miraclegames.de
Community
Wie Magic in mein Leben kam
von Andreas "Zeromant" Pischner
13.05.2002

Wie Magic in mein Leben kam


Während ich diese Zeilen schreibe, findet in Heidelberg die Deutsche Magic-Meisterschaft statt - und ich bin nicht dabei!

Nach dem Fiasko bei den Regionalmeisterschaften war ich bei den Offenen Ost im entscheidenden Match an Rosario Maij (oder genauer, an meinem Draftdeck ohne Kreaturen) gescheitert und hatte mir eigentlich vorgenommen, meine letzte Chance bei den Meatgrindern in Heidelberg zu nutzen.

Dann allerdings meldete sich die Realität bei mir zurück: WIEVIEL Geld wollte ich ausgeben, um in den Meatgrindern mit 98% Chance oder so zu scheitern und dann ein paar Side Events zu spielen? Ach ja, natürlich würde ich auch bei der Coverage von PlanetMTG mithelfen... aber irgendwie war das in der Summe kein Gegenwert für einen Betrag, der nach meiner Schätzung einer Monatsmiete plus einem Monatsticket für den öffentlichen Nahverkehr entsprach. Also gab ich Heidelberg widerstrebend auf.

Jetzt sitze ich stattdessen zu Hause vor dem Computer, folge der Berichtersattung von PlanetMTG, trage selbst ein klein wenig im Regionalteil Berlin-Brandenburg dazu bei, und stelle fest, wie FALSCH es sich anfühlt, nicht beim wichtigsten deutschen Magic-Turnier des Jahres dabei zu sein. Meine rationale Entscheidung in allen Ehren, aber eigentlich WILL ich dabei sein! Sicher, ich könnte die gewonnene Zeit auf allerlei Art nutzen, aber Tatsache ist, dass ich hier am Computer sitze und meine Gedanken bei der DM sind.

Magic ist ein fundamentaler Bestandteil meines Lebens geworden. Es fällt mir nicht schwer zu begreifen, warum ich dieses Spiel liebe: Es ist intelligent, fantasievoll, abwechslunsgreich, vielseitig und herausfordernd - ich musste ihm einfach verfallen, sobald ich es erst einmal kennengelernt hatte! Zusammen mit dem Rollenspiel - eigentlich bevorzuge ich die Bezeichnung "Storytelling" - nimmt es den größten Teil meiner Freizeit ein.

Aber wieso war ich überhaupt damit in Berührung gekommen? Wie kam es, dass ich mich erst der phantastischen Literatur, dann dem Rollenspiel und schließlich diesem Sammelkartenspiel zuwandte? Wann sind in meinem Leben jene Weichenstellungen geschehen, die aus mir einen "Gamer" gemacht haben, anstelle eines bodenständigen, karriere-orientierten "normalen" Menschen?

Ich habe in Gedanken die Stationen dieser Entwicklung zurückverfolgt, bis zu ihren Wurzeln in meiner frühen Kindheit, und das Ergebnis ist:

Schuld waren mein großes Kinderzimmer und Mau-Mau!

Also gut, lasst mich das näher ausführen...

I. Das große Kinderzimmer

Meine Eltern besaßen eine große Menge Bücher, die viele, viele Meter Regal benötigten, um alle Platz zu finden. Da ich als Kleinkind natürlich kaum eigene Sachen besaß, jedoch in einem recht großen Zimmer (mit hoher Decke) lebte, lag es nahe, die Bücherregale an den Wänden meines Zimmers anzubringen! Insgesamt werden sich wohl so um die fünfzehn Meter Bücher in meinem Zimmer befunden haben...

Außerdem ergab es sich, dass ich sehr früh lesen lernte. Meine Mutter erzählt heute noch gerne Anekdoten darüber, dass ich das Lesen vor dem Laufen gelernt hätte. Das kann ich zwar aus eigener Erinnerung nicht mehr nachvollziehen , aber zumindest stimmt es, dass ich bereits vor meiner Einschulung mit 5 Jahren flüssig lesen konnte.

