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Geschichten aus der Gruft, Special Edition
Serious Games
von Andreas "Zeromant" Pischner
31.03.2008

Vom Ende einer Ära

Ich weiß nicht, ob es irgendjemandem aufgefallen ist, aber der letzte Woche veröffentlichte "Pischner Classics"-Artikel wäre eigentlich heute erst fällig gewesen – ich hatte Tobi gebeten, ihn eine Woche vorzuziehen, da ich heute über ein besonderes Thema schreiben wollte.

Dieses Thema heißt "Serious Games". Berliner Magic-Spieler werden diesen Laden kennen, aber auch deutschlandweit konnte man in der Szene durchaus mit diesem Namen in Berührung kommen, sei es über meine Tätigkeit als Autor (oder über die damals von mir im Berlin-Brandenburger Regionalteil regelmäßig veröffentlichten FNM-Decklisten), über den in den letzten Jahren aufgebauten Internethandel, oder vielleicht sogar über Mundpropaganda, denn Serious Games war einer der größten Rollenspiel-Einzelhandelsläden Deutschlands gewesen, und es kamen deswegen tatsächlich immer mal wieder Besucher aus dem Bundesgebiet, um ihn sich anzusehen!

Ich schreibe im Präteritum, und der Grund dafür ist nicht schwer zu erraten: Serious Games gibt es nicht mehr – zumindest nicht mehr das Serious Games, das ich kannte und liebte, und in dem ich mit kurzer Unterbrechung über neun Jahre lang tätig gewesen war.

Der Grund, dass dieser Artikel heute erscheint, war eigentlich der, dass sich bis zu diesem Datum die exakte Zukunft des Ladens hätte entscheiden sollen. Ursprünglich war Freitag letzter Woche als letzter Verkaufstag bereits angekündigt. Der Mietvertrag lief Ende März aus, und der Geschäftsführer tritt zum 1. April eine neue Stelle an. Sowohl für die Kunden als auch für die Mitarbeiter hat es bereits Abschiedsfeiern gegeben. Eine mögliche Zukunft des Ladens (denn es gibt mehrere Interessenten, welche die Absicht bekundet haben, ihn weiterzuführen) hätte also bis jetzt geklärt sein sollen.

So glatt läuft im Leben aber nichts. Serious Games hat sein Bestehen und seinen Verkauf noch einmal um eine weitere Woche verlängert, und die Interessenten haben sich noch nicht endgültig entschieden bzw. arbeiten noch an der Erfüllung der nötigen Voraussetzungen sowie dem Abschluss eines Mietvertrages usw....Ich kann daher doch noch nichts Endgültiges darüber sagen, ob und wie es vielleicht weitergehen wird. Darum geht es mir aber heute auch nicht. Stattdessen will ich eine nostalgische, sehr persönliche Rückschau auf den Laden halten, der ein knappes Jahrzehnt lang ein wichtiger Bestandteil meines Lebens und der Berliner Rollenspiel- und Magic-Szene gewesen ist.

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Ein Chef wie kein zweiter
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Serious Games, das ist für mich in der Hauptsache Roland (mit vollem Namen "Roland Lüdtke", er hörte aber gerne auch auf "Chefchen"). Roland war zu Beginn, als Serious Games noch eine Kommanditgesellschaft war, der Komplementär (das ist derjenige, der unbeschränkt haftet), später, zu Zeiten der Serious Games GmbH beinahe durchgehend alleiniger oder Mit-Geschäftsführer. Ein kleiner, hagerer Mann voller Energie und unerschütterlichem Optimismus, der jederzeit freundlich und menschlich zu Mitarbeitern, Kunden und Konkurrenten war und diesen Laden eigentlich immer wie ein Familienunternehmen führte (auch wenn die Belegschaft natürlich nicht miteinander verwandt war): Roland war all die Jahre die Triebfeder hinter Serious Games gewesen. Er war derjenige, der es möglich machte, dass wir Mitarbeiter die frisch angelieferte neue Metsorte noch während der Arbeitszeiten verkosten konnten, und dass unsere Weihnachtsfeiern nach dem ausgiebigen Mahl mit vielen Geschenken im Restaurant ihr Ende jeweils bei der Premiere des aktuellen Herr-der-Ringe-Teiles fanden. Er war auch derjenige, der seinen Mitarbeitern auch privat aus mittleren bis größeren Geldschwierigkeiten heraushalf.

