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Sideboard – Keine Nebensache!
von Christopher Brunner
06.09.2013

Heute möchte ich mit euch mal über ein Thema philosophieren: das Sideboard. Ja, ihr habt richtig gehört: Philosophieren! „Wie? Der Chris erzählt uns nicht das einzig Wahre? Warum lese ich das überhaupt?“ Gute Frage, lange Antwort.

Ich persönlich empfinde das Sideboard an sich und das Sideboarden als Prozess in Magic-Partien als so umfassend und vielseitig, dass jeder mit dem Thema anders umgeht und (wie ich in dem Artikel hier später noch mal verdeutlichen möchte) dass jeder das Sideboard sehr unterschiedlich nutzt.


Damit ihr einen kleinen Einblick bekommt, wovon ich da eigentlich überhaupt rede: hier eine kleine Einteilung über den groben Anwendungsbereich des Sideboards anhand von drei Formaten.


Limited

Hier hat das Sideboard neben dem Aufbewahren der restlichen Poolkarten die Aufgabe, Antworten für Bomben/Einzelkarten zu liefern oder das Matchup des Decktyps zu verbessern. Der Gegner hat zum Beispiel eine Windreader Sphinx und ihr spielt ein grün-weißes Deck und packt für Game 2 und 3 ein zusätzliches Plummet rein.


Was die Verbesserung eines Matchups angeht, so ist das im Limited nicht so ausgeprägt wie im Constructed, da es keine festen Decktypen gibt. Wenn ihr allerdings so etwas wie blau-weiße Kontrolle spielt, kann ein schnelles Aggrodeck ziemlich zum Problem werden, wogegen ihr zum Beispiel mehr Mauern oder Ähnliches ins Deck legt.

Im Limited spielt das Sideboard eine weniger relevante Rolle als im Constructed. Ihr habt hier ja nur eine begrenzte Auswahl, da euer Draft-/Sealedpool nicht viel hergibt und ihr mit dem arbeiten müsst, was ihr bekommt.


Standard

Auch im Standard kann das volle Potenzial eines Sideboards noch nicht ausgeschöpft werden. Allerdings haben wir hier schon mehr Möglichkeiten, auf den Ausgang unserer Partien Einfluss zu nehmen. Hier gehen wir nicht (oder nur begrenzt) auf Einzelkarten ein, die wir auf dem gegnerischen Feld gesehen haben, sondern gleich auf das Deck an sich.


Im Standard dient das Sideboard fast ausschließlich zur Verbesserung des Matchups gegen bestimmte Decks. Auch hier kann noch differenziert werden, aber das möchte ich jetzt nicht auf das Standard beziehen, sondern später erläutern. Im Moment versuche ich nur, die Bedeutung des Sideboards für die einzelnen Formate widerzuspiegeln. Abgesehen von der Matchup-Verbesserung kann durch das Sideboard auch die Taktik erheblich verändert werden.

Hier ein Beispiel: Standardvertraute unter euch wissen, dass aktuelle UWR-Decks Thundermaw Hellkites im Sideboard haben. Diese einzelne Karte kann gegen manche Decks den Deck-Plan von „totaler Kontrolle und entweder langsam verprügeln oder Assemble the Legion/Ætherling legen“ auf „Board stabilisieren und dann in vier Zügen den Sack zu machen“ ändern, was gegen manche Decks sehr sinnvoll ist, da sie nicht dauerhaft auskontrolliert werden können.

Gehen wir mit diesem Gedanken doch weiter in das dritte und letzte Format. Mein Lieblingsformat:


Legacy

Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten! Jedenfalls für Deckbauer. Dieses Format hat einen so wahnsinnig großen Kartenpool, dass man sich unmöglich mit 75 Karten gegen alles rüsten kann!


Hier hat das Sideboard neben den in Standard genannten Möglichkeiten noch weitere Anwendungen, die man als Nicht-Legacy-Spieler eigentlich gar nicht wahrnimmt. Zum Beispiel kann das Sideboard als Aufbewahrungsort genutzt werden für wichtige Karten, die im Spiel gerade benötigt werden. Richtig, ich rede von den Sideboard-Tutoren: Burning Wish, Cunning Wish, Death Wish, Glittering Wish, Golden Wish, Living Wish.

