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Treasure Hunter
von Michael Diezel
13.09.2012

Nur noch ein paar Mal schlafen, dann steht mit Return to Ravnica die beste, spektakulärste und vor allem neueste Edition in den Regalen. Wie in jedem Herbst bedeutet das nicht nur eine Menge völlig neuer Karten, sondern auch die komplette Umkrempelung des Standardformats. Ein kompletter Block verlässt gemeinsam mit einer Hauptedition das Geschehen und macht so Platz für die Zukunft.

In dieser Zeit fühlt man sich dann immer so ein wenig wie im Wilden Westen. Es gibt kaum etablierte Decks und unzählige Spieler machen sich auf die Suche nach dem großen Schatz oder besser gesagt einem neuen, kampfstarken Deck. Dabei gilt es insbesondere die Karten auszuprobieren, die zum ersten Mal im Rampenlicht stehen.


Damit ihr dabei möglichst effektiv vorgehen könnt, habe ich mal ein paar Tipps gesammelt, die euch helfen können, erfolgreich durch diese ersten Wochen zu kommen und vielleicht sogar mit einem selbstgebauten Deck zahlreiche Siege zu erringen. Denn eins ist klar: So einfach wie in diesem Oktober wird es erst nächstes Jahr wieder!


Teil 1 – Die Evaluation der neuen Karten

Jeder kennt es und mittlerweile machen unsere Küstenzauberer es auch wirklich clever: Ein riesiger Teil des neuen Sets wird mittels Previewkarten vorgestellt, die von diversen Schreibern oft ziemlich vollmundig angepriesen werden. So erhöhen sie nicht nur die Vorfreude, sondern man bekommt auch direkt einige Ideen geliefert, inwiefern diese Karten passend eingesetzt werden können. Mit so wässrig gemachtem Mund fällt es oft schwer zu erkennen, welche der vorgelegten Ideen wirklich brauchbar sind. Wie erkenne ich jetzt, wie gut eine Karte wirklich ist?

Nun, im Detail und ohne Fehler gar nicht. Immerhin kann man jedoch ein paar Hinweise berücksichtigen und dadurch eine deutlich bessere Trefferquote erreichen als beim bloßen Raten.


1. Vergleichen


Die einfachste Form, um zu erkennen, wie stark eine Karte ist, liegt im direkten Vergleich. Magic ist bekanntlich ein Komparativspiel, das heißt, es reicht nicht, dass eine Karte gut ist, sondern sie muss besser sein als ihre Alternativen. Diesen Vergleich zu ziehen, kann sehr einfach, aber auch sehr schwer sein. Wichtige Kriterien sind zunächst einmal Manakosten und Effekt (bei Kreaturen zum Beispiel die Kampfwerte). So entstehen manchmal recht eindeutige Duelle, wie beispielsweise dieses:


Quasi die gleiche Karte, nur dass die eine eben ein Mana mehr kostet. Das bedeutet für uns, solange beide im gleichen Format legal sind, werden wir in 99,9% aller Fälle zunächst viermal Walking Corpse ins Deck stecken, bevor wir die ersten Scathe Zombies mitmachen lassen.

Natürlich ist es selten so leicht, Karten miteinander zu vergleichen, aber so zu Beginn hilft es schon ungemein weiter, ein paar Dutzend Karten direkt zu eliminieren, weil es einfach bessere Alternativen gibt. Ebenfalls hilfreich ist hierbei eine gewisse Erfahrung und die damit verbundene Kenntniss von älteren Karten. Dadurch kann man nämlich nicht nur einen aktuellen Vergleich ziehen, sondern sich auch von der Vergangenheit beraten lassen. Hierbei schaut man weniger nach der direkten Konkurrenz, sondern mehr nach den Erfahrungen der Geschichte.

Als Beispiel zeige ich direkt die erste Return to Ravnica Karte des heutigen Textes:


Das Ding vergleichen wir direkt mit dieser Karte von vor knapp 100 Jahren:


Beide Karten zerstören eine Kreatur und zwar ohne Wenn und Aber. Halt, Dreadbore lässt Regeneration zu und ist zudem eine Hexerei. Im Gegenzug erhält man die Fähigkeit, bei Bedarf auch mal einen Planeswalker zu zerstören. Inwiefern das jetzt besser oder schlechter ist, muss sich noch zeigen. Dabei spielen nämlich noch Dinge eine Rolle, auf die wir erst in späteren Punkten eingehen werden. Für den Moment reicht uns erst einmal die Erkenntnis, dass Dreadbore wahrscheinlich eine gute Karte sein wird. Terminate war es (und ist es im Modern sogar noch) und die beiden sind sich sehr ähnlich.

Passt bei dieser Art der Vergangenheitsbewältigung nur immer ein bisschen auf! Die Zeiten haben sich nämlich ganz schön geändert. Das trifft insbesondere auf die Stärke von Kreaturen zu. Kreaturen, die vor einem Jahrzehnt noch formatbestimmend waren, schaffen es heutzutage gern nicht mehr in irgendwelche Decks. Beispiele hierfür gibt es genug, am beliebtesten ist vielleicht dieses hier:


Vor anderthalb Jahrzehnten war der Engel ein absoluter Star am Magic-Himmel, mittlerweile ist er bloß noch eine solide Karte in Draft- oder Sealeddecks.


