Casual
Casual auf Rezept
von Andreas "Zeromant" Pischner
02.07.2009

Eigentlich war ich von der Droge namens „Magic Online“ ja bereits herunter, aber dann ergaben sich auf einmal unerwartet die verführerischsten Umstände: Ich fand mich jede Woche viele Stunden ohne sinnvolle Beschäftigung vor einem Computer, der im Gegensatz zu meinem eigenen, längst veralteten Modell mit dem Prozessorleistung verschlingenden Monster 3.0 spielend (hihi!) klarkommt.


Also wurde ich rückfällig.

Zumindest verkneife ich es mir aber, wieder Geld für virtuelle Pappe auszugeben. Ich besitze ja immer noch meinen Kartenpool von früher (eigentlich war dieser bereits verkauft, aber dann ist der Käufer einseitig von unserer Vereinbarung zurückgetreten) und kann damit Decks fürs Casual-Play zusammenbasteln. Zur Verfügung stehen mir die meisten Commons aus der Zeit zwischen Onslaught und Coldsnap sowie einige ältere Commons, eine mehr oder weniger zufällige Auswahl an Uncommons und – bezogen auf die Gesamtanzahl – einige wenige Rares, unter denen sich fast gar keine befinden, die irgendwie gut verkäuflich waren. (Denn das war natürlich das Schicksal meiner wertvollen Rares.)

Aus diesem Pool Decks zu erstellen, die im Casual-Room einigermaßen mithalten können, ist eine gewisse Herausforderung, aber kein unlösbares Problem. Mitspielen können ist aber nicht alles – Spaß muss es machen! Deswegen baue ich immer wieder neue Decks, die ich abwechslend spiele: Mal ein superschnelles RDW mit Goblin Cohort, Keldon Marauders und Oxidda Golem; dann ein endlos langsames weißes Kontrolldeck, das letztlich einfach furchtbar, furchtbar schlecht ist (weiße Kontrolle ohne Wrath of God geht gar nicht!); dann wieder ein blauschwarzes Card-Advantage-Deck mit Ratten und Ninjas...

Mit der Zeit stellte ich dabei fest, dass ich manche Decks lieber spiele als andere, und dass diese Vorliebe sich nicht aus deren Gewinnquote erklären lässt. (Okay, Decks, die nur verlieren, machen natürlich keinen Spaß.) Mein Lieblingsdeck möchte ich Euch heute kurz vorstellen und erklären, warum es vermutlich mein Lieblingsdeck ist – nämlich, weil es auf gewissen Prinzipien basiert, die allgemein dazu führen, dass das Spielen von Decks Spaß macht. (Wie gesagt, im Gegensatz zu dem Spaß, den man am Gewinnen hat.) Dabei geht es mir nicht um die einzelnen Karten oder auch die Strategie, sondern um den generellen Aufbau des Decks, der sich an unterschiedliche Kartenpools, Formate und Strategien in gewissem Maß anpassen lässt.

Hier die Deckliste:


1 Swamp
1 Plains
1 Mountain
2 Island
15 Forest

4 Utopia Sprawl
4 Sakura-Tribe Elder
4 Kodama's Reach
4 Counsel of the Soratami
4 Tangle Golem
3 Condescend
2 Rush of Knowledge


1 Krosan Tusker
1 Pyroclasm
1 Fireball
1 Repeal
1 Faith's Fetters
1 Sensei's Divining Top
1 Icy Manipulator
1 Serrated Arrows
1 Recollect
1 Leafdrake Roost
1 Etched Oracle
1 Indrik Stomphowler
1 Sliver Queen
1 Simic Sky Swallower
1 Intet, the Dreamer

Diese und weitere Karten gibt's bei:


Solche Decks wurden vor mehr als einem Jahrzehnt einmal widersprüchlicherweise als „5-Color-Monogreen“ bezeichnet – ein Hinweis darauf, dass man sich zwar aller fünf Farben bedient, dass die Manabasis jedoch trotzdem zum allergrößten Teil grün ist. Die grüne Spezialität, Vielfarbigkeit zu ermöglichen, ist die Grundlage solcher Strategien.

Für ein buntes Deck ohne teure Manafixer ist es erstaunlich manastabil: Das ist für mich eine wesentliche Grundlage, um Spaß an einem Deck zu haben! Welche Sprüche ich ausspiele, will ich nach taktischen Erwägungen bestimmen können, und mich nicht danach richten müssen, welches Mana ich zufällig gerade zur Verfügung habe.

