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Gelobtes Land
von Felix Weidemann
23.04.2014

Vor ein paar Wochen schaute ich mir hier auf dem Planeten ein Theros-Sealed gespielt von Toffel und Johannes an. Abgesehen davon, dass ich die gemeinsamen Drafts der beiden für so ziemlich den besten und unterhaltsamsten Limitedcontent im deutschsprachigen Raum halte, bin ich an einer Stelle (Runde 3, Zeitpunkt 2:33) sehr hellhörig geworden.

Um das Gesagte noch mal zusammenzufassen: Ein gewisser Paul meinte also, dass 17 Länder im Limited nicht mehr zeitgemäß wären, weil sich die durchschnittliche Kartenqualität beziehungsweise das Kosten-Nutzen-Verhältnis inzwischen deutlich geänderte hätte. Während Johannes dazu meint, „Paul müsse mal machen“, verweist Toffel auf Mama Statistik und die Erfahrung, dass 17 Länder sich doch immer bewährt hätten.


Als Teil der Berliner Limitedcrew (der fleißige PlanetMTG-LeserGucker kennt mich vielleicht vom Toffel-Spezial) kann ich sagen, dass diese Diskussion schon häufiger aufgekommen ist und ich Pauls Argument eigentlich recht nachvollziehbar finde und mir in letzter Zeit häufiger darüber Gedanken gemacht habe. Spätestens seit Innistrad gilt für alle Limited-Formate: Wer früh stolpert, verliert! Die ersten Züge einer Partie haben in den letzten Jahren gefühlt immer mehr an Bedeutung gewonnen. Gleichzeitig ist das Treffen der ersten vier oder fünf Landdrops immer wichtiger geworden, um bei dem gestiegenen Tempo mitzuhalten. Andererseits ist Toffels Einwand natürlich korrekt, da mit 17 Länder schon immer ganz gut gewährleistet war weder zu häufig zu „screwen“ noch zu „flooden“ (zu wenig beziehungsweise zu viele Länder zu ziehen).

Dennoch fällt es mir schwer zu beurteilen, ob durch die veränderte Spieldynamik der letzten Jahre nicht auch die geradezu unantastbare 17-Land-Regel ins Wanken gerät. Um dies besser einschätzen zu können, interessiere ich mich für zwei Dinge. Erstens, von welchen Faktoren hängt es tatsächlich ab, wie viele Länder ich optimalerweise in meinen 40-Karten-Decks spielen sollte. Und zweitens, wie haben sich diese Faktoren in den letzten Jahren beziehungsweise mit den jüngsten Editionen entwickelt?


Computerliebe

Um die erste Frage zu beantworten, wollen wir uns der wohl mächtigsten Magie bedienen, die die Menschheit kennt: dem Computer. Vor einiger Zeit hat Frank Karsten Simulationen durchgeführt, um die optimale Deckliste für einen frühestmöglichen Goldfisch-Kill zu finden, wobei er sich lediglich der Karten Savannah Lions, Putrid Leech, Geist of Saint Traft, Lightning Bolt und City of Brass bediente.

Einen ähnlichen Ansatz wollen wir nun verwenden, um die bestmögliche Länderzahl zu finden. Allerdings soll der Computer für uns dabei nicht goldfischen, sondern unser Deck gegen einen echten Gegner antreten lassen – und mit „echt“ meine ich an dieser Stelle ebenfalls den Computer. Schließlich geht es bei unserer Analyse nicht nur darum, wie man schnellstmöglich Kreaturen auf den Tisch bekommt, sondern auch, wie man im späteren Spiel möglichst nicht floodet. Und das kann nur untersucht werden, wenn man überhaupt erst einmal das Late Game erreicht, was im Solitärmodus nicht passiert.


Da der Computer hier also zwei Decks gegeneinander pilotieren soll, wollen wir das Format möglichst einfach halten – die alte Kiste soll ja nicht durchbrennen. Wir beginnen also mit einem Format, in dem lediglich Grizzly Bears existieren. Natürlich sind die Erkenntnisse, die wir aus einem solchen Format ziehen können, nicht unmittelbar auf ausgefeilte Limited-Umgebungen übertragbar. Denkt jedoch daran, dass es uns in erster Linie darum geht herauszufinden, welche Charakteristika eines Formats auf welche Weise die Landanzahl beeinflussen.