2. Synergien


Den Wert einer Karte kann man deutlich steigern, wenn man Synergien und Kombinationen mit anderen findet. Dabei sollte man jedoch immer bedenken, dass für diese gilt:

1)

Sie sollten möglichst aus Karten bestehen, die auch ohne ihren Partner gut sind (etwa Sun Titan und Phantasmal Image) oder

2)

sie sollten beim Zusammenkommen einen möglichst großen Effekt erzielen (etwa Deceiver Exarch plus Splinter Twin) oder

3)

sie sollten sich möglichst verlustfrei durch andere Karten substituieren lassen, die einen ähnlichen Zweck erfüllen (etwa Unburial Rites mit nahezu beliebigen dicken Kreaturen).

Alle Kombinationen, die nicht unter einen dieser drei Punkte fallen, müssen wirklich auf ihre Effektivität untersucht werden. Meist kommt man nämlich besser weg, wenn man einfach statt der Komboteile bessere Einzelkarten spielt.

Ein konkretes Beispiel für den dritten Punkt wäre Nivmagus Elemental in Kombination mit diversen Flashbackkarten à la Think Twice, die man beim Rückblenden ohne Kartennachteil ans Elementarwesen verfüttern kann. Ein Beispiel für den ersten Punkt ist Lotleth Troll mit Gravecrawler; zieht man beide zusammen, kann man Letzteren für den Troll abwerfen und anschließend trotzdem ausspielen, aber beide sind auch einzeln gezogen noch überaus ordentlich.


3. Lückenfüller


Die erfolgreichen Decks im Oktober arbeiten meist mit sehr vielen Karten des vorangegangenen Blocks, in diesem Fall also mit Karten aus Innistrad, Dark Ascension und Avacyn Restored. Dies liegt hauptsächlich daran, dass die Sets eines Blocks mit einem großen übergreifenden Thema (und vielen kleinen Nebenthemen) designt werden und dass die passenden Karten sich normalerweise über mehrere Editionen verteilen. Das bedeutet, dass die gewünschten Interaktionen beim alten Block schon voll ausgebaut sind, während dem neuen oft noch kleine Bausteine fehlen. Daher lohnt sich oft der Blick auf die Decks, die aktuell schon funktionieren, wobei die zwei Fragen im Mittelpunkt stehen, was a) diesen Decks bisher so gefehlt hat und b) welche Verluste durch die Rotation verkraftet werden müssen.

Als Beispiel müssen noch einmal Zombies herhalten, aber keine Angst, sie halten es schon aus:


4 Blood Artist
4 Diregraf Ghoul
4 Falkenrath Aristocrat
2 Fume Spitter
4 Geralf's Messenger
4 Gravecrawler

2 Flames of the Firebrand
3 Geth's Verdict
2 Gut Shot
3 Mortarpod
1 Murder
4 Sign in Blood
2 Tragic Slip


4 Blackcleave Cliffs
3 Cavern of Souls
4 Dragonskull Summit
10 Swamp

Sideboard:

2 Go for the Throat
2 Gut Shot
3 Liliana of the Veil
3 Shatter
2 Skirsdag High Priest
3 Zealous Conscripts


Bei der Rotation in wenigen Wochen verliert dieses Deck nichts außer mit Geth's Verdict und Gut Shot etwas Kreaturenzerstörung, mit Blackcleave Cliffs wichtige Länder für die Farbstabilität und schließlich Mortarpod, eine Karte, die nette Synergien mit mehreren Kreaturen aufwies und zudem den etwas dürftigen 2-Mana-Bereich verbesserte.

Blood Crypt ist nicht nur offensichtlich stark (wie die Geschichte ebenso zeigt wie der gesunde Menschenverstand), sondern wird auch direkt den freigewordenen Platz der Cliffs übernehmen. Für die Kreaturenvernichtung wird sich mit Sicherheit auch eine Alternative finden lassen (zum Beispiel das bereits angesprochene Dreadbore), sodass nur noch Mortarpod übrigbleibt. Die Karte, die wohl am ehesten als Ersatz infrage käme, ist Bloodthrone Vampire, der sowohl in den ausbaufähigen Bereich von zwei Mana rutscht als auch Opfersynergien anleiert. Damit kann Rakdos Shred-Freak zwar nicht dienen, wäre als Einzelkarte aber deutlich stärker.


4. Das Metagame


Hinter diesem berüchtigten Begriff verbirgt sich eine Erwartungshaltung gegenüber den Decks der anderen Spieler. Das lässt sich natürlich nicht messen oder so, aber mit ein bisschen Erfahrung, Beobachten, Nachdenken und auch Glück kann man ziemlich häufig Rückschlüsse ziehen. Diese wiederum helfen bei der Beurteilung von Einzelkarten, wie an den folgenden Beispielen zu sehen sein sollte.

