„True Control“
Der erste Schritt dazu war es, dafür zu sorgen, dass es reine Kontrolle gar nicht mehr gibt. Ich erinnere mich noch an Partien, in denen ein Spieler fünf
Gegenzauber auf der Hand hielt, genug Länder kontrollierte, um alle auszuspielen, darüber hinaus über irgendeine Kartenzieh-Maschine verfügte, während der Gegner komplett handkarten- und machtlos war und eigentlich nur darauf wartete, dass der andere endlich eine seiner wenigen Siegbedingungen zöge.
Falls ihr erst in diesem Jahrhundert mit
Magic angefangen habt, kennt ihr so etwas vermutlich gar nicht mehr. Selbst Decks, welche heutzutage als „Kontrolle“ oder gar „echte Kontrolle“ bezeichnet werden, sind fast nie wirklich in der Lage, die Kontrolle über das Spiel beliebig lange aufrechtzuerhalten, sondern vielmehr darauf angewiesen, das Game nach dem Stabilisieren recht zügig zu beenden, bevor eben „doch noch etwas passiert“.
Manche Teachings-Decks aus dem
Time Spiral-Blockformat waren dazu in der Lage, viele entschieden sich aber trotzdem dafür, beispielsweise mit
Korlash, Heir to Blackblade ein entsprechendes Aggro-Element aufzunehmen.
Kombinationsgericht 2A
Damit einher geht eine Veränderung bei den Kombodecks: Früher einmal galt, dass ein Kombodeck gegen reinen Beatdown gewinnt, weil es schneller ist, dafür aber gegen die Disruption von Kontrolldecks (die damals mit
Gegenzaubern universelle Antworten besaßen) chancenlos unterlegen ist. ProsBloom gegen ein Deck voller Counter zu spielen, war nun mal kein Spaß!
Heute wird der Spieß genau umgedreht. Wizards wollen offenbar, dass Kombo gegen Disruption (allen voran wieder einmal die
Gegenzauber) gewinnen kann. Die Mechaniken
Dredge und Storm zeugen eindeutig von diesem
Paradigmenwechsel. Im Gegenzug soll Kombo aber so langsam gehalten werden, dass es von einem aggressiven Beatdowndeck geschlagen wird...
Und hier schrillen bereits die Alarmglocken! Ich weiß nicht, ob das prinzipiell nicht sogar eine gute Idee ist, aber bislang haben sie in der Durchführung klar versagt. (Ich glaube, beim Testen enthielt ihr
Dragonstorm-Deck keine
Lotus Bloom und
Bridge from Below hatten sie nie mit
Dredge in Verbindung gebracht...) In dieser Standardsaison blieben wir zwar verschont, aber was ein Disruption-resistentes Kombodeck (Disruption bedeutet hier nicht spezifischer Hate) anrichten kann, wenn es aus Versehen doch schneller als Beatdown gerät, dürfte aus Extended bekannt sein.
Mehr Karten, Colorfixing, bessere SB-Optionen und Universelleres
All das verwischt die klaren Abgrenzungen zwischen den Archetypen und ihren Matchups. Die Decks werden schlicht und ergreifend flexibler.
Beispielhaft bekommt also Aggrokontrolle mit
Cryptic Command ein maindecktaugliches
Ensnare (bzw. anderthalb) oder ein maindecktaugliches
Dismiss oder eine Kombination daraus. Matchups, die normalerweise 60:40 für das eine Deck stehen, gehen nach dem Boarden auf einmal 35:65 aus, weil SB-Karten so einen profunden Effekt haben. Verschlimmert wird das alles noch zusätzlich, indem man durch das exzellente Colorfixing schwarze Karten (und zwar nicht
Faerie Macabre) plötzlich in Sideboards von blau-weiß-roten Decks antrifft. (So gesehen beim
NQ Dortmund.) Und selbst Utility lässt sich splashen oder ist gar von vornherein farblos (
Mutavault).
Das läuft darauf hinaus, dass Angaben von Matchup-Prozenten allmählich überflüssig werden. Wen interessiert schon, dass das durchschnittliche Mana Ramp gegen die durchschnittlichen Feen nur 40% holt, wenn ein
spezielles Mana Ramp mit ein paar Anpassungen in Maindeck und Sideboard dann aber 60% erzielt?
Diese Entwicklung betrachte ich mit größter Sorge! (Weit mehr als irgendwelche neu erstarkten Kombodecks...) Denn während zwar gilt, dass starre und eindeutige Matchups
beim Spielen auf Dauer langweilig sind, sind Unübersichtlichkeit und Beleibigkeit
beim Deckbau extrem frustrierend... Ich setze all meine Hoffnungen darauf, dass
Shards of Alara hier gegensteuert.
Viele Kreaturen verderben den Brei
Zum Abschluss etwas, dass wirklich bloß auf den
Lorwyn-Block zu schieben ist und keine dauerhafte Entwicklung zu sein scheint: die Abwesenheit von einem echten Aggro-Beatdowndeck.
Denn selbstverständlich forciert ein kreaturenreicher Block aggressive Beatdowndecks nicht – er behindert sie!
Normalerweise hat man es bei Constructed-
Magic großteils mit Decks zu tun, die auf den Kreaturenkampf als solchen nicht gut vorbereitet sind, z.
.B. Kombo oder auch Kontrolle, deren einzige Kampfhandlung darin besteht, den Zorn Gottes heraufzubeschwören. In einem solchen Nährboden entstehen Weenie-Decks, die statt reaktivem Creature-Removal aktive Finisher wählen, also ebenfalls nicht wirklich kämpfen wollen. (Zum Beispiel Gruul, Boros oder Rakdos, wie wir sie im letzten Jahr erlebt hatten.)
Wenn aber eh an jeder Ecke Blocker herumstehen, dann ist bloße Aggressivität natürlich nicht mehr so attraktiv.