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Magic-Decks im Wandel der Zeit, Teil 1
Die Schools of Magic
von Andreas "Zeromant" Pischner
10.09.2007

Diese Artikelreihe hier (ja, es wird eine ganze Reihe – sogar eine ziemlich lange!) wurde ebenfalls aus der Idee "Pischner im Wunschkonzert" auf meinem Blog Zeromagic geboren. Ihr Anliegen ist es, die Entwicklung des Metagames in der Magic-Historie zu beschreiben und dabei insbesondere Aussagen über die Validität verschiedener Archetypen zu treffen: Welche sich immer wieder als stark erweisen, welche zumeist nur die Rolle des Möchtegerns spielen, und welche nur unter ganz bestimmten Bedingungen existieren konnten.

Bei solch einer Betrachtung muss man sich allerdings klar machen, dass die Bedingungen, unter denen diese Decks existiert haben, höchst unterschiedlich waren. Folgende Faktoren beeinflussen den Erfolg eines Decks:



1. Die Regeln!


In der absoluten Frühzeit der Magic-Turniere gab es kein Limit von 4 Kopien einer Karte, und die minimale Deckgröße war 40.
Das führte dann, je nach dem zur Verfügung stehenden Kartenpool, zu Abstrusitäten wie dem Lightning-Bolt-Deck, oder zu zuverlässigen 1st-Turn-Kill-Decks mit Black Lotus, Channel, Fireball (oder auch Lotus plus Timetwister mit nur einem Fireball). Auf das damalige "Metagame" einzugehen, wäre sinnfrei – wer die "alten Zeiten" nachstellen will, kann das mit 20 Simian Spirit Guide, 20 Surging Flame tun.

Doch auch Restrictions und Bannings, sowie die sich ändernden Formatdefinitionen führen dazu, dass es schwierig ist, Decks von "damals" und "heute" zu vergleichen. Schließlich sind da noch die Spielregeln selbst: Der Paris-Mulligan dürfte die wohl einschneidenste Veränderung gewesen sein, aber auch sich ändernde Timing-Regeln beeinflussten das Spiel stark. (Hier waren insbesonde die Sixth Edition-Rules eine Zäsur.) Auch kleinere Regeländerungen oder -fehlinterpretationen sowie Errata konnten großen Einfluss haben. So war Abeyance zu einer bestimmten Zeit effektiv ein weißer Time Walk, Waylay ein weißer Ball Lightning (der mit Crusade für 9 hauen kam!) und Wall of Roots zusammen mit Magma Mine ein besonders absurder Kill (den zu erklären, wäre ein Artikel für sich, so viele Regelbedingungen waren damals anders! Googlet es lieber, Stichwort: "Wall of Boom"!) Eine Reminiszenz an jene Zeiten war das Hulk Flash Desaster, in dessen Schatten diesen Sommer der Legacy Grand Prix stand.



2. Der Kartenpool


Dieser ändert sich zwar ständig, aber einige Rahmenbedingungen verdienen eine besondere Erwähnung: Zunächst einmal wuchsen die Kartenpools eine Zeit lang einfach nur. Sowohl in Typ 1, als auch nach dessen Einführung zunächst in Typ 2. Es dauerte eine Weile, bis Constructed-Formate sich auf ein festes Rotationsschema einpendelten, und der in diesen Formaten zur Verfügung stehende Kartenpool schwankte zwischenzeitlich erheblich. Selbst heute stellt jede Rotation einen spürbaren Aderlass dar, die das Format "schwächt". In den heutigen Eternal-Formaten und ihren Vorläufern bedeutet der ständige Kartenzuwachs einen Anstieg des Powerlevels, der durch immer längere Banned- und Restricted-Listen im Zaum gehalten werden muss. Schließlich sind ältere und neuere Editionen unterschiedlich reichhaltig, sowohl was die Kartenzahl angeht, als auch den Anteil "spielbarer" Karten. Vergleicht einmal Ice Age als Stand Alone Set mit zum Beispiel Time Spiral! Die fehlende qualitative Balance führt zu erheblich eingeschränkten Optionen.

