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Limited
Wir können alles.
Einführung in Two-Headed Giant
von Simon Görtzen
29.09.2005

Auch wenn sich der ein oder andere jetzt “Nicht der schon wieder - mit seinem nicht-Legacy-Kram!” denkt, sind mir während der letzten Woche schon wieder so viele artikelfüllende Themen durch den Kopf gegangen, dass ich mir einfach Gehör verschaffen muss. Keine Sorge, ich habe keine Ambitionen, den neuen Andreas Pischner zu mimen, und um wöchentlich Artikel herauszuhauen fehlt mir spätestens ab Oktober auch wieder die Zeit. Aber der Reihe nach.

Ihr habt entschieden.
Die Entscheidung ist eindeutig, die Verhältnisse klar. Ihr wollt Draftanalysen, und Ihr werdet sie bekommen. Was die “8-4 oder 4-3-2-2”-Debatte angeht, denke ich wie viele von Euch auch, dass wir bei 8-4-Drafts die Möglichkeit haben, viel mehr zu lernen. Privat spiele ich nur 8-4er, aber als mir klar wurde dass sogar viele PTQ-Top8-Drafts nicht an das Niveau eines solchen Drafts herankommen, wollte ich doch erstmal eine Rückmeldung von Euch bekommen.
Es gibt nur noch ein Problem, und das ist das späte Erscheinen Ravnicas auf Magic Online – die Anhänger der digitalen Sammelkarten müssen sich nämlich bis Ende Oktober gedulden, bis sie ihre Prereleases spielen dürfen. Da ich traurigerweise verschlafen habe, mich für einen Beta-Account anzumelden, wird es also bis November dauern, bis ich Euch die erste Analyse präsentieren kann. Sollte ich mir nicht doch noch legalen Zugriff auf einen dieser heißbegehrten Accounts verschaffen können, kann ich mir vorstellen, die Wartezeit vielleicht mit einem Bericht über meine Sealed Deck-Erfahrungen zu überbrücken.
Schon seit längerem wundere ich mich, dass Wizards of the Coast keine größeren Anstrengungen unternimmt, das Online-Release zumindest zeitlich an das “echte” Release anzunähern. Ein völlig neuer Gedanke kam mir, als ich merkte, dass neuerdings beim Start von Magic Online ein Ravnica-Werbespot abgespielt wird. Vielleicht kommt der knappe Monat zwischen beiden Terminen Wizards ja ganz recht, um frischgewonnenen Online-Spieler zumindest einen guten Grund zu geben, sich auch einmal mit den Karten aus Pappe zu beschäftigen? Geschicktes Marketing oder nur technische Notwendigkeit (Programmierung, Betatesting, Fehlerbehebung)? Ich bin mir inzwischen nicht mehr ganz sicher...

Einschub: Wo wir gerade von Marketing reden: Baden-Württemberg macht Werbung in eigener Sache. Nein, nicht nur durch Frank Pollack, auch ganz offiziell: “Baden-Württemberg - Wir können alles. Außer Hochdeutsch.” Beeindruckend. Darf sich jetzt jedes Bundesland so einen Slogan zulegen? Und warum fangen wir nicht mit Deutschland an? Naja, das soll uns nicht weiter interessieren. Hier geht es ja um Magic.

Wir können alles.
Worum geht es denn eigentlich? Es geht um die im letzten Artikel angesprochene große Anzahl sanktionierter Turnierformate, deren Beherrschung von uns Turnierspielern erwartet wird. Habt Ihr schon einmal Erfolg gehabt, einem Außenstehenden zu erklären, was die Vokabeln Limited, Sealed Deck, Booster Draft, Rochester Draft, Constructed, Vintage, Legacy, Extended, Standard, oder Block bedeuten, und wie sie zusammenhängen? Vermutlich eher nicht. Für Euch aber sind das die ganz alltäglichen Strukturen, die für geregelte Wochenenden sorgen.
Doch damit nicht genug! Die Magicwelt hat noch eine andere, unsanktionierte Seite. Unter den sogenannten “Casual-Spielern” wird vor nichts zurückgeschreckt;-). Highlanderformate sind in Deutschland sicher das am populärste Phänomen, aber es gibt noch mehr Beispiele, wie, etwa durch kleine oder größere Regeländerungen, Magic zu einem völlig neuartigen Spiel transformiert werden kann. Das beste Indiz dafür, dass man es mit einem unsanktionieren Spiel zu tun hat, ist aber die Anzahl der Spieler: Sobald in einer Runde von drei oder mehr Spielern zusammengespielt wird, der Duellcharakter des Spiels in den Hintergrund rückt, hat man es mit einer Spielart des Multiplayer zu tun. Und das ist bekanntermaßen kein Turnierformat. Naja, nicht ganz.