Das bedeutete aber auch, dass ich LAS. Die Bilderbücher, die eigentlich für meine Altersgruppe gedacht waren, wurden schnell langweilig. Meine Eltern begannen, mich mit Jugendbüchern zu versorgen: Erich Kästner (Emil und die Detektive), Ottfried Preussler (Der Räuber Hotzenplotz), Enid Blyton (Fünf Freunde). Ich verschlang diese Bücher schneller, als meine Eltern sie kaufen konnten - Lesen war meine Lieblingsbeschäftigung, und ich las oft den ganzen Tag. (Nein, ich hatte damals keinen Fernseher im Kinderzimmer!)

Und so passierte es immer wieder, dass mir der Lesestoff ausging, den meine Eltern mir besorgt hatten. Natürlich wandte ich mich daraufhin der Regalwand mit den Hunderten Büchern zu. Da gab es viele, die mich überhaupt nicht reizten: Zum Beispiel prangten da in Pastell-Tönen auf weißen, dicken Buchrücken Titel wie "Und Jimmy ging zum Regenbogen" oder "Zweiundzwanzig Zentimeter Zärtlichkeit"... Ich hatte gar keinen Zweifel darin, dass diese Bücher "zu hoch" für mich sein würden, wie meine Eltern es mir gesagt hatten - was für langweilige Titel! (Erst viele Jahre später ging mir auf, was "Zweiundzwanzig Zentimeter Zärtlichkeit" wohl zu bedeuten hatte - aber ich bezweifle, dass ich mit sieben, acht Jahren an diesem Thema viel Interesse gefunden hätte!)

Aber da war auch Vieles, was mich faszinierte: Detektiv-Geschichten zum Beispiel! Durch die "Rätsel um..."-Serie von Enid Blyton war mein Interesse an mysteriösen Vorgängen geweckt worden, und die vielen Krimis von Agatha Christie und Edgar Wallace nährten es weiter.

Dann waren da "Abenteuer-Romane", wie meine Eltern recht verschiedene Bücher bezeichneten: Karl May, Jules Verne, Robert Louis Stevenson, Daniel Defoe. Durch sie geriet ich zuerst an phantastische Literatur. Obwohl strenggenommen nur die Bücher von Verne diesem Genre zuzurechnen waren, beschrieben sie doch alle fremdartige Orte, Zeiten und Kulturen, und Menschen, die in ihnen Abenteuer erlebten. Der Abenteuer-Roman ist der eigentliche Vorläufer der Fantasy! Erst die vollendete Erforschung und Enträtselung der Erde bedingte die Notwendigkeit, Abenteuer-Geschichten in andere Welten zu verlagern.

Ebenso von prägendem Einfluss waren die griechischen Sagen (natürlich in der berühmten Schwab-Ausgabe), die ich dort fand. Eine Vielzahl von Göttern, die alle für verschiedene Dinge zuständig waren, sich untereinander bekriegten und direkt in die Geschicke der Menschen eingriffen - das war VIEL interessanter als die langweiligen Erzählungen aus dem Religions-Unterricht, bei denen ich selbst als Grundschüler nicht umhin kam zu bemerken, dass sie nur erzählt wurden, um Benimm-Regeln zu transportieren!

In drei Schlagwörter zusammengefasst: Die Bücher, die ich damals las, entwickelten meinen Geschmack für Mysterien, Abenteuer & Mythen. Das bemerkten auch meine Eltern, und beschenkten mich mit Büchern aus der Reihe "Die Drei???" und von Jules Verne. Es sollte aber ein Schulfreund sein, der mir zu meinem ungefähr zehnten Geburtstag den "Kleinen Hobbit" schenkte. Ich verschlang dieses Buch, und als ich hörte, dass es eine "Fortsetzung" dazu geben sollte (den "Herrn der Ringe"), verlangte ich naturgemäß danach.

