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Die Stunde des Lichs
von Michael Diezel
08.07.2010

Jedes Vierteljahr bin ich aufs Neue neidisch, wenn auf jeder halbwegs relevanten Magic-Seite einzelne Schmuckstücke der neuen Edition exklusiv vorgestellt werden.

Für den Schreiber ist das recht einfach: Man startet mit einem historischen Exkurs, da mittlerweile jede Idee irgendwo schon einen Ahnen besitzt, der einen vergleichbaren Ansatz verfolgte. Damit zeigt man zum einen, wie alt (sprich: weise) man ist und verweist damit auf seine Kompetenz und zum anderen bekommt man eine gute Vorstellung, in welcher Umgebung die Karte Constructed-Potenzial entwickeln könnte. Vielleicht noch ein- bis zwölfmal „awesome“ eingebaut und direkt weiter mit dem Hauptaspekt: Welche supertollen, unschlagbaren Decks werden damit gebaut?


Dieser Punkt ist manchmal gar nicht so einfach zu beantworten, da moderne Karten einen beachtlichen Qualitätsstandard überspringen müssen, um überhaupt infrage zu kommen. Ich meine, stellt euch doch mal folgende Karte vor:

Serra Angel 2.0 –
Flying
Vigilance
5/5

Awesome? Keine Frage. Bei einer passenden Illustration mit möglichst viel Engel und möglichst wenig Bekleidung sogar awesome! mit Ausrufezeichen. Spielbarkeit? Leider nicht vorhanden, da man ja auch einfach Baneslayer Angel nehmen kann, der in 99,9% der Fälle toller ist. Das alles spielt jedoch keine wirkliche Rolle, schließlich ist man der erste Mensch (die R&D-Leute sind offensichtlich Legenden), der sich Gedanken darüber machen darf. Selbst wenn diese schnell in aussichtslosen Ansätzen enden.

Da ich auf absehbare Zeit leider nicht in eine solche Situation kommen werde, hier einfach mal meine nicht ganz so exklusive Preview für eine Karte, die ich schon jetzt in mein schwarzes Herz geschlossen habe:


Beginnen wir mit den Manakosten, denn die deuten schon auf etwas Besonderes hin. Für drei Totenköpfe beschworen wir in der guten alten Zeit z.B. diese faire Verzauberung:


Oder lustige Kombokarten, gegen die man auch mal gern verliert:


Unvergessen natürlich auch ein Schlüsselspieler im Zombie-Deck, mit dessen Hilfe der Zombie Master zu Höchstform auflief:


Natürlich half damals die Tatsache, dass gleichbedeutend mit Dark Ritual war, ungemein beim tatsächlichen Wirken dieser Karten. Das gibt es natürlich derzeit nicht im Standard-Format. Neben den Manakosten erinnert natürlich auch der Name „Lich“ an glorreiche Zeiten. Wer erinnert sich nicht an das grandiose Deck des berühmten Mike L. Diezel, der damit anno 1483 den 55. Platz beim Grand Prix Kopenhagen erreichte:


3 Sensei's Divining Top
4 Cabal Therapy
2 Duress
2 Farseek

3 Night's Whisper
2 Vindicate
3 Pernicious Deed
4 Overgrown Estate
3 Nefarious Lich
3 Sickening Dreams

4 Tainted Pact
1 Temple Garden
4 Overgrown Tomb
1 Plains
1 Forest
4 Windswept Heath
3 Tainted Field
2 Tainted Wood
5 Swamp


4 Sakura-Tribe Elder
2 Eternal Witness

Sideboard:

1 Vitu-Ghazi, the City-Tree
4 Anurid Brushhopper
4 Spectral Lynx
3 Exalted Angel
1 Duress
1 Eternal Witness
1 Pernicious Deed



Nicht nur der Name, auch die Wirkungsweise ist ganz ähnlich: Man spielt das Ding aus, dann ist es so lange toll, bis der Gegner es wegmacht. Und dann hat man verloren. Also beim neuen Lich natürlich noch nicht direkt, obwohl ein möglicher 1-2-Abtausch sicher nah dran ist. So ist das eben mit den schwarzen Karten. Da bezahlt man nicht nur mit Totenköpfen, sondern schnell mit dem Leben. Fragt einmal diesen Faust. Oder Nestor, falls den noch jemand kennt.

Dazu passt auch das Bild des toten Herrn, der seine zukünftigen Opfer mit einem atomar verstrahlten Regenwurm ködert. Mich würde ja die lila Aura zumindest etwas skeptisch stimmen, aber nun ja. Details.