Der Chef, der gleichzeitig Freund ist – das ist ein seltenes Konzept. Auch ein Job, der sich in großen Bereichen mit dem eigenen Hobby überschneidet, und bei dem Kollegen und Kunden häufig auch private Freunde sind, ist nichts allzu Gewöhnliches. Ich habe bei Serious Games wunderbare Zeiten erlebt, und bin deswegen sehr traurig, dass es nun endgültig zu Ende geht. Und ja, es ist endgültig, selbst wenn sich doch noch in hinterletzter Sekunde jemand findet, der die Firma übernimmt, denn Serious Games, das heißt Roland, und Roland ist endgültig fort.

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Die Anfänge
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Serious Games eröffnete am 11. März 1997. Das Ladengeschäft in der Bundesallee besaß zwei Etagen, von denen der größte Teil der oberen an einen Partnerladen, eine Filiale von Modern Graphics (ein Comicshop) untervermietet war. Zu Beginn waren die Räume geradezu erschreckend leer, zumindest im Rückblick. Ich weiß noch, wie ich gemeinsam mit Axel über einem Rollenspielkatalog für Großhändler brütete, um die Erstbestellung für diesen Bereich zusammenzustellen. Die Summe, die uns zur Verfügung stand, klang zunächst beeindruckend (ich weiß sie nicht mehr genau, aber sagen wir einfach einmal 10 000 DM), aber sobald wir versuchten alles, was unserer Meinung nach (wir beide kannten uns hervorragend mit Rollenspielen aus) in einen gut sortierten Hobby Shop gehörte, zu bestellen, überschritten wir diese Summe rasch um ein Vielfaches. Wir taten, was wir konnten, doch in den ersten Monaten mussten wir die (in unseren Augen) gähnenden Lücken in unserer Auswahl – die tatsächlich von Anfang an höchst respektabel war – mit Hilfe einer Frontalpräsentation überdecken.

Bei den Tabletops kenne ich mich nicht so gut aus, aber zweifelsohne war die Situation dort ähnlich. Im Sammelkartenbereich hingegen waren wir von Anfang an gut aufgestellt. Natürlich trug dazu bei, dass Sammelkarten kein Bereich sind, in dem man ein allzu breites Angebot benötigt (zumindest im Vergleich zu Rollenspielen). Außerdem besaß Serious Games von Anfang an einen gewissen Grundstock einer Einzelkartensammlung – nämlich meiner! Ich hatte damals Displays in geradezu absurden Mengen gekauft (ja, selbst nach Magic-Spieler-Maßstäben) und besaß Rares IM SCHNITT acht Mal. Mir begann damals gerade zu dämmern, dass dies irgendwie doch eine gigantische Geldverschwendung war, und die Eröffnung von Serious Games bot mir die Möglichkeit, diese überschüssigen Karten (mit enormem Verlust natürlich) wieder in Geld umzuwandeln. Der Laden erhielt so Einzelkarten von Revised und The Dark bis Visions und Fifth Edition von mir, die er im Verlauf der nächsten Monate bezahlen konnte.

Die Sammelkarten – das bedeutete damals beinahe ausschließlich Magic – erwiesen sich rasch als unsere beste Einnahmequelle der ersten Wochen, während die behäbigeren Rollenspiele und Tabletops nur langsam Fahrt aufnahmen. Jedoch gab es da ein Problem: Dieses Geschäft gehörte nicht nur uns! Wir hatten da Konkurrenz im eigenen Haus, denn auch Modern Graphics verkaufte Sammelkarten. Eigentlich ging die Vereinbarung so, dass Modern die auf Science Fiction oder Comics basierenden TCGs anbot (z..B. das alte Star Wars) und wir diejenigen mit Fantasy-Hintergrund. Magic allerdings teilten wir uns – die Jungs von Modern Graphics hatten offenbar eine genauere Vorstellung von dessen Bedeutsamkeit gehabt als Roland und Axel und darauf bestanden, sich dieses Geschäft mit uns zu teilen.

Ich redete damals intensiv auf Roland ein, hier noch einmal nachzuverhandeln. Serious Games konnte zu jener Zeit auf die Untervermietung nicht verzichten – die Räumlichkeiten waren einfach zu groß (sprich: Die Miete zu teuer), um sie alleine zu bewirtschaften, und deswegen mussten wir Modern bei der Stange halten. Ich ging so weit, dass ich vorschlug, Modern sämtliche anderen TCGs im Austausch für Magic zu überlassen. Das war Roland dann doch zu extrem. Stattdessen bot er das Middle Earth CCG im Austausch gegen das Alleinverkaufsrecht von Magic an, was Modern – vielleicht in Überschätzung von dessen Verkaufschancen – annahm. So fand Magic also sein Heim bei Serious Games.