Stell dir nun vor, du bist ein Computer. Nach deinem Draft setzt du dich also mit deinen 42 gepickten virtuellen Bären hin und versuchst ein möglichst solides 40-Karten Deck zu bauen (laut einem gewissen Andi P. sicherlich ein Traumszenario). Wälder kannst du deinem Deck dabei nach Belieben hinzufügen. In dieser Situation weißt du allerdings, dass es deinen Computerfreunden genauso geht. Da die möglichen Board-Situation in unserem Format nicht allzu komplex werden können, überlegst du dir also schon im Vorhinein eine möglichst gute Strategie, nach der du spielen willst, insbesondere wie du angreifen und blocken wirst. So sparst du dir später wichtigen Arbeitsspeicher fürs parallele Daily-Event auf Magic Online.


Folgende Strategie habe ich mir überlegt:

1)

Ich lege jeden Zug ein Land falls möglich und spiele so viele Kreaturen, wie ich kann.

2)

Ich greife wie folgt an:

i)

Fall 1 – ich habe mindestens so viele Kreaturen wie mein Gegner: Wenn ich mindestens so viele Lebenspunkte wie mein Gegner habe, greife ich mit allem an, was geht. Habe ich weniger Leben als mein Gegner, greife ich nur mit so vielen Kreaturen an, dass ich im Gegenangriff noch alle gegnerischen Kreaturen blocken könnte.

ii)

Fall 2 – ich habe weniger Kreaturen als mein Gegner: Kein Angriff!

3)

Ich blocke wie folgt: Wenn ich angegriffen werde, dann blocke ich so viele Kreaturen wie möglich.

Diese Strategie klingt erst einmal ziemlich simpel, es ist jedoch recht schwierig, sich eine alternative Strategie zu überlegen, die diese hier schlägt. Sie müsste nämlich als zusätzliche Informationen noch die Anzahl der eigenen und gegnerischen Handkarten und verfügbaren Länder nutzen, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Weil wir hier aber nicht beim Kombinatorik-Examen sind, sondern beim gemütlichem Laptop-FNM, belassen wir es dabei. Und übrigens: Mulligans sind was für Angsthasen und UW-Spieler.


Die Paarungen für Runde 1 werden ausgehängt

Du setzt dich also deinem digitalen Gegner gegenüber und nach einem kurzen Augenblick ist das Spiel auch schon vorüber. Bei allen anderen Partien ist es genauso, und da so ein FNM ja nicht schon nach einer Sekunde vorbei sein soll, werden einfach ganz casual an die hunderttausend Spaßmatches ausgespielt. Dabei probieren du und dein Gegner verschiedene Länderanzahlen aus, um für den nächsten Mono-Grizzlybären-Limited-Grand-Prix bestens vorbereitet zu sein. Folgende Gewinnhäufigkeiten kamen dabei heraus:


Dann schaust du noch mal im Turnierkalender nach und stellst fest, dass der nächste Grand Prix ja im Mono-Hügelriesen-Format stattfindet, welches bekanntermaßen als etwas langsamer gilt! Also werden auch hier die entsprechenden Matchups ausführlich getestet.


Diese Ergebnisse wollen wir uns nun einmal etwas genauer anschauen:


In der Tabelle sind die Gewinnwahrscheinlichkeit des Startspielers (Spieler A, on the play) dargestellt, abhängig davon, wie viele Länder (von zwölf bis 20) er und sein Gegner (Spieler B, on the draw) im Deck haben. Hat Spieler A beispielsweise 18 Länder und Spieler B 17 Länder, so liegt die Gewinnwahrscheinlichkeit von Spieler A bei 60,8%. Dabei hat der Computer für jede der 81 möglichen Kombinationen 20000 Spiele simuliert, sodass der Schätzfehler ziemlich sicher im Bereich von einem Prozentpunkt liegt. Der Startspieler ist über diese Ergebnisse natürlich sehr glücklich, weil man bei fast allen vernünftigen Länderanzahlen eine Gewinnwahrscheinlichkeit von deutlich über 50% hat.

