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Psychologie in Magic
von Andreas Rose
24.04.2015

Hallo, liebe Magic-Gemeinde!

Bevor ich zum Thema komme, möchte ich euch erst noch ein paar Dinge zu mir erzählen. Mein Name ist Andreas Rose, ich spiele Magic seit der Achten Edition und bin tatsächlich auch Psychologe. In ebendiesem Beruf und in diesem Gebiet fallen mir immer wieder Parallelen zu meiner liebsten Freizeitgestaltung auf. Durch meine Familie und meinen Beruf habe ich es bisher leider kaum zu größeren Events wie Grand Prix und dergleichen geschafft, ich bin aber seit 2006 regelmäßig beim FNM, bei Prereleases und kleineren regionalen Turnieren in Sachsen und Umfeld zu finden. Nicht zuletzt auch auf Anraten meiner lieben sächsischen Magic-Gemeinde habe ich mich dazu hinreißen lassen, einige Dinge mal in einem Artikel zu besprechen. Ich hoffe, er gefällt euch, und bin auf euer Feedback gespannt.


Einführend möchte ich euch ein wenig zur Psychologie selbst erklären. Unter Psychologie versteht man heutzutage die Lehre vom Erleben und Verhalten des Menschen. Das Erleben ist der subjektive Teil des Menschen, also seine Emotionen, Gedanken, Erfahrungen und Werte. Im Magic-Kontext könnte das beispielsweise betreffen, welche Decktypen ihr gerne spielt, wie emotional ihr an ein Match herangeht und welche Erfahrungen ihr mit bestimmten Karten oder Gegnern bisher gemacht habt. Das Verhalten wiederum umfasst alle Bereiche, die das Umfeld wahrnehmen kann. Also die Körperhaltung, die Sprache, die Mimik und Gestik sowie bestimmte Reaktionen.

Erleben und Verhalten beeinflussen sich dabei immer gegenseitig. Schon allein dadurch, dass ihr eure Bewegungen verlangsamt, werden sich auch eure Gedanken verlangsamen und eventuell sogar Emotionen herunterfahren. Das kann euch vor allem in Wettbewerbssituationen wie zum Beispiel auf großen Turnieren zugute kommen. In meinen ersten Seminaren hatte ich einen Zettel auf meinem Laptop liegen mit den Worten „ruhig“ und „langsam“. Diese beiden Worte standen auch schon auf den Blättern, auf denen ich meine Lebenspunkte notiert habe.

Übrigens braucht ihr keine Psychologen sein, um das Verhalten eurer Mitmenschen analysieren zu können. Die Evolution hat dafür gesorgt, dass wir unsere Mitmenschen üblicherweise ziemlich gut einschätzen können.


Ich kenne etliche Magic-Spieler, die dazu neigen, Spielsituationen zu „zerdenken“. Es gibt freilich Momente, in denen es sich lohnt, lange über einen Spielzug nachzudenken. Aber kognitive Ressourcen sind begrenzt und willentliches Denken erfordert viel Kraft. Daher lohnt es sich gerade auch bei langen Turnieren, dem eigenen Bauchgefühl zu vertrauen. Wenn ihr euer Deck und die Decks und Karten des Formats sowie die relevanten Spielzüge gut kennt (Vorbereitung!), ist euer Unterbewusstsein eh viel schneller als eurer Bewusstsein und ihr spart jede Menge Energie und vermeidet damit unnötige Fehler in den späteren Runden.

In der Psychologie kennt man eine Menge sogenannter Heuristiken. Dies sind kleine Abkürzungen des Verstandes, die uns idealerweise beim Fällen von Entscheidungen und Ziehen von Schlussfolgerungen unterstützen und dabei wertvolle kognitive Ressourcen schonen. Diese Heuristiken führen aber auch gern einmal zu Urteilsfehlern. Da ihr für eure Schlussfolgerungen nur bestimmte Informationen zurate zieht, kann es passieren, dass ihr schlicht und einfach Fehleinschätzungen trefft. Einige dieser Urteilsverzerrungen möchte ich euch nun in Bezug auf Magic vorstellen …


1. Die Verfügbarkeitsheuristik


Diese Urteilsverzerrung erfolgt dann, wenn ihr Entscheidungen auf Basis der in eurem Gedächtnis besonders leicht abrufbaren Informationen trefft. Beispielsweise habt ihr im ersten Spiel des Prereleases der Drachen von Tarkir gegen Dragonlord Silumgar verloren und klammert euch deswegen jetzt an den Death Wind in eurer Hand, um mit diesem irgendwann den Drachenfürsten zu erlegen, obwohl ihr derweil von einem Ojutai Interceptor Zug für Zug angegriffen werdet. In diesem Fall kann es durchaus sinnvoll sein, Ojutai Interceptor mit Death Wind zu beseitigen, vor allem wenn ihr genug Druck auf dem Schlachtfeld habt, um euren Gegner in die Defensive zu drängen. Wichtig ist hier, nicht nur die Wahrscheinlichkeit zu kennen, mit der euer Gegner Silumgar ziehen und wirkungsvoll spielen kann, sondern auch die Wahrscheinlichkeit, mit der euer Deck noch eine Antwort für Silumgar parat hat. Ihr müsst also in jedem Fall euren Verstand einschalten und solltet euch nicht allein von der Erinnerung an das erste Spiel leiten lassen, bloß weil diese Erinnerung so präsent ist.