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Die Turniere
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In unseren ersten Jahren waren wir DER Magic-Laden in Berlin. Wir boten die größte Auswahl an Displays (auch rückwärts hin zu älteren Editionen) und an Einzelkarten, sowie die dazugehörige Beratung (von mir). Viele Kunden waren völlig überrascht, dass sie mir einfach eine Karte nennen oder auch nur beschreiben konnten, und ich sie ihnen dann umgehend heraussuchte – sie waren es gewohnt, dass sie beim Blättern in Ordnern und Wühlen in Kisten sich selbst überlassen waren. Stattdessen war es sogar möglich, dass sie mir ihr Deck zeigten, und ich ihnen dann gezielt Karten empfahl – ach ja, diese wunderbaren ersten Monate, in denen wir die Arbeitszeit hauptsächlich mit intensiver Kundenbetreuung verbringen konnten, bevor ein immer größer werdender Warenbestand und Kundenandrang den Anteil an Verwaltungstätigkeiten enorm erhöhte! Überfordert war ich jedoch gelegentlich, wenn weibliche Kunden mir eine Karte als "Auf dem Bild ist eine Frau, die Flöte spielt." oder "Die mit dem Pferdchen, das so traurig guckt." beschrieb. Allerdings ist alleine der Umstand, dass sie es versuchten bereits ein Beweis, welches Vertrauen sie in meine Fähigkeiten als Magic-Fachmann besaßen.

Die erste Zeit verbrachten wir also damit, unseren Kundenstamm aufzubauen und uns einen guten Ruf zu machen. Wie bereits gesagt, baute Roland dabei völlig auf friedliches Miteinander und positive Energie. Der Standort von Serious Games war kein Zufall: Im Norden gab es Neutopia (den Vorläufer von Grumpf!, wer das noch kennt), im Westen die Traumwelt, im Osten (Westberlins – Ostberlin war damals tot in dieser Branche, wie sich die Zeiten doch ändern!) Beutelsend, im Zentrum Magic Dreams. Der Süden hingegen war frei, und mit unserem Standort in Friedenau machten wir niemandem unmittelbar Konkurrenz.

Auch unsere Turniertermine legten wir ganz bewusst so, dass sie nicht mit anderen kollidierten. Roland war ebenso wie ich der Ansicht, dass die Szene sich gegenseitig beim Wachsen unterstützen musste, anstatt einander Kunden abzujagen. So entstanden die berühmten Serious-Games-Donnerstagsturniere (der fraglos besser geeignete Freitag wurde eben schon von der Konkurrenz genutzt).

Wir gingen unsere Turniere mit einer gewaltigen Portion Idealismus an. Für deren Durchführung war natürlich ich zuständig. 1997 mussten sanktionierte Turniere noch von einem "richtigen" Judge geleitet werden (also keine Level-0-Geschichtchen), so dass andere Läden Judges extra für ihre wöchentlichen Turniere anwerben mussten. Ich bin damals übrigens mit Rolands Segen gelegentlich bei anderen Läden eingesprungen – unsere Beziehungen zur "Konkurrenz" waren so gut, dass das kein Problem, sondern eine Selbstverständlichkeit war! (Manche haben vielleicht noch mitbekommen, wie dies in späteren Jahren, unter einer anderen Geschäftsführung gehandhabt wurde. Oje.)

Wir boten im wöchentlichen Wechsel ein Standard-Turnier und ein Sealed-Turnier an. (Sealed Deck war früher, vor einer Serie von Preiserhöhungen, noch recht bezahlbar – ich glaube, mich an 15 DM oder so zu erinnern.) Ich weiß noch, wie furchtbar lange es gedauert hatte, unsere Kunden an diesen Wechsel zu gewöhnen, so dass sie nicht mehr ohne Deck zum Standard und ohne Geld zum Sealed erschienen (wie oft haben wir damals Spielern den Eintritt vorgestreckt!) Auf diese Art bot Serious Games jedoch lange Zeit das einzige regelmäßige Limited-Turnier Berlins an. (Booster Drafts kamen erst deutlich später in Mode.)