Die Geschichte lehrt uns jedenfalls, dass Karten für bzw. mit dem Namen „Lich“ prinzipiell awesome sind, also muss dieser (da das Bild richtig abgeht) mindestens awesome!! sein.

Okay, genug aus der Vergangenheit, hinein in die Gegenwart. Offensichtlich benötigt man Artefakte, um irgendetwas mit dem Typen anzufangen. Selbstverständlich gibt es auch Situationen, in denen er ohne stark ist (vier Bridge from Below im gegnerischen Friedhof. Awesome!), aber in den meisten Fällen bietet es sich schon an, ihn länger als für einen Wimpernschlag auf dem Spielfeld zu behalten. Bevor uns im Herbst Mirrodin 2K10 die Wiederauflage von Arcbound Ravager und Mox Emerald (nicht mehr so broken, Grün hat ja sowieso genug andere Manabeschleunigung) beschert, müssen wir mit dem leben, was das Format so hergibt und das ist zunächst das hier:


Ich gebe zu, die Kombo ist ziemlich offensichtlich, erhält man auf diese Art doch nicht nur ein, sondern zwei unzerstörbare Monster, die jeweils ein direktes Duell mit dem Baneslayer Angel lachend überstehen. Awesome! Leider scheint der Koloss keine Neuauflage in M11 zu bekommen (wahrscheinlich aus Angst vor der Dominanz ebenjener Kombination), sodass wir uns schon mal nach Alternativen umsehen sollten.

Da ein vergleichbares Powerlevel fehlt, versuchen wir stattdessen den anderen wichtigen Aspekt des Lichs auszunutzen: Er ist ausgesprochen günstig. Ich meine, Mox, Ritual, Lich – was will Gegner machen? Aber auch ohne sollte besser schon ein Artefakt in Runde 1 oder 2 das Spiel betreten haben, um unseren neuen Starspieler ein gelungenes Wirken möglichst zeitig zu ermöglichen. Hierfür gibt es zahlreiche Optionen (ich war selbst überrascht, wie viele Artefakte es derzeit im Standard gibt!), die sich grob in drei Kategorien einteilen lassen:

1)
Aggro a.k.a. Equipment: Adventuring Gear, Basilisk Collar, Blade of the Bloodchief, Demonspine Whip, Mask of Riddles, Sigil of Distinction, Trusty Machete usw.
2)
Control: Armillary Sphere, Everflowing Chalice, Expedition Map, Executioner's Capsule, Pithing Needle, Prophetic Prism, Kaleidostone, Relic of Progenitus, Scepter of Fugue
3)
Borderposts

Natürlich gibt es noch weitere Artefakte, aber diese sind entweder unbezahlbar (farblich, quantitativ) oder Kreaturen und somit ziemlich gut angreifbar. Einige sind auch einfach zu schlecht, wie etwa das Zauberbuch, aber mit einer solchen Einordnung sollte man vorsichtig sein. Vor kurzem spielte ein Magic Online-Gegner auch Snap auf meinen Devout Harpist, um seinen Cloak of Mists auf dem Coral Merfolk zu schützen.

Von den aufgeführten ist besonders Gruppe 3 ziemlich brauchbar, da sie den eigenen Gameplan (wie auch immer der im Detail aussieht) kaum stören und somit schnell integriert sind. Die beiden anderen Gruppen führen zu jeweils unterschiedlichen Konzepten, wobei auch hier manchmal die Grenzführung nicht so streng zu sehen ist.

Ein Problem bei einigen der spielbarsten Vertreter der zweiten Kategorie ist derweil jedoch unbedingt zu beachten: Sie legen erst richtig los, wenn man sie opfert (Sphere, Map, Relic), was per Definition eine schlechte Idee ist, wenn sie die Philakteriums/Phylacter/wie-auch-immer-das-übersetzt-wird-Marke auf sich tragen. Andererseits verzichte ich gern auf weitere Länder, wenn währenddessen mein neuer 5/5-Freund schlagen geht.

Stellt sich die Frage, welches der beiden Konzepte vielversprechender ist. Prinzipiell deutet ja alles auf Aggro, da ein solcher Body in Runde 3 das ja geradezu vorgibt. Vorher noch schnell diesen hier gespielt:


...und schon hat man die 2-Runden-Clock. Die Sache hat allerdings einen kleinen Haken. Damit diese Situation entsteht, möchte man Runde 1 Artefakt, Runde 2 Shade (oder irgendeinen Vampir) legen und dann die Kurve mit dem Lich abrunden. Klingt eigentlich ganz gut, zumal es eh keinen ordentlichen Mann für Turn 1 gibt. Das eigentliche Problem ist der Gegner und seine Antworten. Sowohl Maelstrom Pulse als auch Oblivion Ring auf das Artefakt der ersten Runde machen nämlich aus dem Tod in zwei Zügen einen Exitus in ferner Zukunft. Da bietet es sich doch an, vorher schnell einen Discardzauber zu wirken, der jedoch die Kurve ein wenig zerstört.

