Limited
M11 – Mill oder Müll?
von Simon Betz
27.07.2010

Acht Menschen – acht Displays. Als einer dieser acht habe ich am Releasetag von M11 das blendende Wetter ignoriert und in einem tropischen Kämmerlein etliche Drafts hintereinander gespielt, um zu sehen, was das neue Coreset im Limited denn nun wirklich hergibt. Gibt es mein Wunschkind, das UGB-Control? Gibt es die von Pischner beschworenen bösen Milldecks und lohnt es sich, konsequent Aggro zu draften? Von den vorangegangenen Fragen soll uns heute die nach dem Milldeck umtreiben.


Ich schlage dafür eine zweigeteilte Herangehensweise vor; zweigeteilt deshalb, weil es bei ebenjenem Draftexzess ein sehr erfolgreiches Milldeck gab sowie auch ein sehr unerfolgreiches, aber von den Bestandteilen her untersuchenswertes. Diese Decks unterschieden sich nicht nur in der Zusammenstellung der Karten, sondern damit einhergehend auch in ihrer Strategie. Am Ende der Betrachtung beider Deckbauwege sind wir möglicherweise der Antwort auf die Frage näher gekommen, wie man draften muss, um mit Mill zum Erfolg zu kommen, und wie man verhindert, hinterher stattdessen mit einem Haufen Müll dazusitzen.

Bevor es ans Eingemachte geht, noch ein paar grundlegende Erkenntnisse zu dem Format, welche mir im Hinterkopf schwebten, während der Mühlstein ihn bearbeitete. In M11 draftet man in den meisten Fällen nicht auf Synergien ausgerichtet, sondern sucht das beste Removal, um es anschließend mit den besten Tieren zu kombinieren. Diese „gierige“ Draftweise sorgt dafür, dass man im Schnitt weniger Removal bekommt. In Rise of the Eldrazi konnte man guten Gewissens über ein zweitklassiges (sprich: Nicht-First-Pick-) Removal, etwa Last Kiss oder Puncturing Light, eine Karte picken, die irgendwie besser in den gerade entstehenden Deckplan passte, wie zum Beispiel Surreal Memoir, Mnemonic Wall, Aura Gnarlid, irgendein guter Leveler oder etwas in dieser Richtung. Die Kartenqualität hörte jedenfalls oft nicht nach den ersten Picks auf. In M11 ist die Grenze zwischen Qualität und Füller etwas anders gezogen. Nachdem die ersten Removal und guten Tiere das Pack verlassen haben, ist es sehr durchschnittlich, was man bekommt. Obwohl es ähnlich viel Removal in beiden Sets gibt, sorgt die niedrigere Restqualität in M11 dafür, dass die Chance, eines zu bekommen, gleich deutlich geringer ist. So haben wir in M11 häufig einen Schlagabtausch qualitativ mehr oder weniger hochwertiger Midrange-Aggrodecks, die in der Regel dadurch entschieden werden, wer mehr und bessere Lösungen präsentiern kann. Das Mühldeck schlägt hier in die Bresche, ist aber nicht vollkommen unabhängig von der Qualitätsproblematik.

Der erste Weg: Greedy Mill Aggro

Dieser Weg ist der, den ich selbst gegangen bin, und zwar äußerst erfolglos. Fehler sind zwar schmerzhaft, aber man lernt aus ihnen. Schauen wir also, ob man aggressiv Mill draften kann, und wenn ja, wie. Zunächst müssen wir uns überlegen, welche Karten dafür benötigt werden. Dass diese vorzugsweise blau sind, überrascht wohl nicht sonderlich. Wenn wir den Gegner um die Ecke seiner Bibliothek bringen wollen, benötigen wir Karten, die dies direkt tun, sowie Karten, die uns helfen, an ebenjene heranzukommen. Dafür stehen zur Auswahl: Jace's Erasure, Tome Scour, Temple Bell, Traumatize, Jace Beleren, Call to Mind, Foresee, Preordain, Jace's Ingenuity.


Zudem gäbe es noch Schwarz als interessante Ergänzung, welche mit Sign in Blood einen weiteren Carddrawspell bietet, der zur Not auch auf den Gegner angewandt werden kann. Draw beim Gegner? Ist es das, was wir wollen? Bedingt. Es ist nicht ganz so furchtbar, wie es sich anhört, und vor allem Temple Bell, welche dem Gegner die meisten Extradraws beschert, leistet durchaus gute Dienste. (Jace Beleren tut es seltener, weil Mythic, und Sign tut es seltener, weil man meist eben doch sich selbst bezielt.)