Ihr erinnert euch an die Frage, inwiefern Dreadbore jetzt besser oder schlechter als Terminate sei? Die Antwort variiert und zwar abhängig von dem, was euch eure Gegner vorsetzen. Ein paar Szenarien:

a)

Ihr wisst, dass letzte Woche ein reicher Sammler alle Planeswalker von sämtlichen Spielern eurer Umgebung aufgekauft hat. Diese sind somit jetzt reich, aber vermutlich ohne Planeswalker unterwegs. (Terminate > Dreadbore)

b)

Die letzten drei Wochen wurde das FNM vom gefürchteten Regenerationsdeck gewonnen. Es ist zu erwarten, dass es auch diesmal der Endgegner sein wird. (Terminate > Dreadbore)

c)

Euer Erzrivale hat angekündigt, euch mit seinem roten Deck voller Eile-Kreaturen zu vernichten. (Terminate > Dreadbore)

d)

Wie immer wird es wohl einen bunten Mix geben. (Terminate = Dreadbore?)

e)

Euer Shop erwartet Besuch von überzeugten Turnierspielern, die bekanntlich nie ohne ihren Planeswalker der Wahl aus dem Haus gehen. (Dreadbore > Terminate)

Darüber hinaus kann man mit Überlegungen zum Metagame noch zu ganz anderen, teilweise deutlich weitergehenden Schlüssen gelangen.

Supreme Verdict ist sicher deutlich schlechter, wenn man davon ausgeht, dass niemand mit Kreaturen spielt.
P
Rakdos's Return ist eine gute Karte, wenn sich feindliche Decks etwas mehr Zeit lassen. Sollte deren Hand aber schon in Zug 7 geleert sein, erhält man nicht mehr als die teuerste Lavaaxt aller Zeiten.
P
Loxodon Smiter wird noch besser, wenn man mit viel Liliana of the Veil rechnet.
P
Desecration Demon wird ganz gut von Gravecrawler gekontert und ist dafür deutlich aufgewertet, wenn es gegen Decks geht, die nur wenige Kreaturen ausspielen.
P
Slaughter Games sind effektiv, wenn ihr mit vielen Gegnern rechnet, die sich auf bestimmte möglichst manaintensive Einzelkarten verlassen.


5. Klassiker


Neben den bestimmten Aufgaben, die wir unter Punkt 3 schon genauer betrachtet haben, gehören auch einige Karten zu geradezu klassisch zu bezeichnenden Gruppen. Diese erfüllen seit Urzeiten ganz bestimmte Aufgaben und werden sehr oft in verschiedenen Decks verwendet. Wird eine Karte gedruckt, die eine derartige Aufgabe übernehmen kann, sollte sie unter besonderer Beobachtung stehen, da sie bei erfolgreichem Vergleich mit den Alternativen direkt für mehrere Decks interessant sein dürfte, was wiederum die Wahrscheinlichkeit steigert, dass sie auch tatsächlich irgendwo unterkommt.

Sämtliche Ravnica-Länder wie Hallowed Fountain: Okay, das war offensichtlich. Extrem gutes Manafixing ist natürlich immer zu gebrauchen.
P
Supreme Verdict: Ein Effekt à la Day of Judgment, also eine Karte, die ohne Nachfragen erst mal alle Kreaturen kaputtmacht.
P
Dreadbore: Der schon angesprochene, unkonditionale Kreaturenzerstörer für wenig Mana.
P
Mizzium Mortars: Eine Kombination aus recht zuverlässigem, billigem Zerstörer und Pyroclasm-Effekt (Eine Art Day of Judgment, jedoch abhängig vom verteilten Schaden).
P
Underworld Connections: Arenaeffekt nach der originalen Phyrexian Arena.
P
Syncopate: Gegenzauberei ab zwei Mana.
P
Angel of Serenity (et alii): Dicke Kreatur zum Beenden des Spiels und/oder zum Reanimieren.

Beachtet dabei auch, dass solche flexiblen Effekte nicht immer nur in Konkurrenz zueinander stehen. Sehr oft kann eine Kumulierung ebenfalls den Anstoß zu einem kompletten Deckkonzept geben. So waren etwa die echten blauen Kontrolldecks dann am gefürchtetsten, als es nahezu beliebig viele passende Gegenzauber gab, ein Branddeck wirkt beeindruckender, wenn es zahlreiche gute Brände gibt und so weiter.


6. Fazit

Wie bereits angedeutet können all diese schönen, theoretischen Punkte nicht viel mehr erreichen, als erste Hinweise aufzuzeigen. Es müssen oft einfach zu viele Variablen beachtet werden, als dass alle Prognosen zutreffend wären. Der Rest zeigt sich dann erst mit der Zeit und natürlich dem Spielen selbst. Nur so werden dann auch die wirklich neuen Effekte einschätzbar, von denen es doch jedes Mal eine ganze Menge gibt. Kein Wunder also, dass man sich so häufig vertut.

Doch das macht schließlich auch irgendwie den Reiz des Spiels und seiner neuen Erweiterungen aus, oder?

In diesem Sinne, viel Spaß beim Knobeln!
Der MiDi
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