Die Schmerzgrenze liegt für mich hier bei Terramorphic Expanse (welches ich dank des grünen Deckfundamentes nicht benötige): Dieses Land ist das Äußerste, was ich mir noch bereit bin zuzumuten – wenn ich noch schlechteres Manafixing für eine Strategie benötige, dann lasse ich diese eben lieber sein! Gelegentlich sehe ich doch tatsächlich Leute im Casual-Room, die versuchen, fünffarbige Decks mithilfe von Panoramen zum Laufen zu bringen – diese Form von Masochismus tue ich mir nicht an! Die erste Erkenntnis lautet also: Auch Casual-Decks benötigen gutes Mana. Aber das ist natürlich nicht allzu tiefgründig.

Typischerweise besorge ich mir also mithilfe der grünen Manafixer das notwendige Mana. Zuerst natürlich blaues, welches ich für meine Kartenzieher benötige. Sobald ich Grün und Blau zur Verfügung habe, ist mein Deck bereits weitgehend funktionsfähig. Die dritte Wahl ist Rot, nicht nur weil diese Farbe rein zahlenmäßig am drittstärksten vertreten ist, sondern auch weil meine wichtigsten Kreaturenkontrollmöglichkeiten rot sind. Mit GUR kann ich bereits alle bis auf drei meiner Sprüche im Deck spielen. (Genau genommen bis auf zwei, aber Etched Oracle mit weniger als vier Farben zu bezahlen, steht natürlich nicht zur Debatte!)

Idealerweise lege ich in der ersten Runde auf einen Forest einen Utopia Sprawl, der blaues Mana produziert, so dass ich in der nächsten Runde mit Counsel of the Soratami (nein, ich besitze offensichtlich keine Mulldrifter!), Kodama's Reach oder Krosan Tusker ein bisschen Kartenvorteil machen und dafür sorgen kann, dass mein Deck auch weiterhin flüssig läuft. Häufig führt dieser Anfang dann zu einem Dritte-Runde-Tangle Golem, und wenn der Gegner diesen nicht sofort aus dem Weg räumt (was im Casual-Room keine Selbstverständlichkeit ist), kann ich mich dann zum Beispiel mit einem Condescend gegen seinen Versuch, Druck aufzubauen verteidigen und gleichzeitig mithilfe der Scry-Fähigkeit nach guten Karten suchen. Währenddessen bastele ich weiter an meiner Manabasis und ziehe Karten, bis ich schließlich mit meinen teuren Kreaturen und/oder einem Fireball das Spiel beende.


Nun gut, so läuft es natürlich nicht immer, aber eine Eigenheit dieses Decks ist, dass es gegen fast jede gegnerische Strategie (wenn deren Powerlevel nicht zu hoch ist) gewinnen kann – aber eben auch verlieren (denn wenn man einmal nicht ganz so gut zieht, ist das Deckkonzept natürlich ein wenig klobig und findet die falschen Karten zur falschen Zeit). Nichtsdestotrotz spiele ich meistens zumindest gut mit (auch dank der sicheren Manabasis) und fühle mich nur selten meinem Gegner hilflos ausgeliefert.

Das ist der nächste Punkt: Es macht Spaß, mit der gegnerischen Strategie interagieren zu können! Warum dieses Deck dafür besser geeignet ist als viele andere, darauf gehe ich gleich noch ein.

Zunächst möchte ich Euer Augenmerk aber auf die Anzahl der Kopien einzelner Karten lenken. Da sind einige 4-ofs, und eine Menge 1-ofs, und ein bisschen etwas dazwischen – und das ist meiner Ansicht nach einer der Hauptgründe, warum dieses Deck mir so viel Spaß macht!
Wir wünschen uns eigentlich in allen Dingen ca. 90% Bekanntes und 10% Unbekanntes...
90% Gewöhnung und
10% Überraschung – das ist die Faustformel für Genuss...

Ich bin sicher, Mark Rosewater (den ich für den mit Abstand besten Schreiber von Magic-Artikeln überhaupt halte), könnte dieses Phänomen besser erklären als ich, aber ich will es einmal so zusammenfassen: Wir wünschen uns eigentlich in allen Dingen ca. 90% Bekanntes und 10% Unbekanntes. Wenn uns ALLES bereits gewohnt ist und vorhersagbar erscheint, dann langweilt es uns, egal ob es ein Spiel, ein Buch, ein Film, ein Musikstück, ein Essen oder sogar ein Partner ist. Jedoch wollen wir uns darauf verlassen können, dass das MEISTE uns bereits bekannt ist! Ist dies nicht der Fall, sind wir irritiert, verwirrt, frustriert oder auch schlicht überfordert. 90% Gewöhnung und 10% Überraschung – das ist die Faustformel für Genuss.

