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Limited
Crashing the Party
von Thoralf Severin
29.01.2013

Für mich ist es Montagmittag. Der frisch gemachte Kamillentee vor meiner Tastatur wird galant ignoriert. Hypnotisch dreht sich das Mausrad in kleinen, regelmäßigen Intervallen, während meine Augen von links nach rechts nach links rotieren.

… Bitte, bitte nicht …

Schon längst müsste es mir klar sein, aber der Balken auf der rechten Seite ist noch nicht am Ende angelangt. Ich bin erst am Ende der einfarbigen Karten. Na gut, denke ich mir, die mehrfarbigen Karten sind immer schöner. Die Suche geht weiter. Erwartungsgemäß wird es etwas besser, trotzdem ist meine Hoffnung schnell mit wehenden Fahnen den Berg heruntergeworfen. Immerhin hat sie es versucht. Mittleweile bin ich bei den Artefakten angekommen. Es entsteht ein Gefühl der Leere. Wieder zurück im Leben trinke ich den ersten Schluck von meinem Kamillentee. Er ist kalt.

Für euch ist es der Dienstag eine Woche später. Ich hoffe, ihr hattet viel Spaß bei einem Prerelease eurer Wahl. Bevor es mit meinem nächsten Artikel über Mulliangentscheidungen weitergeht, wollte ich so zeitnah wie möglich meinen Eindruck von dem neuen Set darlegen und dabei einige Karten hervorheben. Um eine gründliche Kartenanalyse werden sich schon genügend andere Menschen bemühen.

Unschwer zu erkennen, dass ich von Gatecrash wenig begeistert bin. Das heißt nicht, dass die Edition keine gute Draftumgebung bieten kann, es heißt lediglich, dass ich mich auf wenige dieser Karten im Speziellen freue. Sicherlich sind einige Karten durchaus gut, aber das Set an sich wirkt auf mich weniger elegant. Die Gildenmechaniken sind okay, aber besonders auf den Dimir- und Boros-Karten beeindrucken mich diese Fähigkeiten wenig. Auch werde ich das Gefühl nicht los, dass sie bewusst weniger (oder schlechtere) Removal-Instants drucken, vor allem im Commonbereich, um Kreaturenverzauberungen stärker zu machen, was meiner Meinung nach definitiv ein Schritt in die falsche Richtung ist. Fangen wir mal von vorne an:













Extort als Fähigkeit gefällt mir sehr gut. Wie auch Evolve passt es einfach zur Repräsentation der Gilde und verbildlicht den Lebenstil der Orzhov-Krieger perfekt. Genüsslich wird auf Kosten der anderen das eigene Leben bereichert, und weil laserschnelle Gesichtsschmelzungen sowohl weniger spannend als auch belustigend wären, ist die Wahlwaffe der Löffel, mit dem der Gegner stetig ins Gesicht geschlagen wird.

Spieltechnisch ändert sich wenig. Manchmal wird man die Wahl haben, ob der etwas bessere Läufer gespielt werden sollte oder die schlechtere Karte mit Extort. Solange die eigenen Lebenspunkte nicht mehr wert sind als die gegnerischen, sollte Extort auf den Karten schlicht ignoriert werden, bis man entweder das Mana in diesem Zug sowieso dafür benutzen kann oder es langfristig doch absehbar ist, dass angreifen zum sicheren Selbstmord führt. Je nach Anzahl der Extortkarten wird es wohl sinnvoll sein, mindestens 18, wenn nicht sogar 19 Länder zu spielen, da im späteren Spiel jede Aktivierung von Extort maximal ausgenutzt werden will. Bleibt die Frage, ob es sich lohnt, Karten wie Blind Obedience zu spielen.













Boros, die Amerikaner der Magic-Geschichte. Auf dem Rücken der Rechtschaffenheit wird dem Gegner ordentlich ins Gesicht getreten. Selten gibt es Rücksicht auf Verluste, denn normale Bodentruppen gibt es schließlich wie Café bei Starbucks.