Stattdessen kann man es vielleicht mit einem Plan versuchen, der dem der Vampire ähnelt, ohne auf die trendy Blutsauger selbst zurückzugreifen. Aggro-Kontrolle bzw. Kontrollierte Offensive, wie Otto Rehhagel es vor 192 Jahren genannt hat. Einfach die besten Karten der Farbe zusammenmischen und sehen, was passiert. Ungefähr so funktionieren sowieso alle Decks des Formats, wobei man „die besten Karten einer Farbe“ durch „die besten Karten zweier (dreier) Farben“ ersetzen kann. Awesome!

Eventuell machen wir das auch gleich bei dieser Variante, da es kaum einen Grund gibt, an Mono-Schwarz festzuhalten, wenn das bestmögliche Artefakt schon eine gelungene Doppellandimitation vollführt. Allerdings würden wir uns auf kleine Splashs beschränken, da Dreifach-Schwarz trotz allem erst einmal aufgebracht sein will. Die dunkle Einfarbigkeit lockt natürlich mit Mind Sludge und der Sicherheit eines Erstrunden-Sumpfs. Die zweite Farbe bietet Blightning, Earthquake auf der einen und Jace, the Mind Sculptor auf der anderen Seite. Das könnte schwierig werden.

Auf jeden Fall gibt es mittlerweile ordentliche Treter in Schwarz mit dem X/Xer für zwei, 5/5er für drei und 6/6er für vier Mana. Da müsste doch was gehen.


Die Artefakte der Wahl sind wohl vier bis acht schwarze Borderposts, Relic of Progenitus (nimm das, Vengevine!), Executioner's Capsule, Pithing Needle, Armillary Sphere und vielleicht sogar Everflowing Chalice, wenn man die Manakurve ein wenig nach oben ziehen möchte. Da sind auf jeden Fall ein paar Gurken dabei, wir werden sehen, ob das unser neuer Starspieler ausgleichen kann.

Die schwarze Variante baut sich jedenfalls fast von selbst, aber damit ihr nicht auf den Gedanken kommt, mit dieser Aussage würde ich mich vor etwas drücken, hier die Liste:


4 Nantuko Shade
4 Gatekeeper of Malakir
4 Phylactery Lich
4 Abyssal Persecutor

4 Inquisition of Kozilek
3 Duress
2 Pithing Needle
4 Relic of Progenitus
4 Executioner's Capsule
3 Consuming Vapors

4 Dread Statuary
20 Swamp



Mit fetten zehn Artefakten, sollte man immer einen Markenträger für den Lich liegen haben. Die sieben billigen Discardsprüche sichern diesen dann sowohl vor den angesprochenen Pulsen und Ringen als auch vor unschönen Path to Exile, die sich bekanntlich wenig um Unzerstörbarkeit scheren. Die Nadeln stellen im Optimalfall die Planeswalker des Gegners ab, es sei denn, dieser konnte sie sich aus Budgetgründen sowieso nicht leisten und spielt deswegen Monorot. Dann begrüßt ihr ihn zunächst im Osten und benennt Hellspark Elemental. Das ist neuerdings in dieser Art von Deck oft wieder dabei und so hat die Nadel zumindest einen kleinen Effekt.

Gatekeeper of Malakir ist zwar ein Vampir, sieht aber nicht so aus als würde er demnächst anfangen, in der Sonne zu glitzern, und geht somit als dunkelschwarze Karte durch. Außerdem kostet er eigentlich auch und über die historische Bedeutung dieser dämonischen Symbole haben wir ja schon gesprochen. Die Statue gewinnt schließlich die Wahl zum besten Land, das nicht Sumpf heißt, da das Deck gerne mal zur Manaflut neigt und damit die eigentlich zu teuren Aktivierungskosten doch bezahlt werden können.

Das beste Matchup ist offensichtlich DredgeVine, oder wie man dieses Konstrukt aus diversen Lootern, Hedron Crab und Vengevine nennen möchte. Die disconnecten mit Sicherheit beim Relic of Progenitus in Runde 1. Gegen Jund ist es ungefähr 50-50, nach dem Boarden jedoch andersherum. Burn ist tatsächlich machbar, insbesondere die „Höllenversion“, da deren Tierchen tot bleiben, nachdem sie einmal gestorben sind. Andere Decks gibt es hier nicht zu bekämpfen, ich denke aber, dass man gegen sie im Bedarfsfall ein 75-bis-115-Prozent-Matchup hat. Awesome!