Das ideale Magic-Deck funktioniert genauso. Einerseits wollen wir uns darauf verlassen können, dass das Deck tut, was es soll, aber andererseits wünschen wir uns natürlich nicht immer den exakt gleichen Spielverlauf (noch einmal: Hier geht es um den Spaß am SPIELEN, nicht am GEWINNEN)! Selbst im Highlander-Format tun die Spieler für gewöhnlich alles, um mithilfe von sehr ähnlichen Karten sowie zahlreichen Tutoren den Spielablauf so zu gestalten, dass er wieder in die Wohlfühlzone des 90/10 gelangt.

Für einen Casual-Spieler mit beschränktem Kartenpool ist das nicht praktikabel. Deswegen ist er gut beraten, von Karten, die für das Funktionieren seines Decks essenziell sind, im Zweifelsfall ruhig 4-ofs zu spielen. Aber welche Karten sind für ein Deck essenziell? Das lässt sich an diesem Beispieldeck hervorragend verdeutlichen:

Einmal benötigt es natürlich sein Mana. Sich hier durch unnötige Diversifizierung und Verwendung minderwertiger Alternativen Frustrationselemente zu verschaffen, ist für den Spaßfaktor kontraproduktiv.

Zum anderen muss es, da es einen sehr hohen Manaanteil besitzt, Karten ziehen. Mana und Karten sind die beiden grundlegenden Ressourcen des Spiels, und deswegen eignen sie sich nicht besonders gut dafür, einem Deck Varianz zu verleihen: Es ist nicht der Tortenboden, der bunt aussehen und vielfältig schmecken soll! Konstanz bei Manabeschaffung und Kartenfluss sind wichtig.


Schließlich sind da noch die grundlegenden Synergien, welche dem Deck seinen eigenständigen Charakter verleihen – das Erste, woran man denkt, wenn man die Funktionsweise dieses Decks beschreibt. Hier sind dafür im Wesentlichen die Tangle Golem verantwortlich: Sie bieten zunächst einmal eine solide frühe Boardpräsenz als Vorbereitung auf das spätere Spiel (andere Decks würden hier zum Beispiel Kitchen Finks verwenden). Darüber hinaus harmonieren sie jedoch auf zweierlei Weise mit der Schlüsselkarte des Decks. Diese übersieht man vielleicht beim raschen Überfliegen der Liste, weil sie nur zwei Mal enthalten ist (aber öfter benötigt man sie nicht, und zusätzliche Kopien würden das Deck zu sehr verkloben): Rush of Knowledge! Ein Dank Affinity for Forests früh gelegter Golem hilft einem, sagenhafte sieben Karten zu ziehen – und dank eben dieser Affinity kann man nachgezogene Golems oft auch gleich ausspielen! Golem und Rush benötigen einander aber nicht zwingend, da der Golem in diesem Deck allgemein eine kosteneffiziente Kreatur darstellt, während der Rush mit ausreichend weiteren Permanents für vier oder mehr Mana zusammenarbeitet.


Solche Synergien machen den Charakter eines Decks aus. In meinem Ratten-Ninja-Deck nimmt die Interaktion von Ravenous Rats oder Chittering Rats mit Ninja of the Deep Hours diesen Platz ein. Sie sind gewissermaßen die „Idee“ des Decks. Selbst ein „stumpfes“ Beatdown-Deck wie mein RDW verfügt über etwas Ähnliches in kleinem Maßstab, wenn es wegen seiner Goblin Cohort Burn in Kreaturenform wie Keldon Marauders, Emberwilde Augur und Scorched Rusalka spielt und Blocker mit Frostling (Mogg Fanatic besitze ich nicht), Karplusan Wolverine und Frenzied Goblin aus dem Weg räumt.

Synergien sind aber keine Kombos, mit denen man das Spiel gewinnt! Wenn die Grundidee eines Decks eine Gewinnkombo ist, dann degeneriert der Spielverlauf zu einem immer gleichen Zusammensuchen der Komboteile. Das macht den wenigsten Spielern auf Dauer Spaß, und dem Gegner in der Regel bereits beim ersten Mal nicht. Klar darf sich aus den Synergien ab und zu einmal eine Gelegenheitskombo ergeben, aber wenn man sein Deck darauf aufbaut, verstößt man gegen den Grundsatz der Interaktion.

