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Bluffen 2: Antäuschen
von Thoralf Severin
14.05.2013

Nach ein paar kleinen Umwegen kommen wir direkt wieder auf die Theoriestraße. Nachdem der erste Teil der Bluffreihe sich mit dem Verschleiern von Karten beschäftigt hat, geht es nun mit dem weitaus wichtigeren Teil weiter: dem Bluffen von nicht vorhandenen Karten.


Auch hier gilt, es gibt praktisch unendlich viele Anwendungsmöglichkeiten und das Fieseste daran ist, dass an sich niemand wirklich sagen kann, wie gut ein Bluff gerade ist oder ob überhaupt, da der Erfolg von vielen Faktoren abhängt. Hier hilft allein eine gute Einschätzung, ein guter Überblick über das Format und eine Menge Erfahrung. Deswegen bringt es euch recht wenig, wenn ich für jedes Format viele Möglichkeiten aufschreibe (und außerdem würde es für mich doch eine äußerst unangenehme Menge an Schreibaufwand bedeuten). Das Ziel ist eher den richtigen Gedankengang zu entwickeln, denn dann entsteht der Rest von ganz allein.

Obwohl eurer Fantasie keine Grenzen gesetzt sind, gibt es einen Bereich, bei dem Bluffen ganz besonders essenziell ist, weil dort der größte direkte Vorteil erzeugt werden kann: der Kreaturenkampf. Gerade die Situationen, in denen man selbst nichts riskieren muss und trotzdem ab und zu mal freien Schaden generieren kann (sei es auch nur ein einziger Punkt), können am Ende ausschlagebend sein und werden viel zu wenig ausgenutzt. Diese Szenarien zu erkennen und maximal auszunutzen, ist einer der signifikanten Unterschiede zwischen einem guten Spieler und einem sehr guten Spieler.


„If I wanted your opinion, I'd have told you what it was.“

Relativ früh im Gatecrash-Limited ist mir folgende, recht banale Situtation untergekommen: Ich hatte einen beliebigen Extorter im Spiel, einen Removalspell auf der Hand, der genau Raum für einmal Abnötigen ließ, und ein Smite. Mein Gegner hatte nach dem Removal dann noch einen relativ großen Randomdude 3000, der mir ungeblockt ordentlich unangenehme Schmerzen zugefügt hätte. Natürlich konnte ich so nicht extorten und damit hätte ich mir das Smite auch auf meine Stirn kleben können, denn mein Gegner roch die Falle und hat sich den Angriff für eine bessere Situation aufgehoben.


Habt ihr Inception gesehen? Falls nicht, schämt euch und seht ihn euch an... ich warte so lange. Falls doch, erinnert ihr euch bestimmt an den Grundgedanken, dass sie versucht haben, Ideen zu pflanzen, die wie eigenes Gedankengut angesehen werden. Im Grunde ist ein guter Bluff nichts anderes. Der Gegner muss das Gefühl haben, von sich aus darüber nachzudenken, und vor allem muss es für ihn Sinn ergeben.

Es gibt drei große Faktoren, die einen Bluff ordentlich schiefgehen lassen:

1.

Der Gegner hat ein solides Backup in Form von Counterspells oder eigenen Tricks, wogegen man relativ wenig machen kann,

2.

der Gegner hat praktisch keine andere Wahl, als es doch zu versuchen, weil er sonst eh sterben würde, und

3.

der Bluff ist einfach total unglaubwürdig (ŕ la tap/untap/tap/untap, „Handkarten?“, tap/untap/tap/untap, „Okay, angreifen darfst du erst mal …“ et cetera).

Gegen den ersten Faktor ist man leider meistens machtlos. Zum Glück haben Spieler diesen Luxus generell relativ selten. Den zweiten sollte man niemals vergessen, denn ein Bluffangriff in eine größere Kreatur bringt recht wenig, wenn der Gegner ohne Block tot ist (oder mit einem Pumpspruch tot wäre). Das lässt sich im Allgemeinen auch sehr gut auf Folgendes herunterbrechen:

Merksatz …
Je mehr Lebenspunkte ein Gegner hat und/oder je mehr Handkarten ihr im Gegensatz zu eurem Gegner habt, desto besser ist die Gelegenheit zum Bluffen.

Natürlich kommt es auch ein bisschen auf die jeweiligen Spieler und Umgebungen an. Ich persönlich bin ein großer Fan von Blocken und habe im Gatecrash-Limited gegen Gruul und Boros jeden 1-zu-1-Block mit Freude angenommen.