Diese beiden ersten Faktoren, die Regeln und der Kartenpool, bestimmen das Environment, in dem Decks möglich sind. Das Metagame wiederum (also diejenigen Decks, die tatsächlich gespielt werden) wird zusätzlich noch durch Folgendes beeinflusst:



3. Wissensstand und Informationsfluss

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Krass formuliert: Die Magic-Spieler der frühen Jahre hatten einfach keine Ahnung! Das ganze theoretische Wissen, welches heute zur Verfügung steht, musste erst einmal gefunden werden. Deswegen sind auch die stärksten Decks der besten Spieler aus damaligen Zeiten nach heutigem Erkenntnisstand häufig schlicht verbaut! Des Weiteren war die Vernetzung der Internet Community bei weitem nicht so fortgeschritten wie heute. Lange Zeit gab es so etwas wie lokale, regionale, nationale und selbst kontinentale Metagames, die nicht etwa nur durch Bevorzugung verschiedener Strategien geprägt waren, sondern teilweise sogar von deren Entdeckung oder Nichtentdeckung! Austausch von Playtesting-Erkenntnissen fand hauptsächlich über obskure Mailing-Listen statt, und selbst die Berichterstattung von Pro Touren und Weltmeisterschaften fiel sporadisch, zeitverzögert (da über Printmedien!) und äußerst mager aus. Mich befällt ja auch manchmal die Nostalgie, wenn ich auf die Vielfalt der Archetypen aus den frühen Magic-Jahren zurückblicke, aber diese Vielfalt war nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass sich in ungenügend erforschten Metagames einfach immer wieder auch eigentlich nicht konkurrenzfähige Decks durchsetzten! Bevor man also Dinge sagt wie "Decktyp X war damals ja noch gut" müsste man eigentlich erst Retro-Playtesting betreiben um herauszufinden, ob Deck X tatsächlich etwas taugte.



4. Kartenverfügbarkeit


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Heute geht man eigentlich selbstverständlich davon aus, dass spätestens ab PTQ-Niveau Decklisten nicht mehr davon abhängig sind, ob einem Spieler legale Karten auch tatsächlich zur Verfügung stehen. Auch das war nicht immer so! Bevor es auf Ebay eine Magickarten-Kategorie gab, bevor Internetshops eine Selbstverständlichkeit wurden, ja bevor Magic-Spieler es sich angewöhnten, eine neue Edition gleich displayweise zu kaufen, konnte es selbst bei wichtigen Turnieren passieren, dass ein Spieler ein Deck einfach aus dem Grund spielte, weil er die Karten dafür besaß! Auch dieses Phänomen spiegelt eine Archetypen-Vielfalt vor, die es unter modernen Bedingungen in damaligen Environments nicht gegeben hätte.




Das sei also vorausgeschickt, bevor wir uns mit konkreten Decks beschäftigen!

Ich will mich bemühen, Decks möglichst exakt chronologisch einzuordnen. Das ist aber nicht einfach – einmal, weil es tatsächlich sehr schwierig ist, aus der Magic-Steinzeit zuverlässige Informationen zu finden, zum anderen, weil durch die geringe mangelnde Vernetzung damals Entwicklungen längere Zeit nebeneinander her laufen konnten, so dass es weder möglich noch sinnvoll ist festzustellen, welche Entwicklung älter ist.

Obwohl Magic seit dem Sommer 1993 existiert, beginnt die Geschichte seiner Decktypen erst irgendwann zwischen Winter 1995 und dem Frühling 1996 richtig. Das ist die Periode zwischen der Veröffentlichung von Homelands und dem Erscheinen von Alliances, in der das aktuelle Grundset die Vierte Edition ist, mit Chronicles als dessen Erweiterung. Es ist die Zeit, in der sich "Typ 2" von "Typ 1" emanzipiert und die erste Pro Tour in Planung ist. Typ 2 besitzt damals noch eine Restricted Liste und reicht zurück bis The Dark. Es ist die Zeit, in der im Internet die ersten systematischen Betrachtungen zum Thema Magic-Strategie zu finden sind. Es ist die Zeit der Schools of Magic von Rob Hahn. (Klickt dieses Link an, wenn Ihr einige Decklisten sehen wollt, die ich hier aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht zitiere!)