Außer Two-Headed Giant.
Die Zeiten haben sich geändert. In einem mutigen Schritt hat man sich entschlossen, Two-Headed Giant als erstes Multiplayerformat zur Liste der von der DCI sanktionieren Formate hinzuzufügen. Und das können wir nun wirklich nicht – die Casual-Spieler nicht, weil die “offiziellen” Regeln höchstwahrscheinlich gravierend von denen der eigenen Multiplayer-Runde abweichen; und die Turnierspieler schon gar nicht, weil man sich sonst freiweillig höchstens nur zum Pokern und Draften mit mehr als zwei Personen an den gleichen Tisch gesellt hat.
Was mich bewegt hat, mich genauer mit dem Thema zu befassen, war nicht zuletzt das Gerücht, bei dem angekündigten Amigo-Event gegen Ende des Jahres könnte es sich um Turniere handeln, die vielleicht auch im Two-Headed Giant Format ausgetragen werden. Das ist natürlich pure Spekulation, vor allem wenn man bedenkt, dass man in Deutschland bisher noch kein Wort über sanktioniertes Multiplayer verloren hat, aber es gibt immer Hoffnung – und damit Grund genug sich aufklären zu lassen, oder?

Die Regeln:
Das Regelwerk lässt sich natürlich auch direkt an der englischsprachigen Quelle nachlesen, dazu habe ich am Ende des Artikels ein paar informative Links aufgelistet. Wer aber erst einmal an einem groben Überblick interessiert ist, kann mir (höflicherweise) weiter zuhören und Feinheiten dann im Anschluss in den Regeln nachlesen.
Beim Two-Headed Giant, was übersetzt soviel heißt wie zweiköpfiger Riese, duellieren sich Teams aus zwei Spielern, die symbolisch für je einen Kopf des Riesen antreten. Auch wenn man jetzt mit vier Leuten spielen kann, ändert sich dadurch erstaunlich wenig an der gewohnten Duellathmosphäre. Die Betrachtung des Spiels als Duell zweier Riesen macht auch die Regeln relativ einfach und vor allem größtenteils intuitiv verständlich.


1 - Two-Headed Giant kann in den Formaten Sealed Deck, Vintage, Legacy, Extended, Standard und Block gespielt werden. Jeder Spieler muss ein legales Deck haben, mit dem er, und nur er spielt. Das Maximum von vier gleichen Karten im Constructed gilt aber auch für den gesamten Riesen, das heißt eine bestimmte Karte darf in der Summe nur maximal viermal auftauchen. Ausnahmen sind selbstverständlich Standardländer und Karten die restricted, also nur einmal erlaubt sind.

2 – Die Matchstruktur ist aus Zeitgründen nicht Best-of-Three, sondern Best-of-One, das heißt sobald das erste Spiel gewonnen wurde ist das Match beendet. Sideboards sind aus diesem Grund nicht nötig, aber auch nicht erlaubt, was das Spielen von Cunning Wish und Co. zwar nicht unmöglich, aber deutlich schlechter macht.

3 – Es ist jederzeit erlaubt, mit den Teampartner zu kommunizieren und ihm Einblick in die eigenen Karten zu geben. Dabei sollte man aber sowohl auf angemessen schnelles Spiel achten, als auch darauf, dass jeder Spieler für das Ziehen, Spielen, Tappen und Opfern seiner Karten selbst verantwortlich ist. Also Finger weg!