Nach einigen Anlaufschwierigkeiten konnte dieses Sealed dann regelmäßig stattfinden und fiel in vielen Monaten nur ein- oder zweimal auf Grund mangelnder Spielerzahl aus. Das änderte sich dann, als Magic Dreams eines Tages beschloss, ihr Turnier auf den Donnerstag zu verlegen. Unser Standard-Turnier wurde dadurch nicht gefährdet, nur verkleinert, aber das Sealed ging durch das Fehlen von jeweils drei, vier, fünf Spielern, die sich lieber für das billigere Standard zum selben Termin entschieden, rasch ein. Ich weiß noch, wie Rosario Maij mich grinsend fragte, ob ich denn am Donnerstag bei Magic Dreams Standard mitspielen würde – wohl wissend, dass ich natürlich bei Serious Games ein Turnier leiten würde! Ich glaube, die Spieler haben nie richtig begriffen, welche Arbeit und Beharrlichkeit darin gesteckt hatte, diesen Sealed-Termin zu etablieren und aufrechtzuerhalten, der uns dann von einem Konkurrenzladen, der seine schwindenden Umsätze aufzufangen versuchte, in einem Handstreich kaputtgemacht wurde. Das war damals das Ende einer Magic-Szene, die miteinander kooperierte und der Beginn des sich gegenseitigen Abjagens von Kunden.

Magic-Turniere bei Serious Games liefen damals noch wie folgt ab: Um 17 Uhr war der Beginn (früher ging es am Donnerstag eben nicht). Dann wurden vier Runden Schweizer System gespielt – ohne Zeitbegrenzung – und danach gab es noch eine Top 8 mit Viertelfinale, Halbfinale und Finale! Die Turniere gingen damals teilweise bis 23 Uhr. Manchmal blieb Roland mit mir zusammen noch im Laden, manchmal ließ er mich einfach mit den Spielern darin alleine. Um ganz ehrlich zu sein, ich weiß nicht, ob wir damals wirklich nicht von Spielern, welche diese Situation ausnutzten, beklaut wurden, aber ich bilde mir ein, dass die Spielergemeinschaft diesen höchst legeren Umgang mit ihnen zu schätzen wusste und das ihnen auf diese Weise entgegengebrachte Vertrauen rechtfertigte. (Ja, ich habe den Glauben an das Gute im Menschen nur zu 99% verloren.)

Das ging in späteren Jahren natürlich nicht mehr, ebenso wie die privaten Spielrunden, die ich in jenen Anfangsjahren mit Rolands Einwilligung noch im Laden abhalten durfte. Unser Warenbestand wurde immer größer, und aus versicherungstechnischen Gründen konnten schließlich keine betriebsfremden Personen mehr ohne ausreichende Aufsicht (die dann hätte bezahlt werden müssen) nach Ladenschluss in den Verkaufsräumen verbleiben. Jene Anfangszeit hingegen, in der es zwischen Laden und Kunden noch ein Miteinander zu geben schien, die war einfach nur magisch.

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Nochmals Idiosynkrasien
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Bei Serious Games habe ich dann auch viele der illusteren Persönlichkeiten der Berliner Magc-Szene kennen gelernt. Meine erste Begegnung mit Christopher Eucken habe ich ja bereits beschrieben. Ebenfalls in Erinnerung geblieben ist mir aber auch der erste Besuch von Gerwald Brunner (damals bereits mit seinem vermutlich angewachsenen Kopftuch und dem Werkzeugkasten in der Hand), der sich den Exodus-Ordner zeigen ließ und zwei Pit Spawn kaufte. Ich versuchte zwar ihm zu vermitteln, dass der nicht wirklich spielstark war und machte ihm den einen oder anderen Ersatz-Vorschlag, aber Gerwald war felsenfest überzeugt davon, dass Pit Spawn eine Superkarte sei, und da es natürlich nicht meine Aufgabe war, Kunden vom Kaufen abzuhalten, gab ich nach. Einen Tag später kam er dann noch einmal und kaufte auch unseren dritten und letzten Pit Spawn. Für mich ist dieser seitdem die "Gerwald-Brunner-Karte" (und nicht etwa wegen einer gewissen Ähnlichkeit, wie man annehmen könnte).

Gerwald blieb dann lange Zeit ein Fixpunkt unserer Turnierszene. Niemand, der damals bei uns gespielt hat, wird wohl seinen ständigen Ausruf "Nur Länder! NUR LÄNDER!" vergessen können, mit dem er jede verlorene Partie begleitete, sowie sein ständiges lautes Schimpfen, Fluchen und Auf-Den-Tisch-Hauen, insbesondere gegenüber Blau-Spielern, deren Decks ja "jede Oma von der Straße" spielen könne. Ich forderte ihn zwar immer wieder zur Mäßigung auf, sah aber nicht wirklich eine Handhabe (oder Notwendigkeit) härter durchzugreifen, auch wenn sein Verhalten nach heutigen Maßstäben serienweise Disqualifikationen wegen unsportlichen Verhaltens hätte nach sich ziehen können.