Diese Wünsch-dir-was-Karten verwandeln das Sideboard in eine Toolbox. Mit den Wishes könnt ihr dann entweder eure Winoption nach einer langen Kombo holen oder auf etwas reagieren, was der Gegner gerade Böses mit euch anstellen will.

Ein aktuelles Beispiel einer Toolbox findet ihr in vielen Kombo-Listen, wo zum Beispiel Burning Wish gespielt wird und ein paar relevante Hexereien einmalig im Sideboard zu finden sind. An folgendem Sideboard eines TES-Decks gut zu erkennen:


Sideboard:

1 Duress
1 Tendrils of Agony
1 Grim Tutor
1 Empty the Warrens
1 Meltdown
1 Pyroclasm
1 Ill-Gotten Gains




3 Chain of Vapor
1 Karakas
4 Dread of Night


Hier sieht man ziemlich deutlich den Plan und den Sinn der Sideboard-Tutoren.

Ein weiterer Zweck der Sideboardkarten, der auch im Standard vorkommt (nur nicht so häufig), ist die Bekämpfung der gegnerischen Sideboardkarten. Hier wisst/vermutet ihr, was der Gegner gegen euch boarden würde und macht sozusagen ein Konterboarden. Ziemlich frech oder? Ich erzähle euch dazu mal eine Geschichte aus der Testzeit vor dem Grand Prix in Straßburg:
Ich habe gegen Marco nach dem Sideboarden getestet. Marco spielte Tinfins (ein etwas schnelleres Reanimator-Deck) und ich habe mit meinem Sneak-Show-Deck gegen ihn Surgical Extraction geboardet und zielte als Reaktion auf sein Shallow Grave mit besagter Karte auf seinen Griselbrand.

Ich habe somit mit meinem Sideboard die Schwäche seines Decks ausgenutzt und wähnte mich schon als Gewinner, als Marco dann, nachdem alle Griselbrands im Exil waren, Pull from Eternity spielte und mit Shallow Grave auf dem Stack (der Spruch hat ja kein Ziel) immer noch den Griselbrand zurückholen konnte. Er hatte sich also mit seiner Sideboardkarte gegen meine Sideboardkarte abgesichert.


Aufbau des Sideboards

So, nach dieser doch etwas längeren Aufzählung an Anwendungsmöglichkeiten für das Sideboard an sich kommen wir zu dem theoretischen Teil, dem Inhalt des Sideboards. Trotz der zahlreichen Möglichkeiten ist und bleibt die Verbesserung des Matchups gegen andere Decks das hauptsächliche Anwendungsgebiet. Wie ich aber oben bereits erwähnt habe, steckt auch hier der Teufel im Detail.


In der Regel hat das Deck, welches ihr spielt, gute, ausgeglichene und negative bis hoffnungslose Chancen gegen verschiedene andere Decks. Ihr solltet euch beim Deckbau also unter anderem folgende Fragen stellen:

Will ich meine ausgeglichenen Matchups positiv machen?
Will ich meine negativen bis hoffnungslosen Matchups verbessern?
Will ich gegen jedes Deck mindestens eine kleine Antwort (zwei bis drei Karten) haben?

Prinzipiell möchte man ja gerne alle drei Fragen mit ja beantworten, was aber in der Regel nur schwer möglich ist. Denn normalerweise benötigt man viele Karten, um ein schlechtes Matchup positiv werden zu lassen. Im Standard zum Beispiel versuchen Jund-Spieler mit circa zwei Dritteln ihres Sideboards das schlechte Matchup gegen Kontrolle (UWR/UW/Esper) zu gewinnen, da sie das erste Game fast immer verlieren.

Es gibt keine Frage, die wichtiger ist, als die andere. Dafür hängt es zu sehr von eurem Deck und dem aktuellem Metagame ab, wie ihr euer Sideboard baut. Manche Decks haben viele sehr gute Matchups, dafür auch viele schlechte. Andere dagegen haben lauter ausgeglichene Wahrscheinlichkeiten auf Sieg und wieder andere haben fast nur gute Matchups, sind dafür aber gegen Sideboardkarten sehr anfällig (zum Beispiel Dredge). All diese Decks benötigen einen unterschiedlichen Sideboardplan und eine diesbezügliche Strategie. Dazu kommt auch noch die Einschätzung des aktuellen Metagames, also wie häufig welches Deck auf dem Turnier vertreten sein wird … Aber euch zu erklären, wie man möglichst gut das Gegnerfeld eines zukünftigen Turnieres vorhersagt, würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Außerdem traue ich mir das selber nicht zu, da meine Berechnungen gefühlt aus Pi×Auge×Bauchgefühl bestehen.