Aber welche ist denn nun die optimale Anzahl an Ländern im Deck? So einfach lässt sich das sogar in diesem simplen Szenario leider nicht sagen, weil das wiederum stark vom Deck des Gegners abhängig ist. Hat Spieler B beispielsweise 17 Länder im Deck, so erhöht Spieler A seine Chancen, indem er 16 Länder spielt. Bei 20 Ländern für Spieler B wäre Spieler A jedoch mit 18 Ländern am besten bedient. Somit habe ich die jeweils optimalen Strategie von Spieler A orange gefärbt beziehungsweise die von Spieler B blau. Dabei gilt für Spieler A: Spielt der Gegner 15 Länder oder weniger, so maximiere ich meine Chancen, wenn ich 20 Länder spiele. Hat der Gegner andererseits mehr als 15 Länder, so nehme ich optimalerweise ein oder zwei Länder weniger. Der Grund für dieses Verhalten ist einfach. Hat der Gegner wenige Länder und hat dementsprechend hohe Chancen, einen frühen Landdrop zu verpassen, ist es am besten, wenn ich zuverlässig den kritischen vierten Landdrop treffe, um dann zu gewinnen, bevor mir die Hügelriesen ausgehen. Spielt der Gegner allerdings selbst genug Länder, um gegen Screw geschützt zu sein, so ist man lieber etwas gieriger, damit man im späteren Verlauf weniger Länder nachzieht als der Gegner.

Interessanterweise gibt es keine Kombination, sodass beide Spieler die jeweils beste Antwort auf das Deck des Gegners ins Feld führen (dafür müssten an irgendeiner Stelle ein blaues und oranges Feld aufeinanderliegen). In der Spieltheorie nennt man eine solche Kombination ein reines Nash-Gleichgewicht, benannt nach einem bekannten Film mit Russell Crowe. Da es keine einedeutige Strategie gibt, die für beide Spieler am günstigsten wäre, existiert also auch hier so eine Art kleines Metagame, weil die eigene Wahl von der Entscheidung des Gegners beeinflusst wird.

In besagtem Film bewies Russell Crowe allerdings auch, dass es jedoch immer ein gemischtes Nash-Gleichgewicht geben muss. Dabei wählen sowohl Spieler A als auch Spieler B ihre Länderanzahl vor jedem Spiel gewissermaßen zufällig aus. Die konkreten Wahrscheinlichkeiten, mit der bestimmte Länderanzahlen gewählt werden, darf dabei natürlich von den Spielern selbst bestimmt werden und diese Wahrscheinlichkeiten bilden in dem Fall die Strategie. Die Idee dahinter ist, dass man auf diese Weise für seinen Gegner unberechenbar bleibt, sodass dieser wiederum keine eindeutige Strategie, sprich Länderzahl, für sich bevorzugt.

Für unser Hügelriesen-Format sieht ein solches gemischtes Nash-Gleichgewicht dann wie folgt aus: Spieler A spielt mit 79,1% Wahrscheinlichkeit 16 Länder und zu 20,9% die vollen 20 Länder. Dagegen spielt Spieler B zu 8,9% nur 15 Länder mit 91,1% Wahrscheinlichkeit 16 Länder. Die zugehörige Gewinnwahrscheinlichkeit ist 62,7% für Spieler A. Will man nun also unbedingt eine optimale Länderanzahl berechnen, so kann man die entsprechenden Erwartungswerte der eben genannten Verteilungen nehmen: für Spieler A wären das 16,83 Länder und für Spieler B 15,91 Länder. Na, das hat ja lang genug gedauert …

Um einen ersten Eindruck davon zu bekommen wie sich diese optimale Anzahl an Ländern je nach Draftumgebung ändern kann, hier die Ergebnisse zum Grizzlybären- und Hügelriesen-Format und weiteren verwandten Editionen, in denen nur jeweils eine Kreatur und sonst nichts existiert:


Grizzly Bears
Kalonian Tusker
Staunch-Hearted Warrior
Hill Giant

Spieler A:
11,20 Länder
12,67 Länder
16,02 Länder
16,83 Länder

Spieler B:
10,83 Länder
11,50 Länder
14,98 Länder
15,91 Länder

Schaut man sich die Zahlen an, so lassen sich bereits zwei Schlussfolgerungen ziehen:

1)

Je teurer die Kreaturen (im Durchschnitt) sind, desto mehr Länder sollte man spielen.