Ärger gab es dann aber, als er dem Laden (und insbesondere mir) Betrug vorwarf – und zwar spezifisch, dass ich die Paarungen manipulierte. Ganz genau gesagt paarte ich ihn immer absichtlich gegen Blau-Spieler, die er ja nicht besiegen könne! Nachdem ich ihn mehrfach im Guten gebetn hatte, diese Unterstellungen zu unterlassen (und, nebenbei gesagt, in jenen DCI-Reporter-losen Zeiten die Paarungen sichtbar für alle Spieleraugen auswürfelte und diesen Prozess dabei erklärte) drohte ich ihm schließlich, von meinem Hausrecht Gebrauch zu machen, wenn er diese rufschädigenden Unterstellungen weiterhin lauthals äußerte. Es kam, wie es kommen musste: Gerwald bekam wieder einmal einen Gegner, der ihm nicht passte und brüllte etwas von Betrug, und ich forderte ihn daraufhin auf, für ein oder zwei Wochen unseren Turnieren fernzubleiben. Das passte ihm allerdings überhaupt nicht. Er drohte, sich bei der DCI zu beschweren (eine offensichtlich leere Drohung, denn die würde mich natürlich unterstützen), er drohte, mich bei meinem Chef anzuschwärzen – "Du bist nicht unersetzlich!" (was natürlich ebenfalls nichts brachte, denn Roland stand voll hinter mir), und er bombardierte mich mit Mails. Außerdem schrieb er wütende und beleidigende Kommentare in den Regionalteil des Planeten, den ich betreute. Nachdem auch dieses Verhalten überhand nahm, ließ ich ihm nach Absprache mit den damaligen Seitenbetreibern das Posting-Recht entziehen. Daraufhin schickte er mir eine weitere Mail, in der er mich ultimativ aufforderte, diese Sperrung rückgängig zu machen, weil er "wüsste, wo ich wohne" und ansonsten "mal vorbei kommen" würde. Das war dann das Ende von Gerwald bei Serious Games, denn für diese Drohung erhielt er selbstverständlich Ladenverbot. Wer sich also immer gewundert hat, warum Gerwald Brunner alias Powerlusche alias Deuterium etc... so schlecht auf mich zu sprechen ist, der weiß es jetzt!

Auch den "berüchtigten" Jonas Bodmann hatte ich bei Serious Games kennen gelernt, wo er die ersten Jahre seines Magic-Spieler-Daseins als geradezu unwirklich überzeichnetes Klischee des Netdeckers, der auf Grund völligen Mangels eigenständiger Gedanken trotzdem nichts auf die Reihe bekam, fungierte. Und dann war da noch Christian Arthur Papendieck, der später der engste Kumpel von Jean-Pierre Dziedzicki werden sollte, bevor die beiden sich über geklaute Karten in die Haare kriegten. Der stand eines Tages vor mir am Tresen, frisch aus Flensburg (oder irgendeinem anderen Kaff in Schleswig-Holstein, das weiß ich nicht mehr genau) gekommen und zeigte mir stolz das White Weenie, mit dem er dort die Magic-Szene gerockt hätte. Ich sah mir das Deck an und riet ihm, es gründlich zu überarbeiten, da es nichts taugte – keine Ahnung, wie er in Schleswig-Holstein damit erfolgreich gewesen wäre, aber hier würde er damit gründlichst eins aufs Dach kriegen. Er hörte nicht auf mich, spielte beim Turnier mit und bekam mit null zu vier gründlichst eines aufs Dach. (Danach hörte er dann ein wenig mehr auf mich.)

