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Psychische Aspekte
von Doris "Sunrise" Neumann - Rieser
29.03.2004

Auf die Idee zu diesem Artikel gebracht hat mich Isi, ein Besucher unseres Magic- Stammtischs mit seiner Frage: Was fasziniert euch so an diesem Spiel?
Mich hat diese Frage dazu bewegt, mich zu fragen: Warum spielen wir Magic? Warum spielt der Mensch überhaupt? Welche psychischen Faktoren spielen dabei mit? Und natürlich... kommt bei einer Diplom-Pädagogin wie mir zwangsläufig die Frage auf: Welchen pädagogischen Wert hat das Spiel Magic?

Bezüglich der letzten Frage muss ich das Wort "Pädagogik" erst einmal erklären: Es kommt aus dem Griechischen und heißt wörtlich übersetzt etwa so was wie: Knabenführung. Im alten Griechenland genossen ja ausschließlich Jungs eine Ausbildung, und diese übernahmen eben diese Knabenführer, die mit Privatlehrern zu vergleichen waren. Ziel dieser Ausbildung waren körperliche Kraft, geistige Regheit, soziale Fähigkeiten und ähnliche erstrebenswerte Dinge.
Auch heute versucht man in der Pädagogik junge Menschen (Kinder) zu fördern und in allen möglichen Bereichen zu bilden.
Im Bezug auf Magic muss ich dazu sagen, dass es im gängigen Sinne des Wortes irrelevant ist den pädagogischen Wert zu ermitteln, da kaum Kinder dieses Spiel spielen.
Wenn es aber so etwas wie Pädagogik für Erwachsene gibt, muss ich sagen: Ja, Magic ist (in diesem Sinne) höchst wertvoll!

Aber warum?
Dazu muss ich weiter ausholen.
Spiel an sich ist ein Zeichen der Intelligenz und der hohen Evolutionsstufe einer Spezies. Darum gibt es kein Wesen auf der Erde das soviel spielt wie der Mensch. Spiel ist eine Form des aktiven Lernens. Es ist also schwer zu sagen, was zuerst war: Das Spiel oder die Intelligenz?
Auf alle Fälle bedingen sich diese beiden!

Das Lexikon sagt zur Definition von Spiel: Tätigkeit, die ohne bewussten Zweck, aus Vergnügen an der Tätigkeit als solcher bzw. an ihrem Gelingen vollzogen wird und stets mit Lustempfinden verbunden ist.
Das heißt, Spiel ist eine Tätigkeit, die nicht zum Lebenserhalt notwendig ist (außer für Pros, die hauptberuflich Magic spielen) und somit nur dann möglich ist, wenn ein Wesen genügend Zeit und gesicherte Lebensumstände hat, um sich ihr hinzugeben.
Wir kennen das alle: Wer nicht genug Zeit und Geld hat, wird Magic kaum richtig spielen können.

Schon in der Urzeit des Menschen, befasste er sich, wenn er neben der Jagd genügend Zeit fand, mit spielen. So kann man sich auch vorstellen, dass z.B. ein zufriedener satter Urzeitmensch in der Sonne saß und mit einem runden Stein spielte...und so zur Erkenntnis kam, das runde Dinge sich leichter fortbewegen als eckige, was zur Erfindung des Rads geführt haben könnte.
Spiel und Intelligenz...2 Dinge, die zusammengehören!
"Der Mensch ist nur da ganz Mensch wo er spielt!",sagte schon Friedrich Schiller.

Aber auch andere Ansichten von großen Denkern zu diesem Thema möchte ich hier anführen.
Beispielsweise sagte Aristoteles: Das Spiel befreit den Menschen von seelischen Konflikten, hilft ihm zur Lösung innerer Spannungen und er muss sie nicht mehr an der Gesellschaft abreagieren.
Piledriver, ebenfalls ein Besucher unseres Magic- Stammtischs hat einmal erwähnt, dass er durch Magic Aggressionen abbauen kann (ohne dabei jemanden körperlich zu schlagen- er braucht es nicht, denn er kann ihn ja geistig schlagen). Hier wären wir schon beim ersten Punkt, der meine Aussage; dass Magic (erwachsenen-pädagogisch) wertvoll ist, bestätigt.

Magic ist auch ein sehr stark reglementiertes Spiel (wer sich einmal mit den Regeln auseinandergesetzt hat wird das bestätigen) und als Pädagogin weiß ich um die wichtigen Funktionen des Regelspiels für die soziale Entwicklung:
Beim Regelspiel lernt der Mensch Teamgeist (z.B. beim Team- sealed,- draft, -stapel), Geduld und Ausdauer, Akzeptanz, Einfühlungsvermögen (alles sehr wichtig für die Kommunikation) sowie auch Fairness und Frustrationstoleranz im Sinne von Verlieren-können.