Vorher gab es keine Decktypen, nur Decks, Unikate, die von einzelnen Spielern zusammengestellt wurden. Es gab keine prominenten Decklisten im Netz zu finden – von welchen Events denn auch? Zwar hatten zwei Weltmeisterschaften stattgefunden, aber die Berichterstattung darüber war höchst mäßig. Zak Dolan hatte 1994 mit einem blau-weiß-grünen Stasis-Deck gegen Bertrand Lestrees rot-grünes Aggrodeck mit Splashs für Blau und Schwarz gewonnen. 1995 besiegte Alexander Blumke mit einem B/w-Rack-Deck Marc Hernandez' Deck, das auf Howling Mine, Winter Orb und Black Vise (welches damals vier Mal erlaubt war!) basierte. Witzigerweise sind aus heutiger Sicht die Weltmeister-Decks absolute Haufen, während die Finalisten zumindest eine fokussierte Strategie aufweisen.

Diese Decklisten jedoch bekam nur eine absolute Minderheit der Spieler zu Gesicht (nämlich diejenigen, welche den Duelist lasen), und auch dies nur mit erheblicher Zeitverzögerung. Die Formate änderten sich damals schneller, als Informationen die Runde machten, daher fand ein Kopieren erfolgreicher Decklisten in nennenswertem Ausmaß einfach nicht statt.

Das änderte sich erst mit Hahns Schools of Magic und der Einführung der Pro Tour, sowie der Publikation eines Heftchens, welches sich ausschließlich mit kompetetiven Magic befasste und gratis an Spieleläden versandt wurde, dem Sideboard.

Der erste Archetyp, der sich als solches identifizieren ließ, weil er einen gewissen allgemeinen Bekannhteitsgrad erreichte (im Gegensatz zu individuellen Parallelentwicklungen wie White Weenie oder roten Burn-Decks), war das blau-weiße Kontrolldeck, welches mit einer höchst aussagekräftigen Bezeichnung versehen wurde: THE DECK. Es war DAS Deck, und zwar deswegen, weil es einfach alles andere schlug. Sein Erfinder Brian Weissman machte sich mit seiner Entwicklung in der Magic-Community unsterblich. Hier ist seine Typ-1-Deckliste (laut Beth Mousunds Deck Construction Companion vom Dezember 1995, möglicherweise aber ein Jahr älter, da die neuesten Karten darin aus The Dark stammen und meines Wissens Mind Twist Ende 1995 in Typ 1 gebannt war):






lands:
3 City of Brass
4 Island
1 Library of Alexandria
3 Plains
1 Plateau
2 Strip Mine
4 Tundra
1 Underground Sea
2 Volcanic Island


creatures:
2 Serra Angel


spells:
1 Ancestral Recall
1 Braingeyser
2 Counterspell
1 Demonic Tutor
4 Disenchant
4 Mana Drain
1 Mind Twist
2 Moat
2 Red Elemental Blast
1 Recall
1 Regrowth
4 Swords to Plowshares
1 Time Walk
1 Timetwister
1 Black Lotus
2 Disrupting Scepter
1 Ivory Tower
1 Jayemdae Tome
1 Mox Emerald
1 Mox Jet
1 Mox Pearl
1 Mox Ruby
1 Mox Sapphire
1 Sol Ring

2 Blood Moon
2 Circle of Protection: Red
2 Control Magic
1 Counterspell
1 Disrupting Scepter
2 Divine Offering
1 Moat
1 Plains
1 Jayemdae Tome
1 Tormod's Crypt




Auch wenn es praktisch die gesamte damalige Restricted-Liste enthält und daher fünffarbig angelegt ist, ist es im Wesentlichen blauweiße Kontrolle, die mit Serra Angel tötet (die damals als das Nonplusultra der Kreaturen galten, unter anderem auch deshalb, weil die damalige Regelauslegung war, dass Maze of Ith sie nicht aufhalten konnte, da sie ja nicht getappt waren!) Wieso aber schlug "The Deck" damals alles andere?