Die ersten Turniere in jener Zeit waren wirklich eine wilde Angelegenheit! Leider war damals nur sehr, sehr wenig Wissen darüber, wie man mit Spielern, welche gegen die Regeln verstießen, als Judge umzugehen hatte, im Umlauf. So verpasste ich aus Gründen der Unerfahrenheit leider einmal eine glasklare Disqualifikation wegen Cheatings für Jonas Bodmann, die ihm zu diesem frühen Zeitpunkt möglicherweise sehr gut getan hätte (er hatte "vergessen" zurückzusideboarden und daher gegen einen Rot-Spieler einen Circle of Protection im Hauptdeck und im Spiel, den er, als ich bei meiner routinemäßigen Wanderung um die Tische näherkam, schuldbewusst unter seiner Hand versteckte (was mich auf diese Karte überhaupt erst aufmerksam machte). Und dann war da noch Kaya Bork, der wochenlang jeweils mit einer anderen DCI-Nummer beim Turnier erschien, bis es mir schließlich auffiel (kein DCI-Reporter, erinnert Euch). Er gab, über beide Backen grinsend, zu dass er sich seine Nummer jeweils ausgedacht hätte, da er sein DCI-Kärtchen verloren hatte. Ahnungslos, wie ich war, bestrafte ich ihn mit einem Match Loss, worüber er sich dann nächste Woche lauthals beschwerte – er habe in einem Forum nachgefragt, und die Strafe sei völlig unangemessen gewesen! Da hatte er natürlich recht – eine Disqualifikation mit anschließender monatelanger Sperre seitens der DCI wäre viel eher angemessen gewesen, aber das wusste ich damals eben noch nicht.

Was schätzt Ihr übrigens, wie oft ich in meiner langjährigen Laufbahn als Judge, mit Hunderten geleiteter Turniere, einen Spieler wegen Cheatings disqualifiziert habe? Na? Genau zwei Mal (und jedes Mal schrie die Community Zeter und Mordio, wie ungerechtfertigt diese Strafe doch gewesen sei). Letztlich war es wohl einfach ein Unding, dass überhaupt ein Judge bei einem kleinen Ladenturnier jemanden hinauswarf. So etwas machte man einfach nicht, aus schlichten PR-Gründen. Nicht zuletzt deswegen griff ich zu diesem Mittel auch nur dann, wenn ich mir absolut sicher war, dass ein Spieler absichtlich und wissentlich zu seinem Vorteil gegen die Regeln verstoßen hatte (das sind erheblich strengere Kriterien, als es zum Beispiel der aktuelle Penalty Guide für einen DQ vorsieht). Leider entwickelte sich auf diese Art auch keinerlei Unrechtsbewusstsein bei den Spielern, und die wirklich großen Cheater erwischte ich eh nicht, weil sie klug genug waren, bei einem kleinen Ladenturnier unter meiner Leitung kein Risiko einzugehen (oder sich halt so geschickt anstellten, dass ich es nicht merkte).

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Goldene Zeiten
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Serious Games war also lange Zeit eine der ersten Magic-Adressen in Berlin und entwickelte sich rasch zur besten Rollenspiel-Adresse. Auch der Tabletop-Bereich entwickelte sich immer besser, und wir entdeckten zusätzlich noch LARP als weiteres Standbein. Das war wohl die beste Zeit für Hobby Shops in Deutschland. Alle unsere Bereiche brummten, und die Leute kauften ihre Ware damals noch im Brick Store und nicht im Internet. Und dann kam auch noch Pokemon heraus.

Wie sehr (und warum) ich dieses Spiel hasste, werdet Ihr unzweifelhaft in den nächsten Monaten einmal in einem "Pischner Classics"-Artikel lesen. (Traurig ist übrigens, dass ich mich an all das, worüber ich mich damals aufgeregt habe, heute längst – auch in schlimmerer Form – gewöhnt habe.) Nichtsdestotrotz war es eine unglaubliche Geldmaschine auch für Serious Games. Dabei teilten wir uns den Verkauf dieses Spiels sogar mit Modern Graphics (und dieser Laden, der im Gegensatz zu uns Turniere dafür veranstaltete, bekam auch noch den Löwenanteil ab), aber trotzdem klingelte in jener Zeit die Kasse bei uns so sehr, dass wir ein paar Jahre später aus allen Nähten platzten. Wir wussten nicht mehr, wohin mit der Ware, wir wussten nicht mehr, wohin mit den Kunden, wir wussten nicht mehr, wo wir die ganze Verwaltung bewältigen sollten (denn das Serious Games "Büro" war ca. ein Quadratmeter groß). Das war der Hauptgrund, warum wir eine zweite Filiale in Charlottenburg eröffneten.

An diese zweite Filiale denke ich mit äußerst gemischten Gefühlen zurück. Einerseits war da die großartige Eröffnungsfeier, bei der der Laden einfach brilliant aussah (und bei der ich jene legendäre Partie Stripschach gegen eine junge Kundin spielte, die selbst mit Hilfe ihres Freundes nicht gewinnen konnte...), und auch ansonsten die Begegnung mit der einen oder anderen Person, die in meinem Leben eine mehr oder weniger wichtige Rolle spielen sollte.