Das war vielleicht eine Geschichte! Eine endlose Zahl von Phantasie-Wesen und gehimnisvollen Orten, und dazu Karten, Chroniken, Familienstammbäume... eine eigene Welt! Das war wie die griechischen Sagen und alle Abenteuergeschichten zusammen! Zum ersten Mal kam ich mit dem Gedanken in Berührung, dass man in seiner Phantasie eine EIGENE WELT erschaffen konnte - nicht nur eine veränderte Welt, sondern eine vollständig eigenständige!

Obwohl...eigentlich nicht das ERSTE Mal - wohl aber das erste Mal, dass ich in der Lage war, diesen Umstand zu erfassen. Aber das eigentliche erste Mal passierte nicht beim Lesen, sondern im Kino: STAR WARS!

Ich war sieben Jahre alt, als meine Eltern mich zu diesem Film mit ins Kino nahmen, und ich war (nach Worten suchend: fasziniert, begeistert, entrückt...) - nein, ich kann es nur ganz lapidar ausdrücken: Ich war in einer anderen Welt.

Heutige Jugendliche, die mit Computerspielen aufwachsen, deren Special Effects denen des ersten Star Wars Films kaum nachstehen, und welche die perfekt umgesetzten Bilder aus Filmen wie "Matrix", "Der Herr der Ringe" oder "The Scorpion King" gewohnt sind, können einfach nicht nachvollziehen, welche Wirkung dieser Film von einer riesigen Leinwand aus auf einen Siebenjährigen gehabt hat. Für mich galt: Es gab Filme, und es gab Star Wars. Star Wars war ein um so viel größeres Erlebnis, wie ein Absprung mit dem Fallschirm ein größeres Erlebnis ist, als ein Kopfsprung vom Ein-Meter-Brett.

Aber gerade diese unfassbare Größe des Erlebnisses war es auch, die Star Wars meiner Vorstellungswelt entrückte. So etwas gab es nur im Kino! Star War war ein ERLEBNIS, etwas, was man mit sich geschehen ließ und genoß. Der Herr der Ringe hingegen war eine GESCHICHTE. Dadurch, dass man sie las, darin vor- und zurückblättern konnte, konnte man sie sich aneignen. Das Star War Universum war etwas, in das man hineingezogen, in dem man hin- und hergeschleudert und von dem man schließlich wieder ausgespuckt wurde. Mittelerde aber konnte man durchwandern, erforschen, überprüfen. Star Wars weckte in mir den Wunsch, eine Fortsetzung zu sehen, und noch eine, und immer mehr. Der Herr der Ringe weckte auch den (unerfüllbaren) Wunsch nach einer Fortsetzung, aber nicht nur das: Er weckte auch den Wunsch, selbst eine zu schreiben, zu ERZÄHLEN. Wenn Tolkien nur mit Worten eine eigene Welt erschaffen konnte, dann konnte ich das vielleicht auch!

Auch wenn es noch ein paar Jahre dauerte, bis ich mit der Idee des Storytelling in Berührung kam, war meine Vorliebe für dieses Hobby durch den Herrn Der Ringe bereits erweckt - ich musste es nur noch entdecken.

Das geschah allerdings auf Umwegen: Nachdem meine Eltern bemerkten, wie sehr ich von Star Wars schwärmte, schenkten sie mir Bücher von Mark Brandis - falls Euch dieser Autor nichts sagt: Das ist nicht unbedingt ein Versäumnis, aber es waren doch nett geschriebene, an die Bedürfnisse von Jugendlichen angepasste SF-Abenteuerromane, die sogar erstaunlich nah an "Hard SF" - das heißt, an Science Fiction, die ihre wisenschaftlichen Grundlagen ernst nimmt - dran waren! (Star Wars hingegen ist, wie wir alle wissen, eher so eine Art modernes Märchen im Weltraum!) Natürlich empfand ich diese Bücher als ungefähr eben so weit von Star Wars entfernt wie mein Lesebuch für den Deutsch-Unterricht, aber die Idee von Geschichten, die in der Zukunft unserer Welt spielten, gefiel mir trotzdem, und bald schon machte ich mich auf die Suche nach weiteren "Zukunftsromanen". (Dabei blieb der Teil mit den auf Jugendliche abgestimmten Bedürfnissen allerdings auf der Strecke: Mit etwa zwölf Jahren las ich "1984", das mir großes Unbehagen bereitete und meine politischen Ansichten entscheidend mitprägen sollte.)