Das ist zugegebenermaßen nicht gerade die große Erleuchtung.

2)

Je effizienter, also stärker bei gleichen Kosten, die Kreaturen sind, desto mehr Länder sollte man spielen.

Das ist schon etwas kniffliger. Die erste Intuition könnte eigentlich sein, dass, wenn meine Kreaturen oder andere Sprüche stärker werden, ich auch mehr von diesen spielen sollte. Dass es sich tatsächlich aber genau umgekehrt verhält, liegt vermutlich daran, dass Screw in Formaten mit effizienteren Kreaturen stärker bestraft wird als Flood, da ein Vorteil im frühen Spiel schneller in einen Sieg umgemünzt werden kann.


Grizzlybär // Grizzlybär

Bisher haben wir geschaut, inwiefern sich die Stärke und die durchschnittlichen Manakosten der Kreaturen eines Formats auf die optimale Länderzahl von Limited-Decks auswirken. Dabei ist alles jedoch stets Vanille geblieben. Was uns nun darüber hinaus interessiert ist, welchen Einfluss bestimmte Mechaniken haben könnten, die beispielsweise alternative Verwendungsmöglichkeiten für einzelne Sprüche zulassen. Das aktuellste Beispiel wäre die Bestow-Mechanik aus dem Theros-Block.


Also wollte ich mir eine gute Strategie fürs Mono-Leafcrown-Dryad-Format überlegen, analog zu den Faustregeln weiter oben …

… und bin dabei kläglich gescheitert. Selbst für so ein vermeintlich einfaches Format kann man gar nicht so leicht festlegen, wann man Kreaturen spielt, wann man die Bestow-Fähigkeit nutzt und auf welche Kreatur, wann man mit Kreaturen angreift und wann man zum Blocken zurückbleibt. Versucht es gerne selbst einmal, mit höchsten zehn Regeln eine solide Strategie zu fixieren, die durch entsprechendes Reagieren des Gegners nicht supereinfach zu schlagen ist.

Um die Frage dennoch beantworten zu können, habe ich mir eine simple Mechanik überlegt, die letztlich von der gleichen Strategie Gebrauch machen kann, die wir auch schon in den obigen Formaten genutzt haben. Ich präsentiere:


Beim Grizzlybär // Grizzlybär habt ihr die Möglichkeit, ganz klassisch für zwei Mana einen 2/2-Bären zu beschwören, oder aber für vier Mana zwei 2/2-Bären (mit trotzdem nur einer Karte). Diese Fähigkeit ist sicherlich vergleichbar mit Bestow, Kicker oder eben Fuse, insofern als dass man für etwas mehr Mana einen höheren Nutzen aus ein und derselben Karte ziehen kann.

Bevor der Computer gleich wieder ans Werk muss, hier noch eine Strategieänderung, mit der gespielt wird:

1)

Ich spiele jeden Zug so viele Bären wie möglich und verwende dabei möglichst wenig Karten.

Damit schmeißen wir die Maschine ein weiteres Mal an und lassen uns ausrechnen, wie die besten Decks im Grizzlybär-Grizzlybär-Limited und den drei weiteren äquivalenten Formaten auszusehen haben. Nach einigem Gezocke kam der Computer dann auf folgende Ergebnisse:


Grizzly Bears // Grizzly Bears
Kalonian Tusker // Kalonian Tusker
Staunch-Hearted Warrior // Staunch-Hearted Warrior
Hill Giant // Hill Giant

Spieler A:
15,14
15,46
19,63
19,60

Spieler B:
14,61
14,75
19,47
19,94

Interessanterweise waren in diesen Formaten die Gewinnwahrscheinlichkeiten deutlich ausgeglichener, bei Hill Giant // Hill Giant hatte der Spieler on the draw sogar einen kleinen Vorteil. Dies liegt vermutlich daran, dass in diesen Formaten der vierte/sechste/achte Landdrop deutlich relevanter ist, was den Vorteil der Extrakarte viel bedeutender macht.

Vergleicht man diese Ergebnisse zur Länderzahl mit den aus den Vanille-Formaten, so lässt sich klar ableiten, was wohl niemanden überrascht hat:

3)

Bieten Kreaturen oder Sprüche einen alternativen stärkeren Effekt zu höheren Kosten, so sollte man mehr Länder spielen.

