Casual
Der frühe Vogel fängt den Myr
von Andreas Pischner
08.09.2010

Etwas Schönes, wenn man sich daran gewöhnt hat, Magic aus der Casual-Perspektive zu betrachten, ist, dass man kein schlechtes Gewissen mehr dabei haben muss, sich bereits sehr früh zu einem neuen Set zu äußern. Um Scars of Mirrodin im Limited einzuschätzen, benötigt man schon die komplette Spoilerliste (obwohl zweifelsohne überall im Netz bereits der Wettkampf gestartet ist, wer eine erste „Analyse“ ins Netz stellt, bevor auch nur ein offizieller Spoiler vorliegt). Vorhersagen darüber, wie sich Constructed entwickelt, sind ja erfahrungsgemäß selbst noch ein oder zwei Wochen nach Erscheinen eines neuen Sets mit massiven Ungenauigkeiten behaftet – dafür ist Magic (glücklicherweise) zu kompliziert. Aber ja, Artefakte werden im neuen Standard eine große Rolle spielen. You read it here first!


Als Casual-Spieler wiederum kann man sich bereits nach den ersten paar offiziellen Previews seine Meinung bilden und wird nicht allzu weit daneben liegen. Warum? Weil sich diese Previews größtenteils an Casual-Spieler richten! Sie SOLLEN ja gerade bereits so vollständig wie möglich verraten, was wir von dem neuen Set erwarten dürfen, auch wenn natürlich viele Details noch fehlen. Wir kennen die grundlegenden Mechaniken und Themen, und wenn wir auch natürlich nur einen kleinen Teil der spektakulären Karten kennen (obwohl der Schwerpunkt der Previews, wie üblich, auf den höchsten Seltenheitsstufen liegt), so wird uns doch bereits gezeigt, auf welche Art diese Karten spektakulär sein werden.

Deswegen habe ich bereits einen recht fortgeschrittenen „ersten“ Eindruck von Scars of Mirrodin, den ich hier netterweise mit euch teilen werde. Ich beziehe mich dabei auf die inoffizielle Spoilerliste von MTGSalvation, auf der sich aktuell 50 Karten befinden. (Eigentlich 30, da es sinnlos ist die Basic Lands mitzuzählen.)

Die Planeswalker: Erinnert ihr euch noch, wie MaRo beim Erscheinen von Lorwyn betont hatte, Planeswalker sollten etwas Besonderes sein, und deswegen würden wir ihnen erheblich seltener begegnen, als wir glaubten? Und wie dann tatsächlich ein ganzes Jahr verging, bis sich zu den ursprünglichen fünf Weltenwanderern weitere gesellten? Nun – diese Zeiten sind vorbei! Seit Shards ist die einzige Walker-lose Edition Alara Reborn gewesen – längst erwarten wir diesen Kartentyp in jedem neuen Set, und natürlich werden unsere Erwartungen erfüllt. Coolness-Creep? Ach was! Sie sind gerade noch selten genug, dass man als Deckbauer im Constructed nicht zu viel Auswahl hat, mit welchen Mythic Rares man sich sein Deck vollstopft. (Das hält den Einzelkartenpreis hoch.)


Ich bin ja schon vor einiger Zeit zu dem Schluss gekommen, dass Planeswalker keine echte Bereicherung für Magic darstellen – den Einfluss, den sie auf eine Partie Magic haben, kann ich nur als unschön bezeichnen, und im Casual sind sie schlicht unausstehlich stark und gegenüber Spielern mit weniger Optionen in ihrem Kartenpool unfairer als jeder andere Kartentyp. Im Limited sind sie natürlich komplett broken. Da ich mein Casual-Spieler-Dasein neuerdings ausschließlich über selbstgemachte Limited-Umgebungen definiere, ist mein Urteil über die neuen Walker (von denen die beiden bekannten auch in keiner Weise originell sind) erwartungsgemäß: Völlig uninteressant – und ein Glück, dass ich sie mir nicht besorgen „muss“.

