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Interview mit einem Piraten
von Torben Thies
16.11.2011

Eigentlich sollte dieses Interview schon viel früher und im Rahmen des Kalenderblatts erscheinen. Meine universitäre Workload hat mir jedoch einen Strich durch die Rechnung gemacht, weshalb es vorerst keine regelmäßige Kolumne von mir geben wird. Aber keine Angst, ich bleibe euch erhalten und schreibe hin wieder, wenn sich Zeit und Lust vereinen, etwas, was ihr dann auf dem Planeten lesen könnt. Das Interview mit Fabio Reinhardt wollte ich euch beispielsweise nicht vorenthalten, weil ich seine derzeitige Situation sehr spannend finde.

Fabio Reinhardt ist Pirat. Fabio Reinhardt spielt Magic. Diese beiden Eigenschaften wären an sich nicht der Rede Wert, gelten Piraten doch gemeinhin eh als Nerds vor dem Herrn. Da ist es zu Magic kein weiter Sprung. Was ihn aber zu einer interessanten Person macht, sind seine Erfolge in beiden Bereichen. In der magischen Welt hat er nämlich unter anderem die Top 8 einer Pro Tour bestritten und ist 2008 Deutscher Vizemeister geworden. Und in der „politischen Realität“ ist er im September als einer von 15 Piraten ins Berliner Abgeordnetenhaus eingezogen und somit zusammen mit Gerwald Brunner der erste Magic-spielende deutsche Parlamentarier. (Belegen kann ich diese Aussage freilich nicht, denn wer bestätigt mir, dass Klaus Wowereit wirklich noch nie eine Riesenspinne beschworen hat?)

Aus persönlicher Erfahrung weiß ich, dass Fabio sich schon sehr lange sehr intensiv für den Erfolg der Piraten einsetzt. Ich erinnere mich noch genau an ein Prerelease vor einigen Jahren, als er an jeden Teilnehmer des Wolfsburger Prereleases Unterschriftenlisten verteilte, um die Piraten in Niedersachsen wählbar zu machen. Zugegeben, damals habe ich ihn aufgrund seiner schon fast manischen Überzeugtheit und des albernen Parteinamens (eine richtige Partei hat drei Buchstaben!) ein wenig belächelt. Mit der Zeit wuchs aber mein Respekt vor Fabios Zielstrebigkeit und mittlerweile kann ich mir niemanden vorstellen, der es mehr verdient hätte, im Parlament zu sitzen.

Auch Magic hat er dabei nie verleugnet. Eine schöne Anekdote dazu ist die Geburtstagsfeier einer gemeinsamen Freundin, die zusätzlich auch Piratin ist, gegenüber der Fabio unser aller Lieblingsspiel furios vor dem Vorwurf des kapitalistischen Zwangsprodukts verteidigte. Dazu wird er euch gleich selbst mehr erzählen, denn ich habe ihn um ein kurzes Interview gebeten, in der er euch berichtet, wie er dahin gekommen ist, wo er sich jetzt befindet: Mitten in der Berliner Politik!


Fabio, ein ganz unbeschriebenes Blatt bist du ja weder im magischen noch im politischen Bereich. Stell dich für die, die dich noch nicht kennen, dennoch mal kurz vor.

„Ich bin Historiker, 30 Jahre alt und wohne in Berlin. Meine erste Partie Magic: The Gathering habe ich 1995 mit Freunden an meiner Schule in Braunschweig gespielt. Wir haben damals vor allem große, gemeinsame Runden wie „Pentagramm“ (5-Personen-Runde) oder „Emperor“ (6-Personen) gespielt. Die nächsten Jahre sind die Karten dann etwas eingestaubt, bis mich 1999 ein Freund überredete, auf ein Turnier zu fahren, bei dem man sich für die Niedersächsischen Meisterschaften qualifizieren konnte (damals gab es noch Regional Qualifier). Das hat zwar damals noch nicht ganz funktioniert, aber ich war trotzdem angefixt, spielte in der Folge viele Turniere und konnte mich 2001 für die Deutschen Meisterschaften qualifizieren, wo ich am ersten Tag 6:0 spielte. Meine größten Erfolge waren sicherlich meine Viertelfinalteilnahme bei der Pro Tour Chicago 2003, wo ich leider 3:2 gegen Jon Finkel verlor, und meine Finalteilnahme bei der Deutschen Meisterschaft 2008. Außerdem hatte ich einige Erfolge zusammen mit Jens Krause und Alexander Schröder bei Teamturnieren.



Fabio bei der DM 2008 (links) und bei der PT Chicago 2003 (rechts)

Magic und die vielen tollen Menschen, die ich auf den Turnieren und Reisen getroffen habe, haben mich in der Folge weiter begleitet und mir von Abitur über Zivildienst und Studium auch viel Kontinuität gegeben. Um der Community etwas zurückzugeben, verfasste ich auch öfter mal Berichte und Analysen für PlanetMTG. Nachdem ich allerdings anfing, mich hochschulpolitisch und später auch in der Piratenpartei zu engagieren, hatte ich immer weniger Zeit, zu Turnieren zu fahren und zu schreiben. Dass ich nun für die nächsten fünf Jahre Abgeordneter im Berliner Parlament sein werde, verspricht jedenfalls nichts Gutes für mein Zeitkontingent.“

Euer Ergebnis von 9% in Berlin kam ja relativ unerwartet für so ziemlich jeden. Hast du damit gerechnet, ins Abgeordnetenhaus zu ziehen?

