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Toffels Mulliganregeln
von Thoralf Severin
13.02.2013

Wer von euch hat einmal Shandalar gespielt? Erst vor Kurzem habe ich dieses Juwel wieder ausgegraben und mich auf der Suche nach der Power mit viele Elefanten und Drachen geprügelt. Sehr schade, dass es dieses Spiel nicht auch in einer aktuellen Version gibt. Ich kann nur jedem empfehlen, es einmal auszuprobieren, und es zeigt doch sehr schnell, wie stark sich Magic in den letzten 15 Jahren regeltechnisch verändert hat. Früher durfte man zum Beispiel nur einen Mulligan nehmen, wenn man entweder kein Land oder sieben Länder auf der Hand hatte. Dafür konnten wieder die vollen sieben Karten gezogen werden, aber dieser Luxus war nur einmal erlaubt.


Ich habe in Shandalar immer Monoschwarz für Sinkhole, Dark Ritual, Hypnotic Specter und Contract from Below gespielt. Das war leicht zusammengekauft und ließ sich am Anfang auch mit anderen, weniger hochqualifizierten Karten wie Erg Raiders gut spielen. Gerade der Contract ist recht witzig, und wenn man davon vier spielen kann, sind die meisten Spiele echt einfach. Es sei denn, man deckt sich im Rausch des Kartenziehens. Das kostet dann nicht nur das Spiel, sondern auch die zusätzlichen Antekarten, was unweigerlich zu einem schmerzhaften Facepalm führt.

Wenn man Duals hatte, konnte man auch einfach Weiß für Swords to Plowshares oder Rot für Lightning Bolt und Fireball splashen und dank Strip Mine und Mishra's Factory waren Draws mit vielen Ländern auch nicht so schlimm. Aber die farblosen Länder erscheinen nur auf den ersten Blick großartig, denn es hatte damals eben auch eine große Schattenseite: Wenn eine Starthand lediglich diese farblosen Ländern enthielt, dann musste diese Hand behalten werden. Das konnte besonders unangenehm sein, wenn der Gegner mit einem 3/4-Flieger im Spiel startete.


Zum Glück haben wir heutzutage die Möglichkeit, nach Paris zu fahren und jede Hand gegen eine neue Hand mit einer Karte weniger einzutauschen, damit gerade solche mit einem Land (oder sechs Ländern) umgangen werden können. Lustigerweise wurde der neue „Paris-Mulligan“ das erste Mal auf der Pro Tour Los Angeles ausprobiert. Für die nächste Pro Tour in Paris war diese Änderung gar nicht mehr vorgesehen, weil die Entwickler Angst hatten, dass Kombodecks dadurch zu stark würden. Damals wurden bei der Einladung zur Pro Tour allerdings alle Regeln für dieses Event mitgeschickt und dank eines sehr faulen Mitarbeiters wurden große Teile der Regeln von der Pro Tour Los Angeles einfach kopiert, darunter aus Versehen auch das neue Mulliganverfahren. Am Ende verlief alles großartig und diese Form des Mulligans wurde beibehalten. Heute wird der Ausdruck „nach Paris gehen“ immer seltener benutzt; stattdessen spricht man mittlerweile schlicht von „Mulligan“.

Nun lässt ein Mulligan dem Spieler eine bittersüße Entscheidung, welche unter Umständen doch recht schwer werden kann. Eine Entscheidung, die sich stark auf das ganze Spiel auswirkt …

Mulligans finde ich besonders spannend, weil erstaunlich oft die Situation eintritt, dass die eigene Entscheidung recht klar ist, aber man auch die gegenteilige Entscheidung verstehen kann. Manchmal ist es schwer zu sagen, welche Entscheidung die richtige ist, da sie von vielen, sehr komplexen Faktoren abhängt. Im ersten Teil des heutigen Artikels will ich euch einen Einblick in meine Mulliganregeln geben, während dann im zweiten Teil die große Interaktion mit euch beginnt.


Toffels Mulliganrichtlinien


Die Bereitschaft eines Spielers, einen Mulligan zu nehmen, kann man gut auf einer Skala von Martin Jůza bis LSV abtragen, wobei ich ziemlich stark zu LSV tendiere. Es muss schon viel passieren, damit ich freiwillig eine Karte abgebe. Sicherlich kostet mich das manchmal das gesamte Spiel, aber der Wert einer Karte ist nicht zu unterschätzen. Das ist praktisch ein 2-for-1 für den Gegner und 2-for-1s sind immer schmerzhaft. Und gerade on the draw kann man auch schon mal abenteuerliche Hände halten.