Ihr könnt jetzt sagen: Ja super, Gesellschafts- und Regelspiele hab ich mit 6 im Kindergarten schon gepielt - diese ganzen Dinge wie Fairness, Teamgeist und Verlieren-können hab ich damals schon gelernt, dafür brauch ich jetzt nicht mehr Magic spielen.
Ich sage dazu: Ja, ihr habt die Grundlagen damals gelernt, aber von Perfektion sind wir alle wahrscheinlich weit entfernt. Wir hören mit Erreichen des Erwachsenenalters nicht auf zu lernen- es geht nur schwerer und deshalb lernen wir langsamer. Dadurch entsteht der fälschliche Eindruck, dass wir als Erwachsene nichts mehr zu lernen hätten. Magic, als erwachsenengerechtes Regelspiel kann uns helfen auch unsere sozialen Fähigkeiten weiter zu trainieren und zu verbessern.

Der wichtigste Punkt, in dem wir durch Magic aktiv lernen können ist aber sicher das strategische und logische Denken, die Taktik, die Kreativität und Intelligenz.
Die Intelligenz ist die Fähigkeit, für ein Problem, für das man bislang keine Lösung hatte oder brauchte, eigenständig eine Lösung zu finden.
(z.B. haben wir bis jetzt erfolgreich Monowhite gespielt und plötzlich kommt die Skullclamp raus...was tun wir? Wir suchen kraft unserer Intelligenz und mit Hilfe unseres Denkens eine Lösung, wie wir auch gegen die Skullclamp ein gutes Match-Up herausholen können) Dazu benutzen wir unsere Kreativität. Kreativität ist die Fähigkeit, neue Möglichkeiten zu erwägen und Ideen auszuarbeiten.

Aber nicht nur beim Deckbau auch während dem Spiel sind diese Fähigkeiten gefordert. (Was könnte der Gegner auf der Hand haben, wieviel Mana stehen ihm zu Verfügung, was würde passieren, wenn ich jetzt mit dieser oder jener Kreatur angreife, wie könnte ich diesen Effekt verhindern oder umgehen,...) Strategie, Taktik, Wahrscheinlichkeitsberechnung, Logik,...man merkt, hier sind die grauen Zellen am arbeiten! Dadurch dass die arbeiten, baut das System neue Verbindungen und Schnittstellen (Synapsen) im Gehirn auf. (Diese werden zwar durch den übermäßigen Alkoholkonsum während des Spielens wieder vernichtet, aber der Spieler bleibt wenigstens gleich von seiner Denkleistung her) (wor a Scherz- man i net bes).

Neben dem Fördern der Intelligenz und des Denkens (und der Kreativität, und und und...) erfüllt Magic natürlich auch den Zweck der Erholung, Belustigung, Entspannung und des Zeitvertreibs erwachsener Menschen. Aber tun das nicht auch andere Spiele wie Schnapsen, Mensch ärgere dich nicht und weiss der Kuckuck was noch? Ja, was unterscheidet Magic also so grundlegend von anderen Gesellschaftsspielen für Erwachsene?

Zum Einen ist es bestimmt der Wettbewerbscharakter dieses Spiels. In welchem anderen Spiel kann man so viele große Turniere und sogar Weltmeisterschaften bestreiten? (Schach ausgenommen)! Es ist ein Spiel bei dem man kaum einmal an einen Punkt gelangen wird bei dem man sagt: So, jetzt kann ich in Magic nichts mehr dazulernen. Dieses Spiel kann mir nichts mehr an Herausforderungen bieten. Einen solchen Level wird man kaum erreichen.

Genau das unterscheidet Magic auch von anderen TCGs - Yu gi oh z.B. wird niemals so komplex sein, dass man es nicht einmal "ausgespielt" haben wird. Wenn man den eiskalten Drachen, oder wie das Über-Super-Viech in Yu gi oh halt heißt besitzt und gegen die ganzen kleinen Kinder, die sich das Ding halt nicht leisten können gewinnt, verliert dieses Spiel ganz einfach seinen Reiz.
Anders bei Magic: Da kannst du 10 Black Lotusse /Black Loten? haben, wenn du spielst kommt's nur auf deine Skills (Erfahrung, Können, Wissen, Denkvermögen und Intelligenz) an. (Sicher sind gute Karten nicht unwichtig, aber nur weil man einen Black Lotus besitzt gewinnt man nicht).

Aber dafür gibts ja auch die verschiedenen Formate in Magic...damit auch nicht so wohlhabende Spieler mit weniger teuren Karten ihre Fähigkeiten beweisen können.