Für den dritten Faktor komme ich auf das Anfangsbeispiel mit dem Smite zurück. Sobald mein Gegner mitbekommen hat, dass ich die Extort-Option nicht genutzt habe, sind bei ihm alle Alarmglocken angegangen. Ich musste nicht darauf hinweisen, dass ich Extort nicht benutzt habe – ein offenes weißes Mana und mit wenigen Gedankenschritten ist der Inception-Samen geplanzt. In diesem speziellen Beispiel war es mein Nachteil, denn ich wollte, dass mein Gegner ins Smite rennt, aber nachdem mir als Spieler diese Situation so unangenehm war, habe ich ähnliche Fälle dann genauso gespielt – nur ohne Smite zu haben. Das Wundervolle ist, dass der Gegner für das nicht genutzte Extort eine tolle Erklärung geliefert bekommt und dass Smite wirklich in jedem Kopf war. Gerade gegen Gruul hat mir das später viele wichtige Lebenspunkte und Spiele gerettet.

Dabei musste ich noch nicht einmal kreativ sein. Allein der Gedanke an das miserable Gefühl, als mein Smite so offensichtlich war, reicht aus, um sich intensiver mit der Situation zu befassen. Hier kommt eindeutig die Erfahrung ins Spiel. Viele Spiele führen zu vielen Situationen und viele Situationen führen zu vielen Ideen, wenn man sich ein bisschen Mühe macht, darauf aufzupassen.


Tradeoff: Ressourcen vs. Erfolgswahrscheinlichkeit

Hier liegt der Grundstein für jeden Bluff. Ohne konkrete Überlegungen über die Erfolgswahrscheinlichkeiten eines Bluffs wird das Ganze schnell zum russischen Roulette für die eigenen Ressourcen. Wie ist die Position meines Gegners? Welchen Grund hat er, mir gerade zu glauben? Welche Konsequenzen sieht mein Gegner für mein Verhalten? Welche Spells liegen gerade alle in meinen Möglichkeiten? Welche Optionen hat er, gegen meinen Bluff vorzugehen? Besonders die letzte Frage ist ein wichtiger Faktor, denn einen Burnspell (oder Soft Removal) anzutäuschen, kann sehr problematisch sein. Je unvermeidbarer die angedrohten Folgen sind, desto erfolgreicher wird der Bluff sein. Smite ist großartig, weil es unter den richtigen Bedingungen praktisch hartes Removal ist. Auf der andere Seite eignet sich konditionales Removal (wie wiederum Smite oder Ætherize) hervorragend dazu, einen Bluff zu versuchen, weil der Gegner aktiv darum herumspielen kann.


Ein anderes Beispiel: Meines Wissens ist diese Geschichte durch hohe Spielkunst eines deutschen Spielers entstanden. Da ich das aber nicht genau belegen kann, bleibt es erst mal eine abstrakte Situation ohne Verantwortlichen (vielleicht kann sich ja noch jemand daran erinnern und sich in den Kommentaren äußern). Der besagte Spieler hielt bloß noch eine Handkarte und war ordentlich flooded (so richtig Noah-Style). Und da sich mit Ländern meistens recht wenig Schaden machen lässt, hat er sich dank noch vorhandenen Manaburns selbst ordentlich ins Gesicht getreten und von neun Leben auf eins gebracht. Der Gegner ist durch gründliches Überlegen darauf gekommen, dass nur eine Karte existiert, mit der diese Aktion Sinn ergibt – Pulse of the Forge nämlich –, und gegen ebendiesen Spell gab es für ihn wiederum nur eine Möglichkeit: sich selbst ebenfalls mit Manabrand auf fünf zu bringen, damit der Gegner den Puls nicht wieder auf die Hand bekäme. Das hat der Gegner nach etwas Überlegen auch gemacht, nur um direkt danach jämmerlich im Shrapnel Blast zu sterben.

In diesem Fall hat das Aufgeben von Ressourcen den Gegner sogar dazu veranlasst, den wichtigen Fehler zu machen. Man muss sich also immer bewusst sein, welche Optionen der Gegner in Betracht ziehen kann. Welche Schlussfolgerungen kann ein Gegner aus seinen Informationen ziehen? Wird er beachten, dass ich den Extorttrigger nicht benutzt habe? Wird er darüber nachdenken, dass ich eine ihm bekannte Kreatur nicht gespielt habe, obwohl er weiß, dass sie auf meiner Hand liegt, und welche Karten dafür verantwortlich sein könnten? Welche Auswirkungen haben dann diese möglichen Karten auf die Entscheidungen meines Gegners? Welche negativen Folgen habe ich selbst davon, dass ich die eigentlich offensichtliche, optimale Linie nicht verfolge?


Kreaturenkampf


Wie vorhin angekündigt liegt mein Fokus besonders beim Kreaturenkampf, weil dieser in Drafts einen Großteil des Spiels ausmacht und die Spanne der Möglichkeiten am größten ist. Jede annähernd nachvollziehbare Karte könnte in den Händen der Spieler schlummern und das macht das Bluffen so attraktiv. Und Bluffen war noch nie so erfolgversprechend, wie heutzutage.


