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Der Großartige Preis von München 2003
von Sebastian H..
08.12.2003

Samstag morgens um kurz vor acht. Ich frage in einem Friseursalon nach dem Weg zur U-Bahn. Links soll ich gehen, erklärt man mir. Auf dem Weg nach draußen werde ich von einem offensichtlich geistig benachteiligten Menschen (wer lässt sich um diese Zeit die Haare schneiden?) angesprungen, der sichergehen will: Abber net bollitisch links, gööh!

Willkommen in Bayern.

Samstag Nachmittag irgendwann nach Runde vier oder fünf. Ein offensichtlich emotional benachteiligter Marcus Loydl schreit mir eine Geschichte vom Spikeshot-Goblin ins Gesicht. Um der Sache mehr Nachdruck zu verleihen, spuckt er mir danach zielsicher ins Auge.

Willkommen beim Großartigen Preis von München.

Beim Warten aufs Produkt unterhält sich neben mir M. Blume mit irgendeinem Typen über die Site. Ergebnis ihres Gesprächs ist die Aussage, die Halle sei toll, alles wäre ganz gleichmäßig ausgeleuchtet. Herr Blume stimmt zu. Hui, denke ich mir, …ganz gleichmäßig.

Beim Anblick des Nahrungsmittelverkaufsstandes in der Halle kommt mir spontan die Beschreibung der Baguettes beim Großartigen Preis von Prag in den Sinn, die Jürgen Wolf damals in seinem Artikel formuliert hatte. Der Belag auf den Dingern sei ungefähr so gleichmäßig verteilt gewesen, wie der Reichtum auf der Welt. Ein von 3 Byes gelangweilter Marcus Loydl kommt mir mit einer Flasche Apfelsaftschorle von eben diesem Nahrungsmittelverkaufsstand entgegen, die ihn fünf Euro gekostet hat. Ich lache ihn aus. Wie sich später herausstellt, vertritt er die Ansicht, wer noch nie fünf Euro für eine Flasche Lift ausgegeben hat, der hat auch nicht gelebt.

Samstag Abend, eine der letzten Runden, frei nach Nestor: Im entscheidenden Spiel gegen irgendeinen Franzosen, der eh nix mehr zu gewinnen hat, will der Blech den Mann zum Aufgeben bringen.
Franzose: "Ei pläi för cäöntry, Ei pläi för mei friends…"
Blech: "You play for ROHAN!"

Der Veranstalter hat statt sinnvollen Einrichtungen – wie einer Garderobe – lieber zwei einigermaßen ansehbare Damen geleast, die zwei Tage lang in schicken Kostümen Anfängern Magic erklären sollen. Dazu haben die Mädels aus Boostern der achten Edition zwei 10-Karten Decks gebastelt, von denen das eine das andere wohl nicht mal theoretisch besiegen könnte. Weil sie unter den ca. 1100 Anwesenden wahrscheinlich die einzigen sind, die von Magic keine Ahnung haben, geht das allerdings ziemlich schief. Etwas frustriert teilen sie mir mit, dass mal der Hallenwart (oder so) mit seinen Gören dagewesen wäre, um in die wunderbare Welt von Magic einzutauchen.

Nachdem er zwei von drei Elfmetern verschossen, sprich nach 6:0 zwei Runden verloren hat, kommt mir M. Loydl entgegen. Er ist recht bleich, hat seinen Discman am Ohr und wirkt irgendwie entrückt. Gnadenlos rammt er sich seinen Weg durch eine Horde schnatternder Franzosen. Ich verstecke mich.

Ich gebe ein hundertstel meines monatlichen Einkommens für einen knappen Liter Sprudel aus.

Da ich bei Freunden untergekommen bin, muss ich auf die gemeinsamen Nächte mit den Kollegen Haug, Hauck, Vermehren, Loydl und Rodriguez, aka. Nestor aka GAMS im Mehrbettzimmer des "Hotel Helvetia" verzichten. Scheinbar wird da viel geschnarcht, besonderen Ruhm erntet in dieser Beziehung Nestor, der dabei angeblich auch noch "so komisch schnalzt".


-Einschub-

Es folgt ein Auszug aus einer Nestor-Mail: "Also ich MUSS dazu sagen, dass der" -pieep- "einfach eine pfeiffe ist und nur die g'schichten erzäht. Er schnarcht mindestens genau so viel wie ich, beschweren tut er sich aber trotzdem weil er ja langsamer als ich beim einschlafen ist:p. Dazu gehöre ich auch zu dem EXKLUSIVEN club der leute im hotel, die an den wochenende überhaupt geduscht haben... So viel zu den thema."

Ich bitte um wilde Diskussionen im Kommentar-Teil…

-End of Einschub-



Während der ersten Runde kann ich dank Bye mal eben in die Schlange stehen, um ein paar Karten unterschreiben zu lassen. Dabei kommt die Frage auf, ob man mit unterschriebenen Karten auf dem Turnier spielen darf. Ein zufällig vorbeischlendernder Judge weiß es auch nicht. Dann halt nicht, denke ich mir. Dem Künstler war es recht, im Laufe des Tages wurde sein Lächeln immer gequälter (seine Unterschrift auch).