Als ich etwa in der neunten Klasse war, beschäftigte ich mich oft damit, von Kaufhaus zu Kaufhaus zu ziehen und die Tische mit herabgesetzten Taschenbüchern nach SF-Romanen zu durchsuchen. Dabei stieß ich irgendwann auf ein kaum beschädigtes Buch mit dem merkwürdigen Titel "Der Wandernde Wald", das allerdings nicht als SF, sondern als "Fantasy" gekennzeichnet war - was immer das auch sein mochte. (Dieser Begriff war nämlich Anfang der Achtziger durchaus noch nicht Allgemeingut!) Der Titel faszinierte mich, und das Buch war billig, also nahm ich es mit, auch wenn ich den Namen des Autors (Wolfgang Hohlbein ) noch nie gehört hatte.

An dieser Stelle möchte ich einmal eine Lanze für Hohlbein brechen: Er hat nicht immer nur Fließbandarbeit abgeliefert! "Der Wandernde Wald", der später einmal zum ersten Band der berühmten Enwor-Saga werden sollte, ist ein richtig guter Fantasy-Roman! Hohlbeins dramatischer, reißerischer Stil, den er sich in seiner Zeit als Autor von Heftromanen angeeignet hatte, war natürlich bereits vorhanden, wirkte aber damals noch nicht so aufdringlich und ausgelutscht wie heute in seinem gazillionsten Roman, und erfüllte tatsächlich seinen Zweck: Die Geschichte - die übrigens auf einer ganz hervorragenden Idee basiert! - besonders eindringlich und unheilsschwanger darzustellen.

Kurz gesagt, ich hatte das Glück, an den vielleicht besten Roman Hohlbeins zu geraten, und entwickelte dadurch natürlich auch Appetit auf die übrigen Bücher der neu konzipierten "Fantasy"-Reihe des Goldmann-Verlags! Die Tatsache, dass das hübscheste Mädchen in meiner Schulklasse überraschenderweise ebenfalls diese Reihe sammelte, trug dann auch ein wenig dazu bei, dass ich bald beinahe alle Bücher daraus gelesen hatte...

Nachdem ich nun das mir vorher unbekannte Genre "Fantasy" entdeckt hatte (Tolkien hatte ich vorher immer ganz selbstverständlich für einzigartig gehalten!), stieß ich bei meiner Suche nach weiteren Titeln bald auf die "Einsamer Wolf"-Reihe. Das waren allerdings gar keine "richtigen" Bücher, sondern Spiel-Bücher! (Heute würde man sie als Solo-Rollenspiel-Bücher bezeichnen.) Spielkind, das ich war, verschlang ich diese natürlich sofort (und ich muss sagen, sie waren auch wirklich gut gemacht)!

...ach so, wieso war ich eigentlich so ein Spielkind geworden?

II. Mau-Mau

Noch einmal zurück in meine Kindheit: Meine Eltern waren damals leidenschaftliche Skat-Spieler, und so ergab es sich ganz natürlich, dass das erste Spiel, das ich lernte, mit einem Skat-Kartenspiel gespielt wurde. Skat war für einen Fünfjährigen natürlich dann doch ein wenig zu schwierig, daher brachte mein Vater mir zunächst Mau-Mau bei.

...ich hoffe, Ihr kennt alle Mau-Mau? Hm, die Jüngeren unter Euch sind in einer Gesellschaft aufgewachsen, die in einem noch vor zwanzig Jahren nicht vorstellbarem Maße kommerzialisiert ist, also frage ich einmal andersherum:

Kennt Ihr Uno? Dachte ich es mir doch! Wisst Ihr, man nimmt ein normales Kartenspiel, ändert die Bebilderung, und schreibt die Regeln für Mau-Mau direkt auf die Karten. Das ist Uno. (Und darauf ist Amigo auch noch Stolz wie eine Herde Pfauen... naja, Geld regiert die Welt.)