Kopieren von Decklisten

Mal ehrlich, wer tut es nicht? Ihr tut es, ich tue es, so mancher Pro macht es heute ebenfalls. Man sieht eine gute Liste, man verguckt sich in das Deck, man spielt mit dem Deck. Alles auch so weit, so gut.


Warum ich jetzt auf einmal Decklisten in einem Sideboard-Artikel erwähne? Richtig: Das Sideboard wird mitkopiert! Ich selber habe es auch schon sehr häufig gemacht (ich bin ein kleiner Deckbaumuffel), aber nach einiger Zeit musste ich zunehmend feststellen, dass ich Probleme beim Boarden hatte, und deshalb, finde ich, ist das Kopieren von Sideboards in den seltensten Fällen wirklich sinnvoll.

Denn um das Sideboard sinnvoll zu nutzen, müsst ihr die Stärken und Schwächen des Maindecks kennen. Welche Karte ist unverzichtbar gegen das eine Deck, aber gegen das andere total nutzlos? Welche Karte fliegt raus? Um das zu wissen, müsst ihr das Deck ordentlich testen und Erfahrungen sammeln. Gibt es beim Testen eine Sideboardkarte, die euch stört, beziehungsweise die ihr nicht gut findet und euch nicht überzeugt? Gut! Raus damit! Auch wenn euch viele Leute sagen, dass die Karte unverzichtbar oder zumindest sehr gut ist: Wenn ihr von der Karte nicht überzeugt seid, würdet ihr sie auch niemals so benutzen, beziehungsweise so einboarden, wie es der Erfinder der Liste oder die anderen Leute täten.

Ich zum Beispiel konnte mich nie für Leyline of Sanctity im Sideboard meines Sneak-Show-Decks erwärmen, obwohl ich die Argumente dafür durchaus kannte und auch einige sehr gute Spieler sie in ihrer Liste hatten. Aber mir gefiel die Überlegung dahinter nicht und deshalb habe ich sie auch rausgeworfen. Ich will damit nicht sagen, dass die Leute, die sie spielen, keine Ahnung haben, sondern dass ich sie schlicht nicht so gern geboardet und mich auf die Negativseiten dieser Karte fokussiert hatte und somit mein Spiel beeinträchtigt war. Die Aufstellung des Sideboards ist in manchen Punkten halt auch eine Frage des Geschmacks, so komisch das auch klingen mag.


Fazit

Also ich muss gestehen, beim ersten Gedanken an das Fazit musste ich grinsen, denn der Gedanke lautete: „Oh Gott, was hab ich da den Leuten angetan! So trocken, da ist selbst Staub flüssig.“


Es ist auch kein leichtes Thema, denn es ist sehr komplex und sehr theoretisch. Es gibt auch keinen perfekten Plan, wie man ein Sideboard baut. Ich würde fast wetten: Setzt zehn Profis in zehn Räume und lasst sie für ein einziges Deck ein Sideboard bauen … ihr werdet zehn unterschiedliche Sideboards sehen! Es fließen einfach zu viele Faktoren (Gewichtung der Matchups, eigene Prioritäten, Metagameeinschätzung und so weiter) zusammen, um eine Standardformel oder sogar nur eine Faustregel aus dem Berg zu meißeln. Diejenigen, die sich an dieser Stelle eine Universallösung erhofft haben, muss ich leider enttäuschen, denn dann könntet ihr genauso fragen: „Was ist das perfekte Deck in meinem Lieblingsformat?“ Ich kann lediglich versuchen, ein paar Denkanstöße in den Raum zu werfen.

Ich bin im Übrigen sehr offen für eine Diskussion zu dem Thema, denn ich persönlich finde das Sideboard superspannend! Also schreibt eure Meinungen, Ein- und Ansichten ins Forum! Ich versuche, regelmäßig interessante Themen für euch zu finden und dann den armen Tobi zu überreden, aus dem Bla-Bla-Bla meinerseits ein halbwegs lesbares Stück Text entstehen zu lassen.

Ich hoffe, euch hat der Artikel gefallen!

Mit freundlichen Grüßen
Chris
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