Aus gegebenem Anlass lässt sich der Veranstalter nicht lumpen und spendiert eine Runde Schoko-Nikoläuse für alle (eine Garderobe wäre mir lieber gewesen). Ne wilde Sache.

Nacht von Samstag auf Sonntag, kurz nach eins. Wir kuscheln uns in einer recht vollen U-Bahn sechs Mann hoch in ein Abteil. Während an mir die Müdigkeit nagt, sind die andren noch voll auf Adrenalin und tun das, was Magic Spieler eben tun: Sie schreien sich gegenseitig (alle gleichzeitig, das ist besonders wichtig) im Magic-Lingo an. Besonders in öffentlichen Verkehrsmitteln gelten dabei strenge Regeln.

1. Mindestens 20 Dezibel über normal.
2. Wer die meisten deutschen Wörter (oder Artikel oder Präpositionen oder Genitive) benutzt, hat verloren.
3. Kein zufällig Anwesender darf im Idealfall auch nur den Hauch einer Idee haben, um was es eigentlich geht.


-Einschub: Kleines Magic Lexikon – L wie Lingo-

Nicht jedem steht der Magic-Lingo gut zu Gesicht. Bei manchen Leuten kann man sich deutsche Sätze aber gar nicht vorstellen, wie zum Beispiel beim Nestor. Der könnte zwar, wenn er wollte, der will aber nicht, und das ist eigentlich auch ganz gut so. Nestor-Style Artikel gehören ja nicht umsonst zu den beliebtesten auf dieser Site.
Andere Leute sollten vielleicht ihren Sprachgebrauch mal überdenken. Es kann halt nicht jeder nen dicken Terravore playen…

-End of Einschub-



Wie sich herausstellt, bin ich mit echten Pros (und solchen, die es werden wollten) unterwegs: Nestor ist wie immer halt; zur Betonung seiner "Persönlichkeit" trägt er dicke schwarze Handschuhe, mit denen er rumfuchtelt, wenn er z.B. Englisch mit französischem Akzent imitiert. Marcus Loydl fällt durch ein gelegentlich laut gerufenes "play for ROHAN!" auf. Auch als der erste unbeteiligte Münchner außer Hörweite zu fliehen versucht (was natürlich nicht gelingen kann – siehe oben) tritt keine Besserung ein. Vom Rest der Mitfahrer ernten wir böse Blicke, einzig ein recht versifftes Mädel, dem ich einfach mal exzessiven Drogenkonsum unterstelle, blickt trotz anhaltender Lärmbelästigung noch apathisch vor sich hin.

Samstag vor der zweiten Runde. Endlich finde ich einen, der mit dem Auto da ist. Ich missbrauche seine Karre als Garderobe.

Ich werde ausgelacht, weil ich 2 Euro 80 für 0,2 L Flüssigkeit ausgebe.

Zwischendurch spiele ich Magic. Dabei wird mir einiges an Unverständnis entgegengebracht, weil ich immer die Karten durchlese, die meine Gegner ausspielen. Ich erkläre ihnen dann, es sei halt mein erstes Mirrodin-Sealed. Die meisten finden das reichlich seltsam, einer gewöhnt sich immerhin an, mir den kompletten Kartentext vorzulesen, wenn er was spielt. Da hätte er sich dann aber besser selbst genauer zugehört, er stirbt, weil auf Grab the Reins halt nix von "untap" steht.

Einer meiner Gegner kommt aus Belgien und redet ohne Pause in einer seltsamen Sprache auf mich ein. Weil ich kein Wort verstehe, bin ich ruhig und versuche ihn zum Spielen zu bewegen. Er scheint sehr verzweifelt zu sein, weil ich nicht mit ihm reden will. Später kommt mir der Gedanke, dass er versucht haben könnte, auf Englisch mit mir zu sprechen.

Am Abend werde ich noch von einem offensichtlich optisch benachteiligten Russen für einen Landsmann gehalten und auf Russisch vollgelabert. Ich sage ihm, er soll weggehen, aber er versteht mich nicht. Auf der Flucht werde ich von einem dicken Amerikaner umgerannt und dafür auch noch beschimpft.

Beim Stand von 4 zu 2 drawe ich mich dann letztlich solide rein… Rein in eine Welt ohne Stress und dicke Amerikaner, dafür gibt es da ein Sofa für mich und soviel Toastbrot, wie ich essen kann. Ich überlasse den Großartigen Preis von München motivierteren Spielern und beschränke mich aufs Nichtstun und Daumen drücken für Limited-Loydl und seinen Pool-of-doom.

Fazit: Ein Spieler mit mehr Schwung und weniger Kopfweh hätte mit meinen Karten in München mehr rausholen können. So bleibt mir die Erfahrung einer dicken Erkältung, jeder Menge U-Bahn fahren und einer wirklich ungeheuer gleichmäßig ausgeleuchteten Site.

Sebastian

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