
Hm, als ich diese Zeilen schreibe, ist auf PlanetMTG erst ein Turnierbericht zum Grand Prix Prag zu finden - ungefähr ein Fünftel von dem, was ich erwartet hätte! (Die Hochrechnung basiert auf Vergleichen mit den Offenen Qualifikationsturnieren zur DM sowie PT Venedig - der Grand Prix sollte irgendwo dazwischen fallen.)
Ich bin jedoch zuversichtlich, dass im Lauf der nächsten Tage noch reihenweise solche Berichte eintrudeln werden, und bleibe daher bei meinem Vorhaben, meinen eigentlichen Turnierbericht meinem Abschneiden gemäß kurz zu fassen und mich stattdessen auf ein Thema zu konzentrieren, das mit dem GP nur lose im Zusammenhang steht, obwohl es mir dort erst so richtig bewusst wurde...
Grand Prix Prag, zehn Uhr dreißig vormittags. 950 Spieler sitzen an ihren Tischen und bauen Selaed Decks. Nur Jonas Bodmann läuft von Tisch zu Tisch und langsam dämmert mir, dass er nicht etwa seinen Platz nicht findet, sondern nicht mitspielt!
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Grand Prix Prag, nach der dritten Runde: Ich unterhalte mich mit Nils-Uwe Goldbaum. Er steht 3:0 Drop. [Edit: Es war offenbar nicht Nils-Uwe, sondern ein anderer Spieler, von dem ich aus irgendeinem Grund bisher immer angenommen hatte, dass er Nils-Uwe sei. Sorry für die Verwechslung!]
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Grand Prix Prag, nach der vierten Runde: Ich setze mich zu meinem nächsten Gegner. Christoph Hölzl taucht auf. Wir machen ein bisschen Smalltalk und ich erfahre, dass er nach 4:0 gedroppt ist.
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...irgendetwas stimmt hier doch nicht??
Klar, das Rätsel ist schnell gelöst: Alle drei Spieler wollten ihr Rating beschützen!
Jonas ist über Rating zur Deutschen Meisterschaft qualifiziert und hätte bei einem unglücklichen 0:1 Drop diese Qualifikation möglicherweise noch einmal versägen können.
Bei Nils-Uwe ging es wohl offensichtlich nicht um die DM (auch wenn ich das damals so verstanden hatte, aber sein Rating befand sich dann doch in einer ganz anderen Größenordnung). Nichtsdestotrotz gab es wohl auch für ihn einen Grund, es zu beschützen (vielleicht, über der 1800er-Limited-Marke zu bleiben, um für die nächste Saison sein Erstrundenbye zu behalten?) [Edit: Nein, es war eben nicht Nils-Uwe, sondern jemand anders, dem es dann wohl auch um den Cut für die DM ging.]
Christoph wiederum will sich mit seinem Rating sogar für die WM qualifizieren, was sicherlich ein gutes Argument ist (auch wenn das wohl bedeutet, dass er DM & EM aussetzt - Pfui! Oder ist der Rating-Cut für die WM davor?)
Diese drei Spieler sind mit Sicherheit bei Weitem nicht die einzigen, die aus Rating-pragmatischen Gründen früh gedroppt bzw. gar nicht erst angetreten sind, aber als ich an einem Tag diese drei Geschichten kurz hintereinander mitbekam, stellte ich mir dann doch die Frage - warum eigentlich?
Klar, ich verstehe schon, warum die Spieler so gehandelt haben - wenn bei mir nicht völlig umgekehrt meine einzige Chance, doch noch über Ranking zu den Deutschen zu gelangen, im Erreichen des 2. Tages und noch ein bisschen Drafterfolg obendrauf gelegen hätte, hätte ich wohl in ähnlichen Bahnen gedacht.
...aber warum funktioniert das Rating-System eigentlich so, dass man für das Spielen von Turnierpartien bestraft wird?
Eigentlich sollen Ratings und Rankings doch ein Anreiz sein, sanktionierte Turniere zu besuchen! Im Großen und Ganzen klappt das ja auch. Aber offenbar stößt die Leistungsfähigkeit dieses Systems doch an ihre Grenzen, wenn es z.B. um die Teilnahme von etwas besseren Spielern bei großen Events geht. Wenn das Risiko, ein paar DCI-Punkte zu verlieren, schwerer wiegt als die Chance, in einem Grand Prix erfolgreich zu sein (einmal ganz abgesehen davon, dass das Spielen von Turnieren uns ja auch Spaß macht!), dann wird ein Motivationsprinzip zu seinem Gegenteil pervertiert.