Die wichtigste Karte in diesem Decktyp, egal welchen der beiden Wege man einschlägt, ist Jace's Erasure. Eine davon im zweiten Zug gelegt millt nicht nur jede Runde aufs Neue, sondern lässt jeglichen Kartenzieheffekt zu einem Superstar werden, der einen selbst und den Gegner gleichsam durchs Deck bringt.

Schauen wir also auf den Kern einer Liste, wie ich sie gedraftet habe. Munteres Fehlersuchen ist angesagt!

Wer findet den Fehler? Richtig, Overkill. Es bleiben circa elf Slots für den Rest des Decks. Auch wenn sich die Strategie „Mill“ schimpft, und der Kern aussieht, als wäre er ein Prachtexemplar seiner Spezies, ist der Rest nicht minder entscheidend. Der Umstand, dass alle diese Karten absolut null Boardrelevanz haben, sorgt nämlich dafür, dass ein solcher Kern massive Protection benötigt, um nicht einfach zu sterben, bevor der Gegner auch nur ansatzweise am Ende seines Lateins angekommen ist. Eine optimale Ergänzung müsste in etwa so aussehen:

Kurzum: Ohne Removal, welches die drängenden Fragen der Gegner beantwortet, oder wenigstens mit Kreaturen, die genug Toughness haben, um genug Zeit zu kaufen, ist hier nichts zu holen. Schon einmal versucht, Kreaturen und Removal auf elf Plätze zu verteilen? Das funktioniert nicht. Der Mühlkern muss also deutlich kleiner gehalten werden, damit das Deck überhaupt am Spiel teilnehmen kann. Meine eigene Liste hätte gerne weniger Mill und mehr Business gehabt, jedoch hatte ich einfach nichts. Die verbleibenden Slots wurden mit ganzen zwei Removal-Sprüchen und neun schlechteren Kreaturen aufgefüllt, was, leicht vorstellbar, genau gar nicht funktionierte. Was genau die Ursachen für diesen unausgewogenen Pool waren, weiß ich nicht mehr, es bieten sich jedoch die üblichen Verdächtigen als Erklärungsmodelle an: Entweder Pech oder Fehler beim Drafter. Da man an Ersterem nichts ändern kann, bleibt zu schauen, was man falsch und was man richtig machen kann, wenn man versucht, so ein Deck zu draften.

Maxime 1: Der erste Schritt, der zu einem erfolgreichen Milldeck führt, ist, nicht das Milldeck zu draften. Paradox hin oder her, den Mühlplan sollte man nicht früh beginnen. Die wichtigen Bestandteile sind Commons, man kann sie also später noch einsammeln. Wenn sie nicht rumkommen, draftet noch jemand dieses Deck und man sollte sowieso auf andere Strategien ausweichen. Stattdessen einfach Removal picken. Wenn das nicht vorhanden ist, Tiere mit Qualität picken. Sind auch diese nicht vorhanden, dann kann man Millkram einsacken. Die Rares übrigens sollte man ebenfalls nicht firstpicken, abgesehen von Jace Beleren natürlich. Von Temple Bell und Traumatize aber die Finger lassen, wenn man grundlegend wichtigere Karten haben kann! So etwas bekommt man zwar nicht ganz so sicher um den Tisch zurück, aber doch hin und wieder geschoben.

Maxime 2: Schauen, was tabelt. Man kann sich durchaus im ersten Pick bereits die Option auf ein Milldeck aufsperren, wenn man Tome Scour oder Jace's Erasure sieht, die möglicherweise die Runde machen. Sofern sich ansatzweise gute blaue Karten einsammeln lassen, ohne die Maxime von Removal und Kreaturenqualität zu verletzen, beziehungsweise sofern Blau diese vielleicht sogar unterstützt, dann ist der richtige Moment gekommen, das Milldeck zu draften.