Nach dem ersten Spoilerblick war ich von Boros wenig beeindruckt, aber eine schnelle Armee ist hiermit quasi aus dem Nichts gezaubert und dann auch erschreckend schlagfähig. Ein Boros-Deck steht und fällt mit den 2-Drops, denn die verlieren kaum an Spielbarkeit, und zu fliegen oder nicht blocken zu lassen, ist schon ein Premium-Add-on. Zum Glück gibt es davon unendlich viele und die Option, auf den Extortbären (Syndic of Tithes) zurückzugreifen, gefällt mir ebenfalls gut. Leider fehlt es im 1er-Slot stark an spielbaren Kreaturen, beziehungsweise überhaupt an Kreaturen, denn mit Boros Elite oder sogar Foundry Street Denizen ist man schnell zufrieden. Act of Treason wird ein gern gesehener Gast in jedem Boros-Deck sein. Wichtig gegen Boros ist, dass es lediglich eine Hastekreatur in Form vom wiederauferstandenen Skyknight Legionnaire gibt. Der Rest sind Rares und die werden im Draft als nichtexistent betrachtet. Diese Gilde ist nichts für Einzelkinder mit Luxusproblemen, jeder Mann ist willkommen und wahrscheinlich spielt man 16 Länder weit häufiger als 17 Länder.













Es ist schwer, deutlich genug auszudrücken, wie brillant Evolve als Fähigkeit für diese Gilde ist. Natürlich werden viele widersprechen und behaupten, dass Gott diese Karten alle am achten Tag erschaffen hat, um den gelangweilten Menschen auf dieser Welt eine dauerhafte Freude zu machen. Nicht nur ist die Idee von Evolve perfekt auf die Gilde abbildbar, die Karten mit dieser Mechanik harmonieren auch so wunderschön.

Natürlich freut man sich über jede Kreatur mit Evolve, aber man muss auch aufpassen, denn wer zu spät für die Evolution kommt, der bleibt ein Affe und das wohlmöglich sehr lange. Meistens wird es nicht zu der Situation kommen, dass zu viele Evolver im Deck sind, aber intuitiv wirkt es so, als ob man von vielen Evolvern nicht mehr als einen (maximal zwei) der gleichen Sorte im Deck haben will, denn mit gleichen Mulitplen funktioniert die Mechanik weniger gut. Dafür glänzen die Simic-Rares, -Mythics und -Uncommons nahezu alle, auch ohne Foil zu sein, und Ooze Flux ist mit zwei billigen Evolvern schon recht witzig. Überhaupt scheinen die Karten, die nicht zur Gilde gehören, prima damit zu interagieren. Rapid Hybridization (oder Pongify für die Veteranen) kann Evolve auch mal auslösen und Leyline Phantom ist vielleicht nicht so schlecht, wie man denken mag.













Es riecht nach Verrat, Verrat an Dimir selbst. Diese stolze Gilde greift auf die beiden besten Farben zu (Achtung, persönliche Präferenzen des Autors) und bekommt wieder einen Mechanikreinfall wie aus alten Zeiten mit Transmute. Dabei gefällt mir die Mechanik diesmal sogar äußerst gut, aber auf keiner der Karte wird dieses Potenzial so richtig ausgeschöpft. Mir ist klar, dass es schnell passieren kann, dass eine Karte viel zu gut wird, wenn sie zu wenig kostet, aber in einer Welt von angriffslustigen Amerikanern und tollwütenden Trollvölkern erscheinen mir die vielen 4- und 6-Mana-Karten irgendwie zu holzig.

Das Gemeine an der ganzen Sache ist, dass die Kreaturen in der Defensive überhaupt nicht glänzen und dass die meisten Cipherkarten gegen Removal ein solider 0:1-Tausch sind. Wo sind eigentlich die guten 2-Mana-0/4-Mauern, die auch noch mühlen können? Wäre Doorkeeper in diesem Set nicht viel besser aufgehoben? Ist das Stärkste, was man mit Cipher anstellen kann, wirklich, eine Karte zu ziehen? Selbst unter den 6-Mana-Karten gibt es keine, die wirklich verlässlich ein Spiel in die eigene Richtung zieht, und das sind beides Rares. So wird Frilled Oculus der Allstar im Dimir-Deck sein, schon recht traurig. Auffällig ist auch, dass im gesamten Uncommonslot keine Karte besonders hervorsticht. Ich bin gespannt, wie ein erfolgreiches Dimir-Deck aussieht, aber meine Vermutung ist, dass es auf eine dritte Farbe zurückgreifen muss und an den oberen Tischen regelmäßig durch Abwesenheit glänzen wird.