Weil es das einzige echte DECK war, wie seine Bezeichnung so treffend darstellt! Es besaß eine definierte Gewinnstrategie und einen (relativ) klaren Fokus. In den Schools of Magic spricht Rob Hahn von der "Weissman School" und beginnt seine Analyse dieses Decks gleich mit einem fundamentalen Irrtum: "The basic philosophy of the Weissman School is that defense wins games." Nein, Defensive gewinnt ganz bestimmt KEINE Spiele! Threat Advantage gewinnt Spiele. "The Deck" stellt Threat Advantage über Kartenvorteil her: Die damals existenten blauen Kartenzieher, Jayemdae Tome und vor allem Disrupting Scepter sorgten dafür, dass man von allem mehr hatte als der Gegner. Counter neutralisierten gegnerische Kartenzieher. Die Defensive des Decks war zwar integraler Bestandteil dieser Strategie, denn um Threat Advantage herzustellen, ohne selbst Threats zu spielen (die Engel wurden in den meisten Fällen erst ausgepackt, wenn der Gegner im "Scepter-Lock" war) muss man gegnerische Threats beantworten können, aber ihnen kommt natürlich nur eine unterstützende Rolle zu. Die grundlegende Philosophie von Weissman lautete also – zumindest aus heutiger Sicht – Kartenvorteil gewinnt Spiele!

Damit war Weissman seiner damaligen Konkurrenz um eine grundlegende Erkenntnis voraus. Andere Decks basierten entweder auf Themen (Goblins, Discard...), oder auf Ideen (wie z.B. "Lure + Thicket Basilisk", "Festival + Siren's Call" oder "Titania's Song mit ganz vielen Artefakten"). Alle diese Konzepte beruhten auf dem Gedanken, etwas Bestimmtes TUN zu wollen – die typische Herangehensweise für unerfahrene oder Casual-versessene Deckbauer auch heute noch! Weissman hingegen betrachtete das Konzept seines Decks nicht im Vakuum dessen, was er selbst damit vorhatte, sondern im Wettstreit mit einem Gegner, über den er sich einen gewinnbringenden Vorteil verschaffen musste. Damit war sein Deck tatsächlich das allererste (bekannt gewordene), welches aus heutiger Sicht als kompetetiv angesehen werden konnte. Weissman spielte DAS Deck, alle anderen Spieler pilotierten Casual-Haufen.

Der Mythos der Unbesiegbarkeit des Decks basierte nicht zuletzt auch darauf, dass niemand (eine Zeit lang übrigens auch Weissmann selbst, der gerüchteweise erst überzeugt werden musste, die Scepter in sein Deck aufzunehmen) so richtig verstand, warum es eigentlich gewann, und deswegen auch nicht wusste, wie es zu besiegen war! Als Problem wurde, wie man es bei Hahn nachlesen kann, die stabile Defensive ausgemacht. Das Prinzip des Kartenvorteils wurde noch nicht wirklich verstanden.

Wenn also "The Deck" als Paragon der "Weissman School" den ersten echten Archetypen markierte, begann mit der Entwicklung der "Handelman School" das erste Metagaming. Die "Handelman School" fasst Decks zusammen, die von einer Gruppe Spieler gezielt entwickelt wurden, um "The Deck" zu schlagen. Aus heutiger Sicht weiß man, dass man Kontrolle zum Beispiel mit ultraschneller Aggro schlagen kann (welche schneller Threats spielt, als Kontrolle diese beantworten kann und so das Spiel beendet, bevor der Kartenvorteil des Kontrolldecks sich auszahlt), aber das funktioniert nur, wenn der zur Verfügung stehende "offensive speed" in einem Environment größer ist als der "defensive speed" – mit anderen Worten, wenn relevante Threats billiger zu spielen sind als effiziente Antworten darauf. Damals gab es jedoch Moxe, welche die Manakurve effektiv bei 2 beginnen ließen, sowie Swords to Plowshares und Lightning Bolt. Pure Aggression konnte mit diesem defensivem Tempo einfach nicht mithalten.

Eine andere Möglichkeit, Kontrolle zu schlagen ist, ein noch stärker auf das Lategame ausgerichtetes Kontrolldeck zu spielen – mehr Länder, mehr Counter, mehr Kartenzieher, und billigere, aber schwieriger zu stoppende Gewinnbedingungen (zum Beispiel Millstone an Stelle von Serra Angel). Dazu kommen wir noch.