4 – Jeder Riese startet mit einem Lebenspunktestand von 40, die Spieler haben keine eigenen Lebenspunkte. Wenn der Riese keine Lebenspunkte mehr hat, verliert das Team das Spiel. Verlieren kann ein gesamtes Team aber auch, indem einer der Spieler eines unnatürlichen Todes stirbt, zum Beispiel weil er keine Karte mehr ziehen kann oder weil er Phage, the Untouchable reanimiert hat. Wenn es für einen Spruch oder Effekt relevant ist, wieviele Lebenspunkte ein einzelner Spieler ist, nimmt man zur Berechnungsgrundlage die aufgerundete Hälfte der Leben des Riesen. Dazu bringe ich gleich ein paar Beispiele.

5 – Traditionell entscheidet der Zufall darüber, welches Team entscheiden darf, ob es anfängt oder nicht. Nehmen wir also an Team Blau gewinnt den Würfelwurf und will anfangen. Wie gewohnt darf der anfangende Riese im ersten Zug keine Karte ziehen, und das heißt keiner der beiden blauen Spieler. Vor Spielbeginn zieht jeder Spieler sieben Karten, danach entscheidet, startend beim blauen Spieler A, im Uhrzeigersinn nacheinander jeder Spieler darüber, wie oft er einen Mulligan nehmen möchte. Die Mulliganregel ist deutlich gelockert worden, und zwar hat jeder Spieler einen “kostenlosen” Mulligan, nach dem er noch einmal sieben Karten ziehen darf. Erst danach muss er mit jeweils eine Karte weniger auskommen.

6a – Hier komme ich zu einem Punkt, in dem sich die offiziellen Regeln vermutlich am gröbsten vom üblichen Prozedere unterscheiden:
Die einzelnen Spieler haben keinen eigenen Zug, sondern teilen sich diesen mit ihrem Partner. Jedes Team hat also eine Upkeep, eine Drawphase, eine erste Mainphase, eine gemeinsame Combatphase und so weiter. In der Upkeep stapeln beide Spieler gemeinsam ihre Trigger, in der Mainphase können beide Kreaturen und Hexereien spielen. Auf die regeltechnischen Feinheiten wie Priorität und Active-/Nonactive-Player gehe ich hier jetzt nicht weiter ein, dafür empfehle ich die Lektüre der unten aufgeführten Dokumente. Wenn es auf einer Karte um Dich, alle Spieler, oder einen Spieler deiner Wahl geht, betrifft das immer nur die einzelnen Spieler. Ausnahmen sind Karten, die etwa zu Beginn der Versorgungsphase jedes Spielers triggern, oder Mindslaver, bei dem man den Zug des gesamten Teams übernimmt.

6b – Auch die Kampfphase wird von beiden Spielern gleichzeitig bestritten. Dafür deklariert das betroffene Team alle angreifenden Kreaturen, die sich dann auf den anderen Riesen stürzen. Dabei muss man wissen, dass man regeltechnisch beide Spieler angreift, also auch alle Einschränkungen beachten muss.
Man kann also zum Beispiel eine Propaganda bei Spieler B nicht durch geschicktes Angreifen von Spieler A umgehen. Und wenn Spieler B nur von fliegenden, Spieler A aber nur von nichtfliegenden Kreaturen angegriffen werden darf, dann muss man auch den Angriff wohl oder übel verzichten.
Interessant wird es auch, wenn die Kreaturen dann ihren Kampfschaden machen. Beim kreatureninternen Kampf ändert sich nichts, aber bevor eine Kreatur dem gegnerischen Team schaden zufügen würde, muss man entscheiden, welchem Spieler dieser Schaden zugewiesen wird. Relevant wird das, wenn zum Beispiel bei Spieler A ein Circle of Protection liegt, oder wenn es um die Entscheidung geht, wem der Hypnotic Specter eine Karte klaut.

Das müsste reichen, damit Ihr die ersten Spiele Two-Headed Giant überstehen könnt. Was Euch aber noch fehlt, ist die Information, die ich unter Punkt 4 verschwiegen habe:

Die Formel
Wenn ein Effekt die Lebenspunkte eines Spielers auf einen Wert setzen würde, sind die Lebenspunkte des einzelnen Spielers (aufgerundete Hälfte des Lebenspunktestandes des Teams) die Berechnungsgrundlage. Die Lebenspunktedifferenz, die dieser Effekt beim betroffenen Spieler zur Folge hätte, wird dem Team angerechnet oder abgezogen, je nachdem ob der Spieler Lebenspunkte hinzugewinnt oder verliert.

