte auf Kreaturen und Creature Removal. Fehler werden zwar immer noch gemacht, aber in einer ganz anderen Größenordnung. Und daher gehen sie oft in den beiden großen Randomizern Mana-Screw/Flood und Spoilern unter.

Anders ausgedrückt: Früher musste ein guter Spieler in einem sieben Runden andauernden Turnier nur mit drei bis vier eingermaßen ernsthaften Gegnern auf dem Weg in die Top 8 rechnen - heute sind es eher fünf bis sechs! Das schlägt sich in der Erfolgsbilanz natürlich nieder - und häufige Misserfolge sind nun einmal demotivierend.

Der Kartenpool

Zu dem höheren Niveau gesellt sich dann noch der Umstand, dass der Zufallsfaktor in den letzten Sets nicht viel geringer worden ist, und im Gegenteil bei Onslaught größer ist als je zuvor... na gut, das ist vermutlich eine Übertreibung aus subjektiver Sicht, also sagen wir: Auf jeden Fall größer als in jedem Format nach dem Urza-Block!

Die Mega-Spoiler in Onslaught werden im Netz ja bereits hinreichend diskutiert (ein Tipp: die "Undefeated Decks" des ersten Tags beim GP Los Angeles sind sehr aufschlussreich!), aber auf ein paar Umstände möchte ich doch noch einmal hinweisen: Spielentscheidende Spoiler sind in Onslaught nicht nur besonders zahlreich - es ist auch deutlich schwerer als früher, sie zu handeln! Es gibt sehr wenig Removal, das bei den wirklichen Bomben hilft, und es fehlen guter Bounce und effiziente Counterspells. Auch das Tempo des Formats ist einfach zu gering, als dass jemand mit einem einigermaßen "normalen" Kartenpool realistische Hoffnungen haben könnte, einen Spoiler, der sich in einem ansonsten erträglichen Deck befindet, zu "racen".

Ich habe neben den Spoilern noch ein anderes Problem festgestellt, das mir zuletzt immer bitterer aufstößt: Es ist sehr schwierig, ein Deck mit einer guten Manaverteilung zu bauen! Ich habe unterdessen doch schon recht viele Onslaught Sealed Decks gebaut und bin nur sehr selten auf der Suche nach einer guten Manaverteilung fündig geworden. Hier kommen viele Ursachen zusammen:

1. Zuwenig Bären! Glory Seeker (und der Über-Aua-Bär Wretched Anurid) sind die einzigen zur Verfügung stehenden Common-Bären, da es im Sealed doch meitens unmöglich ist, genügend Forests für den zuverlässigen Elvish Warrior in der zweiten Runde zu spielen (und selbst wenn, dann wäre das immer noch nicht genug). Ich kann ja nachvollziehen, dass in einem Set mit Morph Bären aus Design-Gründen unerwünscht waren, aber ohne sie ist es sehr schwierig, Tempo zu machen. Es gibt zwar eine Handvoll gute 1-Mana-Drops, aber das ist einfach nicht das Gleiche.

2. Keine Mana-Fixer. Na gut, außer Birchlore Rangers und natürlich Krosan Tusker, (obwohl es ziemlichen Tempoverlust bedeutet, den zu cyclen!) Das bedeutet, dass selbst zweifarbige Decks gelegentlich Color-Screwed gehen (das Elvish Warrior/Severed Legion Problem), und dass dreifarbige Decks eigentlich bereits fest einplanen können, ein Drittel ihrer Spiele wegen Colorscrews abzugeben. Als das Set erschien, dachte ich, dass Morph und Cycling da helfen würden, aber dem ist nicht so - eine Kreatur als Morph spielen zu müssen, die so nicht eingeplant war, bedeutet Tempoverlust, und das meiste Cycling kostet farbiges Mana - und bedeutet oft ebenfalls einen Tempoverlust. Dummerweise hat das Set aber relativ viele doppelfarbige Sprüche (vermutlich auch wieder, weil das die Morph-Mechanik gut komplementiert).

3. Zu viele schlechte und abhängige Karten. Es war eine nette Idee, Karten wie Wirewood Pride oder Profane Prayers zu drucken, die nur in einem Deck mit starkem Stammes-Thema spielbar/stark sind, aber es hat letztlich dazu geführt, dass die Varianz zwischen verschiedenen Kartenpools bereits bei den Commons zu groß ist - einige Spieler können mühelos ein zweifarbiges Deck mit hoher Kartenqualität zusammenstellen UND noch ihren Spoiler spielen, während andere aus drei Farben spielbare Karten zusammenkratzen müssen UND ihren einzigen Spoiler außen vorlassen müssen.