Wie bei den Regel aus meinem Artikel über Informationen gilt, dass ich nur allgemeine Richtlinien geben kann, die natürlich immer Ausnahmen erlauben. Die hohe Kunst ist, durch Erfahrung die Ausnahmen zu erkennen und adäquate Maßnahmen zu ergreifen. Ich versuche, mein Gefasel durch passende Hände in Bildform zu untermalen. Wie gesagt ist es sehr schwierig, dabei alles abzufangen, jedoch sollte der Grundgedanke darin jeweils gut abgebildet sein. Werfen wir also einmal einen Blick in meine Ansichten!


Regel 1: On the play werden niemals 1-Land-Hände gehalten, wenn man nicht gerade ein verrücktes Kombodeck spielt. Auch on the draw sollte das sehr wahrscheinlich ein Mulligan sein, es sei denn, dass jedes beliebige Land die Hand sofort spielbar macht. Das wäre im Draft mit Return to Ravnica zum Beispiel eine Hand mit Forest, Gatecreeper Vine und guten Plays für drei Mana. Dabei müsst ihr gucken, wie gut die Hand mit diesem Land ist. Die Chance, in zwei Karten mindestens ein zweites Land zu ziehen (unter der Annahme von 40 Karten und 17 Ländern), ist:

WLand=1Wkein Land=1(17/33×16/32)=10,27=0,73=73%

Nun ist die Frage, wie gut eure restlichen Karten euch zum Sieg verhelfen. In der Beispielhand würde ein Axebane Guardian die Hand deutlich aufwerten, viele vielfarbige Karten dagegen wohl eher nicht. In einer solchen Situation müsst ihr abschätzen, ob eure Hand mit dem Land eine Siegchance von 60–70% erreicht, denn sonst ist es das Risiko, kein Land zu ziehen, nicht wert. Natürlich muss dabei auch berücksichtigt werden, dass einen Landdrop auszulassen, nicht das Schlimmste auf der Welt ist und ebenfalls zum Sieg führen kann.



Keep



Kein Keep


Regel 2: Hände, die sechs oder sieben Länder enthalten, sind ziemlich sicher ein Mulligan. Auch wenn das eigene Deck viele 2-Mana-Kreaturen hat und eure Late-Game-Karten fantastisch sind, ihr könnt euch leider nicht aussuchen, was ihr zieht, und es passiert zu häufig, dass die teuren Karten zu spät kommen oder die billigen Kreaturen im vierten Zug zu unbeeindruckend sind. Fünf Länder sind hingegen sehr fies, denn jedes weitere Land ist zunächst einmal eine leere Karte. Fünf Länder mit einem 2-Drop und einem 3-Drop sind gut, mit einem 3-Drop und einem 4-Drop auch, aber mit je einem 4-Drop und 5-Drop schon sehr fragwürdig, natürlich immer auf die Qualität der Karten bezogen. Bei Pack Rat ist man mit sechs Ländern doch sehr zufrieden.



Keep



Kein Keep


Regel 3: Wenn ihr eine Hand zieht, sollte ihr immer im Hinterkopf haben, wie gut diese Hand für euer Deck ist und wie gut diese Hand gegen das Deck eures Gegners ist. Ein Selesnya-Deck, das auf Populate aufbaut, ist ohne Tokens sehr machtlos und ein schnelles Aggrodeck ohne die passenden frühen Kreaturen sehr unspektakulär. Wenn ihr nur wenig Removal im Deck habt, dann kann das den Unterschied machen. Ebenso, wenn ihr einen bunten 4- bis 5-Color-Haufen zusammengekleistert habt und mit den gezogenen Ländern praktisch alle eure Karten spielen könntet oder wenn matchupspezifische Karten (wie Ancient Grudge gegen Affinity oder Rest in Peace gegen Dredge) bereits alleine einen großen Vorteil bringen. Manchmal ist es sogar wichtig, dass ihr eine Hand, die normalerweise akzeptabel wäre, doch wegschmeißt, weil sie keine der wichtigen Sideboardkarten gegen euren Gegner besitzt. Das heißt nicht, dass eine gute Hand nicht gut ist, das heißt nur, dass eine mittelmäßige Hand schlechter sein kann als eine Hand mit sechs Karten und den besseren Sideboardkarten.


