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Der kleine Lord
von Michael Diezel
11.04.2013

Bei einem PTQ sechs Runden zu gewinnen, nur eine zu verlieren und damit trotzdem nicht die Top 8 zu erreichen, ist nicht die angenehmste Erfahrung, die man sich so vorstellen kann. Falls ihr es selbst noch nicht ausprobiert habt, müsst ihr mir einfach glauben – ich hatte das zweifelhafte Vergnügen am Samstag in Berlin, wo ich ruhmreicher Neunter von knackigen 171 Teilnehmern wurde. Immerhin wisst ihr so noch nicht, welchem Deck ich das zu verdanken habe, und so kann ich die Spannung für den Moment noch ein wenig aufrechterhalten …

Okay, das reicht. Hier ist das Schmuckstück:


3 Drowned Catacomb
4 Glacial Fortress
4 Godless Shrine
4 Hallowed Fountain
3 Isolated Chapel
3 Nephalia Drownyard
2 Vault of the Archangel
4 Watery Grave

4 Azorius Charm
4 Sphinx's Revelation
2 Syncopate
2 Ultimate Price
2 Tragic Slip
4 Sorin, Lord of Innistrad
4 Lingering Souls
4 Supreme Verdict


4 Augur of Bolas
2 Snapcaster Mage
1 Obzedat, Ghost Council

Sideboard:

3 Gloom Surgeon
2 Purify the Grave
2 Syncopate
2 Obzedat, Ghost Council
4 Appetite for Brains
2 Evil Twin


Wie ihr vielleicht in den letzten Wochen herausgelesen habt, bin ich nicht der größte Fan der aktuellen Standardumgebung. Zwar gibt es gefühlt zwölftausend spielbare Decks und zwar von aggressivstem Aggro bis hin zu echter Kontrolle – sogar Komboansätze sind in Form von Reanimator oder gar Turbo-Fog vorhanden –, in der Praxis jedoch ist oft genug die genaue Zusammensetzung herzlich egal. Wirklich entscheidend sind hingegen die unendlich starken Einzelkarten. Quasi jedes Deck besteht aus einer Ansammlung dieser, es sei denn, es vertraut auf Antworten. Diese sind nämlich bis auf wenige Ausnahmen erstaunlich unflexibel und damit logischerweise weniger beeindruckend. Unzählige Spiele werden entschieden, ohne dass es wirklich zu einem Spiel kommt, entweder weil sich ein Deck aufhängt – was ziemlich oft passiert, da alle ziemlich optimistisch gebaut sind, um möglichst viel Power unterzubringen – oder eben das genaue Gegenteil eintritt und ein Deck das andere einfach kaputt macht. Hinzu kommt eine beachtliche Abhängigkeit von der Spitze der Bibliothek, die ebenfalls ganze Spiele umbiegen kann.

Entsprechend unmotiviert suchte ich auch in den letzten Wochen nach einem Deck. Sämtliche Eigengebräue scheiterten irgendwo und so mussten die etablierten Decks unter die Lupe genommen werden. Überzeugen konnte mich dabei keins, die meisten nicht einmal im Ansatz. So richtete ich mich mit der Zeit darauf ein, das einzige zu spielen, was mir zumindest ansatzweise wie Magic vorkam – die Aristokraten –, hauptsächlich deswegen, weil es Synergiekarten über rohe Gewalt spielt. Das mag noch gehen, wenn sie zusammenkommen, führt aber gern mal zum völligen Einstellen der Gegenwehr.

Eines schönen Abends packte dann Till Riffert ein Deck aus, mit dem „Simon Görtzen bei einem Online-PTQ Top 8 gemacht hat.“ Das allein wäre mir ziemlich egal gewesen, zumal ich Simon extrem schätze und ihm auch mit dem legendären Ham Sandwich eine Top 8 zutrauen würde. Deswegen benötigte es schon folgenden Satz, um mich zu überzeugen: „Es enthält übrigens vier Sorins …“


Wie ich schon mal beschrieb, habe ich mir diese (in weiser Voraussicht auf genau dieses Deck) einmal für unglaublich viel Geld zugelegt, da mir die Karte extrem stark erschien. Ist sie auch. Wie angedeutet gibt es aber da noch andere, die zudem oft einfacher in Decks zu integrieren sind.