Fazit: Der Decktyp leidet unter ähnlichen Schwierigkeiten wie alle Decks, da Removal und Kreaturen hier genauso an erster Stelle stehen. Nur das Millmaterial, was sonst niemand haben will (außer es draften mehrere Leute Mill oder manche Drafter haten), ist vergleichsweise einfach zu bekommen. Ein kleines Trostpflaster ist, dass man theoretisch mit Kreaturen wie Armored Cancrix oder Maritime Guard arbeiten kann und dass eher zweitklassiges Removal wie Unsummon, Ice Cage oder Diminish oft ausreicht, die nötige Zeit zu kaufen. Glücklicherweise bietet eben genau Blau viele dieser leicht erhältlichen defensiven Kreaturen und viel kleineres Temporemoval. Zunächst einmal dreht sich allerdings alles um dieselben Fragen wie bei den anderen Draftdecks – die gängigen Fragen und Antworten mit Beinen oder Kanonen. Da für diese der Platz im Deck schwindet, je aggressiver man es mit Millkarten zumüllt, heißt die Devise: „Weniger ist mehr.“ Was uns direkt zum zweiten Weg bringt. Dem kontrolligeren Mühlplan...

Der zweite Weg: Splashy Mill Control


Die Zwischenüberschrift klingt ebenso bunt wie dämlich, trifft es aber. Nachdem das Problem des Qualitätsmanagements beim aggressiven Millplan anklang, geht es nun um ein tatsächlich erfolgreiches Milldeck. Der Kartenpool für den Kern ist im Grunde derselbe wie beim ersten Bauversuch, nur wird dieser weniger umfangreich angezapft. Dieses Deck besteht vielmehr zum Großteil aus Karten mit eingebautem Karten- und Tempovorteil. Flaggschiffe dieses ebenfalls blauschwarzen Ansatzes sind Aether Adept und Gravedigger, welche durch ETB, Chump, Recursion, ETB, Chump etc. pp. jedem Gegner etliche Runden abkaufen können.


Die Killoption ist hier größtenteils in der Jace's Erasure manifestiert. Es muss immer das Ziel sein, so eine Verzauberung Runde 2 oder 3 zu resolven, damit möglichst viel gemühlt wird, während Adepten, Gravedigger und andere Kreaturen Runde um Runde kaufen. Als Ergänzung sollten noch ein paar Tome Scour gespielt werden, um dem Gegner die Bibliotheksrestbestände abzunehmen. Das bringt uns zu maximal sechs Millkarten, bestehend aus zwei bis drei Erasures und zwei bis drei Scours.

Es klingt nicht nach sonderlich viel, und das ist es auch nicht. Es ist lediglich ein kleiner Baustein eines blauschwarzen Kontrolldecks, allerdings derjenige, der ihm den Sieg bringt. Diese Mühlclock arbeitet netterweise gleichzeitig mit unseren Nadelstichen, mit denen wir die gegnerische Armee immer wieder zurückwerfen.

Der Motor des Decks:

Der Motor setzt natürlich nicht die oben postulierten Maximen außer Kraft. Doom Blade, Assassinate, starke Flieger wie Air Servant und Azure Drake sind immer noch höher zu picken. Als Nächstes in der Pickorder stehen dann Adept und Gravedigger als beliebte und starke Karten, die man sicherlich nicht um den Tisch bekommt. Darauf folgen Carddrawspells wie Jace's Ingenuity und Foresee, erst zum Schluss die Millkarten Erasure und Scour, noch später erst Counter wie Mana Leak und Cancel. Dazu ein paar Anmerkungen:

Es ist durchaus möglich, Ingenuity und Foresee nicht zu bekommen, da sie in der Pickorder tiefer angesiedelt sind als üblich. Hierfür leistet Preordain erstaunlich gute Abhilfe. Es hilft, die Kartenqualität zu verbessern und triggert wenigstens noch ein zusätzliches Mal die Erasure. Preordain sollte man nicht sonderlich hoch nehmen, als qualitativ mittelmäßige Karte bekommt man es aber oft sehr spät. Scheut euch nicht, mehrere ins Deck zu packen! Das erfolgreiche Milldeck enthielt drei davon und hatte so einen unglaublich zuverlässigen Zugriff auf frühe Erasures und späte Antworten.

Wie vorher angemerkt, sind besonders Unsummon, aber auch Ice Cage und Diminish spielbare Karten. Alle holen mindestens ein bisschen Zeit heraus, während Unsummon mit den ETB-Triggern von Digger und Adept noch zu höherer Würde aufsteigen kann. All dies sind auch Karten, welche sich durchaus noch im späteren Verlauf des Drafts einsammeln lassen. Sie sind ebenso wie Preordain kein zentraler Bestandteil, jedoch eine willkommene Ergänzung.