„Nein, gerechnet habe ich damit sicher nicht. Zwar haben wir uns schon nach der Bundestagswahl 2009, in der wir in Berlin 3,4% bekamen, ausgerechnet, dass die Chance bei dieser Wahl besser als jemals zuvor sein würde, wirklich mal in ein Landesparlament einzuziehen. Aber es war ja noch ein langer Weg. Und in den kommenden zwei Jahren gab es noch viele Hürden. Als Beispiel sei genannt die Ausarbeitung einer komplett neuen Satzung, die Einführung von Liquid Democracy in das Parteiensystem, die Ausarbeitung eines umfassenden Programms und – schlussendlich auch – das Führen eines Wahlkampfs mit einem Budget, was nur 10% von dem der FDP betrug. Auch menschlich war diese Zeit nicht immer einfach. Rund um die Aufstellung der Kandidaten für den Landtag gab es Krach, die Wahl musste wiederholt werden. In einer neugebildeten Gruppe ohne lange Traditionslinien und einem festen Kodex, dazu noch ein starkes Ablehnen von Gruppenzwängen, von bestimmten Mechanismen und Rollenbildern, gibt es natürlich viele Reibungen und Diskussionen.

Aber letztendlich war die Frage, ob wir die 5%-Hürde schaffen können, von Faktoren abhängig, die wir nur teilweise beeinflussen konnten. Damit es klappt, musste es einen Hype, eine Eigendynamik rund um unsere Wahlteilnahme geben oder eben nicht – was bedeuten konnte, dass wir nicht einziehen würden. Der Hype kam, die Berichterstattung, die Zustimmung in der Bevölkerung, letztendlich mussten wir uns nur noch auf die Straße stellen und uns wurden die Flyer aus der Hand gerissen. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich auch, dass es diesmal funktionieren und ich bald als Abgeordneter im Parlament sitzen würde. Aber bis dahin war es ein langes Zittern. Meine Erfahrungen auf großen Turnieren wie Pro Touren haben sicherlich dazu beigetragen, dass ich mit diesem Bewusstsein lockerer umgehen konnte, aber spannend war es für uns alle bis zum Schluss.“

Wie beeinflusst das Wahlergebnis deine persönliche Karriere?

„Meine berufliche Karriere ist erst einmal komplett auf Eis gelegt. Ich werde neben der Zeit als Abgeordneter mein Fernstudium Journalismus beenden, um danach mehr Möglichkeiten zu haben und mich nicht von dem Wohlwollen der Partei abhängig zu machen. Aber grundsätzlich bin ich jetzt erst einmal Pirat und Parlamentarier in Vollzeit. Ich denke auch, dass dieser Schritt meinem eigentlichen beruflichen Ziel, nämlich Wissensvermittlung und politische Bildung zu betreiben, in jedem Falle helfen wird. Die Erfahrungen, die ich hier mache, bis hin zur Betreuung von Mitarbeitern, helfen mir bestimmt auch nach meiner Zeit als Abgeordneter.“

Hast du bei so vielen politischen Verpflichtungen überhaupt noch Zeit für Magic?

„Kaum. Aber ich werde versuchen, auf die nächste Deutsche Meisterschaft zu kommen oder mal wieder auf einen deutschen oder benachbarten Grand Prix zu fahren.“

Wo überschneiden sich Magic und Politik? Welche Strategien konntest du vom einen in den anderen Bereich übertragen?

Magic, beziehungsweise auch andere Strategiespiele, und Politik haben leider viel mehr miteinander zu tun, als mir lieb ist. Wenn man sich anschaut, wie Politik betrieben wird, dann fällt einem schnell auf, dass viele Politiker ihre Entscheidungen und deren Kommunikation entwickeln, als wären sie Spieler eines Strategiespiels und die Wähler und die Pfründe wären Spielelemente, um die man spielt.


Schauen wir uns mal die aktuellen Koalitionsverhandlungen in Berlin an: Momentan macht es den Eindruck, dass Klaus Wowereit, der Regierende Bürgermeister von Berlin, gar nicht schaut, welche Koalition die beste für die Stadt wäre, sondern nur, wie er seine eigene Position so absichern kann, dass er sich ruhig um seine Kanzlerkandidatur 2012 bemühen kann. Dazu geht er ein Bündnis mit der CDU ein, was er auch in ein paar Jahren wieder aufkündigen kann, indem er darauf verweist, dass sie ihm in sozialen Fragen nicht entgegengekommen sei, was ihm wiederum im nächsten Wahlkampf hilft. Gleichzeitig schickt er seine Vertrauten aus, die über die Medien die Grünen diffamieren, die angeblich eine „rückwärts gewandte Baupolitik“ betreiben würden, was nun wirklich Blödsinn ist. So behält er alle wichtigen Karten in der Hand und hält sich alle Optionen offen.