Dann sind da die „Artifacts matter“-Karten, insbesondere die mit Metalcraft, aber auch zum Beispiel Tempered Steel. Meine erste Beobachtung. Der Power-Creep geht weiter – zumindest aus Casual-Sicht! Ob Ezuri's Brigade im Constructed so brutal sein wird, wie es sich auf den ersten Blick liest, wird natürlich vom Gesamtenvironment abhängen (obwohl mir vor einem Environment, in dem ein einigermaßen zuverlässiger 8/8-Trampler für vier Mana, der selbst im schlechtesten Fall noch 4/4 ist, keinen maßgeblichen Faktor darstellt, graut!), aber aus Casual-Sicht ist diese Karte einfach komplett lächerlich. Hätte +2/+2 nicht dicke gereicht? Und muss ein 3-Mana-Enchantment im „richtigen“ Casual-Deck, welches den eigenen (und NUR den eigenen – man kann doch den armen, dummen Magic-Spielern der „Here I Rule!“-Generation nicht mehr zumuten, Karten zu spielen, von denen möglicherweise auch der Gegner profitiert!) Kreaturen +2/+2 gibt, wirklich sein? Plötzlich sieht der langjährige Casual-Favorit Glorious Anthem reichlich schwach aus …


Das Prinzip von Metalcraft an sich allerdings ist okay (wenngleich nicht übermäßig innovativ), und es ist besonders erfreulich, dass offenbar auch Grün diesmal zu einem Artefakt-Environment mehr beitragen darf als nur Hate. Commons wie Carapace Forger werden gewiss meinen Limited-Pool bereichern (obwohl es auch hier zum Beispiel +1/+1 durchaus getan hätte) und Tempered Steel als Rare kann man in einer Limitedumgebung ebenfalls sinnvoll einsetzen. (Und zwar vorzugsweise dann, wenn es KEINE Selbstverständlichkeit ist, dass man zahlreiche Artefaktkreaturen hat, und diese Karte somit eine Belohnung für Drafter darstellt, die ihrem Deck einen entsprechenden Fokus verleihen.) Goblin Gaveleer mag ich, im Vakuum betrachtet, zwar auch (besonders der Power-Level erscheint mir gelungen), aber die besonderen Equipmentsynergien hatte bislang immer Weiß, während Rot mit Artefakten etwas – nun ja – verschwenderischer umging. Wenn der Gaveleer ein Einzelstück bleibt, werde ich ihn möglicherweise ignorieren, aber wenn Rot in Scars allgemein ein entsprechendes Thema erhält, dann nutze ich gerne die Gelegenheit, dieses auch als Option für meine Umgebungen zu nutzen.

Dann ist da Infect, und ich ärgere mich furchtbar! Warum? Weil ich Wither mag und gerne mehr Kreaturen mit Wither gehabt hätte (ich verfluche Wizards immer noch dafür, dass sie diese komplett unausstehliche und unfaire Zusatzfähigkeit auf Stigma Lasher draufpacken mussten), Poison-Marken jedoch schlicht völlig indiskutabel sind. Nein, alternative Gewinnbedingungen sind nicht gut für das Spiel – sie sind im Gegenteil ein klassischer Fall dafür, wie der Spaß, den man als „Johnny“ beim Deckbau hat, beim tatsächlichen Spielen mit einem entsprechenden Deck doppelt wieder abgezogen wird. Ja, MaRo liebt Poison, ebenso wie Milling und alternative Gewinnbedingungen überhaupt – aber er ist auch derjenige, der für die Free-Spell-Mechanik in Urza's Saga und für Urza's Destiny in dessen Gesamtheit verantwortlich zeichnet. Poison ist, ebenso wie Milling, in meinen Limitedumgebungen tabu. Nur schade um die vielen, vielen Karten mit Infect, die mir mit Wither stattdessen sehr gut gefallen würden.
Proliferate? WTF? Es kommt ja wirklich nicht oft vor, dass Wizards ein neues Keyword einführen, dessen Bedeutung ich erst nachschlagen muss! Wie sich Proliferate im Limited spielt, hängt natürlich maßgeblich von der Gesamtstruktur eines Environments ab. Poison gibt es bei mir nicht, also bleiben noch +1/+1-Marken, −1/−1 Marken, Lademarken und ein paar verirrte sonstige. Das ist mir zu allgemein und zu unsauber (und potenziell zu stark). Ich habe bereits viele Effekte zur Verfügung, welche Plusminusmarken verteilen, und ich habe mich bewusst gegen Karten entschieden, die, wie zum Beispiel Energy Chamber, Lademarken verteilen – hier werden mir die Synergien zu speziell, unübersichtlich und abstrus. Marken sind bei Magic bereits Objekte, welche für sich genommen keinerlei Relevanz besitzen, insbesondere wenn sie nicht die Stats von Kreaturen verändern, und auf Karten, die sich wiederum auf diese Marken beziehen, verzichte ich in meinem Umgebungen zugunsten von solchen, welche in diesem Environment eine deutlicher definierte Funktion besitzen und dessen Struktur klarer aufzeigen.