Wir machten ein paar Spiele gegen Naya-Blitz, die wenig überraschend immer der Spieler gewann, der anfing. (Kleine Randnotiz: Ich habe in Berlin mit mehreren fähigen Magic-Spielern gesprochen, ob sie in diesem Format einen Mulligan in Kauf nehmen würden, um anfangen zu dürfen. Die meisten antworteten mit ja …) Dann noch ein bisschen gegen URW gekämpft, weil das gerade herumlag, immer gewonnen und fertig war meine Überzeugung, in Berlin ungefähr dieses Deck zu spielen:


3 Drowned Catacomb
4 Glacial Fortress
4 Godless Shrine
4 Hallowed Fountain
3 Isolated Chapel
4 Nephalia Drownyard
2 Vault of the Archangel
4 Watery Grave

4 Azorius Charm
4 Sphinx's Revelation
2 Syncopate
3 Ultimate Price
4 Sorin, Lord of Innistrad
4 Lingering Souls
4 Supreme Verdict


4 Augur of Bolas
3 Snapcaster Mage

Sideboard:

3 Gloom Surgeon
3 Purify the Grave
2 Syncopate
3 Obzedat, Ghost Council
4 Appetite for Brains


Das Gebilde ist ziemlich seltsam und spielt sich auch so. Oft ist das ein großes Plus, insbesondere wenn es um die Rollenverteilung in einem Duell geht. Wie die meisten von euch sicher wissen, gibt es in jedem Duell normalerweise einen Aggressor und einen der sich verteidigt. Dabei nimmt meist das gleiche Deck auch die gleiche Rolle ein, wobei dies wiederum zwischen verschiedenen Matchups wechseln kann. So ist beispielsweise Naya-Aggro fast immer das Beatdowndeck (wenn es nicht gerade das Mirror nach verlorenem Würfelwurf bestreitet), ein klassisches Controldeck hingegen fast nie. Nimmt man jetzt ein Deck wie Naya-Midrange, so wird dieses abhängig vom Gegner mal Kontrolleur (zum Beispiel gegen Blitz) und mal Aggressor (zum Beispiel gegen Esper) sein.

Unser Sorin-Esper wiederum ist hier extrem schizophren. Auf den ersten Blick sieht es aus wie das langsamste Controldeck aller Zeiten. Ich meine, die Kreaturenbasis besteht aus Augur of Bolas und Snapcaster Mage, wie soll da schon zugeschlagen werden?


Die Antwort heißt Lingering Souls, insbesondere in Kombination mit Sorin, Lord of Innistrad. So habe ich mehrere Spiele gewonnen, die ungefähr folgendermaßen abliefen:

Ich: Land
Gegner: Land
Ich: Land, Augur of Bolas
Gegner: Land
Ich: Land, Lingering Souls
Gegner: Land
Ich: Land, Sorin-Emblem
Gegner: typische Anti-Control-Karte wie Slaughter Games
Ich: Souls-Flashback

Dann ist der Gegner auch schon fast tot. Dieses scheinbar zufällige Umschalten auf einen beachtlichen Beatdown ist tatsächlich eine der großen Stärken des Decks. Allerdings nicht immer. Im Umkehrschluss ist es nämlich auch für einen selbst nicht jedes Mal klar zu erkennen, mit welchen Mitteln man welches Matchup gewinnen sollte. Darunter leidet gern mal das Sideboarden oder aber auch das Spiel selbst, wenn man beispielsweise bei dem gerade eben beschriebenen Draw nur noch Supreme Verdict hält.