Der leichte Anfang: freier Schaden

Das ist das absolut Wichtigste, was ihr aus diesem Artikel mitnehmen müsst:

Merksatz …
Wenn ihr einen möglichen Angriff habt, der euch keinen Nachteil und wahrscheinlich keinen Vorteil bringt, macht diesen Angriff!

In den meisten Fällen wird der Gegner blocken und alles bleibt beim Alten, aber lässt der Gegner auch nur in zehn Prozent der Fälle den Angreifer durch, dann war der Angriff sehr profitabel. Dabei verschiebt sich die denkweise von „Jetzt angreifen bringt mir recht wenig, weil der Gegner einfach blockt“ zu: „Jetzt nicht anzugreifen, wäre ein Fehler, weil der Gegner durchaus auch nicht blocken könnte.“ Egal wie irrelevant die Kreatur beim Gegner erscheinen mag, ihr wisst nie, wie wichtig sie für ihn ist. Vielleicht ist es seine einzige Kreatur oder vielleicht möchte er sie im nächste Zug verzaubern und sie damit auf gar keinen Fall verlieren.

Diese Situationen entstehen recht häufig, ob nun ein 3/3-Angreifer einem 2/4er oder zwei 2/2er zwei 0/4-Blockern gegenüberstehen. Dazu zählt auch, vor einem Zorneffekt noch einmal mit allen Kreaturen anzugreifen.


Der schwierige Übergang: der komplette Bluffangriff

Während der freie Schaden an sich nur eine Einstellungssache ist, wird es hier echt knifflig, denn hier kann man durchaus wie ein kleiner Trottel aussehen. Falls ihr noch nie geblufft habt oder bluffen nicht zu euren Stärken gehört, dann gibt es eine einfache Möglichlichkeit, sich ganz leicht heranzutasten: Immer wenn sich der Gegner für einen wichtigen Spoiler ausgetappt hat und gute Combattricks im Bereich eurer Möglichkeiten liegen, müsst ihr angreifen.

Um aktuell zu bleiben: Ich behaupte, die Erfolgswahrscheinlichkeit von einem Angriff mit eurem (1) Gruul-Deck gegen einen (2) ausgetappten Gegner mit einem (3) einsamen, gerade gespielten (4) Ætherling ist nahezu 100%, wenn der Gegner nicht direkt vom (5) Aussterben bedroht ist.


Das wäre der Optimalfall, weil hier wirklich alles stimmt. Wenn wir das herunterbrechen, dann spielen folgende Faktoren eine wichtige Rolle:

1)
Wahrscheinlichkeit eines Tricks
2)
Möglichkeit des Gegners, zu interagieren
3)
Boardpräsenz des Gegners
4)
Wichtigkeit der Kreatur
5)
Möglichkeit des Gegners, nach diesem Angriff noch zu stabilisieren

Je mehr Faktoren nicht mehr zutreffen, desto unwahrscheinlicher wird es, dass der Angriff funktioniert. Es ist schwer, alle Möglichkeiten aufzuteilen, weil diese ebenfalls noch von vielen Faktoren abhängig sind. (Welche Karten wurden in vorherigen Spielen gesehen? Wie gern blockt mein Gegner? Repräsentiere ich ein Aggrodeck, gegen das mein Gegner nicht so viel Schaden nehmen will?) Meine Erfahrung sagt mir, dass Faktor 1 und 2 mit Abstand die wichtigsten sind und sehr gut allein ausreichen können, um einen Bluffangriff zu wagen.

Beispiel: Früher im Triple-Return to Ravnica-Draft habe ich mit Selesnya eine sehr hohe Bluffquote gehabt, weil Common Bond eine so freche Karte war. Nicht nur verliert der Spieler die Kreatur, meine Kreatur bleibt auch noch für ein paar Züge der stärkste Schläger auf dem Tisch.

Ansonsten ist recht offensichtlich, dass der Gegner öfter blocken wird, je weniger Lebenspunkte er hat. Anhand der eigenen Boardsituation muss man sich immer überlegen, ob der Gegner einen Angriff einfach so einstecken kann. Falls das nicht der Fall ist, gibt es immer noch die Möglichkeit mit einzelnen, besonderen Kreaturen anzugreifen. Wenn ihr zum Beispiel mehrere 2/2-Kreaturen habt und einen 2/3er, dann könnte es durchaus sinnvoll sein, einen +3/+3-Spruch anzutäuschen und nur mit dem 2/3er anzugreifen, wenn euer Gegner nur einen 5/5er auf dem Tisch hat.


Wie schon vorher erwähnt, nur die Übung macht den Meister und das meine ich hier komplett wörtlich, denn unter anderem macht das den Unterschied aus. Probiert aus, was das Zeug hält, ob zu Hause, in kleinen Drafts oder auf Magic Online. Apropros Magic Online. Ab nächster Woche gibts wieder leckere Blockdrafts. Macht's gut!




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