Ich nehme allerdings mit Optimismus zur Kenntnis, dass Steady Progress ein Cantrip ist – vielleicht ist das ja kein maßgeschneiderter Einzelfall? Über einige schöne neue Cantrips würde ich mich sehr freuen, denn diese Kartenart ist eine exzellente Bereicherung für viele Limitedumgebungen!

Indestructible: Das ist ein sehr interessantes, aber auch sehr schwierig gut umzusetzendes (Nicht-) Keyword. Es gerät schlicht rasch zu stark. Auch wenn Darksteel Gargoyle mit sieben Mana ein gutes Stück overcosted war, zeigt dieses Beispiel doch den gesunden Respekt, den Wizards einst vor dieser Fähigkeit (Entschuldigung, vor dieser „Qualität“) hatte. (Und trotzdem hatte ich in der Zeit, bevor es Last Gasp, Nameless Inversion und Path to Exile auf Magic Online gab, dort in meinem Casual-Deck gerne einen Gargoyle als Gewinnbedingung gespielt!) Wenn ich jetzt jedoch Darkstel Axe sehe, bekomme ich ein flaues Gefühl in der Magengrube. Will ich wirklich im Limited einen (etwas teurer auszurüstenden) Bonesplitter haben, den der Gegner kaum loswerden kann? Bestimmt nicht! Es ist schon in Ordnung, dass man den erheblichen verstärkenden Effekt eines Equipments mit einer gewissen zusätzlichen Fragilität bezahlt (weil Equipments abhängige Karten sind). Diese Abhängigkeit wird hier zwar beibehalten, aber dafür das Equipment selbst weitgehend unantastbar zu machen – das ist kein guter Tausch! Klar, im Constructed wird diese Axt womöglich ein Segen für das Metagame sein, weil sie Aggro gegenüber diesem ganzen Midrange-Zeugs stärkt. Im Limited wünsche ich mir dann aber doch eine Spielstärke irgendwo im Bereich zwischen Darksteel Brute und Sapling of Colfenor. Mal schauen, was da kommt.


Imprint: Eigentlich weniger eine spezielle Mechanik als vielmehr ein Weg, das „Elkin-Zone“-Problem zu umgehen, wenn Karten, welche exiliert sind, immer noch Einfluss auf das Spiel haben – aber flavortechnisch eben auf Artefakte beschränkt. Hier haben Wizards bislang eine Tendenz gezeigt, die Dinge etwas zu umständlich zu handhaben (Spellweaver Helix, Thought Prison), aber auch sehr schöne Karten designt, wenngleich diese eine gewisse Tendenz dazu besitzen, sehr stark zu sein (Duplicant, Isochron Scepter). Mit Chrome Shell muss ich noch ein bisschen Spielerfahrung sammeln, bevor ich mir ein endgültiges Urteil erlaube, aber prinzipiell scheinen Wizards mir hier auf dem richtigen Weg zu sein: Eine etwas merkwürdige Karte, die einem aber gerade im Limited immer Freude bereiten sollte, ohne dort auf die gleiche Art gebrochen werden zu können, wie im (Casual-) Constructed.

Sword of Body and Mind: Ich gebe es ja zu, es existieren kaum Karten, bei denen mir der Abschied schwerer gefallen war, weil sie fürs Limited einfach nicht geeignet waren, als bei den beiden Originalschwertern – einfach, weil sie ein tolles Flavor besitzen, und weil sie stark waren, wie starke Ausrüstungen es sein sollten (im Gegensatz zu Umezawa's Jitte oder Skullclamp). Aber doppelter Schutz ist im Limited einfach ein No-Go, und auch die übrigen Fähigkeiten alleine sind ein bisschen zu viel im Limited. (Mal abgesehen davon, dass Milling für mich ebenso ein No-Go ist – oh, und dass diese Fähigkeit auf einem Schwert, welches +2/+2 gibt, nicht einmal besonders synergetisch ist.) Gerüchteweise soll der Zyklus ja in Scars vervollständigt werden. Ich werde das Flair dieser Karten aus der Ferne genießen, und das war's.