Andererseits war Serious Games 2 derjenige Laden, der sich nur über den Verkauf des absolut widerwärtigen Yu-gi-oh! an eine größtenteils absolut furchtbare und unerträgliche Kundschaft finanzierte. Mein Gott, wie oft wir da die Polizei wegen Diebstahls bei uns oder bei den Kunden untereinander holen mussten... Vor allem aber war die Eröffnung einer zweiten Filiale im Rückblick eine krasse Fehlentscheidung, welche den Niedergang von Serious Games einläutete.

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Der Abstieg
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Serious Games besaß zu seinen besten Zeiten nicht nur zwei Ladengeschäfte, sondern auch ein volles Dutzend bezahlter Mitarbeiter. Wer sich ein wenig in der Szene auskennt, der weiß, was für ein absolutes Unding das eigentlich ist! Hobby Shops können sich selten mehr als zwei oder drei bezahlte Kräfte leisten, wenn überhaupt (oft arbeiten da eher so der Ladenbesitzer, seine Frau, eine mit Boostern "bezahlte" gelegentliche Aushilfe und vielleicht noch der eine oder andere unbezahlte Praktikant). Damals konnten wir uns das leisten, aber dabei blieb es natürlich nicht. Hätten wir wissen können, dass die Mainstream-Tauglichkeit von Yu-gi-oh! und Pokemon dazu führte, dass Hobby Shops von allerlei Kiosken und Kaufhäusern Konkurrenz bekamen? Ja, das wussten wir, aber wir unterschätzten vielleicht die Gefahr, die davon ausging. Hätten wir voraussehen können, dass die Verkäufe in unserer Branche in den nächsten Jahren zunehmend im Internet stattfinden würden? Vielleicht, aber hinterher ist man immer klüger. Hätten wir erkennen können, dass Sammelkarten und Rollenspiele allgemein in ihrer Beliebtheit zu Gunsten von Online-MUDs und Online-TCGS zurückgehen würden? Nie und nimmer – das gehört zu den Dingen, die man eben erst hinterher weiß.

Dazu kam dann, dass ausgerechnet zu jener Zeit Roland sich aus der Geschäftsführung zurückzog, um Zeit für ein neues geschäftliches Projekt zu haben (das absolut nichts mit Spielen zu tun hatte), und die neue Geschäftsführung einen ganz anderen Führungsstil besaß: Statt familiärer Arbeitsatmosphäre wurde der Schwerpunkt auf Bürokratie und Effizienz gelegt. Kundenberatungen wurden bewusst zeitlich verknappt, um mehr Zeit für Verwaltungstätigkeiten frei zu machen. Arbeitszeiten, die nicht unmittelbar mit Verwaltung oder Verkauf zu tun hatten (wie zum Beispiel die Leitung von Turnieren) wurden generell rigoros gekürzt. Sollbestände von Artikeln wurden drastisch reduziert, um finanzielle Rücklagen zu bilden – mit dem Ergebnis, dass Waren, nach denen Kunden fragten, oft nicht vorrätig waren. Allerlei Sicherheitsvorkehrungen wurden eingeführt, welche die Klauquote senken sollten, jedoch die Atmosphäre in den Läden unfreundlicher machten und den Verkauf behinderten (zum Beispiel zugeklebte Einzelkartenordnerhüllen). Der Konkurrenz begegnete man grundsätzlich mit Misstrauen und Feindseligkeit.

Obwohl alle diese Veränderungen sicherlich in guter Absicht durchgeführt wurden, liefen sie doch meiner Ansicht nach all dem, was das Kaufen in einem "echten" Hobby Shop im Gegensatz zum unweigerlich immer billigeren Internet attraktiv erscheinen ließ zuwider und leiteten eine dramatische Entwicklung ein, in deren Verlauf wir massiv Kunden verloren. Mal ehrlich – wenn man nicht in Ruhe beraten wird und die Dinge, die man kaufen will, erst bestellt werden müssen, warum soll man da überhaupt noch den Weg in einen Laden auf sich nehmen? Meiner Ansicht nach wurden damals viele Fehler gemacht (gegen die ich intern auch ebenso engagiert wie erfolglos anredete), aber letztlich war das Problem wohl schlicht jenes, dass die Marktsituation für einen dermaßen großen Hobby Shop einfach nicht mehr günstig war. Die goldenen Jahre waren vorbei.