Gruul ist die Gilde, in der die Kreaturen sowohl Feuer als auch Feuerholz sind. Getreu dem Motto „Augen zu und durch“ (beziehungsweise „Augen auf, ich komme“) werden programmartig Kreaturen auf den Tisch gelegt, die Dimir-Soldaten als Zahnstocher benutzen. Der Flavortext von Gruul Charm gibt die Richtung vor. Besonders elegant finde ich Bloodrush nicht, aber es ist eben auch nur Rot-Grün, da muss man nicht unbedingt die perfideste Fähigkeit erwarten. Interessant ist, dass sowohl die Kreaturen als auch die Effekte sehr nah an den Kosten der einzelnen Karten liegen.

Bloodrush geht nur auf angreifende Kreaturen. Das ist glücklicherweise weniger dramatisch, wenn man sich von Spielbeginn an sowieso im Angriffsmodus befindet. Gruul ist auch die einzige Farbkombination, in der mir das Removal wirklich gut gefällt, denn Pit Fight sollte meistens allein ausreichen, aber im Notfall gibt es ja auch noch die Bloodrushoption vorher. Insgesamt hat Gruul Zugriff auf drei starke Removalsprüche, die Commons sind, und drei weitere, die Uncommons sind, was – ganz im Raiffeisenstil – den Weg freimachen sollte. Meistens wird es sich mehr lohnen, die besseren Kreaturen mit Bloodrush einfach auszuspielen, als die kleinen Kreaturen zu beschützen, aber Bloodrush glänzt am meisten an dem Punkt, wo die kleinen Kreaturen später noch relevante Pumpsprüche sein können. Ich persönlich war in Scars of Mirrodin großer Fan von Alpha Tyrranax und prophezeie Ruination Wurm noch viel glorreichere Zeiten. Aber so rüchsichtslos wie ein Gruulspieler auch sein darf, der natürliche Feind ist eine blockende Kreatur und ein weißes Mana, denn Smite ist eine Common und sehr stark.


Nach den Gilden will ich die Aufmerksamkeit noch auf ein paar einzelne Karten lenken. Leider gibt es, wie gesagt, nicht viele Karten, bei denen ich mich wirklich darauf freue, sie zu spielen, aber doch einige Karten, über die man sich Gedanken machen kann.


Für nur zwei Mana gibt es mindestens die drittstärkste Kreaturenkarte aus dem Deck. In den seltensten Fällen wird man drei Spoiler im Deck haben und oft wird eine der gewinnbringen Karten bereits auf der Hand sein. Sicherlich kann die Chance auf den einen Spoiler die Karte wert sein, aber ich vermute ihre wirkliche Spielbarkeit in einem anderen Punkt: Sie sorgt nämlich dafür, dass ein Spiel stabiler wird. Signal the Clans ist nämlich ein 3-Drop, ein 4-Drop, ein 5-Drop oder eben eine Bloodrushkarte, wenn man sie braucht. Das hilft, solide ins Spiel zu finden und dort zu bleiben. Deswegen ist es wichtig, schon beim Draften und Deckbau darauf zu achten, drei Karten eines Slots finden zu können. Es kann durchaus sinnvoll sein, einen 5-Drop mehr zu spielen, damit man im fünften Zug auch tatsächlich einen legen kann.


Ich als handfester Freund von Lava Axe freue mich über diese Karte riesig. Mindestens genauso riesig, wie ich mich ärgere, dass sie in Dimir einfach nichts ausrichten kann. Aber Freunde der Vielfarbigkeit werden sich vielleicht an dieser Karte erfreuen können, denn ich denke, dass diese Karte durchaus einen Splash wert ist. Sowohl in Simic-Decks durch Flugfähigkeit als auch im Gruul durch Trampelschaden kann diese Karte schnell sechs bis neun Schadenspunkte machen. (Und Orzhov mit ein paar Fliegern gibt es ja auch noch …)


