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Helden in der Synergie-Falle
von Christoph Hölzl
25.04.2011

„Das ist mindestens ein 2:1-Deck!“ – Eine typische Selbsteinschätzung, wie wir sie nach jedem Draft treffen. Aber wie kommen wir eigentlich zu dem Urteil, ob ein Deck nun ein 3:0 oder ein 0:3 verdient hat? Unsere Einschätzung ist eine Mischung aus dem Gefühl, das wir während dem Draft hatten, und unserer Erfahrung mit dem Format. Indikatoren für die Stärke des Decks sind: Wie sieht's mit Bomben aus? Wie viel Removal habe ich? Ist meine Kurve okay? Habe ich Karten fürs Lategame?

Alles sinnvolle Parameter … Trotzdem liegen wir mit unserer Einschätzung oft daneben: 3:0 mit einem scheinbar schlechten, klobigen Deck ist genauso möglich wie 0:1 mit einem vermeintlich sicheren Siegerdeck. Unter anderem liegt das natürlich an der hohen Varianz von Drafts; aber regelmäßiges schlechtes Abschneiden mit angeblich tollen Decks einfach auf Pech zu schieben, ist ein großer Fehler.


Jedes Draftdeck ist wie ein Held in einem Rollenspiel à la Diablo oder World of Warcraft. Wir haben eine begrenzte Anzahl an Ressourcen, die wir in die verschiedenen Attribute unseres Deckhelden investieren können: Angriffskraft (Wie gut kann unser Deck töten?), Magie (Wie gut kann das Deck Threats aufhalten und/oder Cardadvantage generieren?), Schnelligkeit (Wie schnell tötet unser Deck, wird es leicht überrannt?) und Konstanz (Wie zuverlässig ist unser Deck?).

Am Anfang des Drafts ist unser Held noch „nackt“, besteht aus nichts außer 17–18 Ländern beliebigen Typs. Im Laufe des Drafts rüsten wir ihn mit allerlei Waffen und Utensilien aus: Equipment, Kreaturen, Removal, Tricks … Jeder dieser Spells wirkt sich auf die Attribute unseres Helden aus, bis am Ende das fertige Deck mit seinen individuell besonderen Fähigkeiten vollendet ist.


Beispielhafte Helden

Schauen wir uns einmal die Bedeutung und Verteilung der Attribute anhand eines Beispiel-„Helden“ aus meinem ersten Magic Online-Draft mit Besieged an:


Sieht auf den ersten Blick sehr klobig aus. Betrachten wir einmal, was für Werte sich für diesen Dinosaurier ergeben.

Schnelligkeit: Nennen wir es lieber Langsamkeit. Die Spells kosten im Schnitt 3,5 Mana, das Deck ist sehr manahungrig und hat einen überfüllten 5-Slot.

Angriffskraft: Sehr hoch, die Kreaturen im Deck bringen es zusammen auf 57 Power. (Eine offensichtliche Milchmädchenrechnung, sonst wäre Blightsteel Colossus ja ein First Pick. Kurve, Evasion etc. spielen ebenfalls eine Rolle.)

Magie: Das Deck kann mit den meisten Threats, die ihm vorgesetzt werden, gut umgehen, auch die Removalmenge ist ansprechend. Nur farbige Bomben (Hoard-Smelter Dragon) sind ein großes Problem. Billiges Removal und Beschleuniger sollten einen meist ins Lategame bringen.

Konstanz: Das Deck hat eine hohe Redundanz und stabiles Mana; das Risiko von Flood wird durch den hohen Impact der Karten gemildert. (Fatties sind quasi „Kartenvorteil“.)

Fazit: Dieser Held kann Schwierigkeiten bekommen, wenn er es mit einem schnellen Infectdeck zu tun bekommt. Gegen alle anderen Decks gewinnt man in der Regel dadurch, dass man sehr konstante Draws hat und viele der eigenen Threats besser als 1:1 abtauschen. Für mich selbst sah das Deck instinktiv sehr nach 2:1-Material aus, spielte sich dann aber wie ein klares 3:0-Deck.

Zum Vergleich ein metallischer Held, noch aus Zeiten von Triple-Scars:


Schnelligkeit: Relativ schnell, im Schnitt kostet jeder Spell unter 2,5 Mana.

Angriffskraft: Ohne Tempered Steel im Spiel und ohne Metalcraft sehr wenig Durchschlagskraft (unter 30 Power), mit beidem kann das Deck dagegen sehr hart zuschlagen.

Magie: Das Deck hat etwas weniger Removal, kann aber auch mit (fast) jeder Karte im Format klarkommen. Kartenvorteil erreicht es durch 1/1-Tokens und Razor Hippogriff.

Konstanz: Die Manabasis ist super, gerade wegen der überwiegend farblosen Karten. Dafür kann man „artifactscrewed“ sein und ist gleichzeitig in vielen Situationen anfälliger gegen einen einzigen Removalspruch.

Fazit: Das Deck war für mich ein Kandidat auf den Draftsieg, ging in Wahrheit aber in der ersten Runde ein, weil ich über weite Phasen der Spiele mangels Metalcraft/Tempered Steel nur kleine Würste auf dem Feld hatte.

Anscheinend ist dieses Dinosaurierdeck besser als dieses Metalcraftdeck – und das trifft aus zwei Gründen auch auf die durchschnittlichen Vertreter der beiden Archetypen zu.