Mau-Mau war ein tolles Spiel! (Ich mag es heute noch.) Die Idee, dass jede Karte eine besondere Bedeutung hatte, fand ich toll, und so ziemlich das Erste, was ich machte, nachdem ich es erlernt hatte, war den wenigen übriggebliebenen Karten auch noch Sonderregeln zu verpassen...

Durch Mau-Mau entwickelte ich eine Vorliebe für abstrakte Spiele. Bald lernte ich, dass man mit denselben 32 Karten eine Vielzahl von Spielen spielen konnte - das Material war immer das gleiche, nur die Regeln änderten sich! Dieses Prinzip wandte ich bald auch auf andere Spiele an: Mensch-Ärgere-Dich zum Beispiel verlangte geradezu nach Sonderregeln (ohne ist es auch ziemlich langweilig!) wie "Pusten", Kettenschlagen, Hin-Und-Zurückschlagen, Blockadesteine, Sprungfelder, Doppelzüge etc...

Meine Eltern hatten mich als "Antragskind" bereits vor meinem sechsten Geburtstag eingeschult (immerhin konnte ich bereits lesen, und sie wollten nicht, dass die Schule mich zu sehr unterforderte - nun ja). Da ich sowieso einen recht zierlichen Körperbau hatte, ergab es sich naturgemäß, dass ich meinen Mitschülern körperlich weit unterlegen war. Das war, zumindest was die Klassengemeinschaft betraf, kein besonderes Problem - Lesen können galt damals noch nicht als uncool ("schwul" ), und ich war in meiner Grundschulklasse recht gut angesehen. Es führte aber dazu, dass ich im Sportunterricht und bei körperlichen Tätigkeiten allgemein immer weit hinterherhinkte, und diese daher weitgehend aus meinem Interesse ausblendete. Das änderte sich zwar, als ich mit acht Jahren oder so in einen Fusballverein eintrat, aber die Prägung der ersten Schuljahre war bereits geschehen und hatte mich zu einem "Stubenhocker" gemacht, der viel Zeit alleine zu Hause verbrachte, und diese Zeit für gewöhnlich entweder mit Lesen, oder mit dem Erfinden von Spielen verbrachte. (Ich wiederhole noch einmal: Ich hatte KEINEN Fernseher im Kinderzimmer, und das war damals auch absolut normal!)

Ich besaß also damals einen Vorrat an verschiedenen grundlegenden Spielmaterialien: Karten, Würfel, Spielsteine und ein großes Schachbrett. Mit diesen wenigen Dingen konnte man endlose Permutationen von Spielen erschaffen! (So ähnlich gehen gewisse Spieleverlage heute oft auch vor - nur, dass sie dann für jedes ihrer Spiele etwas anders aussehende Spielsteine und Karten produzieren, um wieder Geld für ein komplettes Spiel verlangen zu können). An ein paar dieser in meiner Kindheit entstandenen Spiele kann ich mich noch erinnern - so zum Beispiel an "18", eine Solitaire-Variante, bei der 18 Würfel geworfen und nach ihrer Augenzahl auf einem Schachbrett angeordnet wurden, um das Spielfeld zu definieren, oder "Stölzel" (später nach meiner damaligen Freundin benannt. Ja, sie wusste diese Art von Humor zu schätzen), bei dem jeder Spieler aus einer Vierkartenhand einen Stich zu erobern versuchte, bei dem relative Kartenwertigkeiten entschieden - eine Art Quartett (OHNE Supertrumpf) für ein Skatkartenspiel umgesetzt.

Ich verbrachte also damals bereits den größten Teil meiner Freizeit mit Büchern und Spielen, und daher war es nicht weiter verwunderlich, dass ich mit Begeisterung auf eine Beschäftigung reagierte, die beides vereinte - so, wie es die Solo-Rollenspiel-Bücher taten!