Im Wahlkampf merkt man das besonders stark. Da geht es kaum noch um Ehrlichkeit. Schon ein Jahr vorher wird eine Agentur damit beauftragt, die Wünsche und Ziele der Bevölkerung zu analysieren (quasi das Metagame sichten), um daraus eine entsprechende Kampagne auszuarbeiten (ein Deck zu bauen), mit dem die Partei dann in den Wahlkampf startet (am Turnier teilnimmt). Aber wie auch bei Magic merkt man bei der Politik immer stärker: Beim Testen ist man am besten selbst dabei, sonst spielt es sich auf dem Turnier immer etwas komisch. Und genau das ist wohl Renate Künast, der Bürgermeisterkandidatin der Grünen passiert, die in einem ungewohnten Spielumfeld mit einer unpassenden Strategie saß.

Grundsätzlich würde ich mir natürlich jenseits aller Metaphern wünschen, dass Politik weniger mit Gemauschel, Geplänkel und Taktieren gemacht wird und stattdessen wieder stärker als kooperatives Spiel begriffen wird. Wir als Piraten fordern ja auch, dass Politik transparenter gemacht wird und fangen bei uns selbst an, indem wir unsere Kontakte zu Lobbyisten und Organisationen offenlegen und unsere relevanten Sitzungen streamen. Auf das Spiel übertragen würde es heißen, dass wir freiwillig unsere Hand vorzeigen, in der Hoffnung darauf, durch das größere entgegengebrachte Vertrauen der anderen Parteien und der Wähler zu profitieren. Ob sich das rentiert, wird man sehen. In einem Turnier mag das nicht das Cleverste sein, ich hoffe jedenfalls, dass sich dieser Spielstil durchsetzen wird.“

Magic wird von bösen Zungen als Spiel mit kapitalistischen und teilweise sogar neoliberalen Zügen charakterisiert. Passt Magic denn zu einem Piraten?

„Neoliberal – was ja heißt, jeder ist sich selbst der Nächste und Solidarität wird nicht belohnt – ist Magic sicher nicht. Im Gegenteil fördert und belohnt es sogar solidarisches Verhalten. Von der Vorbereitung und dem Testen für ein Turnier über das Leihen von Spielkarten bis hin zur Organisation der gemeinsamen Anreise bin ich darauf angewiesen, dass andere Spieler mich unterstützen und freiwillig mit mir kooperieren. Die besten Ergebnisse werden meist von „Spielgemeinschaften“ eingefahren, die zusammen getestet haben. Gerade für junge Menschen ist Magic also durchaus sinnvoll, um kooperative und soziale Kompetenzen zu fördern. Insofern passt das auch gut zu den Piraten, die versuchen durch Kooperation Politik zu gestalten. Eine weitere Parallele: Vor der Wahl von Vorsitzenden und Listen für Parlamente weiß man bei den Piraten nie so genau, was eigentlich passiert. So wie bei Magic vor Beginn des Turniers.


Was man natürlich kritisch sehen kann, ist, dass das Spiel Geld kostet und – im Unterschied zu einem Brettspiel, wo man nur einmal Geld ausgibt – die Gewinnchancen proportional zum investierten Geld steigen, man aber zumindest einen hohen Anreiz hat, ein gewisses Grundinvestment zu tätigen. Das ist für mich auch ein Grund, das Spiel nicht unvoreingenommen jedem zu empfehlen. Aber man kann dem natürlich einerseits entgegenwirken, indem man sich ein Netzwerk aufbaut, von dem man sich Karten leiht – für die letzten Deutschen Meisterschaften habe ich mir zum Beispiel alle notwendigen Karten geliehen, da ich kaum noch aktuelle Karten besitze. Und andererseits kann man durch ein Spiel, in das man theoretisch unendlich Geld investieren kann, natürlich auch seine Fähigkeit stärken, mit Geld umzugehen. Dass das vielleicht nicht bei jedem klappt, ist mir auch klar.“

Gibt es sonst noch etwas, das du den Lesern mitteilen möchtest?

„Ja. Politik ist echt nicht so furchtbar, wie ihr Ruf ist. Man kann auch mit ein wenig Interesse und ein wenig Engagement schon einiges erreichen. Man muss sich nur ein Ziel setzen und dafür Verbündete suchen. Ziele gibt es ja genug, das kann von dem gehassten Kraftwerk in der Nähe des eigenen Hauses bis hin zur Reform des Urheberrechts so ziemlich alles sein. Das Problem ist oft nur, dass man nicht die richtigen Leute trifft, mit denen man die eigenen Anliegen gemeinsam durchsetzen kann. Aber durch das Internet ist das viel leichter geworden.“

Vielen Dank, dass du dir die Zeit für das kleine Interview genommen hast!




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