Bei Magic Online ist, wenn auch mit etwas anderen Vorzeichen, ein ähnlicher Effekt eingetreten: Spieler mit höheren Ratings stellten fest, dass es ihnen zunehmend schwerer fiel, Drafts zu spielen, weil andere Spieler sich durch ihr hohes Rating abschrecken ließen und aus den Draft-Queues ausstiegen, und begannen daher, auf neuen Accounts zu spielen. Dort hat man deswegen Maßnahmen ergriffen, diesem Effekt entgegenzuwirken (unter anderem, indem man die Anonymität der Teilnehmer sicherstellt, bevor der Draft beginnt).
Ich finde, bei RL Magic sollte da auch etwas unternommen werden, damit das eigene Rating wieder einen Anreiz bietet, MEHR bei großen Events zu spielen und nicht WENIGER!
Wie kommt es denn überhaupt zu diesem Phänomen? Im Wesentlichen liegt es daran, dass für Magic ein Rating-System von Schach adaptiert wurde. Die grundlegende Idee ist, dass bessere Spieler eine gewisse Chance haben, einen schwächeren Spieler zu schlagen, und dass die Rating-Differenz diese Chance wiedergibt. So stehen bei Magic knapp 200 Punkte Rating-Differenz für eine Verteilung der Gewinnchancen von 75% zu 25% (Die Möglichkeit eines Draws ist dabei nicht berücksichtigt).
(Anmerkung: Das Rating-System funktioniert natürlich genau andersherum, indem es die Ergebnisse der gespielten Partien verarbeitet und auf lange Sicht eine Rating-Differenz erzeugt, die den tatsächlichen Gewinnhäufigkeiten entspricht. Probiert es einmal mit dem PlanetMTG-Rating-Rechner aus, indem Ihr zwei Spieler bei 1600 starten lasst und sie im Verhältnis von 3 zu 1 gegeneinander gewinnen lasst. Nach einiger Zeit sollten die beiden Ratings um die Werte 1696 und 1504 kreisen.)
Bei Schach mag die Grundannahme dieses Prinzips - die feste Gewinnwahrscheinlichkeit - ja einigermaßen gegeben sein. Bei Magic KANN das Ganze einfach nicht hinhauen, weil der Zufallsfaktor viel zu groß ist! Ein Beispiel: Wie groß ist die tatsächliche Gewinnchance von Kai Budde mit seinem 2100er Rating, wenn er im Sealed Deck gegen Random Scrub mit seinem auf mehreren Pre-Releases erarbeiteten 1500-Rating antritt? Deutlich größer als 50%, gar keine Frage. Vielleicht sogar über 90% - aber doch niemals 96,9%, wie die Rating-Differenz es eigentlich ausdrücken sollte, und was bedeuten würde, dass Kai in ca. 32 von 33 Fällen gewinnt!
(Armer Kai übrigens, der immer wieder als Beispiel herhalten muss - das hat man eben davon, wenn man der unangefochten beste Spieler der Welt ist )
Da das System aber solche Gewinnwahrscheinlichkeiten voraussetzt, verteilt es eben den "Einsatz" bei einem DCI-Match entsprechend. Und das bedeutet, dass Kai in der ersten Runde eines Prereleases gegen Random Scrub bei einem Sieg gerade einmal einen halben Punkt gewinnt, während er bei einer Niederlage 15,5 verliert (ein Glück, dass Kai sein Rating herzlich egal sein kann!) Und Entsprechendes gilt natürlich auch bei üblicheren Rating-Differenzen: Ich mag ja mit meinem 1800er Rating ein deutlich besserer Spieler sein als mein Gegenüber mit seinem 1600er Rating, aber deshalb kann ich mich noch lange nicht auf eine Gewinnwahrscheinlichkeit von 75% verlassen!
Der Zufallsfaktor von Magic bringt da also ein gewisses Maß an Unsicherheit herein. Bei Schach kann ein Topspieler sich in einem Turnier eben noch einmal richtig konzentrieren und braucht dann auch nicht zu droppen. Bei Magic zieht man halt zweimal keine Länder / nur Länder oder bekommt vom Gegner die gute Visara hingelegt und vorbei ist's.
Beinahe noch wichtiger ist jedoch der Umstand, dass die Ratings bei Magic stark schwanken. Wisst Ihr, was der k-Wert eines Turniers genau bedeutet? Nein? Er ist gewissermaßen Euer "Einsatz" bei einem DCI-Match: Wenn Ihr verliert, ist Euer Rating danach um exakt k Punkte niedriger, als wenn Ihr gewonnen hättet.