Davon abgesehen hat man sich als Kontrolldeck dem Metagame angepasst. Think Twice etwa hat sich zugunsten weiterer Länder komplett verabschiedet. Das liegt ganz einfach daran, dass man es sich nicht erlauben kann, bis mindestens Zug 4 auch nur einen Landdrop zu verpassen. Gleichzeitig kann es aber sein, dass man ab dem zweiten Zug ständig gefordert ist, eine Antwort zu zeigen, und einfach keine Zeit für Think Twice hat, welches bisher die Länderanzahl auf ~25–26 halten konnte. Gegen langsamere Decks schaden zusätzliche Länder sicher auch nicht. Der verlorene quantitative Kartenvorteil ist sehr oft schlicht egal. Gegen Aggro erwirtschaftet man den zwischen Supreme Verdict und Snapcaster Mage sowieso und im Duell mit Kontrolle gibt es diese lustige Sphinx's Revelation, die alle anderen Bemühungen um Kartenvorteil ziemlich mickrig aussehen lässt.

Zusätzlich erhält man die Möglichkeit, gleich beide superguten Farblosländer der Farbkombination zu spielen. Vault of the Archangel ist dabei durchgehend hilfreich, da die ganzen Spielsteine plötzlich mit ernsthaften Kreaturen abtauschen können und man zudem offensichtlich jede Racesituation positiver gestaltet.


Die Drownyards sind zunächst für die richtig langsamen Matchups gedacht, bei denen normalerweise keine Seite über Schaden gewinnt. So gesehen zum Beispiel in meiner ersten Runde, wo Spiel 1 bei Lebenspunkten im Bereich von 42 zu 27 oder so zu Ende ging. Die zweite, sogar noch öfter relevante Aufgabe liegt im dauerhaften Entfernen von Problemkreaturen mittels Azorius Charm. Ohne diese „Kombination“ fehlen Alternativantworten für eine ganze Menge Karten, etwa (und da fehlen wirklich noch einige) Deathrite Shaman, Lotleth Troll, Boros Reckoner, Falkenrath Aristocrat, Obzedat, Ghost Council und so weiter. Liegt hauptsächlich daran, dass Ultimate Price diese nicht erwischt, man aber dank des letant vorhandenen Beatdownplans nicht auf Devour Flesh zurückgreifen will, wie es die meisten anderen Esperdecks inzwischen tun. Stattdessen verwendet man ebendiesen Beatdown-Token-Plan selbst, was mal mehr und mal weniger gut funktioniert, wie oben schon angedeutet.

Das Deck selbst wurde noch ein wenig verändert:

Die Idee hinter den Änderungen sieht zunächst ein Ausreichen von 27 Ländern vor, wobei der leicht erhöhten Gefahr des Screws eine Verminderung der Flutgefahr entgegengehalten wird. Zudem kommen mit dem Doppelpack Tragic Slip Karten ins Deck, die gegen aggressive Gegner zusätzlich Zeit kaufen sollen.

Obzedat hingegen sollte nach dem Boarden dreifach dabei sein, und nachdem ich im Sideboard nur Platz für zwei hatte, wanderte einer einfach ins Maindeck. Den Mage zu cutten, ergibt natürlich wenig Sinn, wenn man gleichzeitig mit Tragic Slip eins der besten Snapcaster-Ziele addiert. Deshalb würde ich das direkt wieder rückgängig machen, also:

Das Sideboard beinhaltet jetzt Evil Twin, der einfach gegen sämtliche Thragtusk-Decks extrem gut ist und somit die Abhängigkeit von Appetite for Brains reduziert, der den offensichtlichen Nachteil eines jeden Discardspruchs teilt und gerne mal superschlechte Topdecks abgibt.


Dann stellt sich die Frage Rest in Peace vs. Purify the Grave, die ich noch immer nicht zufriedenstellend beantworten kann. Purify the Grave hat eigentlich viele Vorteile: Kastriert Snapcaster Mage und Lingering Souls nicht, kann nicht kaputt gemacht werden und arbeitet gut mit Augur of Bolas (der aber eh ausgeboardet wird) und Drownyard zusammen. Währenddessen spricht für Rest in Peace hauptsächlich die Gründlichkeit. Die ist aber viel überzeugender, als es hier klingt. Insbesondere der superfiese Deathrite Shaman aus Reanimator-Sideboards hat mich mehrere Spiele gekostet. Trotzdem muss man sich wohl zunächst klarmachen, ob man hier in den Spielen #2 und #3 der Beatdown- oder der Kontrollmagier ist. Vereinfachen könnte man das mit Aggro und Purify the Grave (da hierfür die Souls zu wichtig sind) vs. Kontrolle mit Rest in Peace. Oder man greift direkt zur Mittellösung und spielt Tormod's Crypt.