Ins Sideboard muss unbedingt Scepter of Fugue als weiterer Lich-Kumpel, der noch dazu einen nicht unbeachtlichen Effekt in den langsameren Matchups zeigt. Dazu kommt wohl Mind Sludge und ein paar billige Removal sowie ein einzelner Ulamog, the Infinite Gyre. Dieser wird gegen die garantiert wieder auftauchenden Milldecks hereingenommen. Jedes Mal, wenn er dann von der Bibliothek in den Friedhof wandert (und von dort mitsamt ~43 mühevoll gemühlter Karten zurück), kann man ein Bierchen öffnen und sich über den abgewendeten Decktod freuen. Gleichzeitig übernimmt Ulamog die Funktion des Maskottchens. Das hatte Argentinien auch immer am Rand stehen (obwohl es nichts gebracht hat) und die Ähnlichkeit mit der Hand Gottes hat letztendlich den Ausschlag im Duell mit den Stiefbrüdern Kozilek und Emrakul gegeben.

Kommen wir zur zweifarbigen bzw. aggressiven Version. Hier spielen gleich noch ein paar lustige Opfereffekte mit, sodass eine Mordsgaudi garantiert sein sollte. Am Start hat man:


2 Mortician Beetle
4 Viscera Seer
4 Bloodghast
4 Bloodthrone Vampire
2 Kalastria Highborn
4 Gatekeeper of Malakir
4 Vampire Aristocrat
3 Phylactery Lich
3 Abyssal Persecutor

3 Blade of the Bloodchief
3 Mask of Riddles
0 Jace zum Posen (habe leider keinen)
4 Mistvein Borderpost

8 UB-Doppelländer
12 Sümpfe, von denen man einige durch schwarze Fetchländer ersetzen kann



Eigentlich wollte ich ja noch die gefürchtete Blade of the Bloodchief-Triskelion-Kombination integrieren, habe mich aber aus Karmagründen dagegen entschieden. Diese Maschine wirkt nicht angsteinflößend genug, und wenn dieser arme Lich das als Phylaktorium benutzen muss...


Ein weiterer Kandidat wäre der gute Pawn of Ulamog, der die Sacaction noch beeindruckender gestalten kann. Die Maske ist übrigens überraschend gut, nicht so sehr wegen des Kartenziehens, sondern eher wegen der integrierten Furcht. Denn so eine Nantuko Husk will ja an den diversen Mauern vorbeigebracht werden und auch so ein wiederbelebter Bloodghast ist deutlich bedrohlicher, wenn er nicht geblockt werden kann und dazu noch frische Kärtchen organisiert. Awesome!


Richtig gut scheint übrigens der unauffällige Viscera Seer zu sein. Der ähnelt zwar ein wenig dem Christiano Ronaldo bei der Freistoßvorbereitung, sorgt aber recht schnell für ein Ausbleiben von nicht mehr benötigten Ländern und der Effekt ist in Reaktion auf gegnerisches Removal oftmals stärker als das +2/+2 für die Nantuko Husk-Klone. Ansonsten sind natürlich auch hier viel zu viele Vampire im Deck, doch das sind verkraftbare Probleme, schließlich geht 2015 die Welt unter (Quelle: Zurück in die Zukunft II). Awesome?

Das Deck funktioniert – je nach Draw und Gegner – irgendwo zwischen perfekt geölter Maschine und Triskelion ohne Marke. Auf den Lich sollte man wohl auch verzichten (wodurch man sich die ganzen Artefakte sparen kann), da seine Stärke nicht die Gefahr ausgleicht, die von möglichen Artefaktremoval ausgeht. Abgesehen davon fehlt ihm ungefähr jede Synergie mit dem Rest des Decks, was zwar heutzutage nichts heißen muss, trotzdem sicher nicht hilfreich ist. Heute musste er natürlich trotzdem zunächst in die Startaufstellung, schließlich ist das meine ganz persönliche, wenn auch nicht ganz exklusive Preview.

In Wirklichkeit warten wir einfach auf den Herbst und das neue Mirrodin, wie wir auch auf den neuen Müller gewartet haben. Haltet dort nach Karten Ausschau, die folgende Eigenschaften vereinen:

Artefakt
unzerstörbar
Manakosten < 3
Evil Bild

Den Lich könnt ihr euch jetzt billig antauschen und später teuer verkaufen Decks um ihn bauen. Wenn nicht, verwendet ihr die Karte einfach als Phlyaktorium und sammelt die Seelen eurer Gegner. Fehlt bloß noch ein lila Regenwurm, dann ist alles awesome!

Der MiDi






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