Regel 4: Obwohl ihr pro Mulligan immer eine Karte verliert, ist der Wert der einen Karte, die man verliert, nicht jedes Mal der gleiche. Ein Mulligan von sieben auf sechs ist verschmerzbar, ein Mulligan von sechs auf fünf schon eine halbe Katastrophe. Die prozentuale Einbuße wird immer größer. Das heißt, dass ein Mulligan auf vier meistens nicht vertretbar ist, solange sich auf der Hand beliebige zwei Länder befinden. Eine 4-Karten-Hand hat praktisch keine Gewinnchancen (wenn nicht besonders starke Einzelkarten wie Dark Confidant den Unterschied machen) und sollte fast nie eine Option sein.


Regel 5: Einen Mulligan aufgrund fehlenden farbigen Manas zu nehmen, ist schwer zu erklären, weil es so unendlich viele Möglichkeiten davon gibt. Generell ist fehlendes farbiges Mana on the play ein kleiner Suizidversuch und sollte sehr oft zu einem Mulligan führen, wenn die Hand viele unspielbare Karten beinhaltet. Ich würde schätzen, dass eine Hand mit drei unspielbaren Karten ein Mulligan ist. Gerade wenn von denen auch noch multiple Vorkommen einer fehlenden farbigen Manaquelle benötigt werden. Das heißt, dass zum Beispiel drei Länder, zwei spielbare (bevorzugt früh spielbar) und zwei noch unspielbare Karten sehr nah an der Stärke einer 6-Karten-Hand sein sollten, sodass ein Mulligan nicht richtig wäre. On the draw ist das Ganze schon eine andere Geschichte und die geschätzten 15–20% extra auf das fehlende Land (in Abhängigkeit der verfügbaren Manaquellen für die fehlende Hauptfarbe) machen den Unterschied. Natürlich ist eine Hand fast immer ein Mulligan, wenn ihr zwei oder mehr Karten einer Splashfarbe auf der Hand habt oder beide Hauptfarben benötigt werden.



Keep



Kein Keep



Keep on the play, aber nicht on the draw



Keep on the draw, aber nicht on the play


Regel 6: Falls ihr euch einmal wirklich nicht sicher seid, ob die Hand gehalten werden sollte, solltet ihr euch als Spieler betrachten. Ich zum Beispiel finde eine Karte weniger äußerst unangenehm und deswegen neige ich auch dazu, einen Mulligan eher abzulehnen. Das heißt, dass ich (geblendet von der Extrakarte) die Option, einen Mulligan zu nehmen, ein bisschen seltener nutze, als ich sollte. Deswegen entscheide ich mich immer, einen Mulligan zu nehmen, wenn ich das Gefühl habe, ebenso gut eine Münze werfen zu können. Spieler unter euch, die eher auf der sicheren Seite stehen, sollten an diesem Punkt vielleicht eher keinen Mulligan nehmen, weil sie zu vorsichtig sein könnten.


Regel 7: Schaut nach einem Mulligan niemals (niemals!) auf die obersten Karten eures Deck. Sie verändern nichts an der Richtigkeit der Entscheidung und können nur zu einer weniger objektiven Einstellung führen. Trefft einen Entschluss und seid zufrieden damit. Falls ihr Zweifel habt, könnt ihr immer andere Spieler fragen und darauf dann eure nächste Entscheidung aufbauen, aber ich habe schon oft gehört, dass ein Spieler gehalten hat, weil er bei den letzten Entscheidungen dieser Art immer ein Land gezogen hätte. Unnötig zu erwähnen, dass es dann in diesem Spiel natürlich nicht so kommt – fiese Welt.