Ich spielte meine "Einsamer Wolf"-Bücher also durch, aber nachdem die erste Begeisterung sich gelegt hatte, fand ich, dass etwas fehlte: In vielen Situationen waren mir die Optionen a) oder b) gegeben - ich wollte aber c) versuchen! Mir war schon klar, dass es kein Fehler dieser Bücher war, dass die Anzahl der Möglichkeiten, die zur Auswahl standen, begrenzt war. Trotzdem verglich ich den Spielspaß, den ich hatte, nicht mit dem, was MÖGLICH war (wobei diese Buchreihe doch recht gut abschnitt), sondern mit dem, was DENKBAR war - und daraus musste eine gewisse Unzufriedenheit entstehen.

Mit der Lösung dieses Problems wurde ich dann ganz zufällig konfrontiert: In der Umkleidekabine meines Volleyball-Vereines unterhielten sich einige meiner Mitspieler eines Tages über Dinge, die mir bekannt vorkamen: Von "Trefferpunkten" war da die Rede, in Verbindung mit "+1-Schwertern" und Zauberern der soundsovielten "Stufe". Natürlich fragte ich nach, wurde neugierig, wie sie zu mehreren Personen ein Spiel-Buch spielen konnten, und wurde schließlich zu ihrer Spielrunde eingeladen:

Ich hatte Rollenspieler entdeckt!

Das mag Euch jetzt wiederum nicht als große Leistung erscheinen, aber wir reden hier von einer Zeit, in der die meisten Menschen mit dem Begriff "Rollenspiel" noch entweder psychologische Methoden oder sexuelle Kapriolen verbanden! Das "Schwarze Auge" existierte noch nicht (oder kam gerade erst auf den Markt), und an "Computer-Rollenspiele" war überhaupt nicht zu denken! (Die Top-Computerspiele der damaligen Zeit kann man heute, mit vielleicht minimalen Abstrichen an die Grafik, auf einer Armbanduhr unterbringen!) Vielleicht erinnert Ihr Euch noch an die Zeit, als die Bild-Zeitung ab und zu riesige, reißerische Schlagzeilen über "Rollenspieler, die neue Satanssekte" hatte: Das war SPÄTER.

Rollenspiele wurden in kürzester Zeit mein Hobby Nummer Eins.

Hier war alles, was ich gerne machte, in einem einzigen Spiel vereinigt! Das Lesen und Erzählen von Geschichten in einer Phantasie-Welt. Ein "Film im Kopf", den man selbst miterfand. Viele abstrakte Regelmechanismen, die allerdings erstaunlich "konkrete" Anwendung fanden! Wie viele andere Rollenspieler auch verliebte ich mich natürlich in die Würfel: Würfel in allen Farben, und nicht nur sechsseitige, sondern vierseitige, achtseitige, zehnseitige, zwölfseitige, zwanzigseitige und sogar dreißigseitige! (Ich habe auch einmal einen siebenseitigen besessen, aber der war - nun ja - merkwürdig.) Diese superschicken Würfel benutzte ich natürlich sofort auch für meine Eigenschöpfungen. Mensch-Ärger-Dich-Nicht mit 2W10 (einen vor, einen zurück gesetzt) ist ziemlich cool.

Für ca. 9 Jahre blieben Rollenspiele konkurrenzlos an der Spitze meiner Freizeitaktivitäten. Ich trat einem Rollenspiel-Verein bei (Nexus e.v.), war zwischendurch auch mal in dessen Vorstand und rief in dieser Zeit die Odyssee ins Leben, einen Con, bei dem gezielt unbekanntere Rollenspiele gespielt werden sollten. Ich hatte in den letzten Jahren die Aktivitäten dieses Vereins ein wenig aus den Augen verloren, aber vor ein paar Monaten besuchte ich mal wieder eine Odyssee - und stellte fest, dass es diesen Con nicht nur immer noch gab, sondern dass sich daraus das "Projekt Odyssee" entwickelt hatte, das Rollenspielautoren bei der Entwicklung und Veröffentlichung eigener Spielsysteme und -welten unterstützt - Supersache, das!