Gerade auch die verschiedenen Formate tragen dazu bei, ständig neue Herausforderungen zu bekommen.
Wenn man ein super-constructed Spieler ist, kann man in limited immer noch viel dazulernen. Oder im Stapel. Da gehts dann eben drum, aus dem was man random kriegt, immer noch was Gescheites zu machen. Dafür brauchen wir wieder unsere ganze Palette: Intelligenz, Kreativität, Denkvermögen, Strategie, Logik, Prioritäten setzen können,...

Da soll mal einer sagen: In Magic gibts keinen Besseren als mich! (So wie Cyber in Yu gi oh behaupten will - er wäre der beste in Yu gi oh) In Magic gibts das eben nicht...Du bist der Beste? Dann versuchs mal gegen andere Gegner oder mit einem neuen Format - Magic ist derart vielschichtig, dass es kein Patentrezept für den Sieg gibt. So wie die Möglichkeiten zu gewinnen unendlich sind, sind es auch die Möglichkeiten zu verlieren. Von jedem Gegner kann man lernen. Von jeder Spielsituation ebenso.

Computerspiele kann man "ausspielen" - Magic nicht. Mit jeder neuen Edition und jedem Banning gibt es neue Möglichkeiten und neue Umverteilungen in den Tier 1 Decks. Da Magic sich ständig ändert, muss man sich mit ändern, um optimale Chancen zu haben.

An Herausforderungen mangelt es hier also nicht.

Was sind allerdings die Risiken beim Magicspielen?

Wie jede gute Sache kann man auch das Magicspielen übertreiben. Wenn man z.B. zwanghaft wesentlich mehr Geld in dieses Spiel investieren muss, als man besitzt, oder gar keine anderen Interessen mehr hat...ist das schon schlecht. Aber im Grunde kann man das glaub ich bei jedem Hobby in der Art übertreiben.(Den ganzen Tag nur mehr an Fußball denken, sich einbilden, dass sein Lieblingsfußballspieler immer bei einem ist, 1000e Euro für Briefmarken ausgeben,...) Insofern ist Magic nicht risikoreicher als jede andere Freizeitbeschäftigung, aber dafür wesentlich besser!

Ein weiteres Problem beim Magicspielen stellt die Tatsache dar, dass manche Menschen einfach um jeden Preis gewinnen müssen. Und aus diesem Grund vielleicht auch zu cheaten beginnen.

Wenn ein Mensch allzu ehrgeizig ist oder sogar zu Betrug neigt, zeigt er diese Verhaltensweisen meist nicht nur beim Magic spielen, sondern auch im „wirklichen“ Leben, wo sie meist noch wesentlich größere Probleme bereiten als im Spiel.

Nehmen wir zum Beispiel einen Cheater her: Wenn er bei einem kleineren Turnier versucht durch unfaire Mittel zu gewinnen, ist das zwar extrem unfair und unsportlich, aber er tut nicht wirklich jemand damit weh.
Wenn dieser Mensch aber auch an seinem Arbeitsplatz, es nicht erträgt, dass ein anderer Mitarbeiter besser ist als er, und er auch dort unfaire Mittel anwendet um diesen Kollegen in Verruf zu bringen und dieser vielleicht dann deshalb seinen Arbeitsplatz verliert, ist das noch viel schlimmer.

Da Magic nur ein Spiel ist und nicht das wahre Leben, kann man durch das Spielen seine psychischen und sozialen Defizite (ich drücke das bewusst so hart aus), wie z.B. Unfairness, fehlende Frustrationstoleranz oder Unfähigkeit zu Teamarbeit erkennen, ohne diese noch schmerzhafter im täglichen Leben erfahren zu müssen.
Zudem bietet das Spiel auch die Möglichkeit mit diesen Defiziten umgehen zu lernen.

Wenn unser Cheater jetzt beim Betrügen in Magic ertappt wird, wird er die Reaktionen seiner Umwelt (die anderen Spieler) erfahren und somit einsehen, dass er so nicht handeln kann, weil seine Mitmenschen sonst mit Ablehnung und Feindschaft reagieren. (Wenn er moralisch halbwegs entwickelt ist wird er es einsehen.) Durch diese Erfahrung wird er LERNEN, sich fair zu verhalten. Dann beginnt für ihn der schwere Lernprozess, ohne sich übermässig zu ärgern verlieren zu können. Bei diesem Prozess kann wieder das Spiel ihm helfen. Langsam entwickelt sich durch das Spielen (uns verlieren) Frustrationstoleranz und DANN ist er auch bereit in den restlichen Bereichen seines Lebens fair zu handeln und dadurch vielleicht einmal weniger gewaltig auf die Schnauze zu fallen.

Grundvoraussetzung dafür ist eine LERNBEREITSCHAFT. Wenn ein Mensch felsenfest davon überzeugt ist, dass ER sicher nichts an sich verändern braucht und er schon so passt wie er ist, er aber objektiv große Fehler macht, ist keine Verbesserung der Situation zu erwarten, auch wenn dieser Mensch weiter Magic spielt.