Entsprechende Mechaniken werden auch als Manasinks bezeichnet. Man sieht sofort ein, dass in Formaten, in denen Manasinks zur Verfügung stehen, mehr Länder gespielt werden können, da viele gezogene Länder trotzdem einen Nutzen haben. Indirekt könnte man Regel 3 auch schon aus Regel 2 ableiten, da zum Beispiel Grizzly Bears // Grizzly Bears eine strikte Verbesserung des klassischen Grizzlys ist und man somit mehr Länder spielen sollte.


Und was bringt mir das jetzt für meinen nächsten Draft?

Leider, oder besser gesagt zum Glück, bestehen echte Limited-Umgebungen aber nicht aus 14-mal der gleichen Kreatur pro Booster. Nichtsdestotrotz lassen sich die drei oben hergeleiteten Grundregeln auch auf richtige Draft-Formate anwenden. Auf diese Weise lässt sich vielleicht sagen, ob man in bestimmten Formaten vom etablierten 17-Länder-Prinzip abweichen sollte.

Regel 1, die besagt, man solle mehr Länder spielen, falls die durchschnittlichen Spruchkosten höher sind, lässt sich kaum auf ganz bestimmte Draft-Umgebungen anwenden, weil Wizards sehr darauf achten, die Manakurven in den Editionen ungefähr konstant zu halten. Es gibt also keine Edition, in der die Sprüche im Schnitt deutlich mehr Kosten. Die einzige Ausnahme wäre vielleicht Rise of the Eldrazi: Hier gab es zwar viel Beschleunigung beziehungsweise Tokens, die sich für Mana opfern ließen, dennoch hat man in diesem Format gerne das 18. oder 19. Land gespielt.

Umgekehrt gibt es konkrete Archetypen in bestimmten Formaten, deren Kurve einfach bei vier aufhört (zum Beispiel Boros in Gatecrash). Dann kann auch gerne auf 16 oder weniger Länder gegangen werden, wovon die meisten Magic-Spieler allerdings selten überzeugt werden müssen. Schwieriger ist das bei Spielern, die es im Draft nicht geschafft haben, genügend frühe Drops einzusammeln, unabhängig vom Format. Dann sollte man sich nämlich nicht schämen und getrost ein oder zwei Länder mehr in sein Deck stecken, um die etwas höhere Kurve zu unterstützen.

Bei Regel 2 wird es schon interessanter. Gibt es Formate, in denen die Kreaturen im Schnitt stärker sind zu gleichen Kosten? Das ist natürlich sehr subjektiv, aber ich habe den Eindruck, dass die pure Power der Kreaturen in den letzten Jahren auf jeden Fall gestiegen ist.


Der höhere Powerlevel ist es auch, der in erster Linie für das gesteigerte Tempo jüngerer Formate verantwortlich ist, da eine frühe Bedrohung oder eine gute Kurve, die man nicht beantworten kann, heutzutage den Sack schneller zumacht als noch vor ein paar Jahren. Dies ist für mich ein Grund genug, über ein oder zwei Länder mehr nachzudenken. Wer häufiger Innistrad gespielt hat, weiß, dass man die ersten fünf Länder auf jeden Fall treffen wollte, um entweder schnell Druck aufbauen zu können oder diesen abzuwehren. Ein typisches Szenario war hier häufig, dass man in Zug 2 bis 4 Kreaturen legte, um dann im fünften Zug mit einem Flashback von Silent Departure das Spiel für sich zu entscheiden (beziehungsweise im sechsten Zug von der Hand plus Flashback). In Avacyn Restored dagegen befanden sich die besten Kreaturen im 4-Manaslot, sodass man diesen garantiert Zug 4 erreichen wollte.