Generell finde ich es gut, dass Planeswalker nicht mehr so spieldomiant sind, wie sie es früher waren, aber Gideon wird doch höhstens einem Tibalt, the Fiend-Blooded gerecht. Okay, so ganz stimmt das nicht; in der Tat wird Gideon immer besser, je öfter ich ihn ansehe. Das Problem ist, dass Lord Gideon erst mal im Planeswalker-Ballparadies groß wird und eine gute Defensive benötigt, um selbst im Spiel mitzuwirken. Ansonsten ist er eben auch nur eine große Anzahl an Lebenspunkten. Aber sobald der Gegner nicht komfortabel angreifen kann, sieht es schon eng für ihn aus, denn dann kommt Gideon als unzerstörbarer Halbgott, der keinen Schaden bekommt, auf eine Stippvisite vorbei. Alternativ kann man ihn auch als Sparbuch benutzen und nach Jahren mit Zins und Zinseszins die Welt in die Luft jagen und die beste Kreatur plus Land von der Hand spielen. Das sollte dann meistens locker ausreichen.


Interessanterweise steht hier wirklich nur „nonartifact“, was man in dieser Edition auch getrost hätte streichen können, denn Keyrunes zu zerstören, ist wohl selten der Schlüssel zum Erfolg. Ich glaube, dass der Mühlplan wirklich umsetzbar ist (wobei ein bisschen stärkeres Dimir dafür recht nett gewesen wäre), und multiple Vorkommen dieser Karte sind praktisch ein Selbstläufer. Damit Power 4 oder 5 zu erwischen, macht schon ein Sechstel der ganzen Arbeit. Sicherlich ist die Stärke dieser Karte recht offensichtlich, aber vielleicht lässt sich eine solide Draftstrategie aufgrund von ein paar frühen Exemplaren dieser Karte aufbauen.


Ich vermute, dass diese verrückte Karte fast allein schon ein gutes Deck machen kann. Sowohl im Boros als auch im Gruul ist ein schneller Start mit dieser Karte auf irgendeinem 1-Drop oder 2-Drop beinah spielentscheidend, falls die Kreatur nicht zeitnah entsorgt wird. Und hier wird's gemein, denn im Commonslot gibt es nur genau zwei Karten, die das überzeugend machen: Devour Flesh und Mugging. Alles andere nimmt mindestens einmal den Schaden und damit war die Karte auch ihre drei Schadenspunkte wert; nicht unbedingt das Beste, aber eben auch nicht das Schlechteste. Alles darüber hinaus ist für zwei Mana schon verdammt gut. Selbst im Uncommonslot gibt es lediglich vier Antworten (Agoraphobia, Killing Glare, Orzhov Charm und Dimir Charm) und zwei davon funktionieren tatsächlich nur als Antwort. Und selbst im späteren Spiel kann diese Karte auf einem Flieger oder auf einem Erstschläger ordentlich den Gegner verprügeln. Prädikat: besonders wertvoll.

Wir werden sehen, wie sich dieses Set entwickelt, und im Endeffekt zählt für mich auf jeden Fall auch der Spaßfaktor beim Draften. Dafür hätte ich mir gerne noch einen Manafixer mehr gewünscht, sodass auch ein gutes vierfarbiges Deck möglich ist. Natürlich seid ihr herzlichst eingeladen, eure Gedanken zu den Gilden, den Karten, anderen Karten oder der Unfähigkeit meinerseits in Bezug auf die Karten oder einfach im Allgemeinen in den Kommentaren auszudrücken. Sobald die neue Edition auf Magic Online erschienen ist, wird es dann viele Drafts und Sealedevents dazu geben. Somit verlasse ich euch mit einigen Fragen …

Warum sind diese Länderverzauberungen alle so teuer (und warum zur Hölle kann man Skygames nur als Hexerei aktivieren)?
Wieso verdient dieses Set keine ordentlichen Mauern?
Weshalb macht dieser gammelige Gyre Sage nicht Mana in Höhe seiner Stärke?
Hätte das Set und Magic generell wieder mal einen Stifle-Effekt verdient?
Warum legt Immortal Servitude nicht einfach alles mit X und weniger auf den Tisch?
Hätte man den Duskmantle Guildmage nicht auch gut machen können?
Warum kostet Scatter Arc nicht einfach drei Mana?
Wo ist der Gate-Tutor für diese Edition?





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