All das führt dazu, das ich viel öfter frustriert über einem Onslaught Sealed Pool gesessen habe, als bei früheren Formaten - ich weiß zwar, wie ich ein tempoorientiertes Selaed Deck bauen kann, aber mir fehlen hier zu oft die Mittel, dieses Wissen umzusetzen!

Insgesamt entsteht bei den letzten Sets, aber ganz besonders bei Onslaught, der Eindruck, dass WotC R&D sich keine besondere Mühe mehr gibt, die Kartenpools für Sealed ausgeglichener zu gestalten - es geht sogar das gar nicht einmal so abwegige Gerücht um, dass sie den Zufallsfaktor in diesem Set bewusst erhöht haben, um Anfängern mehr Erfolgserlebnisse zu verschaffen!

Das Geld

Und dann gibt es da noch einen Punkt, den man einfach erwähnen muss: Sealed Deck ist TEUER geworden! Ich kann mich noch an die Zeit erinnern, als wir bei Serious Games alle 14 Tage ein Sealed Deck veranstaltet hatten - das hat damals weniger gekostet als heute ein Draft, UND wir hatten noch Spielraum für ein paar Preise!

Die Preise für Magic-Booster sind heute einfach exorbitant! Sicher, alles wird teurer - aber bei welchen anderen Waren hat sich der Preis in den letzten fünf Jahren VERDOPPELT? Kein Wunder, dass das Interesse für Sealed Deck immer mehr nachlässt - wer soll denn in der Lage sein, für ein lokales Sealed-Turnier mal eben 15-20 Euro hinzublättern? Und was die großen Turniere angeht, die PTQs - die sind WIRKLICH teuer! 25-40 Euro scheint die Spanne zu sein, und wenn ich so viel Geld (von meinem halben Wochenende einmal abgesehen) ausgebe, um einen PTQ zu spielen, dann bin ich nicht nur ein bisschen enttäuscht, wenn ich das Turnier mit lediglich ein oder zwei vertauschbaren Rares mehr und ein paar Dutzend DCI-Punkten weniger verlasse, weil mein Kartenpool Müll war - dann bin ich FRUSTRIERT. Und ganz bestimmt suche ich nicht mehr Zuflucht im nächsten stattfindenden PTQ in einigen Bahnstunden Entfernung, wie ich es früher getan habe - SO viel Geld ist mir das nicht wert!

Die Zukunft heißt Draft

Insgesamt bin ich der Auffassung, dass Sealed Deck als Turnierformat immer überflüssiger wird! Es erfüllt im Wesentlichen zwei Aufgaben: Einmal soll es ein einsteigerfreundliches Limited-Format sein, und zum anderen bei "wichtigen" Turnieren den Top 8 bzw. dem zweiten Tag vorgeschaltet sein, um mit wenig Aufwand die Spreu vom Weizen zu trennen.

Den ersten Zweck erfüllen noch die Pre-Releases - aber ich denke, das ist auch genug! Um mehr als diese drei Turniere im Jahr anzubieten, ist Sealed auch gerade für Einsteiger einfach zu TEUER geworden! Ein Blick auf den PlanetMTG-Turnierkalender zeigt, dass es praktisch keine kleinen Sealed-Turniere mehr gibt. Außerdem sollte sich langsam herumgesprochen haben, dass es gar nicht SOO schwer ist, das erste Mal zu draften! Ich denke schon, dass man es Limited-Anfängern durchaus zumuten kann, sie in das "kalte Wasser" eines Boosterdrafts zu werfen - das ist auch nicht so viel schwerer, als ein einigermaßen ordentliches Sealed Deck zu bauen, und dass das Turnier nur ca. halb so viel kostet, ist ja wohl auch anfängerfreundlich!

Was die Vorauslese bei großen Turnieren angeht - da wird sich wohl leider in nächster Zeit nichts tun... Ich weiß, dass das wichtigste Argument für Sealed hier ist, dass es leichter zu organisieren ist als Draft, und daher wird es wohl noch lange dauern, bis die DCI sich ernsthaft nach Alternativen umsieht. Trotzdem bin ich optimistisch und denke, der Tag wird kommen! Organisatorische Probleme kann man in den Griff bekommen - genauso, wie Sealed Deck nicht mehr als Pro Tour Format existiert, wird es eine Tages auch als Grand Prix und PTQ- Format abgelöst werden!

Zugegeben, dieser kleine Anfall von Optimismus passt eigentlich nicht zu mir... naja, ich werde jedenfalls weiterhin zusehen, dass ich so viel drafte wie möglich und Sealed Deck nur noch dann spiele, wenn es unumgänglich ist - denn der alte Zauber der frisch geöffneten Turnierpackung ist verflogen!

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