Die dritte Möglichkeit, Kontrolle zu schlagen, ist Aggrokontrolle: Man verschafft sich Board Advantage und verteidigt diesen entweder reaktiv (indem man die Anworten des Gegners countert) oder proaktiv (indem man die Ressourcen des Gegners angreift) lange genug, um das Spiel zu gewinnen. Dieses Prinzip hat die "Handelman School" gefunden:



lands:
4 City of Brass
4 Underground Sea
3 Bayou
1 Tropical Island
2 Scrubland
1 Tundra


creatures:
4 Hypnotic Specter
4 Juzam Djinn
4 Birds of Paradise
4 Erhnam Djinn
spells:
1 Demonic Tutor
4 Disenchant
4 Hymn to Tourach
2 Necropotence
4 Mana Drain
1 Ancestral Recall
1 Time Walk
4 Red Elemental Blast
1 Mox Emerald
1 Mox Jet
1 Mox Pearl
1 Mox Ruby
1 Mox Sapphire
1 Library of Alexandria
1 Black Lotus
1 Sol Ring



(Offensichtlich eine Post Ice Age Liste.)

Man beachte, wie proaktive (Discard) und reaktive Kontrolle hier vermischt werden! (Die Red Elemental Blast sind im Wesentlichen Counter für gegnerische Counter und Kartenzieher.) Das ging damals noch, weil die hierfür zur Verfügung stehenden Karten enorm effizient waren. Heute weiß man, dass Karten, für die man Mana ausgibt, um den Gegner Karten abwerfen zu lassen, sich nicht mit Karten vertragen, für die man Mana offenhalten muss, um gegnerische Sprüche zu countern. Nichtsdestotrotz zeigt die Handelman School in typischer Weise, wie man mit Aggrokontrolle Kontrolle angreift.

Ein aus heutiger Sicht noch stringenterer Ansatz, Kontrolle zu schlagen, war ein Deck namens "Monkey, May I?", das wohl auf Mario Robaina zurückgeht. Ich war leider nicht in der Lage, im Netz eine Deckliste davon aufzutreiben. Meiner Erinnerung nach gab es in einer alten Duelist-Ausgabe einen Artikel dazu – wer diesen aufspürt, bitte melden!

Der Name "Monkey, May I?" war eine Anspielung auf "Mother, may I?", mit dem Counter-intensive Kontrolldecks eine Zeit lang betitelt wurden, weil man immer um Erlaubis fragen musste, wenn man etwas spielen wollte (daher stammt die Bezeichnung "Permission" für Counterspells!) "Monkey" wiederum stand natürlich für Kird Apes. In der Deckliste erwartet uns also eine bunte Manabasis mit Schwerpunkten auf Grün, Blau und Rot und natürlich einem Schwarz-Splash für Demonic Tutor und Mind Twist, sowie manaeffiziente Kreaturen, Burn und Counter. Ein solches Deck KÖNNTE also so ausgesehen haben:



lands:
2 Bayou
4 Taiga
4 Tropical Island
2 Volcanic Island
4 City of Brass


creatures:
4 Kird Ape
4 Serendib Efreet
2 Erhnam Djinn
4 Birds of Paradise
spells:
1 Black Lotus
1 Mox Emerald
1 Mox Ruby
1 Mox Sapphire
1 Mox Pearl
1 Mox Jet
1 Sol Ring
1 Demonic Tutor
1 Regrowth
1 Time Walk
1 Mind Twist
1 Ancestral Recall
1 Channel
3 Fireball
4 Lightning Bolt
4 Chain Lightning
4 Mana Drain
2 Power Sink




Klassische reaktive Aggrokontrolle also, wie sie später in Fish-Decks wiederauferstehen würde und vor einem Jahr in Standard ein Revival als "Sea Stompy" hatte.