Nun kommen wir aber endlich zum Tortenbelag: Hier finden wir die Vielfalt, welche uns die erwünschten 10% Abwechslung ermöglicht, uns aber auch die nötige Flexibilität verleiht, mit möglichst vielen gegnerischen Strategien zu interagieren.

Wie ich bereits ansprach, hat mein Deck auf fast alles eine Antwort, auch wenn es diese nicht immer rechtzeitig findet. Darauf kommt es aber nicht an! Es geht ja nicht darum, jedes einzelne Spiel zu gewinnen, sondern darum, Frustrationselemente zu vermeiden, wenn man weiß, dass man die generische Strategie gar nicht besiegen KANN. (Nein, ich bin nicht der Ansicht, dass Dredge oder Storm etwas im Casual-Room zu suchen haben!) Zu speziell dürfen diese Karten auch nicht sein – eine Tormod's Crypt zum Beispiel wird man oft ziehen, wenn sie völlig nutzlos ist und sich dann darüber ärgern. Icy Manipulator oder Serrated Arrows hingegen sind flexible Karten, die zwar in unterschiedlichen Situationen optimal performen (eine große Kreatur vs. viele kleine Kreaturen), aber selten unbrauchbar sind.


Manchmal ist Fireball ein schlechtes Pyroclasm, Faith's Fetters ein schlechter Indrik Stomphowler oder Krosan Tusker ein schlechtes Kodama's Reach, aber ihre Flexibilität verschafft diesen Karten einen Platz im Deck. (Ein Pyroclasm hat sich für mein Deck als wichtiges Werkzeug erwiesen, obwohl ich diese Karte ursprünglich wegen ihres relativ engen Anwendungsspielraums außen vorgelassen hatte. Man braucht auch nicht ZU dogmatisch zu sein!)

Flexibilität ist ein Begriff, den man normalerweise auf Antworten für gegnerische Bedrohungen anwendet. Geht es hingegen um Karten, welche den eigenen Gewinnplan vorantreiben sollen, beziehtt man sich in der Regel auf das Konzept der Redundanz: Wenn eine Karte für ein Deck wirklich wichtig ist, nimmt man lieber in Kauf, sie ab und zu öfter zu haben, als man sie braucht, als das Risiko einzugehen, sie nicht oft genug zur Verfügung zu haben. Doch Achtung: Redundanz ist Gift für spaßige Casual-Decks, da sie den Spielablauf zugunsten einer leicht erhöhten Gewinnchance unnötig eintönig gestalten!

Das ist die letzte Erkenntnis: Redundanz sollte man weitgehend vermeiden! Mana und Karten sind selten redundant, deswegen spielt man zu deren Beschaffung auch 4-ofs. Gewinnbedingungen und besondere Gimmicks hingegen kann und sollte man variieren! Deswegen (und natürlich auch, weil ich viele Karten gar nicht öfter besitze) sind meine Finisher alle unterschiedlich, und deswegen spiele ich auch nur einen Sensei's Divining Top, obwohl dieses Artefakt mit meinen ganzen Mischeffekten natürlich sehr stark ist, und auch nur ein Recollect, da ich es nicht immer brauche. (Zugegeben, wenn ich mehrere Eternal Witness besäße, würde ich vielleicht schwach werden...)

Zuerst hat sich der Aufbau dieses Decks ganz natürlich ergeben: Die Commons besaß ich eben oft genug, und die Rares nur einmal. Mit der Zeit aber wurde mir klar, dass diese Mischung (es geht nicht um die Häufigkeit, sondern um die Funktionen der Karten im Deck) genau das war, was mir meinen Spielspaß garantierte!

Noch einmal kurz den Plan für ein besonders spaßiges Casual-Deck zusammengefasst:


Natürlich kann es auch eine Abwechslung bedeuten, ab und zu zu einem stumpfen, aber berechenbaren 4-of-Deck zu greifen, oder sogar ein hyperaggressives Deck zu pilotieren, bei dem schon deswegen keine Langeweile aufkommt, weil die Spiele so rasch beendet sind, aber für einen Dauerbrenner, der einem immer wieder Freude bereitet, ist dies hier das beste Rezept!
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