Ein anderes Beispiel: Angenommen, dass euch in einem Constructed-Spiel gegen ein aggressives Deck ein Planeswalker soeben Spiel 1 gerettet hat; dennoch kann es sinnvoll sein, diesen für Spiel 2 ins Sideboard zu verbannen, etwa weil es sich beim ersten Spiel um eine außergewöhnliche Ausnahme gehandelt hat oder weil sich auch euer Gegner auf diesen einrichten wird. Nur weil euch eine Karte ein Spiel gerettet hat, heißt das nicht, dass sie das auch im nächsten Spiel tun wird.


2. Die Repräsentativitätsheuristik


Darunter versteht man die Annahme, dass ein Ereignis aus zwei unzusammenhängenden Komponenten wahrscheinlicher ist als jede einzelne Komponente für sich allein. Bei einem berühmten Experiment wurde Versuchspersonen zum Beispiel eine elegant gekleidete Frau beschrieben, die sich für Menschenrechte einsetzt und gleichzeitig hohen Wert auf Emanzipation legt. Dann wurden die Versuchspersonen befragt, was sie in Bezug auf diese Frau für wahrscheinlich halten: ob sie wohl als Bankangestellte arbeitet, ob sie Feministin sei … Interessanterweise erschien den Leuten die Kombination Bankangestellte/Feministin wahrscheinlicher, als dass sie nur Bankangestellte oder nur Feministin wäre. Die Wahrscheinlichkeitsrechnung sieht einzelne Komponenten immer vor ihrem Produkt, menschliche Intuition hingegen mag gerne ein rundes, stimmiges Bild.

Entsprechend könnte man sich im Limited dazu verleitet fühlen, Pristine Skywise nicht plattmachen zu wollen, wenn der Gegner noch zwei offene Mana und eine Handkarte hat. Die Kombination Pristine Skywise plus Spontanzauber ergibt eben einfach Sinn. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Gegner tatsächlich einen Spontanzauber auf der Hand hat, ist indes relativ gering und man steigert die eigenen Siegchancen auch nicht gerade, indem man wartet, da ja jeder weitere Zug die Wahrscheinlichkeit für einen Spontanzauber bloß erhöht.


3. Der Halo-Effekt


Nein, das hat nichts mit der gleichnamigen Spielereihe rund um den Masterchief zu tun. Hier geht es darum, dass eine einzelne Eigenschaft andere Eigenschaften einer Person überstrahlt, ähnlich wie ein Heiligenschein. So wurde – wiederum experimentell – nachgewiesen, dass eine elegant gekleidete Person durchschnittlich als intelligenter, kompetenter und sympathischer beurteilt wird als dieselbe Person in Freizeitkleidung.

Das kann euch auch bei Magic passieren, vielleicht nicht unbedingt in Bezug auf elegante Kleidung, aber beispielsweise wenn ihr einem bekannten Spieler gegenübersitzt oder einem Spieler, der ein sehr souveränes und selbstsicheres Auftreten hat. Schon im Spiel wirken seine Spielzüge überlegter und ihr neigt wahrscheinlich eher dazu, in Fallen zu tappen, Fehler zu begehen oder seine Fehler nicht auszunutzen, weil ihr sie gar nicht erst als solche erkennt. Diesen Effekt könnt ihr aber auch selbst nutzen. Schon eine entsprechende Kleidungswahl und eine gute Vorbereitung können eure Selbstsicherheit erhöhen und dazu führen, dass eure Gegner doch mal einen Fehler mehr machen. Das wird selten Turniere für euch entscheiden, kann aber hier und da kleine, entscheidende Vorteile ausmachen.


Es gibt in Magic immer wieder Karten, die ich auch aus psychologischer Sicht interessant finde. Im Limited zählt dazu gerade Belltoll Dragon, mit dem man jede Menge Entscheidungen zu fällen hat. Manch einer wird ihn gerne früh verdeckt spielen, ein anderer geht lieber auf Nummer sicher und wählt von vornherein den fluchsicheren 3/3-Flieger für sechs und ein dritter will mit sieben offenen Mana vielleicht unbedingt einen Angreifer überraschen oder einen Removalspruch neutralisieren. Der richtige Einsatz hängt hier natürlich von der jeweiligen Spielsituation, dem gegnerischen Deck und der eigenen Handkarten ab, aber ich schätze, dass verschiedene Spieler zumindest tendenziell zu einer unterschiedlichen Handhabe neigen.

Welche Erfahrungen habt ihr gesammelt? Hat euch der Artikel gefallen und ihr wollt mehr davon? Ich bin auf eure Kritik gespannt!
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