Mein Editor hat mich mit der Siegerliste der ersten Deutschen Meisterschaften (1995) versorgt, allerdings ohne Länder und Jewelry:






lands:
????


creatures:
4x Serendib Efreet
4x Birds of Paradise
4x Kird Ape
1x Sedge Troll
1x Juggernaut


spells:
4x Counterspell
2x Control Magic
1x Channel
1x Regrowth
1x Tranquility
3x Terror
1x Demonic Tutor
1x Mind Twist
4x Lightning Bolt
3x Fireball
1x Disintegrate
1x Goblin War Drums
1x Wheel of Fortune
1x Fellwar Stone
1x Sol Ring

1x Juggernaut
1x Red Elemental Blast
2x Blue Elemental Blast
1x Terror
2x Power Sink
1x Gloom
1x Disintegrate
1x Deathgrip
1x Lifeforce
1x Tranquility
1x Shatterstorm
1x Power Surge
1x Winter Orb




Das damalige Format war übrigens Typ 2 mit ausschließlich The Dark, Fallen Empires und ENTWEDER Revised ODER 4th Edition! Ach ja, und als Augenzeuge kann ich beschwören, dass sich in diesem Deck in Wirklichkeit eine Goblin Flotilla befand – sie lag im Finale im Spiel! Was genau sie darin machte, und ob sie eine Proxy für den Sedge Troll war, die der Spieler vergessen hatte zu entfernen, oder ob die War Drums von der Deckliste in Wirklichkeit eine Flotilla waren – was wieder nicht erklärt, was diese Karte darin machte... naja, lang ist es her. Das Finale wurde übrigens durch Control Magic auf Clockwork Beast entschieden... Also, was ich damit sagen will: Decktech war damals noch nicht allzu weit entwickelt, aber dieses Deck hier war im Prinzip ein Aggrokontrolldeck ala "Monkey, May I?" – genau so übrigens, wie die meisten anderen Decks auf den vorderen Plätzen dieser DM.

Es entwickelten sich also erste Strategien: Kontrolle (wobei das Weissmann-Deck mit seinen Serra Angel auch gerne einmal in den Kontrollaggro-Modus umschaltete), reaktive Aggrokontrolle und proaktive Aggrokontrolle.

Werfen wir noch rasch einen Blick auf die übrigen "Schools", die Weissman anspricht: Seine Vorstellung der "Kim School" ist reichlich nebulös. Er spricht hier Prinzipien wie Effizienz, Flexibilität und Konstanz an, die natürlich allgemein gelten. Seine Typ-1-Beispielliste ist im Wesentlichen eine Weiterentwicklung des Weissman-Decks Richtung Kontrollaggro (weniger rein defensive Karten, mehr Burn, Mishra's Factories) und erinnert ein wenig an moderne Angelfire-Decks. Seine Typ-2-Beispielliste, ein Erhniegeddon, ist hingegen Midrange-Beatdown mit proaktiven Kontrollelementen (Landzerstörung via Armageddons und Strip Mines). Meiner Ansicht nach haben diese Decks nichts miteinander zu tun.


Die sogenannte "Chang School" beruht, wie Hahn Chang selbst erklären lässt, im Wesentlichen auf dem Prinzip, dem Gegner sein Spiel aufzuzwingen. Das bedeutet nichts anderes, als dass man agiert, anstatt zu reagieren, ein sehr allgemein formuliertes Konzept für eine "School", das sowohl aktive, als auch proaktive Decks einschließt! Das sieht man dann auch wieder an den Beispieldecks: Das Typ-1-Deck mit 4 Black Vise, 4 Strip Mine, 3 Blood Moon und einer Menge Burn benutzt Ressourcendenial, um eine Direct-Attack-Strategie zu unterstützen und ist offensichtlich als Antideck zur Weissmann-Strategie konzipiert. Wir haben es hier also mit einem proaktiven Aggrokontroll-Deck zu tun, das nur teilweise über das Bord gewinnt (nämlich mit den Black Vises). Eine solche Strategie hat man zuletzt vor einem Jahr im Standard gesehen: Owling Mine hieß das Deck, weil es auf Howling Mine und Ebony Owl Netsuke beruhte, und es war ebenfalls als Antwort auf ein extrem kontrolllastiges Metagame konzipiert.