Diese Lernbereitschaft ist bei Kindern noch sehr groß. Kinder gebrauchen als Form des aktiven Lernens das Spiel um unbewusst ihre psychischen, sozialen, mentalen, kognitiven und physischen Fähigkeiten auszubilden.
Das Spiel soll ja eine Chance sein „nur zum Spaß“ zu erproben, was im späteren Leben dann auch gebraucht wird.

Kindergartenkinder spielen zum Beispiel gern „Schule“. Sie setzen sich an einen Tisch, nehmen sich ein Heft, kritzeln eifrig darin herum und versuchen die Anweisungen der „Lehrerin“ (meist ein anderes Kind) zu erfüllen.
Stillsitzen, zuhören, Feinmotorik der Finger…all das werden sie später, wenn sie wirklich zur Schule gehen brauchen.
Kinder haben von sich aus ein unstillbares Verlangen, durch Erproben und Tun (spielen) sich zu entwickeln und zu bilden.

Bei Erwachsenen ist dieser „Spieltrieb“, wie er oft geringschätzig genannt wird, oft schon erlahmt. Bei uns Magicspielern sollte er theoretisch noch vorhanden sein, denn sonst würden wir nicht spielen, und so unsere Fähigkeiten in allen möglichen Bereichen verbessern und „nur zum Spaß“ trainieren

Wenn ein Mensch nun aber größere Defizite im sozialen oder psychischen Bereich aufweist, wie in unserem Beispiel am Anfang, dass er einen falschen Ehrgeiz an den Tag legt, und vielleicht auch cheatet, oder wenn er kognitive oder mentale Schwierigkeiten hat, also oft Spielfehler macht und auch oft dieselben, dann sollte man trotzdem nicht schnell ein Pauschalurteil fällen: „Dieser Mensch sollte sich eine andere Betätigung suchen!“

Wenn der betroffene Mensch Problembewusstsein und Lernbereitschaft zeigt, sollte man ihn keinesfalls vom Spielen abhalten. Denn das Spiel kann diesem Menschen schon sehr helfen, seine Probleme „spielerisch“ zu bekämpfen. Es wird vielleicht nicht so schnell gehen (denn Erwachsene lernen langsamer), aber er wird es mit der Zeit lernen. Cheaten ist hier eine Ausnahme…das muss entweder gleich abgelegt werden oder eben gar nicht mehr. Es ist für die Spielpartner vielleicht auch mühsam, hier Geduld und Ausdauer zu beweisen, aber genau das sind wieder Eigenschaften, die auch trainiert werden können und sollen.

Natürlich, wenn jemand bei großen Turnieren cheatet und das noch mehrmals dann gehört er DCI- gerecht bestraft. Und wenn jemand nach 10 und 20 mal erklären noch nicht weiss, für was Länder gut sind, und wenn jemand nach jedem verlorenen Spiel mit Selbstmord droht sollte man ihm vielleicht doch nahe legen sich ein anderes Hobby zu suchen. (Briefmarken haben fast so schöne Bildchen, wie Magickarten und sie lassen sich auch genauso gut in Mappen sammeln!)

Aber bei nicht so extremen Fällen ist etwas Toleranz durchaus gefragt – schließlich wollt ihr doch auch, dass eure Mitmenschen ihre schlechten Eigenschaften in den Griff bekommen und so zu angenehmeren Zeitgenossen werden!

Wenn ihr selbst oft Schwierigkeiten habt, Spielern die, sei es aus Unerfahrenheit oder durch gewisse schlechte Eigenschaften (Nicht verlieren können, keinen Teamgeist haben, Spielfehler machen,…), eure Geduld und Toleranz erfordern, diese auch entgegenzubringen, solltet ihr vielleicht noch an euch arbeiten.
Arroganz ist genauso eine schlechte Eigenschaft!

Übrigens: Ich rede hier nicht von hoffnungslosen Fällen, die absolut nicht lernen wollen, sondern von lernbereiten, problembewussten Menschen, die eben Zeit und Praxis brauchen, um sich weiterzuentwickeln.
(Gerade unter den Cheatern sind leider oft sehr viele hoffnungslose Fälle – aber unter den anderen könnten auch einige sein, die eure Geduld verdienen.)
Bleibt zu sagen: Magic ist Spiel, Spiel ist Lernen und Lernen ist Intelligenz!

Ich glaub ich hab euch die positiven Seiten von Magic recht gut erklärt. Warum wir also Magic spielen? Weils gut für uns ist!
Und warum der Mensch überhaupt spielt? Weil er ein Mensch ist.

So, das wars jetzt. Ich hoffe, mein Artikel hat euch gefallen und auch, dass wenigstens ein paar neue Aspekte, die für euch interessant waren, dabei waren.

MfG, sunrise.
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