Das Beispiel Silent Departure bringt uns zum noch verbliebenen Einflussfaktor, und zwar potentiellen Manasinks, die laut Regel 3 ebenso eine höhere Landanzahl rechtfertigen würden. Schauen wir uns dafür entsprechende Mechaniken der letzten Blöcke an:

Theros:
Gatecrash:
Return to Ravnica:
Avacyn Restored:
Innistrad:
Scars of Mirrodin:
Rise of the Eldrazi:
Zendikar:
Shards of Alara:

Bestow, Monstrous
Extort
Overload, Scavenge

Flashback

Level up, Eldrazi (okay, keine Manasink, sondern einfach nur teuer!)
Landfall, Kicker
— (Cycling bietet dagegen sogar eine Art Spellsink)

und so weiter …

Bei Zendikar und Rise war allgemein bekannt, dass es sich um 18-Länder-Formate handelt. Im Orzhov-Deck in Gatecrash hat man ebenso standardmäßig 18 Länder gespielt. Bei Innistrad- und Theros-Limited habe ich persönlich den Eindruck, dass 18 Länder korrekt sind – zumindest im Fall von Innistrad wurde dies allerdings selten diskutiert. Wir sehen also, die Mechaniken einer Edition scheinen ein guter Indikator hinsichtlich der korrekten Landanzahl zu sein, sodass in Formaten mit vorhandenen Manasinks in der Regel mehr Länder gespielt werden sollten. (In Journey into Nyx wartet dann übrigens Strive.)


Aber 17 Länder haben doch immer so gut funktioniert?!

Dieses Argument ist in der Hinsicht trügerisch, dass, nur weil etwas gut funktioniert, es noch lange nicht die optimale Wahl sein muss. Angenommen, eine andere Länderzahl würde die Siegchancen von zuvor 60% auf 61% verbessern. Dann wären statistisch gesehen circa 10000 Spiele nötig, um diesen Unterschied tatsächlich festzustellen.

Ein weiterer Aspekt ist, dass Screw und Flood möglicherweise unterschiedlich wahrgenommen werden. Beim Screw haben viele Spieler eher noch Gefühl mitgespielt beziehungsweise sich gewährt zu haben, weil sie vielleicht eine oder zwei Kreaturen gespielt haben oder man stabilisiert hätte, wäre das benötigte Land einen Zug früher gekommen. Beim Flood dagegen fühlt man sich häufig einfach nur machtlos, unter anderem auch weil man die möglichen Wege zurück ins Spiel nicht auf der Hand hält, sondern sich im Kopf veranschaulichen muss. Demnach sind viele Spieler lieber screwed als flooded, obwohl die Konsequenz die Gleiche ist, und spielen deshalb tendenziell zu wenige Länder.


Fazit

Es mag über die Jahre vielleicht schleichend und unbemerkt passiert sein, aber ich bin so wie Paul der Meinung, dass in modernen Limited-Formaten inzwischen 18 Länder der neue Standard sein sollten. Dabei sind es der gestiegene Powerlevel und einzelne Mechaniken, die die erhöhte Landanzahl rechtfertigen. Natürlich hängt es letzten Endes immer vom konkreten Format und ganz zum Schluss vom gedrafteten Deck ab, allerdings will ich inzwischen gute Gründe haben, falls ich mehr oder weniger als 18 Länder spiele.


Für die Zukunft würde ich mir wünschen, dass dieser Frage bei Formatanalysen stärker nachgegangen wird. Anstatt also zu überlegen, ob der neue 2/2-Flieger für drei Mana eine 3,0 oder 3,5 in der Limitedreview bekommt, fände ich es interessanter, Argumente für mehr oder weniger Länder im unerforschten Format zu suchen.

Mit der hier präsentierten computerunterstützen Analyse habe ich versucht, einige Anhaltspunkte zu finden, mit deren Hilfe eine solche Einschätzung leichter fallen kann. Dies waren vor allem Kosten und Effizienz von Kreaturen und potentielle Manasink-Mechanismen, die sich auch in unbekannten Formaten leicht identifizieren lassen. Allerdings wurden hier nur stark vereinfachte Settings analysiert, sodass der Einfluss von weiteren formatspezifischen Synergien oder Fähigkeiten unberücksichtigt blieb. Darüber hinaus fände ich es sowieso sehr interessant, wenn Computersimulationen in Zukunft häufiger eingesetzt würden, um strategische Fragestellungen zu beantworten, wobei die Komplexität des Spiels das ganze wohl sehr schwierig macht.

Ich hoffe, dass der Artikel euch gefallen hat und dass auch ihr euch in Zukunft mehr Gedanken über das zusätzliche Land macht.




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