Das Typ-2-Beispieldeck hingegen ist ein White Weenie mit proaktiven Kontrollelementen, nämlich Armageddon und Strip Mine. Das ist auf Board Advantage ausgerichtete Aggrokontrolle. (Diese Liste, die sich Hahn vermutlich selbst ausgedacht hat, ist natürlich völliger Murks – 3 Crusade für 14 Kreaturen?) Auch diese "School" besitzt nicht wirklich einen kohärenten Zusammenhang.

Die "O-Brien-School" hingegen lässt sich ganz eindeutig zuordnen: Klassische Landzerstörung (also proaktive Kontrollaggro, die auf Mana Denial basiert). Im Gegensatz zu Aggrokontrolle kümmert sich proaktive Kontrollaggro typischerweise ZUERST darum, die Ressourcen des Gegners zu verkrüppeln, und spielt DANN einen Threat, den dieser nicht mehr rechtzeitig in den Griff bekommt, bevor er das Spiel beendet. Klassische Landzerstörung ist heute selten geworden, da R&D ganz bewusst diese als spaßtötend empfundene Strategie nicht zu stark werden lässt. Legion Land Loss in Extended und Ponza in Standard waren wohl die letzten Hurras dieser Strategie, aber Wildfire-Varianten (die nicht abhängig von ihrem Mana Denial waren) haben noch bis zur Rotation von der Neunten zur Zehnten Edition das Metagame unsicher gemacht.

Die "Maysonet School" schließlich stellt das ultimative Kontrolldeck dar: Im Gegensatz zu Weissman verzichtet es vollständig auf Kreaturen und gewinnt mit Millstone und Jester's Cap, sowie mit Mirror Universe (das unter damaligen Regeln den Gegner töten konnte, indem man sich auf 1 manaburnte, sich dann im Upkeep mit der City of Brass auf 0 Leben brachte und dann die Lebenspunkte mit dem Gegner tauschte). Hier findet sich also die Reaktion auf das Kontrolldeck in Form eines noch dedizierteren Kontrolldecks, die ich vorhin schon angesprochen hatte. Eine andere Schule ist es deswegen nicht (es sei denn, man möchte Weissman bei Kontrollaggro einordnen, was ich als übertrieben ansehe): Es ist blau-weiße Kontrolle, die mit Jayemdae Tome und Disrupting Scepter Kartenvorteil erlangt und dann irgendwie das Spiel gewinnt. Der Versuch, der Jester's Cap einen besonderen Stellenwert einzuräumen, lässt sich dadurch erklären, dass alle diese "Schools" in Typ 1 entstanden sind, und das Entfernen von 3 Karten von der Restricted List aus dem gegnerischen Deck natürlich einen gewissen Eindruck hinterlässt. (Rein technisch ist die Kappe übrigens eine einigermaßen exotische Form von Ressource Denial!)

Auch wenn die "Schools of Magic" sich aus heutiger Sicht an vielen Stellen wie kompletter Stuss lesen, waren sie doch damals bahnbrechend: Die erste systematische Betrachtung von Magic-Strategie in einem größeren Zusammenhang! Für mich stellen sie sowohl den Ursprung der Magic-Theorie, als auch die Geburtsstunde des Metagamings dar. In den "Schools of Magic" wurden grundlegende Strategien wie reaktive und proaktive Kontrolle, Aggrokontrolle und Kontrollaggro entdeckt, wenn auch noch nicht wirklich verstanden. (Echte Aggro konnte unter den Bedingungen des damaligen Typ-1-Environments, mit dem sich Rob Hahn primär befasste, einfach nicht existieren. Naja, nicht dass das heute sehr viel anders wäre...) Damit jedoch aus den nebulösen Schulen von Rob Hahn Strategietypen und aus individuellen Deckkreationen Archetypen wurde, mussten noch einige Grundlagen geschaffen werden: Die Akzeptanz von "Typ 2" als primärem Constructed-Format und die Beschleunigung des Informationsflusses im Internet, die sich mit dem Beginn des Pro Tour Circuit (und insbesondere dem Entstehen der Pro Tour Qualifier) einstellte und auf dem legendären "Dojo" von Frank Kusumoto einen Sammelpunkt fand. Damit befasse ich mich dann im nächsten Teil dieser Reihe.
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