Das bedeutet bei einem Grand Prix, dass man bei jedem einzelnen Match um 40 Punkte spielt! Bei diesem Einsatz ist es nur allzu verständlich, wenn ein Spieler mit einem weniger als spektakulären Kartenpool lieber droppt. Und vor einem Cut für ein wichtiges Turnier, wie die Deutschen Meisterschaften oder gar eine Pro Tour, haben nur die wenigsten Spieler genügend Spielraum, um ein schlechtes Abschneiden bei einem Grand Prix riskieren zu können.
(Das Problem besteht übrigens nicht nur bei High-Level-Magic. Ein Beispiel aus meiner eigenen Erfahrungswelt: Mir ist es schon nicht ganz unwichtig, mein Limited-Rating zumindest über der 1800-Schwelle zu halten, um bei den gelegentlichen Limited Grand Prixs, an denen ich teilnehme, wenigstens ein Bye zu haben (zu Constructed Grand Prixs reise ich in der Regel nicht). Dadurch gestaltet sich selbst die Teilnahme an einem lokalen Draft zu einem gewissen Risiko. Wenn ich beispielsweise erste Runde gegen einen schwachen Spieler gewinne, dann gegen einen etwa gleichstarken knapp verliere und danach das Pech habe, wegen Mana Screw oderwasauchimmer gegen einen Gelegenheitsspieler zu verlieren, dann sind auch schon schnell einmal knapp 20 Punkte weg.)
Das Rating-System ist also oft ein Hemmnis, Turniere zu spielen, und das ist nicht der Sinn der Sache. Was könnte man denn nun dagegen unternehmen?
Vorschlag 1: Ein anderes Rating-System einführen, zum Beispiel eines, das nicht auf dem Nullsummenprinzip beruht und daher Erfolge zwar belohnt, aber Niederlagen nicht bestraft!
- einfach nicht praktikabel. Die DCI würde das bestehende Rating-System nie und nimmer kippen, und das wäre wohl auch der falsche Weg - eine dermaßen radikale Veränderung ist sicherlich nicht notwendig, und würde außerdem aller Wahrscheinlichkeit nur neue Probleme mit sich bringen (zum Beispiel ein übermäßiges Belohnen von Vielspielern).
Vorschlag 2: Die k-Werte von Turnieren deutlich reduzieren! Dadurch würden einzelne Turniere weniger stark das Rating beeinflussen, und das Risiko bei einem schlechten Abschneiden würde verringert.
- das würde aber andererseits dazu führen, dass ein guter Spieler auch viel mehr als jetzt spielen müsste, um sich ein angemessenes Rating zu erarbeiten. Wer nicht gerade das Glück hat, bei einem wichtigen Turnier herausragend abzuschneiden, sondern sich sein Rating Schritt für Schritt mit Ergebnissen erspielen muss, die auch tatsächlich mit den Gewinnwahrscheinlichkeiten des Ratings, das er "verdient", korrespondieren, benötigt jetzt bereits Dutzende Turniere dafür. Eine Verringerung der k-Werte würde das ganze System "einschlafen" lassen.
Vorschlag 3: Qualifikationen sollten nicht über einen Rating-CUT, sondern über einen Rating-PEAK erfolgen! Dabei ändert sich am eigentlichen Rating-System nichts, es wird nur anders angewandt: Wenn z.b. bisher am 16. April eines Jahres die ersten 50 Spieler der deutschen Rangliste für die DM qualifiziert waren, so nimmt man stattdessen diejenigen 50 deutschen Spieler, die in den drei Monaten vor dem 23. April die höchste Rating-Spitze erreicht haben.
- das erfordert natürlich, dass Ratings über einen Zeitraum von einigen Monaten hinweg gespeichert werden. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass das technisch machbar ist! Dann allerdings sehe ich keine weiteren Nachteile des Systems: Ein schlechtes Abschneiden in einem Turnier macht keinem Spieler mehr eine Qualifikation zunichte, und die häufigere Teilnahme an Turnieren wird dadurch belohnt, dass man mehr Chancen auf einen höheren Ratingpeak hat, ohne dass die Teilnahme alleine bereits etwas bringt.
Ja, das ist dann also mein Vorschlag! Vielleicht stößt er ja auch nicht auf taube Ohren? Nachdem AMIGO mich ja bereits mit dem Sponsoring der deutschen PTQs überrascht hat und mir damit den Glauben daran wiedergegeben hat, dass ihnen die Turnierszene tatsächlich etwas bedeutet, wären sie ja vielleicht sogar bereit, eine entsprechende Änderung zu überdenken und sich dafür bei der DCI stark zu machen? (Tja, so schnell kann man mit einer einzigen Maßnahme eine hohe Erwartungshaltung aufbauen! )
Ach ja, und dann war da noch mein Abschneiden beim Grand Prix Prag... 