Counter sind erstaunlich schwach in diesem Deck, welches sehr sorgsam mit seinen Slots haushalten muss. Tendenziell würde ich Karten aus den beiden vorangegangenen Kategorien jedem Leak und Cancel vorziehen. Das liegt daran, dass die Counter nur gut sind, wenn sie frühe Bedrohungen der Gegner ausschalten. Eigentlich möchte man im zweiten oder dritten Zug aber seine erste Erasure legen und nicht Mana für Counter offenhalten. Bis dahin ist die Wahrscheinlichkeit wiederum groß, dass bereits das eine oder andere Tier das Schlachtfeld betreten hat. Und selbst wenn es nur ein Grizzly, pardon, Runeclaw Bear ist oder ein Goblin Piker, so möchte man lieber anschließend in den Adeptdigger-Modus wechseln, als mit dem Counter auf der Hand den 3- oder 4-Drop des Gegners zu stoppen, während man von spitzen Stöcken durchbohrt wird. Versteht das nicht falsch – Counter sind in diesem Format durchaus relevant, aber nicht so sehr für dieses Deck! Wenn man keine der obigen Karten hat, um das Deck aufzufüllen, kann man auf sie zurückgreifen, aber im Regelfall sollten sie unnötig sein. Sie sind im Lategame genau wie ein Land von oben. Nicht der finale Millspell oder die rettende Kreatur und auch nicht der Spell, der einen dahin bringt.

Fazit – Wohin mit dem Müll?

Es bleibt festzuhalten, dass es in der Tat möglich ist, mit Mill zu killen und mit einem Deck, welches diese Strategie verfolgt, erfolgreich zu sein. Es gibt nicht allzu viele Karten, die den Plan gefährden, die beiden schlimmsten Feinde in Einzelkarten-Form sind Time Reversal, welches aber aufgrund von Mythic-ness zu vernachlässigen ist. Das Elixir of Immortality ist hingegen häufiger anzutreffen, jedoch eher eine suboptimale Karte im gegnerischen Deck und gerne auch mal random vom Mill entsorgt. War Priest of Thune sowie geboardete Naturalize oder Solemn Offering können die Erasure gefährden, sind aber keine Autowinkarten.


Schlimmer als diese Einzelkarten ist ein gutes Aggrodeck. Während das gute Millcontroldeck auf nahezu perfekten Draw angewiesen ist, sobald der Gegner ab Turn 1 oder 2 durchgehend Tiere legt, muss das Aggrodeck eben nur das tun – Tiere legen. Je mehr und billiger, desto furchtbarer, umso weniger greifen Spotremoval und die Bounceeffekte. Das Millcontrol kann also Potenzial haben, ist aber dem guten Aggrodeck unterlegen.

Neben Schwarz lassen sich freilich auch andere Farben zur Kombination heranziehen. Weiß käme mir da spontan als hilfreich in den Sinn, da es auch hier einige gute Defensivkräfte mit Palace Guard und Blinding Mage gibt sowie brauchbares Removal mit Pacifism, Excommunicate und Condemn. Dass die letzten beiden der Bibliothek eine Karte zurückgeben, sollte verschmerzbar sein, und Mill kann Excommunicate sogar in ein hartes Removal verwandeln.

Die Tatsache, dass man im M11-Limited gerne von mehr oder minder großen, unsynergetischen Kreaturen verprügelt wird, während man meist mehr oder minder denselben Plan fährt, sorgt für eine wenig überraschende außerordentliche Beliebtheit von Removal aller Art. Das Milldeck als Finisher-Baustein in kontrolligen Decks kann bei dem einen oder anderen Draft eine von den Kreaturendecks verschmähte Nische besetzen und so durchaus zum Erfolg kommen. Dennoch wage ich die Prognose, dass es insgesamt eher eine Randerscheinung bleiben wird, da es nicht wirklich autopilotierend zu draften und so auch nicht zu spielen ist. Das sollte den Limitedfreund aber weniger stören, denn von stupiden Kreaturen getötet zu werden, ist längst nicht so frustrierend, wie tatenlos zusehen zu müssen, wie die Bibliothek langsam das Schicksal des Kölner Stadtarchivs erleidet. Millen ist nicht interaktiv. Wizards haben diese Strategie trotzdem ins Coreset integriert, doch zum Glück nicht so stark forciert, dass es neben Schaden eine gleichwertige Siegoption wäre. Allen, die es dennoch einmal probieren möchten, habe ich hoffentlich ein paar Anregungen mitgeben können oder wenigstens ein paar interessante Leseminuten verschafft. Ich für meinen Teil lasse nun die Bibliothek links liegen und röste mich im Park.

Auf bald!

SiBert / muenstermagic.de
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