Fassen wir alles zum Deck noch einmal zusammen:

Positiv

konstant wegen 27–28 Ländern
spielt sehr viele brokene Karten wie Sphinx's Revelation, Snapcaster Mage oder Lingering Souls
kann extrem schnell und effizient von Kontrolle auf Aggressivität umschalten
führt mit Azorius Charm (plus Nephalia Drownyard) das flexibelste Removal des Formats ins Feld
hat kaum wirklich schlechte Matchups (angeblich wäre traditionelles Esper ein solches, habe ich aber zu selten gespielt, um fundiert bestätigen oder widersprechen zu können)

Negativ

hat für viele Bedrohungen nur wenige bis gar keine Antworten
ist sehr schwer zu spielen*
hat kaum wirklich gute Matchups (hier hatte ich die besten Erfahrungen mit einigen UWR-Varianten, also Kontrolle ohne Drownyard)
leidet, weil Lingering Souls immer beliebter werden, an Sideboardkarten wie Gruul Charm oder Flames of the Firebrand, die den ganzen Plan zunichte machen können

* Das schreibe ich nicht, um zeigen, was ich für ein großartiger Spieler bin, sondern wirklich als Warnung. Sehr viele Spiele sind eigentlich kaum zu gewinnen, wenn man nicht annähernd perfekt spielt. Tragisches Beispiel kann ich selbst liefern und zwar aus der Runde meiner Niederlage. Dort spielte ich gegen Julian Plagge mit Reanimator und hatte Spiel 1 gewonnen. In Spiel 2 kämpfte ich unter anderem seit frühesten Zügen mit Deathrite Shaman. Immerhin hatte ich mit einem Evil Twin/Loxodon Smiter die Männerhoheit und holte im Damagerace mächtig auf. Am Ende fehlte mir genau ein Lebenspunkt, den ich an mindestens einer Stelle hätte bewahren können, als sein angreifender Arbor Elf ungeblockt durchkam und ich nicht Ultimate Price drauf spielen wollte – was ich im folgenden Zug nachholte.

Dass ich nebenbei nichts als Länder zog und geschickt mit der ersten Drownyard-Aktivierung Doppel-Revelation und mit der zweiten um genau eine Karte das rettende Purify the Grave verpasste, mag Pech sein, aber am Ende war es unsauberes Spiel meinerseits. Das dritte war dann eins dieser Nicht-Spiele.

Solltet ihr diesem Deck in Hanau jetzt eine Chance geben?

Vielleicht. Es ist nicht schlechter als andere Decks des Formats, vermutlich sogar besser als die meisten. Die Ergebnisse sprechen durchaus dafür, immerhin habe ich nur einmal verloren und das nachweislich durch Spielfehler – und auch das Unentschieden hätte ich zwei Züge später gewonnen. Trotzdem fühlt sich das Deck in keiner Form überlegen oder so an, weil man eigentlich ständig hofft, dass der Gegner nicht genau die Karte hat oder zieht, die an der Stelle direkt gewinnt. Und wie gesagt gibt es von dieser Art Karte eine Menge. Deshalb habe ich auch in Testspielen diverse Duelle einfach verloren.

Ein letzter Hinweis noch, bevor ich euch zu den Selbstversuchen entlasse: Spielt zügig! Sämtliche Control-Matchups werden sehr schnell zu extrem zähen Angelegenheiten und dann merkt man gar nicht, wie die Zeit verstreicht. Nichts ist jedoch unangenehmer, als irgendwann den Draw zu kassieren, weil nur noch ein paar Extrazüge gefehlt haben. Okay, vielleicht ist „mit 6:1:1 Neunter werden“ tatsächlich fieser, in meinem Fall habe ich aber schlicht beides geschafft.

In diesem Sinne, auf ein fröhliches Sorin-Embleme-Sammeln!

Der MiDi




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