Erstens: Logischerweise nehmen zwar beide Decks Removal sehr hoch, aber während die wenigsten guten Metalcraftkreaturen jemals um den Tisch gehen, kommt Molder Beast und Alpha Tyrannax regelmäßig zurück. Die sieben 5-Mana-Fatties im obigen RG bekam ich zum Beispiel alle zwischen dem siebten und zehnten Pick, während bei Metalcraft immer einige schwere Entscheidungen zwischen Spells, Metalcraft-Enablern und Metalcraft-Profiteuren anstanden.

Zweitens: Die angebliche Stärke „Synergie“ ist in Wahrheit die große Schwäche des Metalcraftdecks. Synergie ist für Metalcraft nicht der Weg zu einfachen Siegen, sondern Grundvoraussetzung, um überhaupt mitspielen zu können.


Was bringt Synergie wirklich?

Die primäre Leistung von Synergie besteht darin, dass sie aus schlechten Karten gute macht. Synergie kann dabei durchaus so aussehen, dass auf vielen Karten einfach dasselbe Keyword steht („Infect“). Hauptsächlich geht es aber darum, Karten aufzusammeln, die insgesamt die Attribute unseres Helden am meisten verbessern. Bei Infect funktioniert das deshalb, weil es eine aggressive Schwarmstrategie ist, die den Gegner in die Defensive drängt. Dadurch werden spät gepickte Pumpspells auf ein ähnliches Niveau angehoben wie First Picks der Gegner und man braucht gar keine Ressourcen in die eigene Defensive zu investieren, da der Gegner einen kaum einmal racen kann.


Bei Metalcraft dagegen würde ich eher von Varianz als von Synergie sprechen. Wenn alle Rädchen ineinandergreifen, macht man auch hier Karten besser als sie eigentlich sind. Der Unterschied ist: Ein gewheeltes Mirran Mettle kann sich im Infectdeck fast wie ein Grasp of Darkness spielen, während man zum Beispiel Chrome Steed trotzdem als dritten bis fünften Pick nimmt; es ist also selbst mit Metalcraft nicht viel stärker, als der Preis/Pick, den man dafür aufgewendet hat. Trotzdem muss man im Draft ein ähnliches Risiko eingehen wie der Infectdrafter: Wenn man von Metalcraft abgeschnitten wird und man nicht den richtigen Mix aus Enablern und Profiteuren findet, hat man einen ähnlichen Haufen wie ein Giftspieler mit nur acht Infectkreaturen.

Daraus jetzt zu schlussfolgern „Okay nie mehr Metalcraft!!!11eins“ ist aber weder unbedingt korrekt, noch dauerhaft eine Lösung für das Problem. Dessen Wurzel ist, dass man bei Synergie automatisch an Interaktionen von ein paar bestimmten Karten miteinander denkt (zum Beispiel Glint Hawk und mögliche Ziele) – und dabei das große Ganze aus den Augen verliert: Ziel eines jeden Drafts ist offensichtlich, ein Deck zu haben, das gegen die möglichen Decks der sieben Mitdrafter die höchsten Siegchancen hat.

Während sich manche Picks auch im Vakuum noch ganz gut entscheiden lassen (Glint Hawk Idol ist nur im Sonderfall schlechter als Glint Hawk), habe ich keine pauschale Antwort auf „Grasp of Darkness oder Cystbearer?“ und auf „Wall of Tanglecord oder Molder Beast?“, weil es zu sehr auf die vorherigen Picks und die Bedürfnisse des Archetypen ankommt.

Bisweilen muss man Cystbearer sogar über Grasp picken, um auf genug gute Kreaturen und damit genug Konstanz im Spiel zu kommen. Nur so werden dann die eigenen Pumpeffekte auch richtig gefährlich.

Wir müssen also immer vorausdenken: Wie wertvoll sind die zur Auswahl stehenden Karten bereits für mein Deck, wie wertvoll können sie werden, wie beeinflussen sie spätere Picks hinsichtlich Kurve, Farbwahl …

Verschiedene Helden/Archetypen erfordern unterschiedliche Prioritätensetzung, um ihre jeweiligen Stärken zu betonen und Schwächen auszugleichen. So schätze ich beispielsweise die durchschnittlichen Attribute der angesprochenen Archetypen ein:



Angriffskraft: ++
Schnelligkeit: ++
Konstanz im Spiel: ++
Konstanz im Draft: −

=> High Risk, High Reward



Angriffskraft: ++
Schnelligkeit: −
Konstanz im Spiel: +
Konstanz im Draft: ++

=> Low Risk, Medium Reward



Angriffskraft: +
Schnelligkeit: +
Konstanz im Spiel: −
Konstanz im Draft: +

=> Medium Risk, Low Reward


Fazit

Synergie ist letztlich für mich das falsche Ziel für Draftdecks, besser finde ich „Fokus“. Es ist nämlich irrelevant, ob wir gewinnen, weil unsere Karten sich gut ergänzen (Infect, Metalcraft), stärker sind als die vom Gegner (Dinosaurier) oder wir ihn zu Tode racen/kontrollieren. Wichtig ist nur, dass wir beim Draft und Deckbau dafür sorgen, dass die Mischung des fertigen Decks stimmt. Naiv drauflos draftend aber würden wir im durchschnittlichen Metalcraftdeck zu wenig Win-Conditions haben, im durchschnittlichen Dinodeck an einer zu unausgewogenen Kurve eingehen und viele Infectdrafts in den Sand setzen, weil wir nicht gut genug cutten.

Übrigens, nicht jede Prinzessin ist rettenswert und metallenen „Helden“ sollte man nur unter besonders günstigen Umständen sein Vertrauen schenken.

Chris




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