Die Filiale in Charlottenburg wurde letzten Winter geschlossen. Zu dieser Zeit war ich bereits eineinhalb Jahre nicht mehr bei Serious Games tätig. Ganz simpel ausgedrückt, konnte der Laden mich einfach nicht mehr bezahlen (obwohl man sich als Angestellter dort natürlich niemals eine goldene Nase verdient hatte). Roland hatte das Ruder wieder übernommen und notgedrungen einen extremen Sparkurs eingeschlagen, in dessen Verlauf praktisch alle bezahlten Mitarbeiter durch Praktikanten, Azubis und stattlich geförderte Stellen ersetzt werden mussten. Das Serious Games, wie ich es in Erinnerung habe, jenes gemütliche Pseudo-Familien-Unternehmen, war also eigentlich längst tot.

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Der Status Quo
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Ein mögliches Missverständnis will ich hier aber ausräumen: Serious Games schließt nicht etwa (wenn es schließt), weil es pleite wäre! Tatsächlich hat Roland nach einer sehr harten Zeit den Laden wieder zurück in die Gewinnzone gebracht, mit einer extrem sparsamen Personalpolitik und dem Einstieg in das Internet-Geschäft. Er hört einfach deswegen auf, weil er genug hat. Nach elf Jahren steht Serious Games mehr oder weniger wieder am Anfang, jedoch im Gegensatz zu damals ohne wirkliche Wachstumsperspektive. Natürlich lässt sich der Laden weiterführen (und dafür gibt es, wie gesagt, auch Interessenten), aber eben nicht in der Form, in der er jahrelang bestanden hat – als ein magischer Ort, an dem Kunden und Verkäufer Freunde sind, in dem man abends als Mitarbeiter einfach Produkt aufreißen kann, um (unter Genuss der neuesten Sorte Met) Sealed Deck zu üben, an dem man tatsächlich interessante FRAUEN kennen lernt, und in dem man sich nicht einfach nur wie an einem Arbeitsplatz, sondern ZU HAUSE fühlt.

Serious Games gibt es nicht mehr, weil es für diese Art Läden keinen Platz mehr gibt. Die Anzahl der kleinen Ladenturniere ist extrem zurückgegangen – abgesehen von den FNMs, die mit immer wertvolleren zu gewinnenden Promos von WotC künstlich gesponsort werden. Rollenspieler treffen sich nicht mehr in Läden, sondern im Internet. Eigentlich kann man auch sowieso alles, was man möchte, gleich bei Amazon kaufen.

Heute sind Hobby Shops Orte, die hauptsächlich von nervigen kleinen Kindern frequentiert werden, welche von ungelernten Verkäufern bedient werden, die nur wenige Jahre älter sind. Die Gewinnspannen sowohl bei Boostern als auch bei Einzelkarten sind auf Grund der Konkurrenzsituation im Vergleich zu früher extrem niedrig. Tabletops ziehen zwar immer noch eine gewisse Menge Kundschaft an, aber auch hier ist eine gewisse Abwanderung zu Computerspielen, sowie das Fehlen der Synergie mit Rollenspielen zu bemerken, und in großen Städten stehen Läden immer in Konkurrenz zu Games-Workshop-Filialen, die im Vertrieb der Angebote dieses unumstrittenen Marktführers natürlich alle Vorteile auf ihrer Seite haben. LARP ist so ziemlich das einzige Marktsegment, welches nicht vom Internet geschwächt wird (denn "Live Action" muss nun einmal LIVE stattfinden, nicht im Internet, und Kleidung will man an- und Latexwaffen ausprobieren), aber es scheint als doch recht zeitaufwändiges Hobby nicht mehr allzu stark zu wachsen und ist auch einigermaßen saisonabhängig. Möglicherweise werden Spiele wieder stärker mit Comics (ich weiß, heute heißt das Mangas) fusionieren müssen, wie es in den USA schon immer der Fall war.

In jedem Fall werden Hobby Shops zwar nicht aufhören zu existieren, aber ihr Gesicht ändert sich. Und Serious Games war sowieso einzigartig.

Ich habe noch ein paar Flaschen leckeren Met im Kühlschrank (den kann ich natürlich auch weiterhin kaufen, aber halt nicht mehr so billig). Mit jedem Schluck kommen Erinnerungen zurück.Was auch immer aus Dir wird, Serious Games – es war eine schöne Zeit!




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