Die neuen Spellbombs: Okay, bislang ist es nur eine, aber ich gehe mal stark davon aus, dass der Zyklus komplettiert wird. Und darauf freue ich mich! Solche unauffälligen, aber nützlichen Zyklen tragen sehr dazu bei, einer Limitedumgebung Struktur zu verleihen.


Reprints: Ja, ich mochte die Manamyr und ich benutze sie sehr gerne in meinen Limited-Umgebungen. Neue Bilder brauche ich jedoch nicht. Und Cranial Extraction ohne Arcane … Na toll. Da legen sich die Turnierspieler doch gerne zum dritten Mal mehr oder weniger dieselbe Karte (natürlich als Rare) zu! Ist das eigentlich ein zarter Hinweis darauf, dass Schwarz auch in diesem Mirrodin-Block wieder nahezu unspielbar wird, weil es das Hauptthema dieses Blocks nur via Discard bekämpfen kann? Oder wieso gibt es diesen Reprint gerade jetzt – droht uns eine neue Kombo-Ära?


Mehr oder weniger generische Karten: Power-Creep, wohin man sieht! Es ist noch gar nicht so lange her, da wäre ein 5/5-Flieger für sechs generische Mana bereits undenkbar gewesen. Heute muss diese Kreatur nicht nur pumpbar sein (womit ich noch leben könnte), sondern auch noch eine dieser fürchterlichen „Wenn ich einmal angreife, gewinne ich das Spiel“-Fähigkeiten besitzen! Auf den dreifarbigen Drachen waren die ja noch originell (und die waren eben auch DREIFARBIG) – aber in letzter Zeit verwendet Wizards sie schlicht inflationär – mit dem Ergebnis, dass die entsprechenden Kreaturen üblicherweise immer noch zu schlecht fürs Constructed sind, aber dafür broken in Limited und Casual. Na gut, Steel Hellkite ist vielleicht gut genug fürs Constructed, aber das hilft mir auch nicht. Und bei Wurmcoil Engine wären Deathtouch und Lifelink alleine wirklich stark genug gewesen – okay, das widerspricht dem Konzept der Karte, aber hätten 4/4 und ein Zerfall in zwei 2/2er nicht dicke ausgereicht? Für eine starke, aber faire Karte ja – für eine Mythic Rare offensichtlich nicht.

Es gibt aber ebenfalls Erfreuliches bei den generischen Karten zu vermelden (und hier liegt auch meine große Hoffnung, dass in den ganzen Commons, die nur für Limited konzipiert wurden, noch mehr davon zu finden ist): Kemba's Skyguard ist absolut perfekt, Memnite endlich einmal ein angemessen bepreister 1/1er, Palladium Myr eine wunderbare Ergänzung zu den anderen Mana-Myr und Tumble Magnet eine sehr schöne Tempokarte, die offensiven Strategien mehr nützt als defensiven. Auf diese teilweise simplen, teilweise eleganten Karten freue ich mich am meisten!


Alles in allem bestätigt mich Scars of Mirrodin in meiner Entscheidung, mich auf selbstentworfene Limitedumgebungen zu konzentrieren: Den Run auf die neuesten Chase-Rares und Chase-Mythics kann ich mir größtenteils ersparen und den hiermit verbundenen Power- und Coolness-Creep ignorieren. Wenn ich den Draft mit Scars wegen der blödsinnigen Poison-Mechanik nicht mag (was ich für wahrscheinlich halte, aber ich werde der Edition wohl erst einmal eine Chance geben), dann kann ich dieses Set immer noch für meine eigenen Umgebungen ausplündern, denn einzelne schöne Mechaniken und Karten sind ja darin enthalten. Ich habe MaRo einmal geschrieben, dass Magic kein Buffet, sondern ein Stew ist, und dass deswegen das Argument „wenn ihr eine Karte hasst, dann macht euch klar, dass sie für jemand anders designt wurde“ nicht greift – aber in dieser Weise kann ich mich tatsächlich in jedem Set wie an einem Buffet bedienen und mit diesen Zutaten dann mein eigenes Süppchen kochen, ohne dass mir jemand dieses mit unerwünschten Karten „vergiftet“.
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