Die gute Nachricht: Kampfschaden kann man wie gewohnt ganz einfach subtrahieren.
Die schlechte Nachricht: Alles andere wird schnell kompliziert.

Hier die versprochenen Beispiele:

- Form of the Dragon:
Team Rot ist auf 40 Lebenspunkten. Spieler A spielt Form of the Dragon. Am Ende des Zuges versucht die Form, A's Lebenspunkte auf fünf zu setzen. A ist nach obiger Formel auf 20, also bedeutet das einen Lebenspunkteverlust von 15. Damit landet Team Rot auf 40 – 15 = 25 Lebenspunkten. Was passiert nächste Runde? A ist aufgerundet auf 13, also zieht die Form ihm 8 Lebenspunkte ab. Damit landet Team Rot auf 25 – 8 = 17 Lebenspunkten.

- Heartless Hidetsugu:
Team Blau ist auf 39 Leben, also jeder Spieler auf 20 (siehe Abb.). Deshalb fügt Hidetsugu jedem Spieler von Team Blau zehn Schaden zu, also landet das Team bei 39 – 20 = 19 Leben. Team Rot ist auf 14 Leben, also jeder Spieler auf 7. Hier fügt Hidetsugu jedem Spieler 3 Schadenspunkte zu, also sinken die Lebenspunkte um 6 auf 8.



- Hidetsugu's Second Rite:
Hier führen die neuen Regeln dazu, dass diese Karte deutlich schlechter wird. Wenn man sie auf einen Gegner spielt, werden dessen Lebenspunkte berechnet, und wenn dabei zehn herauskommt, bekommt das Team ebensoviel Schaden. Das bedeutet, dass der gegnerische Riese entweder auf 19 oder 20 Leben sein muss, damit Hidetsugu's Second Rite überhaupt Schaden macht. Und selbst wenn - das Team ist danach immer noch auf neun bzw. zehn Lebenspunkten.

Fazit
Ich denke Ihr habt einen ersten Eindruck bekommen, wie Two-Headed Giant funktioniert. Auf taktische Feinheiten habe ich bewusst erst einmal verzichtet, man wird auch abwarten müssen, wie sich das Format entwickelt. Jedem, der jetzt Lust verspürt tiefer in die Materie einzusteigen, empfehle ich das Studium der folgenden Artikel bzw. einen Blick in diese Dokumente, die sich mit Two-Headed Giant befassen:

- Two Is Better Than One von Brian David-Marshall
- The Two-Headed Article von Laura Mills and Anthony Alongi
- Magic: The Gathering Floor Rules
- Magic: The Gathering Two-Headed Giant FAQ

Casual-Spieler haben es am einfachsten, sie sind natürlich weiterhin frei, so zu spielen wie sie es wollen, aber vielleicht findet das offizielle Regelwerk ja auch beim ein oder anderen Gefallen. Ich persönlich war jedenfalls positiv überrascht, wie schön sich die Regeln zu einem homogenen Gesamtbild zusammenfügen.
Bei den Turnierspielern ist das anders. Ich denke, dass Wizards Two-Headed Giant als Turnierformat auf niedrigerem Level, wie etwa zur Zeit bei den Ravnica-Prereleases, antesten wird, um vielleicht auch Casual-Spielern den Schritt in die Turnierszene zu vereinfachen. Sollte die Resonanz aber groß und positiv genug sein, kann man sich bei Wizards' praktiziertem Mut zur Veränderung nie sicher sein, ob nicht irgendwann einmal auch eine Pro Tour im Two-Headed Giant ausgetragen wird. Egal wie es kommt, jedes unerkundete Format liefert einen riesigen Innovationsspielraum, und dieser wird durch das Zusammenspiel mit einem Partner noch einmal potenziert. Ich freue mich drauf!

Jetzt widme ich mich wieder meinen Vorbereitungen für meine anstehende Vordiplomsprüfung. Wenn ich die hinter mir habe, geht es erstmal nach Mallorca. Ich würde mich freuen, den ein oder anderen von Euch danach bei der Spielemesse in Essen zu treffen, ansonsten lest ihr von mir, versprochen.

Schönen Tag noch und wie immer vielen Dank für die Aufmerksamkeit,
SimonG

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