Im Steno-Stil:
Ein Bye gehabt, sehr schwaches Deck geöffnet, zweite Runde ausgerechnet gegen Teammate Claudia Loroff gespielt und mit Glück gewonnen, dritte Runde gegen einen Slowaken oder so gespielt, und gegen ein deutlich überlegenes Deck dessen überdeutlich markierte Hüllen bemerkt und durch Vergabe eines Matchlosses gewonnen, vierte Runde gegen Herbert Engleitner, dessen Deck zwar meiner Ansicht ein wenig besser, aber auch nicht gerade spektakulär war, aufgrund höchst bescheidener Draws von seiner Seite gewonnen, fünfte Runde völlig chancenlos gegen irgendeinen tschechischen Scrub mit 42-Karten-Dreifarb-Megaspoiler-Deck 2:0 verloren, sechste Runde gegen Klaus Fegert mit B/W feat. Jareth in drei spannenden Spielen knapp 2:1 verloren (und an MISERY CHARM verreckt!!), sechste Runde völlig chancenlos gegen das weit überlegene Deck von Karl-Heinz Rohde 2:0 eingegangen, Drop bei 4:3, um noch in Ruhe gut Essen zu gehen und endlich einmal auszuschlafen.
...ach ja, von wegen ausschlafen Hier muss wohl die Geschichte der drei Udos erzählt werden:
Ich bin mit meinem Team in einer 8-Personengruppe mit der Bahn nach Prag gefahren, und wir hatten auch zusammen Zimmer in einem Hotel gebucht. Das waren außer meinen Teammitgliedern Claudia Loroff und Peer Kröger noch Tobias "Der 1. FC Union des Magic" Bosselmann (siehst Du, jetzt habe ich es geschrieben!), sowie Kristian Kockott - wenn er denn aufgetaucht wäre! - und eben die drei "Udos": Rosario Maij, Frank Schäfer und Martin Keding. ("Udo" nennen sie sich gegenseitig. Fragt nicht.)
Im Hotel nahmen Peer & Claudia naheliegenderweise zusammen ein Doppelzimmer. Tobias und ich teilten uns ein Dreierzimmer mit dem abwesenden Kristian, und die drei Udos schliefen nebenan.
Oder auch nicht.
Irgendwie ist ihnen der billige Alkohol in Prag wohl nicht bekommen. Dass sie sich in ihren Betten gegenseitig mit Seife bewarfen, ist ihr Privatvergnügen. Dass sie uns ihren Fast Food Müll an die Tür hängten, mag Ausdruck ihres unterentwickelten Humors gewesen sein. Dass sie Tobias und mich jedoch in zwei aufeinanderfolgenden Nächten absichtlich & systematisch durch lautstarkes Hämmern an unsere Zimmertür im Stundenrhythmus bis ca. 3 Uhr morgens wachhielten und dadurch unsere Nachtruhe, für die wir immerhin ca. 18€ pro Nacht und Person bezahlt hatten, zunichte machten, war einfach nur unentschuldbare Gehässigkeit!
Ach ja, und so ganz nebenbei versetzten sie auch noch Jonas, der sich mit zweien von ihnen zum Team Event verabredet hatte und auf diese Art beide Grand Prix Tage kein einziges Turnier spielen würde...
Daher eine Warnung an alle: Wenn Ihr eine Reise plant, oder an einem Teamturnier teilnehmen wollt, lasst die Udos lieber außen vor - bevor ihr auf die harte Tour herausfindet, dass Ihr es mit einer Bande Schwachsinniger zu tun habt 
Trotzdem war Prag insgesamt ein schönes Erlebnis! Die Stadt ist schön, man kann sehr preiswert sehr gut essen gehen, und ich konnte am zweiten Tag ein wenig Draften üben und habe dort hoffentlich den größten Teil meiner im Grand Prix verlorenen Rating-Punkte wieder eingefahren (die Side Events sind ja noch nicht gewertet) und auch ein paar Booster gewonnen. Noch deutlich besser allerdings haben es Claudia & Peer gemacht, die zusammen mit Patrick Mello das Team Sealed gewonnen haben und als Preis asiatisches Draftmaterial für zwei 8-Personen Ons-Leg-Drafts erhielten!
Ich bin ja schon auf die Side Events bei der WM in Berlin gespannt!
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