In dieser Zeit entwickelten sich aber auch meine Präferenzen bezüglich der Tätigkeit "Rollenspiel" weiter. Während ich zunächst, noch stark von den Spiel-Büchern beeinflusst, mein Hauptaugenmerk auf die Maximierung meiner Spielwerte und das Sammeln von "Erfahrungspunkten" legte, traten diese Aspekte durch meine Bekanntschaft mit immer mehr Spielern und den unterschiedlichsten Spielwelten und -philosophien immer mehr in den Hintergund. Das überzeugende Darstellen einer interessanten Spielfigur in einer atmosphärischen, spannenden Geschichte wurde zu dem, worauf es mir in erster Linie ankam. Die Regelmechanismen traten immer weiter in den Hintergrund, und eines Abends irgendwann betrieb ich einmal sogar REGELLOSES Rollenspiel!

Dadurch dämmerte mir die Erkenntnis, dass komplexe, abstrakte Regeln und die Maximierung einer Anzahl von Variablen in vorgegebenem Rahmen zwar Spaß machten, aber in der Art Rollenspiel, wie ich sie bevorzugte - dem STORYTELLING - nichts zu suchen hatten! Meine Spielrunden wurden durch die Erkenntnis, dass die Geschichte sich nicht den Beschränkungen durch die Regeln anzupassen hatte, sondern die Regeln sich den Erfordernissen der Geschichte unterzuordnen hatten, dann auch immer gelungener.

Dadurch entstand allerdings eine Art Vakuum in meinem Hobby-Spektrum: Der Bedarf nach einem Spiel mit komplexen, abstrakten Regeln, bei dem ich mit einer Anzahl von Variablen jonglieren konnte, um die beste Strategie zu verfolgen, bestand noch. Komplexe Brettspiele waren nicht mein Fall: Sie dauerten einfach ZU lange (Zeit, die ich lieber mit Storytelling verbrachte) und hatten für gewöhnlich ein starkes politisches Element, das ich verabscheute. Computerspiele wie Populous (eine Art Civilisation, wenn ich mich recht erinnere) gab es zwar schon und sie beeindruckten mich auch sehr, aber sie hatten ebenfalls den Nachteil, dass sie einfach zu lange dauerten, und darüberhinaus alleine gespielt wurden (die Zeit der LAN-Parties war noch nicht gekommen). Wenn ich so viel Zeit alleine verbringen sollte, las ich lieber oder hörte Musik.

Kartenspiele waren da eher eine Antwort. Ich spielte viel Skat und Doppelkopf in dieser Zeit, war aber mit der Abwechslung, die diese Spiele boten, nicht wirklich zufrieden. Ich perfektionierte Mau-Mau zu einer Variante, die sowohl reichlich taktische Optionen, als auch ein großes Maß an Unberechenheit bot. (Diese Mau-Mau-Variante, an die ich mich leider nicht mehr zu 100% erinnere, ist das beste Kartenspiel mit herkömmlichen Karten, das ich je kennengelernt habe! Ich bin allerdings möglicherweise ein wenig voreingenommen.)

Zu dieser Zeit passierte es dann, dass zwei Teilnehmer meiner Rollenspielrunde, während wir auf die letzten Spieler warteten, kleine bunte Karten aus der Tasche holten und damit spielten.

III. Magic

Der Rest der Geschichte sollte keinen von Euch überraschen - schließlich seid Ihr ja wohl auch Magic-Spieler.

Zuerst lehnte ich die Idee eines Sammelkartenspiels rundheraus ab. Karten, die man immer wieder kaufen musste, um mit ihnen spielen zu können - was für eine dämliche Idee! Ich erkannte eine Geldmachmaschine, wenn ich sie sah, danke sehr!

Dann spielte ich es irgendwann einmal. Meine Güte, war dieses Spiel GUT! Unendlich viele mögliche Spielsituationen. Unendlich viele Möglichkeiten, ein Deck zu bauen. Und dann hatte dieses Spiel einfach STIL - mein erster Gegner war stolzer Besitzer eines Shivan Dragon: DAS war ein Drache!