Regel 8: Eine großer Schritt zur richtigen Mulliganwahl ist Disziplin. Egal, wie viele Hände nacheinander ein Mulligan waren oder wie glücklich man sich gerade fühlt – äußere Faktoren spielen für diese Wahl keine Rolle. Jůza hat einmal geschrieben: „The universe owes you nothing, it was there first.“ Genauso wenig interessiert sich eure Hand für eure Gefühlslage oder Entscheidung. Eigentlich interessiert sich eure Hand für gar nichts und euer Deck hat euch auch nicht gerade besonders lieb. Natürlich kann es passieren, dass ihr viele unangenehme Entscheidungen in kurzer Zeit treffen müsst, aber das Ziel ist nicht, den besten Draw zu bekommen, sondern die gegebenen Entscheidungen richtig zu treffen.


Eine kleine Hilfe

Früher habe ich Mulliganentscheidungen bewusst trainiert und auch von einer anderen Seite betrachtet. Ich habe meine Hand gezogen und dabei eine Karte gar nicht erst angesehen. Dann habe ich mir folgende Frage gestellt:


Wäre diese Hand bei sechs Karten ein Keep?

Dann ändert sich mit der Extrakarte sehr wahrscheinlich nichts. Aber wenn diese Hand ein Mulligan ist, dann entsteht die Frage, wie die fehlende Karte aussehen müsste, um die Hand zu einem Keep zu machen. Damit entsteht ein Gefühl der Vorausplanung und (ich finde) der Kontrolle. Die Entscheidung für eine Hand fiel mir wesentlich einfacher, weil ich genauer wusste, was die Hand noch braucht. Außerdem ist eine Extrakarte mit einer guten Hand einfach nur sweet.


Ihr seid gefragt!

Ich gebe zu, dass dieser Teil nicht sehr präzise ist, weil es viel zu viele Sonderfälle gibt, die nicht alle berücksichtigt werden können. Viele Einzelkarten, Setmechaniken oder Matchups können die Entscheidung beeinflussen und damit eine detaillierte Analyse unmöglich machen. Diese Form von Komplexität ist auch in tausend Artikeln nicht greifbar.

Zum Glück gibt es eine einfache Methode, diese Komplexität zu umgehen: das Gesetz der großen Zahlen. Einfach gesagt heißt das, dass jedes zufällige Ereignis bei unendlicher Wiederholung unter gleichen Voraussetzungen auf einen bestimmten Wert konvergiert. Leider haben wir nicht unendlich viele Menschen und alle haben nicht die gleichen Gedanken, aber es ist bekannt, dass diese Technik bei Menschen, gerade bei Abschätzungen (wie bezüglich des Gewichts von einem Schwein oder der Anzahl von Bällen in einem Fass) auch gut genug funktioniert.

Deswegen werde ich euch ein paar Situationen aus Drafts zeigen und jeweils erklären, warum ich die entsprechenden Hände halten würde oder eben nicht. Das heißt noch lange nicht, dass meine Entscheidung die richtige ist. Wenn ihr zu 90% die andere Entscheidung nehmt, dann sollte ich mir wohl ernsthaft Gedanken darüber machen. Bevor ich aber etwas dazu sage, würde ich euch bitte eure Entscheidung zu treffen. Ich werde euch jeweils das Deck präsentieren, damit ihr alle Inforamtionen habt und die Entscheidung soll jeweils einmal für on play und on draw getroffen werden. Na dann mal los!


Beispiel 1: Power-Populate-Selesnya






Meine Antworten:




Meine Antworten:

Beispiel 2: Schimmel-Rakdos






Meine Antworten:




Meine Antworten:

Beispiel 3: 4-Color-Haufen






Meine Antworten:




Meine Antworten:
Ich bin gespannt, wir ihr euch entscheidet und es wäre natürlich fantastisch, wenn ihr kurz oder auch ausführlich eure abweichenden Entscheidungen oder Ergänzungen in den Kommentaren begründet. Welche Erfahrungen habt ihr mit Mulliganentscheidungen gemacht und welche Position nehmt ihr auf der Jůza-LSV-Skala ein? Habt ihr vielleicht eine besondere Technik, die euch hilft, Mulliganentscheidungen einfacher zu handhaben? Natürlich bin ich für jede andere Form von Kritik ebenso dankbar.

Als Nächstes wird es dann um das Thema „Play or Draw“ gehen. Vielleicht werde ich auch einen Artikel über den Grand Prix London schreiben. Ansonsten gibt es hier noch einmal ein Cubevideo, bevor es dann nächste Woche endlich mit Gatecrash losgeht. So denn, möge der Mulligangott mit euch sein!






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