Aber ich würde mit diesem Spiel nicht anfangen! Das erzählte ich damals allen, und ich gab auch die Begründung dazu: Ich hatte einen Vollständigkeitstick. Wenn ich die ersten dreißig Sekunden eines Films verpasste, sah ich mir den Rest auch nicht mehr an, sondern wartete, bis ich ihn in voller Länge sehen konnte. Ich erinnere mich an eine Buchreihe, die meine Eltern mir einmal geschenkt hatten: Die Hornblower-Romane von C.S. Forrester. Ich hatte, glaube ich, Band drei bis zehn besessen. Ich habe sie nie gelesen.

Wenn ich jetzt mit diesem Sammelkartenpiel anfinge, würde ich Unsummen ausgeben, um es vollständig zu bekommen! Also fing ich besser gar nicht erst an.

Ein paar Monate lang hielt ich das durch. (In dieser Zeit verpasste ich die Gelegenheit, Antiquities-Booster, Legends-Booster und TheDark-Booster zu kaufen.) Trotzdem kam ich von dem Spiel nicht los und nutzte jede Gelegenheit, mit den Decks anderer Leute zu spielen.

Um Weihnachten 1994 herum brach mein Widerstand dann zusammen: Ein Kumpel hörte mit Magic auf und wollte seine Sammlung verkaufen. Er war bereit, mir einen besonders günstigen Preis zu machen... Mein Gedankengang damals war: "Mach' Dir nichts vor, Andreas, Du fängst ja doch irgendwann damit an! Und so günstig wie jetzt kommst Du nie wieder an Magic-Karten. Betrachte es als Weihnachtsgeschenk an Dich!"

Und so erwarb ich meine ersten Karten. Natürlich entdeckte ich bald, welche Karten ich WIRKLICH haben wollte, und so kaufte, kaufte, kaufte ich, und gab Unsummen aus. Das meiste Geld steckte ich übrigens in Fallen Empires, Ice Age, Homelands, 4th Edition und Chronicles - das war halt einfach die Zeit, zu der mich der Kaufrausch überfiel. Zu dumm, dass es gleichzeitig auch die Zeit war, in der die Magickarten gerade den geringsten Wiederverkaufswert hatten (von der 5th Edition, die noch einmal einen Tiefpunkt setzte, einmal abgesehen).

Magic ließ mich nie wieder los. Ich ging durch meine "Fun"-Spieler-Phase hindurch (ich hatte bestimmt zu jedem Kreaturentyp, zu dem es mehr als zwei Karten gab, ein Deck) und entdeckte Magic auf Turnierniveau. Ich wurde Mitglied eines erfolgreichen Teams (Team Istari) und gelangte ein paar Mal auf die Pro Tour. Ich verkaufte meine Karten, um nur noch Limited zu spielen, hielt das erwartungsgemäß nicht durch und fing mit einem deutlich reduzierten und streng eingehaltenen Budget wieder an, Karten zu kaufen.

Ach ja, und jetzt schreibe ich für die größte deutsche Magic-Seite eine Kolumne, die sich manchmal mehr um Magic dreht, und manchmal weniger.

Und in Heidelberg ist der erste Tag der Deutschen Meisterschaft zu Ende gegangen, und die Ergebnisse, welche von den Berliner Spielern eingefahren wurden, hätte ich mir auch noch zugetraut!

Naja, nächstes Jahr wieder. Bestimmt.

[ drucken ]

Weitere Artikel/Berichte von Andreas Pischner

[11.04.2023]Aus den Archiven: R.I.P., Damage on the Stack
[09.10.2012]Limitedpreview: Return to Ravnica (5/5)
[05.10.2012]Limitedpreview: Return to Ravnica (4/5)
[02.10.2012]Limitedpreview: Return to Ravnica (3/5)
[28.09.2012]Limitedpreview: Return to Ravnica (2/5)


miraclegames.de
 
 
zur Startseite zur Startseite zur Startseite zur Startseite zur Startseite